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Sorry aber irgendwie fällt mir kein Titel ein, vielleicht wisst ihr ja einen
Es war der 13. Dezember als Thomas sich entschloss einfach zu Cara zu fahren. Schon seit zwei Jahren sah er nur noch auf sein Handy, um zu sehen ob sie ihm geschrieben hatte und jeden Abend wenn er alleine zuhause war, las er ihre letzten Nachrichten. Natürlich war er zu stolz gewesen, um sich zu melden, schließlich hatte er ihr als letztes geschrieben und ihr sogar eine Frage gestellt, die nun seit zwei Jahren unbeantwortet war. Wären ihnen die Themen ausgegangen und ihre Konversation zu einem sinnentleertem Austausch bedeutungsloser Floskeln geworden, wäre es natürlich nicht ihre Schuld gewesen. Dann hätte sie natürlich jedes Recht gehabt, nicht mehr zu antworten, um ihre Zeit nicht zu verschwenden. Aber seine Frage, hätte sie beantworten können, dazu gehörte schließlich nicht viel. Dass sie es nicht getan hatte, ließ nur einen Schluss zu: Sie hatte überhaupt kein Interesse an Kontakt mit ihm. Und in diesem Fall, war die einzige mögliche Reaktion für ihn gewesen, ihr auch nicht weiter zu schreiben und darauf zu warten, dass sie es sich anders überlegt. Er wollte schließlich nicht aufdringlich sein. Doch an diesem Abend hatte er es sich anders überlegt. Er hatte sich Fotos von ihr angesehen und plötzlich waren ihm tausend Gründe dafür eingefallen, die nicht darauf hinausliefen, dass sie kein Interesse an ihm hatte. In seiner Einfahrt stand sein Wagen und übers Wochenende hatte er sowieso nichts vor.
Thomas blickte aus dem Fenster, hinaus auf die verschneite Straße des Vorstadtviertels. Der Schneefall war gegen Mittag so plötzlich gekommen, dass die meisten Bürgersteige noch nicht frei geräumt waren und erst jetzt einige seiner Nachbarn damit begannen die Massen zu hohen, weißen, aber instabilen und immer wieder in sich zusammenfallenden Hügeln aufzutürmen. Er verfolgte Kims Schritte zu ihrem Auto. Sie schien zu weinen. Thomas fühlte sich seltsam leer. Obwohl er wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, hatte er Mitleid mit ihr. Sie hatten eine schöne Zeit zusammen gehabt und es gab viel was er vermissen würde, doch das war es nicht wert. Er war anderthalb Jahre lang nicht wirklich glücklich gewesen, höchstens zufrieden, doch auch dass nur in den Momenten wo er nicht daran dachte, dass er es besser haben könnte.
Als Kims Wagen schließlich hinter einer Straßenecke verschwunden war, schweiften auch seine Gedanken wieder ab und er malte sich aus wie er nach ungefähr drei Stunden Fahrt bei Cara ankommen würde. Natürlich würde sie nicht da sein, sie wusste schließlich nicht, dass er kam, doch er würde sich auf die Stufen vor ihrer Haustür setzen und warten bis sie kam. Nach stundenlangem Warten würde sie endlich kommen und ihn dort vorfinden, zitternd und halberfroren. Sie würde gar nicht anders können, als ihn zu sich hereinzubitten und bei ihr würden sie bis tief in die Nacht hinein miteinander reden. Schließlich war eine Menge Zeit vergangen, seitdem sie sich das letzte Mal unterhalten hatten.
