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Stadtblumen
Es duftet angenehm. Die junge Frau kennt diesen Duft, denn sie arbeitet als Floristin in einem Blumenladen einer belebten Straße der Stadt. In der Mitte der langen breiten Staße fahren die Straßenbahnen entlang. Alle paar Augenblicke eine. Oder auch mal zwei. Auf der anderen Seite des Ladens reihen sich ebenfalls Geschäfte aneinander.
Sie ist neu hier, wohnt seit drei Monaten in der Stadt und beginnt auch so langsam zu begreifen, dass ihr Aufenthalt hier wohl für länger sein wird.
Die junge Frau ist nicht in der Stadt aufgewachsen. Sie kommt aus dem Dorf. Nein, keines mit Kühen und Schafen. Irgend ein anderes beliebiges Dorf. Dort hat sie auch ihre Ausbildung abgeschlossen. Aber nur abgeschlossen. Ihre Chefin war nämlich nie so wirklich mit ihr zufrieden gewesen und deswegen war es dann auch in Ordnung nach der Ausbildung einen Neuanfang zu wagen. Ihr neuer Chef in der Stadt war dann auch nach ein paar Tagen Probearbeit von ihr überzeugt und stellte sie ein. So konnte sie sich dort eine Wohnung suchen. Sie kannte auch schon ein paar Leute dort, das machte den Auszug von Zuhause leichter.
In ihrer Wohnung vermutet man jetzt vielleicht viele Blumen oder andere Pflanzen, aber dem ist nicht der Fall. Die sind im Laden besser aufgehoben, findet sie. Damals bei ihren Eltern im Dorf hatte sie auch noch richtig breite Fensterbänke und Fenster, die genügend Licht in die Wohnung ließen. In ihrer eigenen Wohnung scheint nicht so oft die Sonne herein.
An diesem Morgen steht sie wie immer früh auf und betrachtet ihr Gesicht im Spiegel. Zieht eine Grimasse. Lächelt. Doch nur ihr Mund, die Augen sind noch zu müde dafür.
"Danke, mir geht's gut", versichert sie sich oft selbst. Dann ist es viel leichter, es zu glauben. Ein paar Mal hat sie aber auch richtig weinen müssen, wegen der Einsamkeit, die die neue Umgebung mit sich gebracht hat.
Sie spritzt sich Wasser ins Gesicht und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Noch ein wenig Makeup auftragen und die Augen mit Kajalstift schminken. Dabei zittert ihre Hand immer ein bisschen. Die Haare liegen furchtbar. Wachsen viel zu schnell und stehen dann ab. Irgendjemand sollte ein Mittel dagegen erfinden.
"Muss mal wieder zum Friseur gehn", erzählt sie dem Spiegel noch. Aber heute nicht.
"Für heut wird es noch gehen", stellt die Frau am Ende doch noch zufrieden fest. Sie nimmt ihre Tasche und verlässt die kleine Stadtwohnung. Im Treppenhaus ist es gleich viel dunkler und kühler, wie in einer Altbauwohnung eben. Hohe Decken. Treppen, die bestimmt schon viele tausend Male bestiegen wurden.
Noch ist es recht mild, aber man merkt, dass die Sonne im Laufe des Tages an Kraft gewinnen wird. Auf der Straße ist schon einiges los. Straßenbahnen. Autos. Die müssen sich die Stadt natürlich teilen. Zusammen mit den Radfahrern und mit denen, die zu Fuß gehen. So wie sie es gewöhnlich tut. Langsam ohne besondere Eile macht sie sich auf den Weg zur Arbeit. Immer entlang an den vielen Geschäften mit den Dingen, die man so braucht oder zu mindestens denkt zu brauchen. Es gibt hier kaum Wege ohne Geschäfte. Irgendjemand spricht sie an und will ihr etwas in die Hand drücken, aber sie achtet kaum darauf, was es ist.
Am Anfang fiel es ihr schwer sich in der Stadt zurechtzufinden und hat sich dann auch mal verlaufen. Oder wenn sie Bahn gefahren ist, dann ist sie auch mal in die falsche eingestiegen. Gut, das hat auch viel damit zu tun, dass die Frau manchmal Schwierigkeiten mit der Orientierung hat.
Zwei Freundinnen kommen ihr entgegen. Sie umarmen sie und fragen, wie es ihr denn gehe.
"Gut", antwortet sie. Eigentlich hat sie immer noch mehr im Kopf, was sie sagen will, aber das kommt irgendwie dann doch nie heraus. Dann doch lieber grinsen und zurückfragen, wie es denn selbst so geht. Die drei Frauen lachen.
"Mal gucken vielleicht laufen wir nachher in der Straße bei dir vorbei. Gucken was unser Blumenmädchen so treibt."
"Macht das. Ich freu mich!"
"Kommst du heut Abend nach der Arbeit noch mit, was trinken?"
Sie nickt.
"Okay, ich hol dich ab", sagt die eine Freundin.
Der Tag beginnt immer damit, dass die verschiedenen Gewächse angeliefert werden und es an das Ausladen und Versorgen der Pflanzen geht. Das ist anstrengende Arbeit und meist trägt sie dabei auch Arbeitshandschuhe um sich zu schützen. Danach oder davor auch ist oft Teambesprechung. Eingehende Aufträge werden besprochen oder was eben sonst anliegt. Es arbeiten einige Leute in dem Laden, viele aber auch nur ein paar Stunden in der Woche. Sie verstehen sich recht gut
miteinander und der Chef dort ist ein lockerer Typ. So ist die Arbeit, auch wenn sie hier anstrengender ist als damals im Dorf, doch erträglicher.
