Stahlwelt
Ich habe am Morgen beschlossen, den Tag über nichts zu reden.
Nur zu hören und zu sehen. Bei allem und jedem.
Und nur mit den Blicken und meinem Körper zu kommunizieren.
Normalerweise passiert das ja, ohne dass ich es beschließen muss.
Ich wollte nur sehen, was anders wird, wenn ich sage, ich will das heute so.
Jetzt ist es Abend, ich sitze und schreibe und versuche, ohne Adjektive auszukommen. Die mag ich nicht mehr. Es paßt auch keines da hinein.
Ich beschreibe den Tag, dessen Gegenwart. Daher auch in dieser Form.
Der Mut für die Zukunft schwindet, wie auch die Erinnerung an Vergangenes. Ich bin hier und fürchte mich vor der Stahlwelt da draußen.
Mein Zimmer ist wie eine Höhle.
Ich sehe mich, wie ich den Fahrkartenautomat bediene. Ohne Ausdruck im Gesicht, ohne Worte. So steige ich auch in den Waggon der Metro. Ich muss nichts tun. Die Türen öffnen und schließen sich.
Menschen sitzen, stehen, warten auf ihre Station, steigen aus. Kommen und gehen.
Jeder Schritt wird von Kameras aufgezeichnet, die in den Stationen surren.
Frauen und Männer gehen an mir vorbei, mit Augen voll Leere. Nichts spiegelt sich darin.
Augäpfel aus Glas.
Ich sehe mich an der Ampel stehen, warte auf grünes Licht. Ich muss nichts reden, nichts empfinden dabei.
Es wird grün werden und ich werde gehen dürfen.
Das Büro liegt im fünften Stockwerk.
Ein Aufzug fährt in seinem Stahlbetonschacht auf und ab.
Jetzt hält er im Erdgeschoss, ich steige ein, stumm wie die anderen, betätige den Druckknopf. Der Automat bringt mich nach oben.
Ich trete an den Schreibtisch, schalte den PC ein.
Ein Kollege verschwindet im Sozialraum, um die Kaffeemaschine in Betrieb zu nehmen. Ich nicke und deute mit dem Daumen nach oben.
Mehr muss nicht sein.
So leicht geht das.
Ich arbeite den Tag über am Computer. Niemand will was von mir. Einer stellt mir am Nachmittag eine Frage. Die kann ich mit Kopfschütteln beantworten.
Ich werfe Analysen und Tabellen auf den Bildschirm, verschicke Ergebnisse, bekomme elektronische Antworten.
Schnell und einfach.
Ohne Worte.
Sauber.
Der Tag ist bald am Ende.
Mein Weg zurück wie der vom Morgen.
Alles wiederholt sich und ich habe kein Wort gesprochen.
Puh, sagt eine Frau zu mir und fast hätte ich geantwortet. Statt dessen fahre ich mit dem Handrücken über die Stirn und verdrehe die Augen.
Sie lächelt.
Sie sieht, dass auch ich schwitze.
Später öffne ich die Türe meiner Wohnung.
Im Eisschrank liegen Käse, Wurst, ein paar Tomaten vom Markt. Ich schneide Brotscheiben ab. Die Stereoanlage habe ich angemacht. Den Fernseher auch. Der läuft aber ohne Ton und so sehe ich die Werbung für Hundefutter, während ich Musik von Tool höre.
Ich trinke den weißen Wein dazu und bin müde vom Tag. Müde gemacht von seiner Leere, die da draußen in dieser Stahlwelt liegt.
Mehr will ich nicht schreiben.
Dazu zu sagen gibt es nichts. Wer würde dies auch tun und damit mich verstehen?
Es wollte niemand etwas von mir, heute nicht. Ich werde nicht an morgen denken und noch den Rest Wein trinken, danach alles abschalten.
Nur den Anrufbeantworter nicht.
Vielleicht ruft noch wer an und will meine Stimme hören.
Was habe ich nur, dass ich nicht schlafen kann?
Auf welche Worte warte ich so sehr, dass mir das Warten den Schlaf raubt?
Mein Zimmer ist wie eine Höhle.
Schrieb ich das schon?