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Spaziergang
Die Musik hallte in seinem Kopf, diesmal war es Metal. Er fand diese Musik seltsamerweise sehr beruhigend. Normalerweise hörte er sie, wenn er wütend war. War er wütend? Das wusste er selbst nicht genau. Eine Mischung aus Trauer und Wut. Die Musik passte irgendwie. Er stellte seinen MP3-Player noch eine Stufe lauter. Eigentlich fand er sie viel zu laut, doch das war ihm jetzt auch egal. „There are too many problems, can’t see the reality..“
Ja, die Musik passte ziemlich gut. Auch das regnerische Wetter passte. Er liebte es abends durch die Gegend zu laufen, wenn nur noch Straßenlaternen die Wege erhellten und nur noch wenige Autos unterwegs waren. Es hatte etwas Entspannendes. Manchmal wünschte er sich, er hätte einen Hund, nur um abends mit ihm spazieren zu gehen.
Er blieb stehen. Ihm war der Zettel ihn seiner Jackentasche aufgefallen. Er wusste genau was darauf stand. „Too many problems! Too many fuckin’ problems!...“ Seine Hand ballte sich zur Faust um den Zettel zu zerknittern. Das trockene Papier knisterte in seiner Hand. Er nahm es heraus und warf es, ohne noch einmal drauf zu gucken, auf den Boden. Das Papierknäuel landete ihn einer Pfütze, in welcher sich die Tinte sehr bald löste und die Pfütze leicht bläulich färbte. Das ehemalige Herz sah nun eher aus wie ein verunglückter Totenkopf. War dies die Ironie der Natur? Er musste fast schmunzeln.
„It’s time to shut them down!“ Er beschloss ab nun nicht mehr stillschweigend zuzusehen. Er würde eingreifen! So konnte es nicht weitergehen!
Mit einem lauten „Shut! Them! DOOOWN!“ endete der Song und in seinem kopf herrschte für einen kurzen Moment Stille. Er genoss sie, er hörte nichts außer einem Auto das sich rasch näherte. Es war fast 11 Uhr. Um diese Uhrzeit fuhren nur wenige Autos, warum also ausgerechnet jetzt? Er bemerkte schon die Erhellung der Scheinwerfer, als er noch etwas andere sah. Ein kleines Tier, ein Kaninchen vielleicht, huschte über die Straße. Es hatte keine Chance! Die Reifen des Autos quietschten auf, doch zu spät. Ein Geräusch, als würde man eine faule Tomate zertreten durchschnitt die Stille und war gleichzeitig der Auftakt für ein neues Lied. Vorbei war es mit der Stille. Dieses Lied war das Intro des neuesten Albums seiner Lieblings-Gothic-Metal-Band. Es begann mit einer Geige die immer lauter wurde und mit einem Knall setzte das ganze Orchester mit voller Wucht ein. Nun kam die E-Gitarre in Begleitung des E-Basses. Er liebte dieses Instrument. Doch gleichzeitig kam auch ein zweiter Wagen die Straße herangeschossen.
Der Autofahrer bemerkte zwar das Auto, welches da so bescheuert auf der Straße stand, nicht aber den Jungen links daneben. Er trat also auf die Bremse und riss das Lenkrad nach links, um zu verhindern, dass es einen Unfall geben würde. Doch auch hier zeigte das Schicksal seine sarkastische Seite und ließ ihn genau auf den Jungen zurasen.
Er sah es ganz deutlich und klar, so als würde man einen Film in Zeitlupe ablaufen lassen, das Auto kam auf ihn zu.
Nun setzte endlich die Sängerin ein und ließ ihre starke Stimme in seinem Kopf erzittern. Es klang äußerst dramatisch. Und wieder passte die Musik und auch hier wusste er nicht wie er sich fühlte. Seltsamerweise nicht ängstlich, obwohl im eigentlich klar war, dass er sterben würde.
Nun sah er das Auto nicht mehr. Er sah seine Mutter und seinen Vater wie sie sich stritten; er sah Katrin, seine große Liebe, wie sie mit tränen in den Augen sagte sie würde ihn nicht mehr lieben; er sah seinen Lehrer welcher ihm sagte er würde sitzenbleiben; er sah seinen besten Freund wie er die Brücke runter sprang und er sah seine Schwester, die sich Heroin einspritzte um mit der Welt klar zu kommen.
Doch dann fühlte er sich plötzlich glücklich, er sah nun nur noch schöne Bilder. Er sah seine Eltern küssend in der neuen Küche stehen, die Papa für sie bestellt hatte; er sah Katrin, wie sie ihn anlächelte und ein Briefchen zuschob auf den sie „Ich werde Dich immer lieben“ mit ganz vielen Herzen gemalt hatte; Er sah seinen Lehrer, der ihm die 2+ in Englisch zurück gab und ihn aufmunternd anlächelte; Er sah sich und seinen besten Freund ein letztes mal zusammen Bier trinkend und dabei hübschen Mädchen hinterher pfeifend; und wie er und seine Schwester shoppen gingen und die lustigsten Fotos schossen. Dann sah er nichts mehr.
Der Fahrer des Wagens erschrak als er den Jungen im Scheinwerferlicht seines Autos sah. Er Zog die Handbremse, versuchte noch einmal das Lenkrad rumzureißen, doch es war zu spät! Mit einem lauten krachen flog der Junge gegen seine Frontscheibe. Er starrte erstaunt auf das Gesicht des Jugendlichen welches da an seiner angebrochenen Scheibe hing. Der Junge hatte keine Angst in den Augen, oder Panik.
Nein, er lächelte und schien glücklich.