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Spieluhr aus dem Jenseits
"Oh man, bei dem Wetter jagt man nicht mal einen Hund vor die Tür und ich muss wieder mal raus um dir deine ach so dringenden Einkäufe zu erledigen. Du bist mir was schuldig."
Mit einem Ruck schlug Vivien die Tür hinter sich zu. Sie zog ihre Schuhe aus und eine Pfütze Wasser ergoss sich über den dunkelblauen Teppich im Flur.
"Hier, deine Sachen. Ich hab die Butter nicht gefunden, aber Margarine tut’s auch, meinst du nicht?"
Vivien schmiss ihren Mantel an einen Haken und verschwand vor dem Fernseher im Wohnzimmer.
"Danke, noch mal, mein Schatz. Du weißt, dass in unserem Kühlschrank gähnende Leere herrscht. Außerdem konnte ich meinen Zahnarzttermin nicht schon wieder absagen, verstehst du?", rief ihre Mutter aus der Küche.
"Ja, ja sicher Mum. Keinen Stress. Wir waren bei meiner Taschengelderhöhung stehen geblieben."
"Vivi, du bekommst doch schon 65 Euro im Monat. Du bist 16. Normale Kinder bekommen nicht mal halb so viel wie du!"
"Ja, aber die sind auch keine Arzttöchter. Also?"
"Werd nicht unverschämt. Meinst du, deinem Vater kommt das Geld zugeflogen? Kind, ich habe nein gesagt, und es bleibt beim nein. Du sollst lernen mit dem Geld umzugehen - Dass du es ausgeben kannst weiß ich selbst nur zu gut."
"Komm mir nicht wieder mit dieser 'lern mit dem Geld umzugehen'- Leier. Ich geh nach oben.."
"Stop junges Fräulein. Hast du den Schirm gerade aufgespannt auf die Terrasse gestellt? Du weißt, dass das sonst Schimmel ergibt. Marsch."
Mit einem lauten Krachen fiel Vivien's Schlafzimmertür oben ins Schloss.
"So etwas unverschämtes.. Alles muss man selber machen!", hörte sie ihre Mutter noch von unten schreien, ehe sie sich auf ihr Bett schmiss, um ihre beste Freundin Lena anzurufen.
Das war genau das, was sie immer tat, wenn sie wütend oder traurig war.
Am nächsten Morgen wachte Vivien schon um 5 Uhr auf und konnte partout nicht mehr einschlafen. Da sie so wie so noch einige Hausaufhaben zu erledigen hatte, stand sie auf und ging ins Bad. Sie drehte die Dusche auf und musterte sich im Spiegel.
"Ich war auch schon mal schlanker", sagte sie neckisch. "Na ja.."
Doch was war das? Da hatte doch etwas geblitzt im Spiegel. Ein kleines, silbernes Etwas.. oder.. Sie schaute noch mal hin. Da war es. Es sah aus wie eine kleine Elfe, die leicht durch den großen Raum schwebte. Vivien blinzelte. Weg war dieses zauberhafte Ding. "Oh man, ich bin diese frühen Aufstehzeiten definitiv nicht gewohnt", murmelte sie zu sich selber bevor sie sich auszog und in die Dusche stieg. Das warme Wasser weckte neue Vitalität in ihr, sie fühlte sich entspannt und gelassen. Doch plötzlich war es wieder da. Das Blitzen. Und eine unheimliche Musik.. Diese Musik.. Vivien kannte sie irgend wo her. Sie erinnerte sie an eine Spieluhr, die ihr ihre Großmutter einst geschenkt hatte, bevor sie starb. Doch wo kam diese Melodie her? Vivi war sich sicher, dass sie diese Spieluhr in ihrem Bettkasten aufbewahrte und deshalb könne sie unmöglich ihre Musik vernehmen. Sie drehte das Wasser ab, die Melodie verstarb. "Also das habe ich mir nicht eingebildet. Wirklich nicht.. was.. Was geht hier vor?"
