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Stadtbeobachtungen
Du siehst sie.
Hunderte Autos, die der in dichten, rauen Schmutzwolken verhüllten Abendsonne entgegenirren.
Gleich einem grauen Schwarm gefühlskalter flügelloser Insekten im südamerikanischen Dschungel fallen sie gierig übereinander her, das unaufhörliche Kreischen ihrer unheimlichen Metallglieder, die hassgetränkten Blicke ihrer verachtend leuchtenden Scheinwerferaugen. Hektisch drängen sie sich von Straße zu Straße, jeder von ihnen einzig mit dem egoistischen und rücksichtslosen Verlangen des eigenen Wohles, immerzu auf der Flucht vor ihrem großen Feind, dem mystischen Dschungelgott, der mit seinen rotglühenden Augen alles zum Stillstand bringt.
Du riechst sie.
Giftige Abgase dieser stinkenden Blechkolonnen verpesten den stickigen Urwald der täglich neuen großstädtischen Interpretation von Atemluft. Diese Mixtur erstreckt sich mitsamt dem penetrant subtilen Schweißgeruch der aufgebrachten Menschen bis in die Baumkronen der Hochhäuser, wo die Falken wohnen und alles sehen und kontrollieren.
Du hörst sie.
Die fletschenden Schmatzgeräusche der Bremsen, die aufdringlichen Hupen, das gereizte Brüllen eines Taxifahrers, der Gemüsehändler, der mit einem Kunden um den Preis streitet, das Kind, das seine Mutter verloren hat, der Lärm wartet darauf, aus dem Dickicht zu springen, er wartet darauf, in deine Ohren einzudringen und er allein wäre in der Lage, dich innerlich zerbersten zu lassen. Die fieberhafte Spannung droht den seidenen Faden des erträglichen Ausmaßes an Stress zu zerreißen, ein Tropfen der das Fass zum Überlaufen bringen wird.
Die Ampeln schalten auf grün. Der mystische Dschungelgott ist ihnen heute friedlich gesinnt. Erleichterung, Entspannung, Aufatmen. Freudiges Aufheulen gepeinigter Motorenherzen.
Du spürst es.
Die Sonne taucht hinter dem Smog hervor, der malerische Sonnenuntergang wirft dir seine süße Schwüle auf das Gesicht.
Du steigst vom Dachsims herunter und freust dich.
Das Leben ist schön.