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"Späte Revolte" oder "Pamplona"
Insel Yell, Shetland-Islands /GB 15. März 1966
Ich höre ihn schon aus der Ferne, wie er pfeifend auf seinem Fahrrad den Hang zum Hafen hinunterrollt. Der Alte. Mein Boss, der Norweger. Gleich kann ich ihn sehen. Da kommt er... Wie meistens kann man nur raten ob er noch oder schon besoffen ist. Ich arbeite nun schon seit fast 3 Jahren hier und nie hab ich ihn vollkommen nüchtern erlebt. Im Dorf kursiert eine Legende die von den Alten erzählt wird wenn es Nacht wird. Sie besagt, daß der Norweger früher einmal ein schneidiger Kerl war und die fünf Kilometer zwischen East-Mainland und Whalsey sogar im Winter geschwommen ist, und daß er während des Krieges ein Widerständler war. Glauben tut das irgendwie keiner richtig... Wenn man ihn heute sieht, ist man froh, daß er jeden Morgen zum Hafen kommt ohne tot vom Fahrrad zu fallen.
Was mir jedesmal zu denken gibt, ist seine Zuverlässigkeit. Natürlich habe ich oft den Kahn allein die paar Meter von Yell nach Unst gefahren. Ist ja auch keine Sache. Er lag dann zwischen den Postsäcken und schlief so, wie er wahrscheinlich 2 Stunden vorher an irgendeiner Strasse oder bei Regen in einem Hauseingang erwacht ist. Oder besser gesagt wie sie erwacht sind; er und seine Uniform. Sofern man das vergammelte Ding überhaupt noch Uniform nennen kann; denn schließlich sind die vielen Nächte in irgendwelchen Pfützen oder kalten Treppenhäusern nicht nur an ihm sondern auch an ihr nicht spurlos vorbeigegangen. Irgendwie mag ich ihn trotz allem, meinen Kapitän.
"Morgen Captain!"
"Morgen Sean..."
Er wirkt abwesend, findet aber schnell wieder zu sich und sieht mich ernst an.
"Gestern hab ich geträumt ich wäre beim Stierkampf. War toll... blutig... der Stier hat gewonnen."
Sein Gesichtsausdruck macht mir Angst, ich habe das Gefühl er würde mich am liebsten mit seinen Augen aufzuspießen. Ich versuche einen Themawechsel...
"Ich hab Sophokles schon gefüttert Captain."
"Sehr gut, hat er gut gefressen? Du weißt ja, sein Magen."
Ich antworte nicht, denn als ob der Kater gewusst hätte das über ihn geredet wird, streicht er um die Füße des Norwegers um ihn zu begrüssen, und wenn er das tut dulden weder der Alte noch Sophokles irgendeine Störung. Noch während er den Kater streichelt fangt er an mit mir zu reden ohne mich dabei anzusehen.
"Heute ist mein Jahrestag, wusstest du das? Mein vierundzwanzigster."
Er richtet sich aus der hockenden Streichelposition auf und schreitet inspizierend einmal das Boot längs ab.
"24 Jahre auf diesen verschissenen Inseln! Kannst du dir das vorstellen? 24 Jahre...Und ich kann nicht anders..."
Er macht eine lange Pause in der er mich ansieht wie ein Lehrer einen Schüler ansieht wenn er eine Antwort erwartet.
"Wie alt bist du Sean?"
"Fast 22 Sir."
"Um Gottes Willen! Ich bin länger hier als es dich gibt! Um Gottes Willen..."
Seine Stimme wird leiser und am Ende flucht er noch etwas auf Norwegisch, das ich nicht verstehe.
"Wie spät ist es Sean?"
"Fast 8 Sir..."
"Dann muß er bald kommen."
Seiner Fahne und seinem Gang nach zu urteilen bin es ich, der heute das Ab- und Anlegemanöver macht. Ich gebe dem Alten noch 5 Minuten bis er sich auf die Postsäcke verziehen wird. Langsam fange ich an, die vom Morgennebel klammen Taue zu ordnen, sodaß wir nachher pünktlich loskommen. Plötzlich fasst mich seine Hand an der Schulter.