Ein wenig Schaum klebte noch an ihrem dunkelblonden Haar, als sie das Badezimmer verließ. Ihr erster Weg führte zu der Spieluhr in ihrem Bettkasten. Sie war weg! Doch.. nein. Nein. Sie hatte sich geirrt. Ein Kissen hatte ihr den direkten Blick auf die Schatulle verwehrt, es lag wie gewohnt im Bettkasten. Vorsichtig hob Vivien die Kleine Kiste heraus und öffnete sie. Ein blitzen und dann war alles wieder wie normal. "Merkwürdig das Ganze".
Sie drehte die Spieluhr hin und her, konnte jedoch nichts Besonderes entdecken. " Also langsam glaube ich, dass ich länger hätte schlafen sollen" lachte sie und war die samtene Schachtel zurück auf das Kissen im Bettkasten.
Vivien lief hinunter in die Küche, schüttete sich Milch auf ihre Cornflakes und wollte sich gerade an den Tisch setzten, um die Hausaufgaben nachzuholen, als sie einen üblen Geruch wahrnahm. "Ihh... Die Milch ist schlecht!" Genervt kippte sie ihre Flakes aus und eilte in den Keller, um neue Milch raufzuholen. "Heute geht aber auch echt alles schief", murmelte sie zu sich selbst, als sie die letzte Stufe genommen hatte.
Nach einer halben Stunden, Vivi hatte gerade ihren Geschichtsaufsatz über die französische Revolution beendet, kam ihre Mutter gähnend und im Bademantel in die Küche. "Guten Morgen.. Sag mal, was machst du denn so früh hier?", fragte sie.
"Ähem... Mama? Ich habe Schule?"
"Seit wann das denn, es ist Samstag."
"Es ist WAS?"
"Samstag."
"Jaa, toll, danke. Das weiss ich jetzt auch, du musst es nicht wiederholen."
"Aber du hast doch gefragt.."
"Oh man.. Ich geh hoch schlafen. So ein Mist.."
Sie nahm zwei Stufen auf ein mal, öffnete ihre Tür und schmiss sich auf ihr Bett. "Scheiße, wie konnte MIR das passieren? Heute ist kein normaler Tag.."
Drei Stunden später wachte sie auf, sie ging hinüber zu ihrem Schminktisch und schaute sich genervt an. "Der schöne Samstag ist ruiniert" raunte sie zu sich selbst.
Auf ein mal war dieses Blitzen wieder da. Und mit ihm die Elfe. Sie flog auf Viviens Nachttisch und blieb seelenruhig dort sitzen, ganz so, als sei es das normalste der Welt. Vivi traute ihren Augen nicht. Langsam wand sie ihre Blicke vom Spiegel, Die Elfe war weg.
Noch ein Blinzeln in den Spiegel und das Fabelwesen war wieder da: Doch nur im Spiegel. Wie war das möglich? Da setzte auch schon die Musik der Spieluhr ein und Vivien konnte beobachten, wie die kleine Elfe mit ihren Flügelchen zum Bettkasten flog. Sie hatte lange, hellblonde Haare und wässerlich – blaue Augen. Ihre Schuhe setzten sich aus vielen violetten Blüten zusammen und das Kleid schimmerte, als ob es Tau wäre. Durch die Musik und dem unglaublichen Anblick, tauchte Vivien in eine fantastische Welt ein. Sie beobachtete immer noch die kleine Elfe, die sich schwer tat, den großen Deckel des Kastens zu öffnen. Entschlossen stieg Vivi auf und schritt vorsichtig in Richtung Bett. Langsam hob sie den Bettkasten an, behutsam, denn sie wollte der süßen Elfe nicht weh tun. Das Problem war ja, dass sie sie nur im Spiegel sehen konnte. Dann schritt sie zurück auf ihren Platz am Schminktisch. Da war die Elfe, sie hockte auf der Kante des geöffneten Bettkastens und lächelte Vivien an. Diese erwiderte ihr Lächeln zaghaft. Nachdem sie sich eine Weile so angeschaut hatten, setzte die Elfe ihr Werk fort. Sie flog leicht wie eine Feder zum Bettkasten und zerrte die Spieluhr heraus. Das musste sie wohl sehr angestrengt haben, denn ihr niedliches Gesicht verzerrte sich unter der Last der Schatulle zu einer Grimasse. Was Vivien wunderte war, dass die Musik lief, obwohl die Spieluhr verschlossen war. Aber dann schaute sie die kleine Elfe wieder an und ihr war bewusst, dass dies der falsche Moment war, um sich zu wundern. Diese wiederum hatte nun die Schatulle auf das Nachtschränkchen gezerrt und öffnete sie mit einem dumpfen "klack". Was sie nun tat, verwunderte Vivien. Sie tastete sich am Boden der Spieluhr entlang, bis sie das entdeckt hatte, was sie suchte. Ein leises "fiep" war zu hören. "So freuen sich also Elfen", dachte Vivien belustigt.
