Was ist neu

Stalingrad: Der Todesbrief

Mitglied
Beitritt
16.08.2003
Beiträge
23

Stalingrad: Der Todesbrief

Stalingrad: Der Todesbrief

Elise, zeige diesen Brief bitte nicht Madeleine und Peter. Sie sollen den wahrscheinlich letzten Brief ihres Vaters in Erinnerung behalten, den ich vor einer Woche geschickt habe.
Ich habe das bedrückende Gefühl, dass ich bald nicht mehr unter meinen Kameraden weilen werde. Der Häuserkampf ist schrecklich, ich habe Angst, Elise. Jeden Tag sterben meine Kameraden vor meinen Augen. Und ich kann nichts machen, sie verbluten, erfrieren, sagen mir, ich solle ihre letzten Grüße an ihre Frauen und Kinder übertragen.
Doch nicht die Granaten, Bomben und Kugeln der Russen sind das schlimmste, sie wären fast eine Erlösung. Die Kälte ist nicht auszuhalten. Es sind minus vierzig, minus fünfzig Grad, wir haben keine richtige Ausrüstung. Meine angeschossenen Freunde, sie legen im Schnee, auf Eis, ihr Blut gefriert sofort, ihre Wunden werden schockgefroren. Ihre letzten Atemzüge sind voller Blut, voller Hass gegen den Nationalsozialismus, der uns hier her gebracht hat. Und immer wieder denken wir an unseren Tod, der langsam unsere Körper durchschleicht. Erst waren nur die Füße kalt, jetzt habe ich kein Gefühl mehr in meinen Beinen, Armen, ich habe keine Kraft mehr meine Waffe zu halten, selbst der Stift, mit dem ich dir schreibe, ist bald zu schwer.
Wir werden immer weiter eingeengt. Wir waren eine halbe Million Mann, als wir einmarschierten, jetzt sind wir zweihunderttausend, eingeengt in Stalingrad, hoffen auf Befreiung der Luftwaffe. Seit einem halben Jahr hoffen wir, wahrscheinlich vergebens. Nur noch ein paar Verletzte werden in Krankenhäuser geflogen, die anderen verrecken elendig. Sie hängen sich schon an die Tragflächen.
Elise, weißt du, wo wir uns verstecken? Vor Angst verkriechen wir uns unter den Leichen, die Häuser sind besetzt von Scharfschützen, bieten uns keinen Schutz mehr.
Jetzt beginnt wieder ein Kugelhagel, Elise. Ich höre die Schüsse, die Schreie meiner Kameraden. Ich habe verdammte Angst.
Wenn du diesen Brief ließt, bin ich wahrscheinlich schon tot. Erziehe unsere Kinder gut, sage ihnen, ihr Vater ist ehrenhaft für sein Vaterland gestorben.
Elise, ich liebe dich. Bitte vergiss mich nie.

Dann rutscht ihm der Stift aus der Hand, fällt auf einen toten Soldaten. Blut strömt aus seinem Kopf und vereist sofort. Die Augen schließen sich. Der Brief wird Elise nie erreichen.

 

Hallo Marco!

Ich weiss nicht recht, was ich zu deiner Geschichte sagen soll.
Einerseits finde ich sie nicht schlecht, es ist so geschrieben, wie man einen solchen Brief mE auch schreiben würde, also realistisch.
Sie ist sehr kurz und das passt auch zu so einem Brief. Die Idee mit dem Versteck unter den Leichen ist auch gut.

Jedoch bringt mir die Story nicht viel neues. Es hat keine Überraschung, es ist alles so, wie es halt sein muss. War mir sofort klar, dass der Typ sterben würde.
Es könnte ein Originalbrief sein, solche die man in 'Geschichte' oft als Quellen benutzt.

Ich sehe jetzt aber, dass du erst 14 bist (wow, endlich jemand jüngeres...), der Text liess sich gut lesen!
Schreib weiter!

