Mitglied
- Beitritt
- 03.09.2003
- Beiträge
- 50
Spatzen am Brunnen
Wir haben Deutsch. Unsere Lehrerin faselt irgendwas daher. Sie hat so eine schläfrige Stimme, dass es einem schwer fiel ihr zuzuhören.
Sie war fraglich sicher keine Person, der man regelrecht gebannt jedes Wort von den Lippen liest.
Gelangweilt schaute ich aus dem Fenster. Dicke, graue Wolken hingen am Himmel und drückten auf jede Gemütsstimmung. Plötzlich berührte mich seine Hand am Arm, schob mir ein Foto rüber. Neugierig schnappte ich mir das bunte Papier - was da wohl drauf zu sehen war?
Ich konnte mir kein Lächeln verkneifen als ich es betrachte, es zeigt mich auf steinigem Boden.
Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Ich füttere kleine Spatzen die mir hungrig Brotkrümel aus den Fingern schnappen. Ich wirke gedankenverloren und scheine mich zu freuen. Und da - ganz am Rand, seh ich ein männliches Gesicht das mich lächelnd beobachtet. War es Absicht das er mit auf dem Foto ist? Oder Zufall?
Ganz egal - denn ich erinner mich noch gut an diesen Moment und an diesen Mann.
Ich erinner mich erst schleierhaft und dann ganz genau, als ob es gestern gewesen wäre. Klassenfahrt.
Ich sitze auf einem Brunnen, mitten in der Großstadt. Es ist warm, die ganze Klasse schwitzt. Ein kleiner Spatz kommt daher geflogen, setzt sich zu mir. Neugierig tapst es mir entgegen, es erwartet wohl was zu essen, denke ich. Erst zaghaft hole ich mein Brot raus, als ich sehe das noch mehr Spatzen ankommen, beschließe ich alles zu verfüttern.
Ich hocke mich auf den Boden, bin irgendwie glücklich die Vögel zu füttern, freue mich über jeden Krümel den sie mir aus den Fingern picken. Während ich gedankenverloren mich den Vögeln widme, bemerke ich aus den Augenwinkeln seinen Blick. Ich schaue hin, er lächelt. Ich weiß, dass er nicht wegen mir lächelt, sondern der Situation wegen - genau wie ich!
In diesem Moment haben wir beide was gemeinsam, wir beide sehen was andere jetzt gerade nicht sehen.
Wir sehen Zuneigung und Liebe für das Leben. Wir leben sie, jetzt in diesem Moment, dieser Situation.
"Hey, wir wollen weiter" Die Stimme eines Kollegen reißt mich aus der Träumerei. "Ich komme schon" platze ich raus. Erschrocken fliegen die Spatzen davon und glücklich schaue ich ihnen hinterher, wie sie in weiter Ferne des blauen Himmels nur noch als schwarze Punkte zu sehen sind. Ein letztes mal schaue ich in das Gesicht des Fremden, ich lächel kurz, er winkt.
Ich winke zurück und bin schon zurück bei meiner Klasse.
Lächelnd schaue ich auf das Foto.
Was ein kleiner Moment, was eine Alltäglichkeit bewirken kann, denke ich und lausche jetzt wirklich gebannt meiner Lehrerin.
Wer weiß? Vielleicht ist es ja doch ganz interessant was sie sagt.