Was nun passierte, beanspruchte Augenblicklich ihre volle Aufmerksamkeit und riss sie aus ihren Gedanken.
Die Musik hörte auf zu spielen und die Elfe war verschunden. Noch ein Blick in den Spiegel, Nichts. Gar nichts, außer ihr langweiliges Zimmer.
Vivien schritt langsam zum Nachttisch. Sie wusste nicht, was passiert war, vielleicht hatte sich die Elfe ja nur unsichtbar gemacht. Wäre doch möglich. Heute würde sie gar nichts mehr wundern.
Sie näherte sich der Spieluhr. Ein Geheimfach wurde sichtbar. "Oh, das wusste ich noch gar nicht, mal sehen", murmelte sie.
Mit einer schnellen Bewegung griff sie in die Schublade und holte einen kleinen Zettel heraus, der am Rand schon leicht vergilbt schien.
Das Datum war am 29.03.1917 datiert worden. "Da war Großmutter doch grade erst geboren! Wie kann das sein?"
Doch diese Frage erübrigte sich als sie auf den Brief schaute, dort stand nur ein Satz:
"Das Geheimnis liegt im Garten begraben, dort, wo der große Baum meiner Zeit auf den Brunnen trifft."
Was sollte das denn bedeutet? Verwundert legte sie den Zettel zurück. Irgendwas gab ihr das Gefühl, dass sie ihrer Mutter nichts erzählen durfte. Kaum hatte das Papier den Samtboden der Spieluhr berührt, ging er in Flammen auf.
Mit einem Schrei schritt Vivien zurück. Von unten rief ihre Mutter "Vivien, Schatz, bist du jetzt wach? Sollen wir einkaufen gehen?"
"Nein Mum, ich hab keine Lust" schrie sie eilig zurück.
Sie hatte ganz vergessen, dass es ein Samstag morgen war. Normalerweise würde sie jetzt am Telefon hängen und ein paar Leuten aus ihrer Clique zusammentrommeln, um den Abend lustig zu gestalten. Doch der Tag hatte ja schon so merkwürdig angefangen. Sie warf einen Blick in den Spiegel. Der Zettel lag noch im Geheimfach und ein rauchiger Dunst stieg nun aus ihm empor, es war so, als sei der Spiegel das Tor in eine andere Welt. Doch das konnte nicht sein, denn der Spiegel im Bad sowie das sich reflektierende Duschwasser erfüllten den gleichen Zweck. Plötzlich rang ihr Telefon. Sie nahm ab "Vivien Mensen, guten Tag"
Eine alte Stimme sprach, im Hintergrund hörte sie ein Plätschern. So als ob ein beständiger Wasserstrahl auf eine harte Oberfläche traf.
"Hilf mir, hilf mir... ich leide, schon zu lange leide ich. Erlöse meine Seele!!!", krächzte die trockene Stimme. Dann war nur noch ein Rauschen zu hören. Schlagartig gingen alle Lichte im Haus aus und wieder an, etwa eine halbe Minute lang. Dann war Stille. Die Spieluhr spielte nochmals. Doch dies mal tauchte keine Fee auf. Vivien schaute in den Spiegel. Der Zettel rauchte immer noch kontinuierlich. "Da wo ein Baum und ein Brunnen zusammentreffen also... Im Hintergrund der Stimme war ein Brunnen zu hören.. Hm. Oma hatte früher so einen im Garten stehen.. Und der Baum.. Ach ich weiss! Wahrscheinlich ist der Apfelbaum gemeint, an dem ich immer rumgeklettert bin, als ich noch jünger war.
Ich werde jetzt herausfinden was dort vor sich geht, so kann es nicht weitergehen", ermutigte sie sich selbst.
