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Spiegelbild

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23.02.2014
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Spiegelbild

Das kleine Mädchen lächelt mich an. Ihre Augen glitzern vor Lebenslust und ihr helles Lachen schallt durch den großen Raum. Sie nimmt meine Hand und zieht mich durch die Halle.
„Komm“, sagt sie, „Komm!“
Ich weiß nicht, wer sie ist. Aber das macht nichts, denn meistens weiß ich auch nicht, wer ich bin. Oder wo ich bin. Wahrscheinlich bin ich eingeschlafen und habe mich hierher geträumt, in diese riesige Halle, in der nur das kleine Mädchen, ich und tausende von Spiegeln sind.
„Warum gibt es hier so viele Spiegel?“, frage ich sie verwundert.
Sie lacht wieder. „Na, damit du dich siehst, du Dummi!“

Wir treten gemeinsam vor einen Spiegel. Er ist groß, fast doppelt so groß wie ich, und genauso breit. Ein paar Sekunden lang schaue ich angestrengt hinein, dann wende ich mich an die Kleine und runzle die Stirn.
„Ich sehe mich nicht. Nur du bist im Spiegel. Wie kann das sein?“
„Schau genau hin“, flüstert sie und plötzlich ist da ein bitterer Unterton in ihrer Stimme. „Erkennst du dich denn wirklich nicht?“
Wieder blicke ich in den Spiegel, aber egal, in welchem Winkel, in welcher Stelle ich hineinschaue, ich sehe nur sie. Sie hat sich verändert. Eben war sie noch fröhlich, hat glücklich gelacht und jetzt ist ihrer Miene ernst, die Augenbrauen sind zusammengezogen und die Lippen schmal und zusammengepresst. Ihre Hand in meiner fühlt sich plötzlich kühl an und mich überkommt ein eisiger Schauer.
„Lass uns weitergehen“, stoße ich aus.

Aus den Augenwinkeln luge ich in alle Spiegel auf unsrem Weg.
Ich will sie fragen, wohin wir gehen, aber meine Kehle ist wie zugeschnürt. Also schweigen wir, bis sie auf einmal anhält und mich traurig anschaut.
„Sieh hinein. Die Spiegel sind nicht dazu da, bloß den Raum auszufüllen, weißt du?“
Ich werfe einen Blick in den kleinen Spiegel hinter ihrem Rücken und erschrecke. Eigentlich müsste ich ihren Rücken sehen und ein Stück darüber mein Gesicht. Aber ihr Körper ist nicht da, es ist, als stünde sie an meiner Stelle.
„Was passiert hier?“, stammele ich und weiche verwirrt zurück. „Wer bist du? Wo sind wir hier? Und was machen wir hier?“
Sie lächelt wieder, aber diesmal ist es ein fieses Lächeln.
„Wer ich bin? Frage dich, wer du bist. Wenn du das weißt, weißt du auch, wer ich bin. Wir sind hier im Spiegelraum - wir schauen in Spiegel. Was sonst?“
„Ich weiß, wer ich bin!“

Sie will nach meiner Hand greifen, aber ich weiche zurück, will wegrennen, aber ich sehe nicht, wohin ich laufen kann, weil überall Spiegel stehen, überall sind diese verdammten Spiegel, aus denen sie mich ansieht und ihr Gesicht verwandelt sich in eine grässliche Fratze.
„Du weißt, wer du bist? Wann hast du dich denn das letzte Mal angesehen?“
Mein Herz bollert in meiner Brust, ich schwitze und mir ist eiskalt. Ich balle die Hände zu Fäusten, versuche, mich unter Kontrolle zu bekommen, aber ich zittere und das Mädchen und die Spiegel verschwimmen vor meinen Augen, aber auch, als ich sie schließe sehe ich sie noch und plötzlich dreht sich die Welt und ich drehe mich in die andere Richtung und ich glaube, ich werde verrückt-
Sie packt meine Hände, die ich mir auf die Ohren gepresst habe, ich weiß nicht mehr, warum, und zieht sie weg.
„Lass mich“, wimmere ich. „Ich will hier weg!“
Ich sitze mittlerweile auf dem Boden und sie kniet sich vor mich, ihr Gesicht ist meinem ganz nah und ich spüre ihren Atem.
„Ich bin ein glückliches Kind“, haucht sie. „Ich bin es noch. Nicht mehr lange, aber momentan bin ich noch glücklich. Darum will ich auch dich etwas glücklicher machen und dir eine Frage beantworten. Wer ich bin, willst du wissen. Es ist ganz einfach: Ich bin du. Du bist ich.“
„Lass mich gehen“, stöhne ich. Ich glaube, ich drehe durch. Vor meinen Augen tanzen Sterne und ich zwinge mich, sie geschlossen zu halten.
„Öffne die Augen!“, befiehlt sie und ich gehorche. „Sieh dich an. Schau in den Spiegel und erkenne dich. Erkenne, wer du bist!“
Zitternd drehe ich mich um, starre mein Spiegelbild an, die blutunterlaufenen Augen, das fahle Gesicht.
„Ich bin du“, wispert sie. „Aber ich will nicht du sein!“
Wie in Zeitlupe drehe ich mich und schaue sie an. Da ist es wieder, das kleine Mädchen. Das Grausame ist aus ihrem Gesicht verschwunden und stattdessen blickt sie mich ängstlich an.