Mfg Van

 

Das mit dem Tod des Schreibers war vorhersehbar. War aber auch so gewollt. Wenn er stirbt unterstreicht das noch einmal die Dramatik, die ich versuche, im Brief unterzubringen.
Auch eine Überraschung in einer solchen Geschichte halte ich nicht für ratsam und vor allen Dingen politisch unkorrekt. Man sollte schon, um, wie schon genannt, die Dramatik, diese bedrückende Stimmung realistisch wiedergeben.
Aber sonst natürlich vielen Dank für deine Kritik. Ich wollte mich nur verteidigen.

 

Hallo, Marco!

Den größten Teil dieses Briefes wird Elise, wenn sie ihn überhaupt noch bekommt, überhaupt nie zu Gesicht bekommen, da die Briefe geöffnet, durchgelesen und zensuriert (schwärzen brisanter oder kritischer Textstellen) werden. Was aber nicht bedeuten soll, dass man einen solchen Brief als Prosa-Text nicht schreiben könnte!!!! Also keine Kritik meinerseits am Thema oder Inhalt.

Was ich dir aber noch sagen will:

Auch eine Überraschung in einer solchen Geschichte halte ich nicht für ratsam und vor allen Dingen politisch unkorrekt

POLITISCH UNKORREKT IN DER LITERATUR GIBT ES NICHT!!!

Soll heissen, du schreibst, was du willst und wie du willst. Du wolltest die Geschichte so wie sie ist, also die Dramatik und bedrückende Stimmung wiedergeben. OK, wenn du das so wolltest, dann ist das richtig so. Aber es wäre genauso richtig, wenn du die Geschichte mit irgendeiner "Überraschung" (wie van Horebeke meinte), irgendeiner ungeahnten Wendung geschrieben hättest. Nur mach' bitte eines nicht - zensiere, verbiege dich nicht selbst, um irgendwelchen Ansprüchen gerecht zu werden. Das ist der Tod der Literatur. Und ausserdem würdest du dann in deinem Kopf das machen, was die Nazis mit den Feldpostbriefen taten - zensieren, provokante Stellen ausblenden, dich sozusagen selbst maßregeln. Und eine solche Einstellung produziert in weiterer Folge keine Literatur, sondern Ideologietraktate.

mfg
Martin

 

:hmm:

Dein Titel ist so reißerisch, dass er glatt zu irgendeinem großen Kabelfernseh-"Ereignis" passen würde.
Wirst du damit und in dieser Rubrik deiner Intention wirklich gerecht?
Von der Aufmachung her übelst altbacken.
Die gute Nachricht vorweg: du schreibst überdurchschnittlich gut für dein Alter, und mir gefällt es, wenn du versuchst, dich mit Geschichte auseinanderzusetzen, sei es auch nur das Standardthema Stalingrad - bei weitem nicht die katastrophalste deutsche Niederlage, das wird oft vergessen.
Jetzt die Keule:

Warum hältst du dich in einem so auf "Quelle" getrimmten Text an die neue Rechtschreibung?

Ohne Gefühl in den Armen dürfte das Schreiben dem Protagonisten auch ziemlich schwer gefallen sein. Übrigens wurde in den meisten Feldpostbriefen der Krieg nur am Rande erwähnt, dass liest sich, als sei es für den Leser geschrieben, es liefert zudem keinerlei Neuigkeiten, nur Spuren eines Wendepunktes oder Spannungsbogens.

Warum sollte der Protagonist diesen Text überhaupt schreiben? Er wäre nie durch die Zensur gekommen. Wäre der Wunsch, seine Liebste wohlmöglich wirklich noch einmal postal zu erreichen zu können nicht größer?

Wir waren eine halbe Million Mann, als wir einmarschierten, jetzt sind wir zweihunderttausend, eingeengt in Stalingrad, hoffen auf Befreiung der Luftwaffe.
Woher kennt dieser Soldat derartige Zahlen?
Warum hofft er, die Luftwaffe möge befreit werden?
Man hoffte auf Entsatz und hatte i.N. keinen Überblick über das Gesamtgeschehen, denke ich.