Thomas schloss die Tür zu seiner Wohnung ab und verließ das Haus. Draußen schlug er den Kragen seiner Jacke hoch und stapfte durch den Schnee zu seinem Wagen, wo er das Eis von den Scheiben kratzte. Schließlich setzte er sich hinein und startete den Motor. Um die Staus, die das Wetter wohl unweigerlich in der Innenstadt verursachen würde, zu vermeiden verließ er die Stadt über ein, zu großen Teilen bereits stillgelegtes, Gewerbegebiet und fuhr dann über eine kaum befahrene Landstraße, die ihn durch eine verschneiten Wald führte. Das Schneetreiben war mittlerweile so dicht geworden, dass Thomas keine 20 Meter weit sehen konnte, die Heizung im Wagen funktionierte natürlich nicht und es war so kalt, dass er kleine Wölkchen ausatmete. Die Scheibenwischer schaufelten unermüdlich die dichten Schneemassen links und rechts von der Windschutzscheibe, doch sie hinterließen Schlieren auf der Windschutzscheibe durch die alles verschwommen und unscharf schien.
Und obwohl der Wagen auf jede kleine Lenkbewegung oder Bremsung ebenso empfindlich wie unvorhersehbar reagierte, fuhr Thomas viel zu schnell. Er hatte Angst, dass er, wenn er zu lange fuhr, bemerken würde, was für eine absurde Idee das war und das er die Sache dann nicht mehr zu Ende bringen würde. Also trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch und hielt das vibrierende Lenkrad fest umklammert, während er mit zusammengekniffenen Augen durch die Windschutzscheibe starrte und versuchte die verschwommenen Konturen die er sah zu deuten. Und plötzlich stand dieses Mädchen auf der Straße, sie war vielleicht 17 Jahre und hätte sie nicht dieses auffällige blutrote Kleid getragen, hätte Thomas sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Sie stand einfach dar, vollkommen regungslos mitten auf der Straße, und schien unbestimmt in den Tannenwald rechts der Fahrbahn zu starren. Reflexartig riss Thomas das Lenkrad herum und der Wagen verließ die Straße und schoss ins leere Weiß.
Thomas wachte umgeben von grob behauenen, mit Moos überzogenen, dunklen Steinen in einem Verlies auf. Es roch modrig und sonderbar süßlich. Irgendwo außerhalb seines Verlieses schien sich eine eigenartig helle Lichtquelle zu befinden, denn durch die Schlitze des Mauerwerkes drangen weißliche Lichtstrahlen, die dem Kerker eine sonderbare Atmosphäre verliehen, da man trotz des kellerhaften Charakters, alles so genau erkennen konnte, als würde die Sonne hinein scheinen.
Thomas setzte sich auf und versuchte sich das Geschehene ins Gedächtnis zu rufen, doch das letzte, woran er sich noch erinnerte, war, dass er dem Mädchen auf der Straße ausgewichen war und die Kontrolle über den Wagen verloren hatte. Wahrscheinlich hatte er einen Unfall gehabt und war bewusstlos geworden, sonderbar nur dass er keine Schmerzen hatte. Er tastete seinen Körper nach Verletzungen ab, doch fand keine. Wo war er und was machte er hier? Und wie war hier hineingekommen? Er lies sein Augen umher wandern doch fand nichts was auch nur entfernt wie ein Eingang aussah.
„Willkommen.“
Thomas schreckte auf und drehte sich um. Dort erblickte er - sich selbst. Die Person die neben ihm stand glich derjenigen, die er jeden Morgen im Spiegel erblickte bis aufs Haar. Sein Doppelgänger trug einen schwarzen Maßanzug und eine lederne Aktentasche, die er neben sich hinlegte, als er sich neben Thomas auf den Boden hockte um auf einer Augenhöhe zu sein.
