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Spielgefährten

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09.06.2003
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Spielgefährten

Sein Weg zur Schule ist durch kahle Büsche gekennzeichnet, denn er reißt die Blätter herunter, zerknetet sie in der Hand, bevor er sie auf die Erde fallen lässt. Warum er das tut, kann er mir nicht sagen, er vermutet, dass er seine Hände beschäftigen muss, während er mit meinem Kugelschreiber herumspielt. Von der Schule selbst will er mir nicht erzählen. Ich habe aber seine Mutter, Lehrer und Klassenkammeraden befragt. Dabei hat sich ergeben, dass er zwar sehr intelligent ist, aber oft keine Motivation zeigt, in der Schule Leistungen zu bringen. Ja manchmal den Lehrern mit Schweigen auf ihre Fragen antwortet oder sogar in Arbeiten leere Blätter abgibt. Nein nicht abgibt, sondern einfach desinteressiert vor sich liegen lässt und wahllos in die Gegend starrt. Die Lehrer vermuten eine Konzentrationsschwäche, denn bei Schulbeginn scheint er hoch motiviert und gehört zu den besten der Klasse, später am Tag aber vollkommen abwesend zu sein. Manchmal rüttelt ihn ein Lehrer an den Schultern, wenn er wieder einmal in die Leere starrt, doch das zeigt keinerlei Wirkung. Erst, wenn die letzte Stunde zu Ende ist, geht er wie ein Schlafwandler langsam und gemächlich nach Hause.

Er selbst will mir auch gar nichts von der Schule erzählen. Statt dessen sagt er mir, er ginge dort nicht mehr hin. Schließlich sei er erwachsen und Manager einer großen Bekleidungsfirma. An die Schule erinnere er sich ungern, weil sie ihn in seinem jetzigen Beruf nicht weiter gebracht habe, Zeitverschwendung gewesen sei.
Ich bitte ihn, mir etwas anderes zu erzählen, was er in seiner Freizeit mache, ob er mit Freunden spiele. Ich habe mich gut auf dieses Gespräch vorbereitet und auch dazu sein Umfeld befragt. Mir wurde bestätigt, dass er keine Freunde hat. Manche Mitschüler sind so dreist, mir zu erklären, dass sie ihn manchmal verprügeln, um ihn in die Realität zurückzuholen, wie sie sagen. Was genau sie damit meinen, wollen sie dann aber nicht sagen, werden plötzlich scheu und sind überhaupt nicht mehr bereit mit mir zu sprechen. Als Psychologe hat man es nicht leicht.

Er aber erzählt mir nichts davon, dass er Prügel einstecken müsse, beschwert sich nicht bei mir über Mitschüler oder Lehrer, sondern erklärte mir ganz andere Dinge, mit bescheidener und verhaltener Stimme. Seinen Mitschülern war er geistig wohl um einiges vorraus:

"Sie haben wahrscheinlich alle befragt, was ich so in meiner Freizeit mache, wer meine Freunde sind, was ich nachmittags mache, was abends, wann ich schlafen gehe. Sie müssen wissen, dass alle, die mich zu kennen glauben, einem Irrglauben unterliegen.
Ich gehe schon seit Jahren nicht mehr zur normalen Schule. Ich habe gelernt, dass es sinnlos ist zu lernen, habe ja schon alle meine Ziele erreicht!" Fing er noch leise und etwas verstört an, wurde seiner Stimme jetzt immer sicherer und bestimmter. Er änderte sogar seine Sitzposition, anfangs etwas zusammengekauert, beugt er sich jetzt mit stolzer Brust etwas nach vorne.
"Erzähl mir über dein wahres Leben!", bitte ich ihn und lehnte mich im gleichen Maße, wie er sich vorgebeugte, entspannt zurück. Sein Angebot mir seine Phantasiwelt zu erläutern scheint mir sehr verlockend, ließen sich doch aus den Wunschgedanken der Menschen sehr gut ihr Probleme ablesen. Normalerweise war es schwer an die Gedanken der Menschen heranzukommen. Deshalb konnte ich solche Erfahrungen noch nicht sammeln, doch, dass ich dadurch viel lernen könnte, scheint mir auf jeden Fall logisch zu sein.
"Ich hätte ohne die Schule schon viel früher in das Geschäft einsteigen können, viel Zeit gespart und wäre jetzt wahrscheinlich ein noch viel bessere Manager. Aber daran kann ich wohl nichts mehr ändern. Als sich abzeichnete, dass mich die Schule nur auf der Stelle treten lässt, habe ich mich dazu entschlossen den Job anzunehmen. Jetzt besuche ich nur noch die Abendschule, sie ist zwar morgens und bringt mich genausowenig weiter, wie die Schule, in die ich zuvor ging, jedoch muss man sich ja immer alle Optionen offen halten und meine Arbeit beginnt auch erst um elf Uhr. So habe ich jedenfalls durch die Schule keinen Nachteil."
Ich beschließe, dass ich erst einige Zeit über seine Ausführungen nachdenken muss, bevor ich einen Ansatz für die Behandlung finden kann. Schließlich bin ich noch jung und neu im Geschäft, darf mir grade in meiner Anfangsphase keine Fehler erlauben.
"Also für heute ist es genug, ich bringe dich hinaus." Ich gehe aus dem Raum zur Tür. Er folgt mir, nimmt seine Schuhe, geht in die Hocke und zieht sie sich nacheinander an. Es scheint ihm Spass zu machen, die Schnürsenkel zu binden, Arbeit für die Finger. Er macht das so elegant, dass es wirklich den Eindruck erweckt, er sei ein Manager.
"Ich wollte frage, ob sie mir einen Kredit gewähren könnten! Sie müssen wissen, ich habe meine Praxis erst seit kurzger Zeit und das Geschäft läuft noch nicht so gut. Ein Kredit wäre eine wirklich nette Geste, die ich zu würdigen wüsste. Vielleicht kann ich ihnen ja auch einmal helfen."
Der Manager guckt mich etwas irritiert von unten an, dann nickt er aber zustimmend, zieht sich die Schuhe wieder aus und geht in mein Arbeitszimmer. Dort setzt er einen Vertrag auf, wir einigten uns über eine Sume von 10 000 Euro mit zehn Prozent Zinsen mit maximaler Laufzeit von fünf Jahren.
Ich unterschreibe und er übergibt mir feierlich einen Verrechnungscheck.