Da fiel ihr ein, dass sie gerade erst aufgestanden war und zwischen all ihren Gedanken nur 2 Stunden lagen. Folglich war es jetzt erst 11 Uhr morgens. "Duschen würde sich bestimmt nicht mehr lohnen, so wie es aussieht, werd ich bei der Aktion nicht sehr sauber davonkommen, obwohl es jetzt sicher gut tun würde.", lächelte sie in sich hinein.
"Nur wie soll ich Mum beibringen, dass ich Opa besuchen will? Das wollte ich nie.. Und jetzt, wo auch noch Oma gestorben ist.. Aber da muss man wohl oder über durch."
Irgendwie war ihr aufgefallen, dass sie keine Angst hatte. Eben hatte sie eine vermeidlich tote Frau angerufen, sie hatte einer Elfe ihren Bettschrank geöffnet und festgestellt, dass ihre Spieluhr ein Geheimfach hatte, was ein unglaubliches Abenteuer versprechen musste.
"Ich sollte Detektivin werden und Honorar verlangen", spottete sie. Mit einen Lächeln auf den Lippen schloss sie ihre Zimmertür ab und ging hinunter in die Küche. Doch anstatt ihrer Mutter fand sie einen Zettel dort.
"Hallo Schatz. Bin einkaufen und dann bei Tante Magda zum Kaffe. Essen steht im Kühlschrank. Bin gegen 4 Uhr wieder da. Küsschen, Mama"
"Wunderbar, besser kann es nicht laufen. Bis 4 Uhr habe ich also Zeit, das Geheimnis zu lüften. Das sind 5 Stunden. Dann mal los, ich will keine Zeit verlieren." Mit diesen Worten zog sie ihre Schuhe an und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Der Weg schien ihr ewig lang und sie dachte immer wieder über die Situation nach. Das war alles zu viel für sie, schlagartig überkam sie ein Schauer und Angst machte sich breit. Im Nachhinein war sie sich jedoch nicht sicher, vielleicht kam es auch durch den zügigen Wind, der um sie herum wehte.
"Musste ja so kommen", murmelte sie. All die Leute, die an ihr vorbeigingen, hatten keine Gesichter für sie und das Hundegebell drang nur gedämpft an ihr Ohr. " Wo das wohl hinführt..?"
Endlich erreichte sie die Haltestelle, sie lehnte sich an eine Wand und fühlte sich erschöpft und ausgelaugt, obwohl sie nur 10 Minuten gegangen war.
Wenigstens hier war ihr das Glück hold. Der Bus kam nur wenige Minuten später an und nahm sie die 5 Kilometer bis zum Haus ihres Großvaters mit. Dort stieg sie aus und machte sich daran, an der schweren Holztür zu klopfen. Die Schritte hallten zurück wie eh und je und das gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Das einzige was fehlte, war der Apfelkuchengeruch, der sonst immer in der Luft lag. Ein grimmiges "Oh.. hallo Vivien. Das ich das noch erleben darf" riss sie aus ihren Gedanken. "Hallo Großvater. Ich wollte dich besuchen kommen", sagte sie zaghaft.
Ja ja, komm rein, komm rein."
"Er hört noch genau so schlecht wie damals", dachte Vivien bei sich.
Zeit verging und nach dem sie für auf seinen Wunsch zwei Eier in die Pfanne gehauen hatte, was er mit einem "Mach nicht so eine Sauerei", tadelte, legte er sich eine halbe Stunde später schlafen. Ein Dankeschön hatte sie so wie so nicht erwartet, aber wenigstens konnte sie sich jetzt dem Rätsel widmen.
Als sie sich nach 5 Minuten sicher war, dass er tief und fest schlief, schlich sie in den Garten, den Satz aus der Spieluhr immer wieder vor Augen "Das Geheimnis liegt im Garten begraben, dort, wo der große Baum meiner Zeit auf den Brunnen trifft."
Die Tür quietschte laut. Sie hielt inne. War er aufgewacht?
Ein lauter Schnarcher beantwortete ihre Frage zur genüge und sie setzte den Weg fort.
Der Rasen war lange nicht mehr gemäht worden und die Blumenbeete, die vor 3 Jahren noch bunt und schön aussahen, waren nun nur noch braune Masse. Sie vernahm ein Plätschern. "Hey, das kenne erkenne ich. Das Gleiche wie bei der Frau am Telefon.. Ich hätte nie gedacht, dass der Garten so groß ist, früher erschien er mir deutlich kleiner.", überlegte sie.
Kaum hatte sie das zu Ende gedacht, tauchte der große Apfelbaum auf. Zwar hingen früher mehr Äpfel an ihm, doch hier und da hatte er noch etwas von seinem alten Zauber.
Das einzige was Vivien wunderte, war, dass der Baum und der Brunnen bestimmt 6 Meter entfernt lagen. Das ganze Stücke könnte sie unbemerkt nie umgraben. Sie ging zum Brunnen. Er sah wirklich schön aus, wenn man vom Moos absah, was sich an manchen Stellen abgelagert hatte. Die keinen Figürchen rings um den Wasserstrahl erinnerten an Fabelwesen, die ein Fest zusammen feierten und tanzten und lachen. Zwerge, Kobolde und Riesen, aber auch eine kleine Fee, die ganz oben thronte. "Moment mal", sagte Vivien lauter als ihr lieb war. "Diese Elfe kenne ich. Das ist... ja, das ist sie."
Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, sie schaute in die Pfütze die sich gebildet hatte und erwartet, die kleine Elfe zu sehen, denn Wasser funktionierte in der Tat wie ein Spiegel. Doch was sie dort unten erblickte, ließ ihr den Atem stocken.
Es war das Antlitz einer alten Frau, die mit ihrer krummen Nase und den faltigem Gesicht an alles, nur nicht an die süße Elfe aus ihrem Schlafzimmer erinnerte.
Geschockt wand Vivien sich ab. Doch dann überkam sie eine unglaubliche Neugierde und sie schaute nochmals in die Pfütze, die durch die ständigen Wasserstrahlen immer wieder aufgeschreckt wurde und sich wellte.
Da begann die Frau zu sprechen:
"Meine Liebe Urenkelin. Du bist nun die Auserwählte, meine Seele ruhen zu lassen. Meine treue Elfe brachte dich auf die richtige Fährte, ich vermag in Worte nicht zu fassen, welch Glückseeligkeit du mir bereitest. Bitte gehe in das Haus zurück, auf dem Kamin im Schlafzimmer wirst du ein Gefäß finden, welches einer Vase gleichen wird. Bringe sie her, öffne sie und zerstreue den Staub in ihr über das Gebiet zwischen dem Baum und diesem Brunnen. Dann werde ich dir erklären, was mich hier festhielt für so eine lange Zeit. Eile, mein Kind, Eile, bevor es zu spät ist."
Vivien überlegte nicht lange, sie nickte und machte sich auf den Weg zurück ins Haus, doch diesmal kam er ihr doppelt so lang vor. Sie erreichte endlich die Terrassentür und öffnete diese, bemüht, kein Geräusch zu verursachen, denn sie wusste nicht, wie lange sie weggeblieben war.
"Meine Enkelin, was schleichst du herum?", keifte eine erzürnte Stimme. Ihr Opa war aufgewacht.
"Ich.. Ähem, ich war im Garten und schaute mir den Baum an."
"Lügnerin!! Ich habe dich beobachtet, was hast du getan?"
"Nein, glaub mir, wirklich. Ich bin deine Enkelin."
"Weißt du, mein Kind, ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen."
"Was... Was willst du jetzt tun? Opa?"
Da sah sie etwas in seiner Hand blitzen. Seine Augen verdunkelten sich. Das war nicht ihr Großvater, etwas hatte Besitzt von ihm ergriffen. Er würde sie nie mit einem Messer angreifen. Oder doch?
"Opa.. Nein, Opa!!"
Sie tat einen Schritt zurück und schaute in sein Gesicht. Doch was war das? Hinter ihm erblickte sie ein Fenster, welches, durch den Staub, als Spiegel fungierte.
Die kleine Elfe von einst tauchte auf, sie holte etwas Pulver aus einem Säckchen, das sie mitgeführt hatte und streute es auf den Mann, der Vivien eben noch umbringen wollte.
Die Zeit schien still zu stehen. "Fiep", machte die Elfe.
