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Sonntag in Moll
Lore lag noch immer im Bett. Das Läuten der Kirchturmuhr und die schwachen Sonnenstrahlen, die ihr mitten ins Gesicht schienen, deuteten daraufhin, dass es bereits gegen 10 Uhr sein musste. Sie lag in der Fetus-Stellung zusammengerollt und streichelte behutsam die Katze. Ihre Lippen hatten einen salzigen Geschmack, als sie fest darauf biss. Tränen rannen ihr über die Wange und bildeten auf dem frisch bezogenen Laken einen kleinen wässrigen Fleck. Ihr Freund spielte nebenan Gitarre, sang lauthals mit und ahnte nichts von ihren Gefühlen. So gut es ging, konnte sie ihre Traurigkeit vor ihm verbergen oder zumindest überspielen. Wenn sie ihn nicht ansehen oder mit ihm reden konnte, griff sie nach irgendwelchen Dingen oder sortierte hier und da herum, sobald er das Zimmer betrat. Immer, wenn sie in der Küche an ihrem Laptop saß, kam er ab und an zu ihr und gab ihr einen Kuss oder umarmte sie. So schön diese kleinen liebevollen Bemerkungen am Anfang auch waren, wurden sie mit der Zeit zur Routine. Fast mechanisch fühlten sie sich an und Lore verlor allmählich den Glauben an die Ehrlichkeit, die hinter jeder Umarmung steckte. Sie hatte sich schon oft gefragt, warum er ausgerechnet mit ihr zusammen war und das immerhin schon seit 4 Jahren. Er war eher der Typ Rockstar, den jedes Mädchen einfach anhimmeln musste, weil er so geheimnisvoll und so introvertiert ist. Auch Lore empfand so bei ihrem ersten Treffen, aber nach und nach wurde ihr klar: Es gibt kein Geheimnis hinter diesem Menschen und wenn doch, dann würde er es wohl immer für sich behalten. Manchmal konnte sie ihn einfach nicht durchschauen und er würde dies auch nie zulassen. Sie fragte sich oft, was wohl in seinem Kopf so vor sich ging, vor Allem, wenn er bei ihr war. Ihr mangelndes Selbstbewusstsein und eine enttäuschende Erfahrung taten bei Lore ihr Übriges. Hinter jeder Frauen-Bekanntschaft vermutete sie ein heimliches Verliebtsein und obwohl er ihr Gedichte schrieb und kleine Geschenke machte, wollte sie nur auf Worte vertrauen. Doch da kam nichts oder zumindest nicht viel. Die drei magischen Worte hatte er ihr ein paar Mal zu gegebenen Anlässen gesagt, aber sie fand es gut, dass er sie nicht zu häufig benutzte und sie so in eine belanglose Floskel verwandelte. Sie wusste selber nicht, was er noch hätte sagen können. Sie wartete Tag für Tag auf den einen ultimativen Satz, der ihr das Selbstbewusstsein für diese Beziehung vermittelte, was sie so dringend brauchte. Doch was sollte das sein? Die Bezeichnung als Traumfrau? Ein Heiratsantrag? Nicht zu wissen, worauf man eigentlich wartet, stellte für sie auch jetzt die schlimmste aller Qualen dar. Eine Antwort würde sie auch heute nicht bekommen. Nur drei Akkorde in Moll und ein nasaler Ton dringen in ihr Zimmer. „...die Welt soll sich nicht weiter drehen, bevor wir zwei nach Schweden ziehen...“.