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Sonnige Tage
»Wie lange?«, fragte ein großer Mann.
»Zehn Minuten, wenn er bis zum Limit geht.«
»Hmm.«
»Finden Sie das lang?«, wollte der zweite Mann wissen.
»Angemessen, würde ich sagen.«
»So?«
»Naja, genaugenommen habe ich davon keine Ahnung.« Der Große rutschte auf dem Sessel hin und her.
»Ich auch nicht.« Kurze Pause, in der sich der Zweite über den Schnurrbart strich. »In Relation wozu angemessen?«
»Weiß nicht. Talkshow vielleicht?«
»Interessanter Vergleich.«
»Kein guter.«
»Nachrichten?« Wieder ein Streichen über den Schnurrbart.
»Nein. Zu unpersönlich. Promitalkshow?«
»Oh, ja. Das trifft es gut.«
»Vielleicht auch nicht.« Erneutes Rutschen, unsicher, ungeduldig.
»Tja, mir fällt nichts Besseres ein.«
»Mir auch nicht. Aber wie gesagt, ich kenne mich da nicht aus.«
Der Zweite senkte seine Stimme. »Ihr erstes Mal, oder?«
»Ja.«
»Freuen Sie sich. Ich bin jetzt zum vierten Mal dabei, und die weißen Männer sind immer die besten. Das wird ein Spaß.«
»Ein Spaß?«
»Sicher. Man muss nur ganz genau zuhören. Und lernen.«
»Lernen?«, fragte der Große zweifelnd.
»Klar. Passen Sie auf die Details auf. Ich liebe Details, und diese Kategorie liebt sie auch. Das heißt, wir werden sie in Hülle und Fülle zu hören kriegen. Ah. Da kommt er.«
Der große Mann befeuchtete seine Lippen mit der Zunge und presste sie dann gegeneinander.
»Alles ok?«
»Ja. Erinnern Sie sich? Mein erstes Mal.«
Ein kurzes Auflachen, verschwörerisch. »Genießen Sie einfach die Show. Sie müssen nur zuhören.« Der Zweite rieb sich die Hände.
»Ich bin da nicht so sicher.«
»Wieso?«
»Was, wenn mir gefällt, was ich höre?«
»Das wird es nicht. Genau das ist der Trick dabei. Und der Grund, warum man dieses Prozedere überhaupt eingeführt hat. Alle haben etwas davon.«
»Ist das Ihre eigene Meinung?«
»Klar.« Der Mann klopfte dem Großen aufmunternd auf die Schulter. »Lehnen Sie sich einfach zurück und stellen Sie sich einen schwarzen Rahmen um das Ganze herum vor.«
»Wie in einer echten Fernsehsendung?«
»Yep. Es geht los. Oh, ein Prachtexemplar.«
»Wie erkennen Sie das?«
Breites Grinsen. »Mit der Zeit fühlt man so etwas.«
»Sie müssen es ja wissen. Ich bin ein Neuling.«
»Nicht mehr lange, mein Freund.«
»Wenn Sie meinen.«
Das Licht wurde ausgeschaltet, ein anderes grellte auf. Dann begann die Show. Ein falscher Entertainer betrat die Bühne und führte den Gast herein. Allgemeines Murmeln im Publikum, das nach einem Kommentar aus versteckten Lautsprecherboxen erstarb.
Ein junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig, mit schwarzen Haaren und weißer Haut blickte in die Runde. Seine Augen schienen blau zu leuchten, doch das kam wahrscheinlich von den Scheinwerfern, die ihm direkt ins Gesicht strahlten. Er nahm Platz, schien völlig entspannt. Man konnte erkennen, dass er ganz ruhig atmete, und seine Züge drückten Zuversicht aus. Das leise Lächeln wich einem mit dem Mund geformtem O, ein Ausatmen, das den Anfang des Stückes markierte.
»Guten Abend. Ich weiß, dass Sie alle noch etwas anderes zu tun haben, und wahrscheinlich bald wieder bei Ihren Familien sein wollen. Ich will ich Sie daher nicht mit einer langweiligen Vorgeschichte aufhalten. Also keine Erzählungen über die vermurkste Kindheit, über die Schule oder den ersten Gefängnisaufenthalt. All das ist nicht so wichtig. Worum es eigentlich geht, ist, warum ich hier bin, und nicht zwischen Ihnen sitze.
Nun, ich möchte mich kurz vorstellen. Mein Name ist Luzifer. Nicht doch, ich bin natürlich nicht der Teufel. Meine Mutter nannte mich immer so, halb aus Spaß, halb aus Verzweiflung, wie ich heute vermute. Als Kind hatte ich einen Hang zur Zerstörung, und wenn wieder einmal ein Fenster demoliert oder ein Nanopod zerstört waren, schimpfte mich meine Mutter kleiner Luzifer. Vorbelastung, werden Sie denken. Doch ich bin zu einem anderen Schluss gekommen. Geben Sie einer Kuh kein Gras zu fressen, sondern Fischmehl, werden die Tiere zu schwammhirnigen Idioten. Mir erging es nicht anders. Ich weiß heute, wie es zu all dem kam, und warum ich hier sitze.
Sehen Sie, vor etwa zwei Jahren ging es mir sehr, sehr schlecht. Meine damalige Freudin hatte mich sitzengelassen, um Groupie zu werden. Weiß der Himmel, wie sie auf eine derart hirnrissige Idee gekommen ist. Ich fühlte mich ausgehöhlt wie ein Halloweenkürbis, allerdings ohne die brennende Kerze im Inneren. Können Sie sich noch erinnern, damals waren diese Brandings gerade wieder in Mode gekommen. Ein 1990er-Revival. Je größer die Narbe, je höher das Risiko, später einmal gesundheitliche Probleme zu bekommen, desto besser. Ich ging also in ein Studio. ›Berta‹ nannte es sich, und die Inhaberin glich tatsächlich einer bärtigen Lady. Naja, ich wollte eine Veränderung, so schmerzhaft und offensichtlich wie möglich. Und hip war es auch. Dreihundert Euro hat mich die Verstümmelung auf der Brust gekostet, sowie unzählige schlaflose Nächte, in denen ich mich von Bertas Damenbart und einem flammendem Schmerz verfolgt sah. Aber wenigstens war der äußerliche Brustschmerz stärker als der Innere.
›Was für ein Weichei!‹, werden Sie denken. Tja, nach einem Monat dachte ich ebenso über mich.« Kurze Unterbrechung, ein Achselzucken und ein Schluck Wasser.
»Was also konnte ich tun? Mir fiel nichts ein, außer die Tatsache zu akzeptieren, dass ich Laila verloren hatte. Zweimal hatte ich sie schon in der Glotze gesehen. Wie sie mit rosa Plüschhäschenohren und einer Tonne Kajal an irgendeinem Rockstar klebte. Mit den Wimpern klimperte. Kicherte wie ein Schulmädchen. Mit Kniestrümpfen, die einem Hentai entsprungen hätten sein können. Wie sehr hatte sie sich verändert. Früher trug sie höchstens etwas Wimperntusche und Röcke, die mindestens die Hälfte der Oberschenkel bedeckten. Es schmerzte, zusehen zu müssen, wie sich meine süße Maus für so etwas hergab. Aber lassen wir das.
Ich überlegte eine Zeit lang, wie ich mich am besten verhalten sollte.
Ich wollte sie nicht mehr sehen, nicht so. Also meldete ich den Fernsehcomputer ab. Diese drastische Maßnahme barg gewisse Probleme, da ich nicht nur dem Fernseher, sondern auch dem privaten Internetzugang den Rücken kehrte. Glücklicherweise rasselten gerade damals die Internetcafé-Nutzungspreise in den Keller. Sie erinnern sich, als das Preisdumping der Anbieter begann? So ging ich fortan täglich ins Café, checkte meine Mails und einen Espresso dazu. Rick, der Besitzer, wunderte sich bald nicht mehr über meine häufigen Besuche. Es wurde Frühling, dann Sommer. Im Herbst sperrte Rick seinen Laden für zwei Wochen zu, Betriebsurlaub. Zu dieser Zeit war ich nur noch jeden zweiten Tag gekommen, da ich eine erstaunliche Entdeckung gemacht hatte. Vier meiner fünf E-Mail-Adressen ließ ich brach liegen, sie waren bald von Spams überwuchert. Nur eine Adresse zu verwalten bot unglaublich viele Vorteile. Ich führte nur noch zwingend notwendige Konversation. Sie machen sich keine Vorstellung, wie schnell man in Vergessenheit gerät, sobald man sich länger als ein paar Tage nicht meldet. Als Rick den Laden vorübergehend schloss, dachte ich gar nicht daran, in ein anderes Café zu gehen. Was waren schon zwei Wochen?