"Diesmal hast du sehr gut gespielt, Kevin.",lobt er mich, wobei seine schönen, weißen, Milchzähne zum Vorschein kommen. "Danke, du warst auch sehr gut Mario!" "Jedenfalls brauchen wir unbedingt noch einen Steuerberater und einen Polizisten, dann muss das Spiel erst Spass machen!", sagte Kevin und drückte die Feder eines Kugelschreibers spielerisch immer wieder schnell herunter, einfach um seine Finger nicht unbeschäftigt zu lassen.

 

Hallo popla,

ich mag es, wie du die Welt des Spiels, die der Fantasie mit der realen Welt vermischst. Am Ende wei0 man eigentlich gar nicht mehr, was Spiel und was Wirklichkeit ist, und ob nur zwei Kinder ihre Erfahrungen bei Psychologen nachspielen, oder ob ein wirklicher Psychologe auf die Spiele seines Patienten eingeht. Auf diese Weise gerät dir die Geschichte ein bisschen ins Schwirren.
Handelt es sich um Spiel oder um Realtätsverlust durch Traumatisierung?

Leider sind noch einige Fehler drin. Viele Hauptwörter wie etwa "Motivation" sind klein geschrieben.
In einer Geschichte sieht auch das Wort Prozent besser aus, als das entsprechende Zeichen. Auch die Zahlen würde ich ausschreiben. Die Ortsangabe "Beim Psychologen" zu Beginn würde ich fortlassen. Das wird auch durch die Erzählung deutlich.

Deine Charakterisierung von Mario ist sehr gefühlvoll und stimmig, dein Ich Erzähler kommt dabei leider ein bisschen kurz.
Insgesamt hat mir die Geschichte gefallen.

Lieben Gruß, sim

 

Vielen dank für die Kritik sim, die hat mir echt weitergeholfen! Ich habmeines Wissens alle Fehler verbessert.

Eine Charakterisierung des Erzählers ist glaube ich schwer einzubauen... zumal die Charakterisierung von Mario hauptsächlich auf einem psychologischen Bericht basiert.

Ich hab die Geschichte ursprünglich mit dem Anliegen geschrieben, den Leser zuerst auf den Holzweg zu bringen (dass es sich bei Kevin um einen Psychologen handelt) und ihn dann damit zu überraschen, dass der Psychloge auch nur ein Kind ist, das mit dem anderen spielt. Bei den ersten Sätzen setzt sich dieses Bild nämlich unumstößlich fest. Dann wollte ich das ganze auflösen, indem sich dann eben zum Schluss herausstellt, dass alles nur gespielt ist.
Die andere Möglichkeit, die du gesehen hast, war gar nicht beabsichtigt: Der Psychologe geht auf die Phantasiewelt des Kindes ein (es steht ja in der Mitte, dass er das versuchen will) und wird so entweder selbst sozusagen geistig zum Kind, oder er spielt dies nur, um mehr über Mario herauszubekommen. Dann wäre aber die Enthüllung am Ende nicht mehr ganz stimmig...
naja jededenfalls vielen dank für die Kritik sim!

