Spiegelreise
Spiegelreise
Total fertig stieg ich aus dem Bett. Mein treuer, aber leider auch verfressener Hund kam sofort angerannt und bellte mich an.
„Ja Drache, ist ja gut!“, murmelte ich verschlafen. Im Bad blickte ich in den Spiegel und hoffte, dass der, den ich da sah, irgendein Monster hinter mir war.
Leider musste ich mich mit der Realität abfinden. Missmutig tippte ich auf die Nase im Spiegel. Mein Finger kribbelte kurz, dann war er weg.
Was für ein schönes Gefühl, dachte ich und schob meine Hand hinterher. Jeder Faser meiner Haut schien gestreichelt zu werden. Das kribbeln wurde stärker. Ich wollte mehr und schob mein Arm hindurch. Plötzlich wurde mein ganzer Körper wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen und das Kribbeln befiel mir meinen ganzen Köper. „Drache“ schrie ich, da mir klar war, dass ich ohne ihn nicht lange überleben würde, egal wo ich jetzt hingezogen wurde.
Augenblicklich flitzte mein Hund um die Ecke und sprang zu mir rauf und wir beide landeten vollends im Inneren des Spiegels.
Ich muss wohl ohnmächtig geworden sein, denn als ich wieder erwachte, befand ich mich auf einem Baum.
Da ich ziemlich ungemütlich hing, befreite ich mich von en Ästen und sprang auf die Erde. Ich fiel erstaunlich weich und beheizt schien der Boden hier auch zu sein, wie modern!
Erst ein grummeln machte mir klar, dass ich keinesfalls auf den Boden, sondern auf einem warmen, weichen Etwas gelandet war. Dieses Etwas bewegte sich etwas. Starr vor Schreck rief ich meinen Hund, der mir zur Hilfe eilen sollte.
Meine Sitzfläche erhob sich. Verzweifelt klammerte ich mich an allem fest, was mir in die Hände kam. Leider erwischte ich eine Art Schwanz oder so. Ich hörte ein jaulen und fiel dann verdammt hart auf die Erde. Als ich mich wieder aufrappelte, erkante ich, was da vor mir stand: es war ein Drache!
Er schien ähnlich verdutzt wie ich zu sein. Doch dann sprang er auf mich zu. Erschrocken hüpfte ich zur Seite, aber der Drache rollte sich vor meinen Füßen und grunzte zufrieden. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: „Drache!“ rief ich erleichtert und mein treuer Drachenhund versuchte sich im Bellen. Leider kamen auch ein paar Feuerfunken dabei heraus und er versenkte den Baum. Wieder guckte mein Drachen etwas verwundert.
Ich lachte. „Komm, Drache“, rief ich ihm enthusiastisch zu. „Lass uns die Gegend hier erforschen“. Mein Drache guckte noch mal zu dem verkohlten Baum zurück und folgte mir dann willig.
Es war eine außergewöhnliche Landschaft. Ich sah weder Häuser noch andere Zeichen menschliches Leben.
Dafür fielen mir die seltsamsten Pflanzen und Bäume auf.
Da ich es nicht gewohnt war, längere Strecken zu Fuß statt mit dem Auto zu absolvieren, war ich schnell erschöpft. Ich traute auch Drache nicht zu, mich zu tragen. Der arme Kerl schien mindestens genauso am Ende wie ich. Dabei hatte ich ihm bedeutend mehr Kondition zugetraut. Vielleicht fraß er wirklich zu viel.
Gerade, als ich beschlossen hatte mich niederzulassen, tauchte wie aus dem Nichts ein kleines Häuschen auf. Erfreut lief ich schneller und kam bald an einer antiken Holztür an.
Drache krachte schnaufend zusammen. Daraufhin öffnete sich die Tür sofort und ein wundersamer Mann kam heraus.
„Guten Tag!“, wünschte ich ihn freundlich, aber er guckte mich an als hätte ich ihn mit „Hey Alter, was geht?“ begrüßt.
„Was wollen sie? Wer sind sie?“
Der Alte kniff die Augen zusammen um mich näher betrachten zu können. Er hatte eine knorrige Stimme.
„Ich bin durch den Spiegel irgendwie her gekommen. Wahrscheinlich eine Reise in die Vergangenheit, oder so“, versuchte ich ihn glaubhaft zu machen.
„Ich versteh nicht viel von Einstein und seine Theorien über Raum und Zeit, das wird daran liegen, dass er noch nicht geboren ist, aber sei willkommen in meiner bescheidenen Hütte!“
Er grinste etwas schief, was mich beinahe zum Lachen animierte.
Drache setzte wohl das Wort „willkommen“ mit etwas zu Essen gleich und erwachte aus seiner selbstgewählten Ohnmacht.
Im Haus war es auch ohne Zentralheizung relativ warm. Der Greis versorgte uns mit einer seltsamen Suppe, die aber gar nicht mal so schlecht schmeckte.
Drache schlürfte seine Schüssel mit einem Zug aus und setzte dann seinen treuen Hundeblick ein. Der schien sogar als Drache zu funktionieren, den er bekam noch eine Schüssel.
Ich fragte den alten Mann nach dem Essen, ob er ein Spiegel im Hause hätte. Er führte mich in sein Schlafgemach, wie er es nannte und zeigte auf einen großen Spiegel mit Goldrand. Edel, edel, dachte ich. Probeweise tippte ich mit meinem Finger auf das Glas, aber nichts geschah. Ich versuchte es mit meinem Kopf, aber auch der blieb wo er war.
Ich hatte ein Problem.
Ich fragte den Mann, ob es nicht zufällig irgendeinen grauhaarigen weisen Mann im Dorf gebe, der sich mit Vergangenheitsreisen auskennt. Er schüttelte bedauernd den Kopf.
Ich hatte ein verdammt großes Problem.
Doch plötzlich vibrierte der Spiegel und dann hörte ich ein Flüstern. Es war eine absolut fremdartige Sprache.
Der Alte schien aber gar nicht so verwundert und erklärte mir, dass sei spieglisch. Er holte einen Zettel um mitzuschreiben.
Leider kam genau der gleiche Unsinn raus, den ich vorher verstanden hatte.
Der Alte erklärte mir, er könne die Schrift wohl schreiben, aber er habe damals in der Schule nicht so genau aufgepasst, wie man diese Hieroglyphen übersetzen könne. Ich nahm die Papierrolle mit den fremdartigen Zeichen und bedankte mich herzlich.
Dann guckte ich mir den Spiegel noch einmal näher an. Ich sah irgendwie stattlicher aus. Mein Haar war voller und meine Haut nicht mehr ganz so fahl. Ob ich mir diesen Spiegel mit nach Hause nehmen konnte, wenn ich da mal irgendwie wieder hinkommen würde?
Mein Blick fiel auf die Pergamentrolle in meiner Hand. Die Schrift schien im Spiegel irgendwie verändert.
Beim näheren Hinschauen erkannte ich eine mir verständliche Sprache. Ich hatte trotzdem Mühe beim Entziffern, da die Handschrift des Alten nicht die Beste war.
Im Spiegel siehst du die Lösung, doch ist sie nicht vollkommen. Ein Spiegel zeigt nur die äußere Hülle desjenigen, der hinein blickt. Nur einer kennt die ganze Wahrheit, die Wahrheit, die kein Spiegel der Welt zeigen kann.
Ich runzelte die Stirn. Was war das denn? Ich bedauerte, dass ich kein Abitur gemacht hatte. Beim schärferen Nachdenken hatte ich aber eine Spur. Der Spiegel zeigt, wie man aussieht, das ist klar.
Und die Wahrheit, das ist das Innere, der Charakter.
Ich grübelte weiter. Wer kannte denn meinen Charakter am besten? Kurz dachte ich an meine Freundin, aber ich konnte sie schlecht anrufen und ihr sagen, sie solle mal schnell in der Vergangenheit vorbeischauen. Doch dann fiel mir die Lösung ein: Ich kannte mich selbst am besten. Ich war die Wahrheit. Ich rief Drache um unsere Rückreise anzutreten, aber der Spiegel schien mich nicht durchlassen zu wollen.
Etwas ratlos guckte ich mich nach dem Alten um. Der gab mir ein Stück Kohle, damit ich die Lösung an den Spiegel schreiben konnte.
In großen Buchstaben schrieb ich das Wort „Ich“ an den Spiegel und wollte erleichtert den Kopf durch das Glas schieben. Der Versuch endete schmerzhaft, denn der Spiegel lies immer noch nicht nach.
Ich ärgerte mich über meine eigene Blödheit und schrieb das gleich Wort in Spiegelschrift an.
Sofort spürte ich auch schon dieses vertraute Kribbeln und ich verschwand wieder. Auch Drache kam hinterher.
Als ich wieder erwachte, befand ich mich in meinem Schlafzimmer.
Gleich am Nachmittag kaufte ich mir einen neuen Spiegel.