Stadtbad
Noch zwei Bahnen. Das reicht dann für heute. Das Wasser ist auch ein wenig zu warm. Kurz nach neun Abends. Die Halle ist fast leer. Einer der Bademeister hat schon sein enges oranges Mitarbeiter-T-shirt ausgezogen. Der andere schaut gelangweilt den drei Arabern zu, wie sie Kopfsprünge vom Einmeterbrett probieren. Sie wechseln sich nacheinander ab. Das erkennt man daran, dass der Dünne in der grünen Badehose immer mit dem gesamten Körper die Wasseroberfläche durchbricht. Ein lauter Knall erfasst die ergraute Holzdecke. Der Schall zerbricht an den dünnen grün lackierten Eisenstangen die das Schwimmbad zusammenhalten. Na gut, zwei Bahnen Rückenschwimmen schaff ich noch. Jetzt ist auch die rosa Badekappe rausgegangen. Endlich Platz, keine peinlichen Unterwasserberührungen mehr, kein umständliches zunicken, sich entschuldigen. Einfach schwimmen.
Beim abspritzen des Waschbeckens wird die haarlose Brust des Bademeisters naß. Seine alten Badelatschen quietschen über die grau mit weißen Schwimmbadschleim belegten Fliesen. Sein blonder Schnauzer zuckt. Noch eine Bahn, sonst bin ich unhöflich, ist bald Feierabend. Viele Menschen, keiner spricht. Jeder für sich aber entblößt bis auf die kaputte Badehose. Alte wirken jung, junge haben Falten. Blicke statt Worte.
In der Dusche beginnt die Schamlosigkeit. Männer mit Standardkörpern verstecken sich. Offenheit erfordert Gruppenzwang. Wo soll ich stehen. Alleine, mit einer Dusche Abstand, zu nah am Eingang, zu nah am Ausgang, auf dem Weg zur Toilette. Nicht zu nah an dem Profischwimmer. Seine mit Statement ausgewählten eng anliegenden Badeshorts bedecken noch alles. Vorn hat er den Bund gelockert, sein rasiertes Schambein bekommt etwas Shampoo ab. Ich geh zur Dusche gegenüber. Die gleich wie vor einer Stunde. Eine Entscheidung trifft man nicht zweimal. Ich genieße meine Schamlosigkeit und reiße mir noch zwei Schritte von meinem Duschkpopf entfernt, die Badehose vom Körper. Es gibt keinen traurigeren Anblick, als einen Penis der sich von der zu engen Badehose und von zu viel Wasserkontakt in ein schrumpeliges Wesen aus Vorhaut und Haaren verwandelt hat. Da stehe ich nun, nackt in einer fremden Dusche vor fremden Männern in Badehosen, in einer fremden Stadt und fühle mich doch zu Hause. Brillenträgern bleibt vieles vorenthalten. Eine klare Sicht in der Dusche gehört dazu. Phantasie und Blindheit vermischen sich zu einem prickelnden erotischen Moment. Schaut er mich an, weiß er das ich ihn anschaue um zu sehen ob er mich anschaut? Was macht er mit seinen Händen, warum massiert er schon zum vierten Mal das Shampoo in seine sehr kurzen Haare ein, bilde ich mir zuviel ein? Die letzten Schwimmer kommen in den Dampf erfüllten Duschraum. Es wird voll. Die Grenzen sind klar abgesteckt. Die Nähe ist stark aber es gibt keine Berührungspunkte. Die Choreographie ist ein Resultat aus jahrelanger Erfahrung. Jetzt hat auch der andere Standardkörper seine Badehose runtergezogen. Sie hängt kurz über den Knien, wie bei einem Exhibitionisten. Wir blicken auf seine sportlich geformtes Gesäß. Oder nur ich. Die drei Araber kommen dazu. Ich steh genau im Blickfeld. Politisch korrekt war meine sexuelle Gedankenwelt noch nie. Ich fühle mich noch mehr entblößt. Mein devotes Ich übernimmt langsam Kontrolle. Die drei Männer scherzen und lachen in ihren nassen Shorts. Was man mit Freunden in der Dusche eben macht. Ein dicklicher, später Teenager stellt sich neben mich. Auf der anderen Seite, verdeckt hinter einer Säule duscht ein nackter Mann. Den habe ich wohl übersehen. Er hat sich strategisch gut aufgestellt. Er kennt sich aus. Seine Bewegungen sind routiniert ohne Scham. Er unterbricht seinen Duschvorgang. Schnellen Schrittes läuft er zur Toilette. Seine Dusche läuft noch den Zyklus zu Ende. Das Wasser spritzt auf die leeren Fliesen.