In diesen Tagen merkte ich auch, wie viel Zeit ich investierte, unnütze Post durchzublättern. Gratiszeitungen mit Kupons, die ich nie einlösen würde, Prospekte, Flyer, Postwurfsendungen. Papier über Papier mit Wurst- und Fittness-Angeboten, allesamt uninteressant und öde.
Ich wagte ein Experiment und investierte die siebzig Euro in einen ›Bitte-keine-Werbung‹-Sticker. Es war eine Offenbarung, und ehrlich gesagt war ich selbst ein wenig erstaunt, wie wenig mir die bunten Blätter fehlten.
Ricks Laden blieb geschlossen. Zu wenig Geschäft, wie ich später erfuhr. Ich machte mir nicht die Mühe, ein anderes Café zu finden. Wozu sollte ich überhaupt noch hingehen? E-Mails waren praktisch, keine Frage. Doch die wirklich wichtigen Dinge wurden immer noch über den guten alten Postweg abgewickelt, und so entschloss ich mich, auch meine letzte E-Mail-Adresse aufzugeben.
Danach habe ich sehr viel Zeit draußen verbracht. Ich kaufte feste Schuhe und einen Schlafsack, packte die paar Arzneien und Pflaster zusammen, die noch in meiner Wohnung herumlagen, und überantwortete mich der Natur. Naja, den paar Resten, die noch übrig geblieben sind, um genau zu sein.
Da mich seit Tagen niemand mehr angerufen hatte, ließ ich das Handy zuhause liegen. Ich wollte mit niemandem sprechen müssen und ihm erklären, was in mir vorging. Ich wollte einfach nur weg und prüfen, wie weit ich käme.
Der Hain am Rande der Stadt roch fremdartig, moosig, erdig. Noch nie war mir aufgefallen, wie viele Vögel unterschiedliche Lieder singen. Der weiche, unebene Waldboden dämpfte meine ungeduldigen Schritte, zwang mich, bedächtig und kontrolliert zu gehen. Schon bald hatte ich einen Rhytmus gefunden, das Seitenstechen ließ nach. Ich trank ein paar Schlucke und ging weiter.
Sie kennen doch sicher das kleine Waldstück, nicht wahr? Und den Tümpel im Zentrum? Glauben Sie nicht auch, dass es darin Fische gibt? Oder Pilze im Gehölz? Vielleicht ein paar Rehe, oder wenigstens ein Karnickel? Natürlich tun Sie das, genauso wie ich und jeder andere. Damals.
Die Wahrheit sieht anders aus. Ich bemerkte das, als mir die Vorräte ausgingen. Ich hatte vorgehabt, die Reste des Toastbrotes, das ich noch hatte, mit einem Stück Fisch oder vielleicht ein paar Beeren aufzupeppen. Wie würden Sie vorgehen? Na?«
Wieder eine Pause, ein Schluck Wasser, ein kurzes Innehalten.
»Es ist völlig egal, was sie denken, welche klugen Einfälle Sie auch haben mögen. Versuchen Sie mal, einen Fisch aufzuspießen, der nicht da ist, weil das Wasser statt Sauerstoff Säure enthält. Versuchen Sie mal, Beeren zu pflücken, dort, wo es nur Staub und totes Gras gibt. Versuchen Sie mal, Vögel zu fangen, die alle mit mutierten Fittichen auf den Ästen hocken und Sie von oben herab auslachen.
Nach vier Tagen akzeptierte ich die Tatsache, gescheitert zu sein. Immerhin wusste ich nun, dass sich ein Schritt zurück viel schwerer bewältigen ließ als Stillstand und passiver Konsum.
Die Pflaster drückten die Blasen an den Zehen und Fersen nieder, mein Rücken schmerzte vom Schlafen auf dem harten Boden. Die Nähte des Schlafsackes waren schon am ersten Tag geplatzt und hatten den Nadeln die Haustür geöffnet.
Hätte ich nicht eine heftige allergische Reaktion gegen den Walddesinfektionsspray bekommen, den ein kleines Segelflugzeug über den Hain prophylaktisch abließ, säße ich wohl nicht hier.
Schwer atmend und mit roten Pusteln übersät war es ein Wunder, dass mich überhaupt jemand in sein Auto steigen ließ und zum nächsten Krankenhaus brachte.
Die Ärztin rügte meine naive Unvorsicht und bestrich die wunden Stellen mit Jod. Ich musste ein paar Tabletten schlucken. Die angebrochene Schachtel packte sie mir zusammen mit einem Rezept in eine kleine Plastiktüte. Ihre Bewegungen erinnerten mich an Laila. Sie lächelte kurz, dann gab sie mir zu verstehen, dass der nächste Patient bereits wartete.
In meinem Postfach hatten sich allerhand Briefe angesammelt. Ich stopfte sie in die Tüte und ging nach oben. Auf dem Fußabstreifer lagen noch mehr. Ich wurde stutzig. Auf dem Türknauf hing etwas. Ich nahm es in die Hand uns stellte beim Hineingehen fest, dass es sich um eine Vorladung handelte. Kennen Sie die ›Zentralstelle für Konsumentenschutz‹? Nein? Wie denn auch, damit kommt man selten in Kontakt. Und auch nur dann, wenn gewisse Umstände eintreten. Nun, bei mir waren sie offenbar eingetreten, denn man forderte mich auf, falls ich noch lebte, einen für morgen angesetzten Termin wahrzunehmen. Ich sei seit Tagen nicht erreichbar gewesen, und daher nahm man an, dass ich bereits ins Gras gebissen hätte.
Die Zentralstelle kümmerte sich rührend um mich, und ab diesem Zeitpunkt ging es mir wieder besser. Ich erhohlte mich, sagte man mir. Man regelte meine Angelegenheiten. Mein Chef zeigte sich einsichtig, verbuchte die Fehltage als unbezahlten Urlaub, und ich konnte weiterhin Sexspielzeuge in dem kleinen, dunklen Kellergewölbe verkaufen, nachdem sich meine Haut regeneriert hatte.
Wochen vergingen, in denen ich wieder lernte, dass es Spaß machte, fernzusehen. Dass E-Mails wichtig waren. Man ließ mir Zeit. Man hetzte mich nicht. Es wurde mir erklärt, dass es nicht gut war, wenn man die Rückführung zu schnell durchzog. Auf mein Nachfragen, was das genau zu bedeuten hätte, gab man sich sehr bedeckt.
Ich verstehe es jetzt. Nun, Sie haben sehr geduldig zugehört. Ich will sie daher nicht mit den zwei folgenden Jahren langweilen. Um es kurz zu machen: Die Zentralstelle hat ihre Arbeit gut erledigt. Wirklich. Ich durfte mich glücklich schätzen, wieder ein geregeltes Leben führen zu können.
Alles schien gut zu sein, bis zu jenem Sommertag. Ich kam gerade aus dem Shoppingcenter. Glauben Sie mir, ich war zu diesem Zeitpunkt wirklich glücklich. Ich hatte alles. Mein Leben war geordnet.
Doch plötzlich war sie neben mir. Die langen, schwarzen Locken hüpften noch genau so wie früher und glänzten in der Sonne. Um ihren Mund hatten sich ein paar Fältchen gebildet. Die Augen konnte ich unter der riesigen Sonnenbrille nicht erkennen, doch sie war es. Laila. Nie würde ich ihre Züge vergessen. Es war, als rollte sich die Zeit zusammen wie eine Zimtstange. Ich wollte sie in den Arm nehmen, sie festhalten und ihr Gesicht mit Küssen bedecken.
Ich stellte meine Einkäufe auf den Boden und lief ihr über den Parkplatz nach. Zu spät erkannte ich, dass sie in Begleitung war. Ich rief ihr nach. Sie zuckte zusammen, hielt aber inne und drehte sich schließlich um.
›Laila‹, sagte ich nur.
›Raphael‹, kam es zurück. O, wie ich diese Stimme vermisst hatte! Sie hatte mich also noch nicht vergessen!
›Wie geht es dir?‹, wollte ich wissen.
Sie legte den Kopf schief und sah mich an. War es Mitleid, das ich da in ihrer Miene zu entdecken glaubte? Oder Abscheu?