„Sicher fragst du dich was du hier machst.“
„Wer bist du?“
„Ich bin nichts. Mein einziger Sinn besteht darin hier mit dir zu sein und wenn du so willst bin ich ein Teil von dir, wobei das vielleicht falsch formuliert ist. Vielmehr bin ich eine Art Anwalt, der Tag und Nacht damit beschäftigt ist die Interessen eines einzigen Klienten in einem Gerichtssaal zu vertreten, zu dem dieser keinen Zutritt hat, aber darum soll es hier auch nicht gehen. Hier geht es ausschließlich um dich.“
„Und was ist mit mir?“
„Du bist vor zwei Stunden gestorben.“, antwortete sein Spiegelbild, während er einen Blick auf seine sehr teuer aussehende Armbanduhr warf, als wollte er die Genauigkeit seiner Aussage unterstreichen. Dann fügte er hinzu: „Und zwar an einem Autounfall. Dein Wagen hat die Fahrbahn verlassen und sich mehrmals überschlagen. Dabei wurde die Treibstoffleitung zerstört. Der auslaufende Treibstoff hat sich schließlich entzündet und du bist in deinem Auto verbrannt. Zu diesem Zeitpunkt warst du allerdings bereits bewusstlos.“
Thomas sah seine Hände an. „Ich seh nicht so aus, als wär ich verbrannt“, murmelte er.
„Das ist auch nicht mehr deine sterbliche Hülle“, erwiderte der Fremde, und auf Thomas‘ fragenden Blick hin ergänzte er: „Du befindest dich nicht mehr auf der Erde.“
Thomas sah sich um. „Ist das hier der Himmel“
Sein Alter Ego schüttelte den Kopf.
„Die Hölle?“
Der Fremde lächelte. „Nein. Das Ganze ist wesentlich komplizierter und bei weitem nicht so schwarz-weiß wie viele Menschen denken.“
In diesem Moment kam die ganze Erinnerung zurück. Da war mehr als nur der Autounfall, da war noch Cara. Zwei Jahre lang hatte er darauf gewartet , dass sie sich meldet und dann hatte er sich schließlich endlich überwunden selbst den ersten Schritt zu machen und jetzt war er hier. „Ich kann noch nicht sterben!“, schrie er, packte den Mann an seinem Hemdkragen und schüttelte ihn. „Bringen sie mich zurück!“
Der Unbekannte im Anzug riss sich los und schüttelte den Kopf.
„So einfach geht das nicht.“
„Aber es geht?“ Die Formulierung des Anderen hatte einen kleinen Hoffnungsschimmer vor Thomas‘ Augen aufglimmen lassen.
Sein Doppelgänger zupfte seinen Kragen wieder zurecht. „Bist du dir denn ganz sicher, dass du das wirklich willst?“
„Ja natürlich!“
„Was würdest du dafür tun?“
„Alles.“ „Wirklich alles?“
Thomas nickte und wiederholte nur hohl: „Alles.“
Das weiße Kleid des Mädchens, machte es unmöglich sie rechtzeitig in dem Schneetreiben zu erkennen. Thomas bemerkte sie erst, wenige Millisekunden bevor sein Wagen sie mit sich riss. Ihr zierlicher Körper wurde, wie von überdimensional großen Händen durch die Luft geschleudert und blieb schließlich reglos im Schnee auf der Fahrbahn liegen. Als sein Wagen schließlich zum Stehen kam, riss Thomas die Tür auf, rannte zu ihr und fiel neben ihr auf die Knie. Sie atmete nicht, doch aus ihrem Mund ergoss sich ein dünner Blutstrom, der vom dichten Schnee, in dem sie lag verschluckt wurde. „Was habe ich nur getan?“ Thomas vergrub sein Gesicht in den Händen und als er schließlich wieder aufschaute, sah er einen kleinen Zettel durch die Luft flattern, der neben ihm landete, fast so, als hätte der Wind ihn dorthin tragen wollen. Thomas hob ihn auf und las was dort stand: „Mama, Papa, es tut mir Leid. – Carla“
In dem Moment wo er zu Ende gelesen hatte, fielen bereits die ersten Schneeflocken auf das Blatt Papier und ließen den Namen und danach den Rest der Schrift zu undefierbaren Tintenflecken verschwimmen. Schließlich verlor das Papier auch seine Konsistenz und löste sich auf. Es rann Thomas durch die Hände wie Sand und verschwand als wäre es nie da gewesen.