Das Gefühl etwas zu verpassen erschlägt mich. Ich sammle meinen Utensilien, die ich unter größter Achtsamkeit auf die kleinen Ablageflächen rund um die Dusche verteilt hatte, wieder ein. Ein kleine Reiseshampooflasche, meine Brille, meine Badehose und der Schlüssel für den Schrank. Jetzt muss es schnell gehen. Auf der Ablage, auf der mein zu oft gewaschenes graues Hotelhandtuch liegt, lege ich meine Sachen ab. Mir gehört hier nichts. Nicht der Schlüssel, nicht das Handtuch, nicht die Privatsphäre. Das macht es spannend. Ich trockene meine Brille, ohne die bin ich blind, mit, sehe ich albern aus. Nasse Haare, nasses Haut, trockene Gläser die leicht von der Nase rutschen.
Ich beobachte ihn, von der Seite, wie er nackt am Urinal steht, halb versteckt von einer kleinen Wand aus Plastik. Das Klo ist dreckig und stinkt nach Stadt. Ich mache mich auf den Weg, er ist fertig und schwebt an mir vorbei. Er schaut kurz aufgeschreckt, schaut mir auf den Körper, schaut mir ins Gesicht. Er ist zu weit, er will umdrehen aber das Gesetz verbietet es ihm. Ich geh allein. Die nackten Füße auf dem schmutzigen Boden. Ich nehme immer das mittlere Urinal. Zentral, alles überblickend. Einer von den drei Arabern kommt rein. Das Wasser schwappt aus seinen Badelatschen, seine Shorts tropfen. Sein Blick wandert von unten nach oben, er erschrickt, schaut wieder nach unten. Sein Kopf leitet ihn direkt in die Kabine. Überall liegt nasses Toilettenpapier. Ich stehe allein, bin fertig, soll ich warten? Er duscht wieder. In der gleichen Dusche wieder, direkt am Ausgang. Mit dem Rücken zur Wand, präsentiert er sich. Ob jemand zuschaut? Ich laufe wieder zu meinem Handtuch. Die Ablage ist keine halben Meter von ihm entfernt. Ich stelle mich dicht neben ihn. Beginne mich abzutrocknen. Es ist mir ein Rätsel wie man so ausdauernd duschen kann. Er tänzelt und dreht sich. Schnaubt das Wasser aus seiner Nase, spuckt Fontänen aus. Das Wasser perlt an seinen gestutzt behaarten Körper herunter. Ich versuche Blickkontakt aufzunehmen. Schüchtern, im Verborgenen. Ich zeige mich, ohne Scheu. Schaut er hin? Der Araber kommt von hinten aus der Toilette. Ich muss mich gegen die Wand pressen damit er durchkommt. Mein Bauch, Brust und Vorhaut berühren die kalte Fliesenwand. Er schlängelt sich durch, durch zwei nackte Männer, er, mit den Shorts. Es ist ein komischer Moment. Keiner lacht. Die drei Männer scherzen und lachen wieder zusammen. Ich kann sie nicht sehen, nicht verstehen. Aber er ist im vollen Blickfeld von ihnen. Langsamer kann ich mich nicht abtrocknen. Das Handtuch kratzt auf der Haut. Es gibt kurzen Blickkontakt mit ihm. Er schaut, er reagiert nicht. Meine Codes sind am Ende. Was soll ich noch bieten?
Kindliche Panik ergreift mich. Ich packe alle Sachen zusammen. Versuche das Handtuch um mich zu wickeln. Bloß nicht auffallen, was wäre wenn einer was mitbekommt, was wäre wenn ich der Einzige bin, der Einzige der anders ist? Ich gehe schnell zu meinem Schrank. Meine Beine sind weich, aufgeregt wie ein Teenager, ich halte solch ein knistern nicht mehr aus. Nach einer Weile habe ich mich wieder gesammelt. Aus der Kabine nebenan kommen laute Frauenstimmen. Ich ziehe meine Unterhose an. Mein Finger blutet, die Schnitt ist wieder aufgerissen. Ich gehe schnell zurück zur Toilette. Wieder barfuß. In der Dusche ist alles wie vorher. Die Herren stehen auf ihren Positionen, drehen und schütteln sich. Keine Blicke, ich bin schon weg.
Ich bin erschöpft, ich habe über eine Stunde lang gesprochen aber kein Wort gesagt.
Draußen hinterlasse ich meine digitale Duftmarke. Ich war hier, finde mich.