Wir schweigen und schauen uns an. Sie und ich. Sie ist ich. Ich schaue mich an. Wann ist dieses lebensfrohe Funkeln aus meinen Augen verschwunden? Wann habe ich aufgehört zu lachen, und angefangen zu schweigen?
„Bitte“, sagt sie leise. „Bitte lass mich glücklich bleiben!“
Ich öffne den Mund, will etwas sagen, aber die Worte sind weg. „Es tut mir leid“, formen meine Lippen die Entschuldigung, die sie nicht sagen können.
Sie seufzt. Mir auch, sagen ihre Augen.

Wir stehen auf.
Ich verzeihe dir. Verzeihst du mir auch?

Sie schubst mich, ich falle rückwärts in den Spiegel, aber da ist kein Glas und es tut nicht weh. Es ist ganz warm und angenehm und ich falle… falle… falle ins Warme.

 

Hallo Nemesis,

ich weiß nicht viel über deine Geschichte zu sagen. Und das aus zwei Gründen:

Zum einen ist deine Geschichte an sich wirklich gut aufgebaut. Auch dein Schreibstil ist angenehm und an einigen Stellen hast du die Stimmung sprachlich gut unterstrichen. Es war spaßig, sie zu lesen.

Zum anderen aber habe ich nicht viel zu sagen, weil die Thematik einfach so klassisch und abgegriffen geworden ist. Die Allegorie des Spiegels, die Reflexion, während man "gefangen in sich selbst ist" (im Film nennt man so etwas den Lotophagen-Effekt), der Protagonist verspricht, sich zu bessern. Diese die Psyche angreifende Szene hätte man vielleicht mit mehr Mut zum sprachlichen Extrem und Unschönen besser hervorheben können.

Auch ist dein Protagonist an sich leider kein Charakter. Man weiß nur, dass er früher einige schwere Fehler gemacht hat und jetzt ziemlich fertig ist. Gerade in einer Erzählung, in der es ausschließlich um die Figur geht, ist es fatal, die Figur nicht ausgearbeitet zu haben.
Aus der Geschichte hätte man entschieden mehr machen können.

Nombreux

 

Willkommen hier bei den Wortkriegern :)

Ich kann mich der Meinung von Nombreux nur anschließen und erweitere das mal noch etwas.
Nicht nur die Thematik ist abgegriffen, Du benutzt auch abgegriffene Redewendungen.

Aber das nur so zu sagen hilft Dir vielleicht nicht ganz. Daher ein Beispiel:

und ich glaube, ich werde verrückt-
Durch das "ich glaube" wirkt das verrückt werden "normal" - wieso nicht gleich: "und ich werde verrückt". Wenn Du dann das verrückt werden noch etwas beschreibst, wird der Traum noch irrealer.
Wie in Zeitlupe drehe ich mich und schaue sie an.
Auch hier - Du bist schon in einer irrealen Welt. Dann lass die Zeit wirklich langsamer laufen. Das Relativieren nimmt ein wenig die Spannung raus.

Also: Lass Dich nicht entmutigen, Viel Spass hier :)
pantoholli

 

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

liebe Nemesis –

Du trägst als Tochter der Nyx (= Nacht) einen bedeutungsschwangeren, vor allerm aber schweren Namen, der sich übersetzen lässt vom gerechten Zorn bis zur Zuteilung des rechten Maßes von Glück, was ja auch neben der Identitätsfrage das Thema Deiner kleinen Geschichte ist, die aber zugleich verrät, dass Du noch sehr jung bist. Gegenüber anderen Neueinsteigern fällt eines ganz besonders auf: Die Grammatik stimmt weitestgehend, wenn auch ein paar – da sag ich mal erstaunlich wenige Schnitzer drin stecken. Das fängt aber direkt hier an

Das kleine Mädchen lächelt mich an. Ihre Augen glitzern …
Ich setz den Eingangssätzen mal einen korrekten Satz vom Ende entgegen:
Da ist es wieder, das kleine Mädchen.
Gut, der Duden beugt sich gelegentlich in seinem Opportunismus der Masse und lässt das biologische Geschlecht übers grammatisch siegen. Aber wissen sollte man es schon: „Das Mädchen … Seine Augen …“

Nach dem Komma sollte das erste Wort – sofern es kein Substantiv ist – mit kleinem Buchstaben geschrieben werden

„Komm“, sagt sie, „[k]omm!“

Hier ist zunächst ein Komma nachzutragen (der Nebensatz ist da zu Ende) und vor dem Gedankenstrich ist eine Leerstelle einzufügen

… und die Spiegel verschwimmen vor meinen Augen, aber auch, als ich sie schließe[,] sehe ich sie noch und plötzlich dreht sich die Welt und ich drehe mich in die andere Richtung und ich glaube, ich werde verrückt[…]-

Hier nun bedeuten die an das Wort direkt angehängten Auslassungspunkte, dass wenigstens ein Buchstabe vom Wort nicht aufgeführt wird, also auch hier Leerstellen nicht vergessen
… und ich falle[…]… falle[…]… falle ins Warme.

Hier ersetz die Konjunktion „und“ das Komma zwischen der Aufzählung
Wann habe ich aufgehört ztu lachen[…] und angefangen zu schweigen?

Eine letzte Anmerkung, denn m. E. ist hier etwas hin-zuzufügen
… und sie kniet sich vor mich, …
oder es hat die Fälle-Falle zugeschnappt
… und sie kniet […] vor mi[r], …
Der Akkusativ („vor mich hinknien“) zeigt das Tun an – sie kniet noch nicht -, der Dativ zeigt das Ergebnis dieser Tat an („sie kniet vor mir“).
Also besser
… und sie kniet sich vor mich [hin], …
Aber das musstu entscheiden …

Gern gelesen vom

Friedel

 

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