Seit einem halben Jahr hoffen wir, wahrscheinlich vergebens.
Gibt man vielleicht nicht irgendwann die Hoffnung auf und schaltet einfach ab?
Er lässt sich ja auch ohne Gegenwehr töten.

Nur noch ein paar Verletzte werden in Krankenhäuser geflogen, die anderen verrecken elendig.

Wenn sie schon seit einem halben Jahr eingeschlossen sind, dürfte es kein Ausfliegen mehr geben, habe die genauen Daten jetzt aber nicht im Kopf.
"in Krankenhäuser" ist viel zu positiv, zivil. Außerdem besser: "Verwundete".

(...) die anderen verrecken elendig. Sie hängen sich schon an die Tragflächen.
Die Verreckten? Kontext schwammig.

Vor Angst verkriechen wir uns unter den Leichen, die Häuser sind besetzt von Scharfschützen, bieten uns keinen Schutz mehr.

Das "unter Leichen verstecken" ist bei den beschriebenen 40, 50 Grad unter Null keine so "gute Idee", da muss ich Van Horebecke widersprechen.
Und Häuser bieten prinzipiell Schutz vor Heckenschützen.

Jetzt beginnt wieder ein Kugelhagel, Elise. Ich höre die Schüsse, die Schreie meiner Kameraden. Ich habe verdammte Angst.
Liest sich, als würde er während des Angriffes schreiben?
Illusorisch. "Kugelhagel", "Ich höre Schüsse": erweckt den Eindruck, als würden seine Kameraden auch noch Munition, diese war aber auf deutscher Seite gegen Ende der Stalingrad extremst rar.

Wenn du diesen Brief ließt, bin ich wahrscheinlich schon tot.
Wird sie nicht. Das Ende ist arg vorhersehbar.

Erziehe unsere Kinder gut, sage ihnen, ihr Vater ist ehrenhaft für sein Vaterland gestorben.
Wow. Das wird doch eh in der Todesmeldung stehen.

Bleib trotzdem dran, Marco.
Zum nächsten Geburtstag musst solltest du dir zwar einen neuen Nick geben, aber du hast durchaus Potenzial, und dein Text ist - welch Glücksgefühl! - grammatikalisch und orthographisch fehlerfrei.
Liebe Grüße,
...para


Betrifft deine Antowrt auf Van Horebeke:


Scheue nicht davor zurück, in gewissen Rahmen politisch unkorrekt zu sein. Das heißt: klare Auseinandersetzung mit der Geschichte, ohne einer Seite zu verfallen.
Politisch korrekt zu sein muss nicht korrekt sein und muss auch nicht heißen, dass etwas korrekt ist.
Beispiel ist die jetzige Diskussion um das Vertriebenendenkmal.
Politisch korrekt wäre es da wohl, zu sagen:
"Gut, es gab einen Terrorkrieg gegen Unbeteiligte und massenhafte, oft an Genozid grenzende Vertreibung auch auf seiten der Alliierten, aber da die Kriegsschuld beim Deutschen Reich liegt, vergessen wir das mal schnell."
Das ist keine korrekte Beschäftigung mit der Geschichte, sondern eher ein Nachbeten der wahrscheinlich gelernten Geschichte.
Wie ich heute gelesenen habe, ist sogar teils an gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbüchern gearbeitet worden, in denen der Hitler-Stalin-Pakt nicht erwähnt wurde und das Wort "Vertreibungen" (von wem, ist hier nebensächlich) nicht erwähnt werden durfte.
Das ist dreiste Geschichtsfälschung.
Und genau darüber solltest du stehen, um dein Talent nutzen zu können.

Außerdem hat Dramatik meines Erachtens durchaus mit Spannung oder Überraschungen zu tun, beides kann dein Text nicht erzeugen, deshalb scheitert dein Griff nach der Dramatik.

 

Oh martin, Kreuzposting. Aber schön, dass einige meiner Ansichten geteil werden.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom