Spiegeleier und Erdbeermarmelade
Mitten in der Nacht wachte er auf. Der kalte Schweiß perlte ihm den Rücken herunter. Er zitterte vor Kälte und wagte es nicht seine Augen zu öffnen. Nach einer Weile traute er sich aus seinem Bett zu steigen, die Augen immer noch geschlossen. Er tastete sich langsam über die kalten Fließen, um das Badezimmer zu erreichen. Er spürte wie die Kälte der Fließen in seinem Körper emporstieg bis er vor Kälte starr stehen blieb. Seine Beine waren so schwer, dass er einige Minuten brauchte, um sich wieder in Richtung des Badezimmer fortbewegen konnte bis er endlich seine Augen öffnen konnte und sich an das Waschbecken anlehnte. Jetzt erinnerte er sich wieder. Er lag seit ein paar Wochen im Krankenhaus und die Ärzte haben immer noch nicht die Krankheit gefunden, die schon seit einiger Zeit an seinem Körper nagt.
Es hatte alles damals im Sportunterricht beim Basketballspielen begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt war Tobias ein normaler fünfzehnjähriger Junge gewesen. Er hatte seine Hobbys, die im wesentlichen aus der Liebe zur Musik bestand. Seine Eltern und er pflegten in der Öffentlichkeit einen guten Ruf und zeigten sich immer als eine funktionierende Familie, die sich in der Kirche angagiert und ehrenamtliche Ämter einnahmen. Nach Außerdem lebte Tobias in seiner ersten richtigen Beziehung. Er war unsterblich in Larissa verliebt und sie, so glaubte er, auch in ihn. Die anderen Jungen aus seiner Klasse beneideten ihn um diese Beziehung, denn Larissa war das bezauberndste Mädchen in der Klasse. Sie liebte, wie er die Musik und spielte die erste Violine in dem selben Orchester, in dem Tobias die Trompete bläst. Für die anderen Jungen, die eher sportbegeistert waren, spielte jedoch das außergewöhnlich gute Aussehen Larissas die entscheidende Rolle für die Sympathien zu ihr. Somit war Tobias auch sehr stolz auf seine Beziehung, denn endlich wurde er von den anderen akzeptiert, ja noch mehr, er wurde bewundert. Doch diese glückliche Zeit von Tobias veränderte sich von einem Tag auf den anderen in das genaue Gegenteil. Sein gerade erst gewonnenes Selbstbewusstsein ging verloren und er wurde wieder ein schüchterner Junge, der lieber zu Hause auf seiner Trompete übte als das er aus dem Haus ging und sich mit anderen Jungs aus seinem Alter verabredete.
Der Unfall passierte als Tobias versuchte den Ball in den Korb zu legen. Er stieg zum Korb hoch und spürte plötzlich einen Schlag in seinem Rücken, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte, so dass er fast waagerecht in der Luft lag. Aus dieser Höhe stürzte er dann auf den dunklen, harten Hallenboden und schlug mit seinem Kopf auf. Tobias vernahm nur noch ein großer Gelächter der anderen Klassenkameraden. Das störte ihn noch nicht besonders, doch als er auch ein Gekicher von Larissa hörte, bildete sich ein schwarzer Vorhang vor seinen Augen. Von diesem Moment an, weiß er nichts mehr.
Er kam im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein. Dort spürte er die Hand von seiner Mutter in seiner und hörte die Stimme seines Vaters wie er immer wieder versuchte ihn zu trösten und ihn auf zu muntern. Doch so richtig gelang seinen Eltern das Aufmuntern nicht, denn die Erinnerungen an den Unfall spürte er noch an seinem gesamten Körper. Doch seine starken Kopfschmerzen und dieses unaufhörliche Stechen in seinem Rücken belasteten ihn nicht so sehr wie die Erinnerungen an das hämische Lachen Larissas. Er hätte niemals gedacht, dass sie sich gegen ihn stellen würde. Doch so war es jetzt gekommen.
Sein erster Krankenhausaufenthalt dauerte drei Wochen und die Ärzte entließen ihn mit den Worten, dass er wieder vollkommen gesund sei. In dieser gesamten Zeit besuchte Larissa ihn kein einziges Mal und sie rief ihn auch nicht. Sie war nicht anders als seine übrigen Freunde.
Als er nach seiner Entlassung wieder in die Schule kam, schauten ihn alle wie einen Aussätzigen an. Tobias hatte das Gefühl, dass seine Klassenkameraden ihm etwas sagen wollten, sich aber nicht trauten. Doch die Worte waren nicht nötig, denn er war selbst Augenzeuge wie Larissa Felix küsste. Jetzt war ihm einiges klar, sie hatte ihn verlassen und sich für den Jungen entschieden, der sich nie vor der gesamten Klasse blamierte und das Talent hatte immer alles richtig zu machen. „Was sollte Larissa also mit mir?“ fragte er sich und machte sich selbst Vorwürfe, warum er nur als einfacher Tobias auf die Welt gekommen ist und seiner Meinung nach keine Talente mitbrachte, die ihm in seinem Leben Anerkennung oder Respekt verschaffen würden. Er merkte wie er nach diesem Anblick vor der gesamten Klasse rot wie Blut wurde, vor seinen Augen schloss sich wieder der schwarze Vorhang und er spürte wieder die beißenden Schmerzen in seinem Kopf und seinem Rücken von dem Sportunfall. Seit diesem Zeitpunkt besuchte er die Schule nur noch wenige Tage im Jahr. Die meiste Zeit verbrachte er in einem Krankenhaus oder bei Ärzten, die ihm bei seiner Krankheit jedoch nicht helfen und seine Schmerzen nicht lindern konnten. Auf die Forderung der Ärzte Tobias doch zu einem Psychiater oder zu einem Psychologen zu schicken reagierten die Eltern nicht, da sie den guten Ruf der Familie wahren wollten.
Jetzt lehnt er also an diesem Krankenhauswaschbecken und überlegt wie er die restlichen Stunden bis zum Frühstück gestalten kann, denn schlafen kann er nicht mehr, da er immer wieder Angst verspürt, dass sein fürchterlicher Alptraum, der ihn schon seit zwei Jahren verfolgt. Doch auch wenn er sich einfach auf sein Bett legt und etwas lesen möchte, kommen die Gedanken an Larissa, die wie eine Art Fluch auf ihm lasten. Also schaltet er das Fernsehen ein, um sich ein wenig abzulenken. Es läuft auf einem Programm der Film „Pretty Woman“, also schaltet Tobias sofort um, um bei einer Dauerwerbesendung stehen zu bleiben, die er sich dann anschaut. Bis dann endlich die Tür klopft und die Krankenschwester mit dem Frühstück in das Zimmer kommt: „Heute ist Sonntag, sie können sich also auf ein großes Frühstück freuen!“ Obwohl Tobias mal wieder keinen Hunger verspürt, setzt er ein gezwungenes Lächeln auf und bedankt sich höflich, ohne die Krankenschwester anzusehen. Auf dem Frühstücksteller lag ein Toast mit Spiegelei und einem Brötchen mit Erdbeermarmelade. Ich liebe Spiegeleier und Erdbeermarmelade!“ ruft er der Krankenschwester fröhlich zu. „Ich wusste doch, dass du das immer noch magst!“ antwortete sie und schließt die Tür hinter sich.