Am Blumenladen laufen ständig Passanten vorbei. Betrachten die kleinen und großen Topfpflanzen interessiert oder auch nur beiläufig. Die stehen draußen, weil im Laden selber gar nicht so viel Platz ist. Prüfend nehmen sie einen der vielen Sträuße aus den Blumenkübeln heraus, riechen daran und je nachdem ob es ihnen gut erscheint, bekommen die Gewächse dann auch ein neues Zuhause.
Die Leute sind hier auch anders als im Dorf. Und es sind oft andere Kunden. Die meisten sind natürlich nett oder auch erträglich, da gibt es gar nichts zu sagen. Auf jeden Fall anders, findet die junge Frau, aber das wird noch eine Weile dauern bis sie dieses "anders sein" richtig beschreiben kann.
Ein Kunde kommt öfters vorbei und will sich immer mit ihr unterhalten. Besucht seine Großmutter im städtischen Altenheim und bringt ihr Blumen oder eine Topfpflanze mit. Nichts Teures, eben was nett aussieht.
"Weil die Oma doch so gerne Blumen um sich hat." Er ist vom Äußeren sehr gepflegt und hat eine tiefe angenehme Stimme. Eigentlich hört sie im gern zu, nur kennt sie ihn nicht und nur so flirten findet sie auch nicht gut.
Er stellt ihr gern Fragen. Was gelbe Rosen bedeuten oder welche Blumen ihr persönlich gefallen.
"Alle Blumen sind schön."
"Darf ich Ihnen auch einmal welche schenken."
"Mir?"
"Ja, natürlich. Ich finde Sie nett."
Sie schweigt und schaut auf die andere Straßenseite. Eine Straßenbahn fährt schon wieder vorbei und eine lärmende Schulklasse steigt ein.
"Sie hören nicht gern Komplimente?", erkundigt er sich.
Jetzt hat er wieder ihre Aufmerksamkeit. "Komplimente sind schön, aber ich bin mir nicht sicher, wohin das führen soll. Das ist einfach nen bisschen zu viel." Sie merkt, dass sie ein wenig errötet und fragt sich, warum ausgerechnet jetzt.
"Sollen wir mal zusammen Kaffee trinken gehen?"
"Soll ich noch ein bisschen Grün drumbinden", fragt sie als sie ihm seine drei orangefarbenen Gerbera, die er sich herausgesucht hat, sachte aus der Hand nimmt. "Um die Blumen?"
"Ja, gern." Er steht da und ihm fällt nichts mehr ein.
Die zierlichen Hände der Floristin greifen nach verschiedenem Blattgrün und weißem Schleierkraut und binden es mit ein paar schnellen Griffen um die Blumen herum mit einem bunten Band zusammen.
"Darf ich trotzdem wieder kommen?", er streicht anerkennend mit der einen Hand über das Gebinde.
"Natürlich, jederzeit", sie lächelt. Wo käme sie denn hin, wenn sie Nein sagen würde. Er bezahlt und geht dann auch wieder weiter. Niemand hat wirklich mitbekommen, was die beiden gesagt haben. Im Dorf wäre er sofort aufgefallen, wenn er so häufig käme. So haben sie beide wieder ihre Ruhe. Die nächsten Kunden kommen, besser gesagt sie haben schon darauf gewartet dranzukommen.
"Gestern hatten sie doch noch die Stiefmütterchen im Angebot", bemerkt eine ältere Dame.
"Ja, das stimmt", antwortet sie, seufzt innerlich und überlegt sich eine passende Alternative für das gestrige Angebot.
In der Stadt geht einfach alles viel schneller vorbei.
Ihr Chef bekommt einen Anruf für eine persönliche Auslieferung eines Blumenbuketts. Bietet das Geschäft seit neuestem auch an solche Hauslieferungen.
"Ja, und was soll da auf die Karte drauf?", ruft er volldröhnend ins Telefon. Er hat eine laute Stimme, die die junge Frau schon oft aus den Gedanken gerissen hat.
"Ja, ja ich höre... und dann "Liebe Grüße" ja und jetzt noch ein Gedicht.. oh weh, oh weh! In Gedichten aufschreiben bin ich ganz schlecht... warten Sie bitte mal", er nimmt seiner Angestellten den Sack mit den Grünabfällen ab und reicht ihr das Telefon. "Machst du das bitte mal, ja? Einfach auf die Karte schreiben." Sie nimmt das Telefon und versucht dabei gleichzeitig ihre nassen Hände an der Schürze abzutrocknen.
"Ja, bitte? Das ist kein Problem, aber es darf nicht zu lang sein. Oh, von Wilhelm Busch. Ja, von dem kenn ich auch ein paar Sachen." Sie notiert den Vers auf der Karte:
"Demnach hast du dich vergebens
Meistenteils herumgetrieben;
Denn die Summe unsres Lebens
Sind die Stunden, wo wir lieben."
Wirklich schön. Das kennt sie noch nicht.
Laut sagt sie: "Ja, ich hab alles notiert. Unser Fahrer wird Ihre Blumen um halb sechs dann bei ihrer Freundin vorbeibringen. Vielen Dank. Auf Wiederhören!" Ihr Blick geht über die Straße. Wieder fährt eine Bahn vorbei. Eine neue Kundin möchte ihre Aufmerksamkeit.
"Hören Sie mir zu, junge Frau?"
"Ja, natürlich", ihr Gesicht hellt sich auf.
"Passen Sie auf, da tropft Wasser auf die Karte", meint die Kundin darauf freundlich. Die Floristin wischt es schnell weg und konzentriert sich auf die Arbeit.
Am Abend packt sie ihre Sachen zusammen. Lieben, ankommen.
Sie liebt es hier in dieser Stadt zu sein,
in diesem Laden,
in dieser Straße
mit ihren Blumen.