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Spiel des Lebens
Ein 300-Worte-Drabble zu dem Zitat "Life is like playing the violin in public and learning the instrument as one goes on" von Samuel Butler.
Seufzend kniete er nieder und warf einen Blick in den Hut, der vor ihm stand. Er griff hinein und zählte.
3,50 Euro. Für 3,50 Euro hatte er sich sechs Stunden lang die Arme wund gespielt und eine Nackenstarre zugezogen.
Früher hatte er seine Geige geliebt, doch jetzt hasste er sie. Jetzt, wo sie seine einzige Möglichkeit war, Geld dazuzuverdienen.
Er stand kurz vor dem Ruin. Sein Job war unheimlich schlecht bezahlt, seine Ex-Frau verlangte seit ihrer Scheidung eine irrsinnig hohe Summe Unterhalt
und die monatliche Miete bezahlte sich nicht von selbst.
Er seufzte wieder und drückte sich vom Boden hoch.
Dann nahm er das verhasste Ding erneut in die Hand und begann, mit dem Bogen resigniert über die Saiten zu streichen.
Töne entstanden, die um ihn flossen, doch er spürte nichts dabei. Früher hatte er immer etwas gespürt, wenn er Geige gespielt hatte.
Die Leute auf der Straße sahen zu ihm. Keiner jedoch schenkte ihm lange genug Aufmerksamkeit, dass es Bewunderung ausgedrückt hätte.
Immer wieder strich er über die Saiten, wählte verschiedene Winkel, erzeugte verschiedene Töne. Niemand scherte sich um ihn.
Resigniert schloss er die Augen, zog seinen Bogen noch zweimal über die Saiten, dann stoppte er. Er atmete aus.
Plötzlich hörte er eine Stimme. "Nicht aufhören! Das klang so schön. Bitte mach weiter.“
Er riss die Augen auf. Ein kleines Mädchen mit zwei Zöpfen starrte ihn erwartungsvoll an.
Also setzte er seinen Bogen an und spielte. Während die Töne zu fließen begannen, sah er die Kleine grinsen.
Und zum ersten Mal spürte er wieder etwas - eine Melodie, nicht nur bloße Töne. Er spielte und legte dabei seine Seele offen.
Irgendwann war es vorbei. Das Mädchen klatschte, kramte einen Euro aus ihrer Tasche und legte ihn in den Hut.
"Weiter so!" Sie drehte sich um und ging. Er lächelte.