 

Hallo Popla,

einen "schlafwandler" hast du in der Korrektur noch vergessen, dessen s danach schreit, vergrößert zu werden. ;)

Ich fände das Ende auch in meiner Deutung stimmig, denn mich hat die Beobachtung mit dem Kugelschreiber darauf gebracht, mit der du Kevin außerhalb der Geschichte wieder auf den psychologischen Bericht zurückbringst. Diese Beobachtung und ihre Deutung erschienen mir zu wenig kindgerecht. Wer sich psychologische Berichte durchliest, findet dort häufiger das kindliche Lob, welches Mario seinem Freund am Ende macht. Es wäre also durchaus stimmig, dass Mario auch seinen Therapeuten am Ende als "seinesgleichen", also als Spielgefährten lobt.

Lieben Gruß, sim, der sich freut, wenn er dir weiterhelfen konnte.

 

Hmm ja, danke nochmal!
Aber komisch wäre doch dann, am Ende, dass Mario das ganze selbst als Spiel ansieht, oder?

 
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ja, also ich finde die story auch sehr toll geschrieben. sehr überraschendes ende :)
allerdings klingt der anfang für mich erst einmal gar nicht nach einem kind.


"Von der Schule selbst will er mir nicht erzählen. Ich habe aber seine Mutter, Lehrer und Klassenkammeraden befragt. Dabei hat sich ergeben, dass er zwar sehr intelligent ist, aber oft keine Motivation zeigt, in der Schule Leistungen zu bringen. Ja manchmal den Lehrern mit Schweigen auf ihre Fragen antwortet oder sogar in Arbeiten leere Blätter abgibt. Nein nicht abgibt, sondern einfach desinteressiert vor sich liegen lässt und wahllos in die Gegend starrt. Die Lehrer vermuten eine Konzentrationsschwäche, denn bei Schulbeginn scheint er hoch motiviert und gehört zu den besten der Klasse, später am Tag aber vollkommen abwesend zu sein."

gerade dieser abschnitt. der klingt vollkommen nach einem psychologen. ich bezweifle, dass das ein kind so hinbekommen würde. sicher, das war beabsichtigt. aber wenn man wirklich so eine geschichte 'mit holzweg' realistisch rüberbringen will, dann sollte man, nachdem man die ganze geschichte gelesen hat an den anfang gehen können und bei einzelnen sätzen sehen können: ja, das wäre ein indiz dafür gewesen, habe ich aber überlesen ; ja, das spricht für ein kind und nicht für einen psychologen.
verstehst du? einfach ein paar dinge einbauen, die im nachhinein komisch bei einem richtigen psychologen wären.
bei dir wirkt er am anfang eher wie ein psychologe und am ende plötzlich wie ein kind.

aber ich finde vor allem die idee sehr toll und die ausführung ist, bis auf das obige auch gelungen.

 

Ersteinmal danke für die Kritik und Entschuldigung, dass ich erst so spät darauf antworte!
Ich hab Ferien, war erst demotiviert und bin dann in den Urlaub gefahren...
Jedenfalls hat so weit ich weiß ein sehr hoher Prozentsatz von Leuten (fast alle) den gleichen Aspekt bemängelt, dass diese Kinder noch gar nicht so weit sein können, so etwas zu spielen, zumal der eine zumindest noch Milchzähne hat. Diese Kritik ist sicherlich berechtigt und ich kann sie auch sehr gut nachvollziehen...
Ich könnte jetzt durch das aufzeigen von komplizierten Theorien, wie es doch dazu gekommen sein könnnte, dass sich das eventuelle Spiel auf so hohem Niveau abspielt nennen. Aber wie gesagt wäre das alles sehr gestelzt und an den Haaren herbeigezogen und obwohl dem so ist, möchte ich die Geschichte nicht so eindeutig zweideutig haben, wie es alle Leser verwirrt, die genau diese saubere Zweideutigkeit erwarten.
Die eigentliche Absicht, die ich mit der Geschichte hatte, war nämlich ein Spiel zu beschreiben, wie ich es als Kind häufiger mit einem Freund gespielt habe, nämlich das fast nur daraus bestand sich gegenseitig die Phantasie hochzuschaukeln, um in exponentieller ausdehnung irgend etwas zu erlangen. Im Nachhinein kommen mir diese Spiele wahrscheinlich sehr viel niveauvoller vor, als sie wirklich waren und, wenn ich ein solches Spiel beschreiben würde, wie es wirklich gewesen sein muss, würde das hier wohl nur zu Kopfschütteln führen. So habe ich das gar nicht erst versuchtund bei der Geschichte lediglich das Gefühl der Kindheit herüber zu bringen versucht. Namentlich dieses stückweise Entdecken der Welt, die Grenzenlosigkeit des Spiels und das Nachharken und korrigieren schon gesagter Dinge, wie bei einem Traum, der einen Laut einbinden muss.
Es ging mir also weniger um die strikte Zweideutigkeit, als um Gefühle, die ich ausdrücken wollte, was ich aber nicht deutlich genug gezeigt habe und selbst zu viel Wert auf die "Zweideutigkeit" gelegt hab, die ich mir als Hintertürchen offen lasssen wollte und mir dadurch selbst in den Schwanz gebissen hab. Aber ich lerne noch! ;)

 

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