"Ich.. Danke.. ich.. "
Wieder machte es "fiep".
Vivien verstand. Sie rannte die Küche entlang, durch die Tür hinein ins Wohnzimmer. Dort sah sie den Kamin. Endlich. Aber.. aber.. Keine Vase weit und breit. Sie wusste, dass der Zauber der Elfe nicht von Dauer war, also musste sie sich beeilen. "Unter Zeitdruck sucht es sich schlecht", rief sie verzweifelt.
Da entdeckte sie ein Glas auf dem Tisch in der Mitte des Raumes. Ohne zu zögern griff sie es und zerschmetterte es auf dem Parkett. Eine der Scherben hob sie auf und hielt sie gegen das einfallende Licht. "Elfe.. Wo bist du.. Hilfe.. Wo ist diese Vase?"
Einen kurzen Moment wollte Vivien die Scherbe senken und weitersuchen, doch da tauchte die kleine Elfe auf und deutete auf den Schrank rechts vom Kamin. Sie warf das Glasstück beiseite, schlug den Schrank mit voller Wucht auf und da entdeckte sie das Gefäß, das die alte Frau zu meinen schien. Sofort rannte Vivien zur Terrassentür und stürmte in den Garten, vorbei an den verwelkten Blumen und dem Baum. Sie schraubte eilig den Deckel ab und verbreitet den Staub wie ihr gehießen. Völlig aus der Puste kniete sie sich an den Rand des Brunnens und erst dort wurde ihr bewusst, dass das die Urne ihrer Urgroßmutter gewesen sein musste. Auf ein mal vernahm sie Schritte hinter sich. Ihr Großvater. Er hatte das Messer fest umklammert und schien es nicht loslassen zu wollen. Ihr Herz schlug so laut, dass sie es hören konnte. Und keine Elfe oder Urgroßmutter weit und breit. Wer sollte ihr nun noch helfen?
Doch auf ein mal umschlung sie ein Nebel und ehe sie wusste wie ihr geschah, wurde sie durch eine Art Tunnel in eine andere Ebene gesogen. Sie schlug weich auf und öffnete die Augen: Sie war auf ihrem Bett gelandet.
Das einzige, was zu hören war, war das pochen ihres Herzens und das Ticken ihres Weckers. Die Spieluhr. Sie raste zum Spiegel und schaute hinein, der Zettel hatte aufgehört zu qualmen, stattdessen glühte er nun rot. Sie nahm in aus dem Geheimfach und las:
"Meine liebe Urenkelin,
Nun kann ich in Frieden ruhen. Der Vater deines Großvaters, mein Mann, erhang mich einst an dem Baum, kaltblütig und hart. Meine Seele fand keine Ruhe.. Bis du kamst. Ich weiss, dass viele Fragen offen bleiben werden, doch ich möchte, dass du weißt, dass dein Großvater aus freien Stücken handelte, als er erkannte, was du gesehen hattest. Mit meiner letzten Kraft habe ich dich aus diesem Ort herausgesogen, verzeih mir, dass du diese Qualen erleiden musstest.
In Liebe, deine Urgroßmutter Elisabeth Maria."
Vivien legte den Zettel zurück und setzte sich an ihren Schminktisch. Plötzlich hörte sie ein leises "fiep" und mit einem mal war die kleine Elfe neben der Spieluhr aufgetauscht. Die Musik erklang wie sie es zuvor auch getan hatte. Doch eins war anders. Die kleine Elfe schien gealtert zu sein. Ihr Gesicht glich dem einer alten Frau, doch ihre blauen Augen strahlten trotz ihrer Müdigkeit. Erschöpft hielt sie sich an der Schatulle fest, ganz so, als ob etwas passieren würde, wenn sie loslassen würde. Sie winkte Vivien noch ein mal zum Abschied und verschwand dann mitsamt der Spieluhr in einer großen Wolke aus Rauch.
Eine Woche später erzählte Viviens Mutter ihr, dass ihr Großvater an einem Herzinfarkt gestorben und gestern gefunden worden war..
"Damit dürfte dann wohl alles erledigt sein", dachte Vivien zu sich selbst und unbemerkt huschte ihr ein Lächeln über ihre Lippen...