›Besser als dir, wie mir scheint. Ich bin berühmt, weißt du.‹
›Berühmt?‹, fragte ich ungläubig.
›O ja. Liest du denn keine Newsletter oder siehst fern?‹
›Weniger oft als früher‹, gestand ich. Ich bin noch nicht vollständig geheilt, dachte ich bedrückt.
›Ich bin Sängerin. Mein Durchbruch steht kurz bevor. Du entschuldigst mich, ich hab noch zu tun.‹ Sie straffte sich und reckte mir ihre Brüste entgegen, bevor sie sich umdrehte.
›Warte!‹, schrie ich ihr nach. ›Können wir uns mal treffen? Nur so? Einfach reden?‹
›Wüsste nicht, worüber‹, sagte sie über die Schulter und schnippte mit den Fingern.
›Aber, wir waren doch mal...‹
›Das ist lange her. Hugo, Igor?‹
Die beiden Bodyguards vereinten sich zu einer schwarzweißen Wand und versperrten mir den Blick auf Laila.
›Lassen Sie die Diva in Ruhe.‹
Die Diva? Hatte sie ihre beiden Muskelpakete angewiesen, sie so zu nennen? Ich empfand Verwirrung und auch etwas Ekel. Plötzlich widerte mich alles an. Mein gesamtes Leben war nichts wert.
Ich hörte wieder ein Schnippen, die beiden Massen setzten sich in Bewegung, kamen auf mich zu, grinsten sich vorher noch kurz an.
›Aber, Laila! Ruf deine Hunde zurück‹, brachte ich heraus.
›Wozu? Ein Trottel weniger auf dem Planeten, wen kümmert das? Und ich kriege endlich die Publicity, die mich berühmt machen wird.‹
›Was?‹
›Bringt es möglichst lautlos über die Bühne, Jungs. Wir werden die Leiche entdecken. Das wird eine grandiose Show!‹
Sie wissen, was danach kam. Die Zeitungen waren voll davon. Man stellte mich als kaltblütigen, dreifachen Mörder dar. Dabei war es Notwehr. Wenn Sie mir einen, nur einen vernünftigen Grund dafür nennen können, warum ich den Minirevolver, den mir der Konsumentenschutz zur Verfügung gestellt hat, nicht hätte benutzen sollen, gut. Aber es war gottverdammte Notwehr. Ich bin nicht stolz darauf, es getan zu haben. Aber mir blieb keine Wahl. Bei Gott, ich wünschte, es wäre anders gekommen.« Wieder eine Pause.
»Wissen Sie, wenn ein Aidskranker seinen Dealer in einer dunklen Gasse killt und es klischeegemäß in Strömen regnet, übersehen die Leute gern, dass es sich dabei um Mord handelt. Aber wenn ein unbescholtener Bürger so was aus Notwehr auf einem sonnigen Parkplatz macht, schreit die ganze Welt auf und gibt die Moralaposteln. Da kann die blutige Pfütze noch so winzig sein. Ich habe so genug von dem ganzen System. Mein Leben liegt jetzt in ihren Händen, liebes Publikum. Entscheiden Sie selbst, ob Sie mir Glauben schenken wollen oder nicht. Ich bin müde. Ich will keine Entscheidungen mehr treffen. Meine Zukunft hängt von Ihnen ab.« Pause, Stille.
»Ich habe von begnadigten Kandidaten gehört, dass sich die Leute fragen, ob die festgezurrten Gurte schmerzen. Nun, ich kann Ihnen versichern, das tun sie.« Kurze Unterbrechnung, verzerrte Gesichtszüge. Augen, die sich schließen und wieder öffnen.
»Bitte entscheiden Sie sich rasch. Ich halte das hier nicht mehr lange durch. Danke.« Ein Lächeln.
Der große Mann hatte dem jungen Mann seine Stimme gegeben. Es hatte nicht gereicht.
Draußen schien die Sonne. Er wählte eine Nummer.
»Hi Schatz«, begann er. »Sag doch bitte meinen Termin bei ›Mo's‹ ab. Ja, den fürs Branding. Ich weiß. Nein. Tu es trotzdem.«
Der Mann klappte das Gerät zusammen und atmete auf. Ein schöner Tag, so friedlich.