"Mach deine Arbeit heute besonders sorgfältig mein Sohn..."
Scheisse! Er hat mich mein Sohn genannt... Das bedeutet, daß er nicht schlafen geht, sondern mir Geschichten erzählen will. Das hat er manchmal.
Zum Glück rettet mich der Gong, oder besser gesagt die Hupe. Die Hupe von Peter Görden. Einer der Konsulatsmitarbeiter der deutschen Botschaft in Lerwick. Wie gewöhnlich kommt er um diese Zeit und hupt, weil er glaubt, daß es uns freut. Er ist ungefähr so alt wie der Norweger, sieht aber ungleich jünger aus. All das was man in England wohl als deutsch bezeichnen würde - Peter Görden hat es! Kühl, kompetent, keltisch.
Der Deutsche und der Norweger kennen sich schon lange. Zum einen, weil Mr Görden jeden Tag mit der Fähre um 8.15 Uhr von Yell nach Unst übersetzt um dann mit der Fähre um 19.45 Uhr wieder zurückzufahren, und zum anderen weil die beiden die einzigen Ausländer sind die hier wohnen, dann kennt man sich eben auf kurz oder lang.
"Guten Morgen Mister Görden. Aufgeregt, was?"
"Sehr sogar! Die Regatta ist das grösste was jemals auf den Inseln los war seit, na Du weisst schon.... Und dann die vielen Kameras...und das so kurz vor meiner Pensionierung"
Die Regatta! Jeder spricht davon seit Monaten... Ungefähr 500 Windjammer werden erwartet und dazu noch tausende von Privat-Jachten. Der Hafen wurde extra für diesen Zweck umgebaut, und heute, einen Tag vor Ankunft der ersten Schiffe, soll Peter Görden den neuen Hafen eröffnen. Pünktlich um 9 Uhr. Pünktlich!
Da sitzt er also, der deutsche Botschafter. In einem neuem Anzug, wohlwissend, das in weniger als einer Stunde die Augen der Welt auf ihm ruhen werden. Man kann es ihm förmlich ansehen wie er es geniesst in der Öffentlichkeit zu stehen. Kein Wunder, denn viel hat er hier nicht zu tun. Er ist hier Botschafter seit es den Deutschen wieder erlaubt wurde Botschafter zu entsenden. Ich glaube das er die Shetlands hasst. Ein Mann wie er sollte nach London oder Glasgow, aber nicht nach Lerwick; so sieht er das jedenfalls. Ich mag ihn nicht besonders, und der Norweger hasst ihn sogar. Das ließ er den Deutschen zwar nie spüren, aber dieser ist schon lange genug hier Botschafter als das er die Wikinger verstehen würde. Görden weiß das der Alte ihn hasst, und der Alte weiß, daß Görden es weiß. Es ist eine Art Spiel.
"Wir sollten los mein Bester - Es ist schon zwanzig nach acht!"
"Keine Eile, keine Eile..."
Der Alte sitzt auf einem Haufen von Tauen und stopft seine Pfeife. Görden ist aus seinem Auto ausgestiegen und geht nervös hin und her.
"Hör zu: Wenn wir nicht sofort losfahren, komme ich zu spät nach Mainland, und verpasse die Hafeneröffnung."
"Immer noch so pflichtbewusst wie früher? Das konntet ihr Deutschen ja schon immer... Los Sean mach die Leinen los, wir legen ab!"
Das Ablegemanöver klappt ohne Probleme. Görden geht sichtlich beruhigt an die Reling und steckt sich eine Zigarette an.
"Sag mal, ist heute starke See, oder warum kommen wir so schräg nach Unst?"
Ein undefinierbares Lächeln macht sich auf dem Gesicht des Alten breit.
"Wir fahren nach Norwegen Herr Görden, wir fahren nach Norwegen..."
[Beitrag editiert von: Fritz the Cat am 11.04.2002 um 09:47]