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Song Lee Long

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14.08.2001
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Song Lee Long

Song Lee Long - Fluss der neun Drachen

Song LeeLong. Der Fluss der neun Drachen. Die Sonne, ein greller den halben Horizont abdeckender Stern. Carlos sitzt am Steuer und wischt gelangweilt schwarze Fliegen von seinem schwarzen Niggergesicht. Rodriguez tanzt andächtig, versunken in einem Rausch. Sein Bein sieht schlimm aus. Am Ufer winken uns Einheimische zu. Sie winken oder wollen uns täuschen. Die Pest soll sie holen. Rodriguez Körper scheint mit den Elementen zu verschmelzen. Sein Körper zuckt ekstatisch zu exotischen Klängen, die nur er hören kann. Seine Partnerin ist seine Latino-Freundin, die vor einer Woche diesem verdammten Fluß zum Opfer fiel. Rodriguez Lippen bewegen sich lautlos, summen ein klangloses Lied. Sein Blick schwebt irgendwo auf einer blassblauen Marihuanawolke und seine Gedanken ruhen im Inneren eines versiegenden Vulkans. Seine Todessehnsucht ist greifbar nahe.

Doch der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig. Noch brauchen wir ihn. Ihn und seine Sinne. Er und dieser verdammte Nigger sind die einzigen, die mir noch bleiben und die einzigen, die mich hier heraus bringen können und diese verdammte Fernsteuerung. Ich sehe in diesen Dschungel und versuche zu erkennen, was nicht erkannt werden möchte. Ich weiß, dass es da ist. Es beobachtet uns, wartet auf den richtigen Augenblick. Es zeigt sich nicht. Ein unsichtbarer und schier unfehlbarer Gegner, der uns ständig verfolgt, uns auflauert und auf einen Fehler wartet. Er weiß, dass wir diesen Fehler machen werden, so sicher wie das Amen in der Kirche und niemand ist in der Nähe, der uns helfen wird. Die einzige Chance, die wir haben, ist ihm in den Arsch zu treten. Also werden wir das einzig Richtige tun. Wir verstecken uns nicht mehr, laufen nicht davon. Wir zeigen uns, um ihn zu provozieren. Dieses Monster.

Der Dschungel war voll von kleinen häßlichen Kröten, die alle darauf scharf waren, dir die Machete durch deine Eingeweiden zu ziehen.

„Sag´ diesem verdammten Penner, dass er sich an die Susi setzen soll!“ Carlos ungehaltener Schrei galt dem doppelläufigen Automatik-Gewehr des Kampfbootes, was einsam von den aufschlagenden Wellen hin- und her geschaukelt wurde. Weder Rodriguez noch ich sahen einen Grund darauf zu reagieren. Rodriguez tanzte und ich sah in den Dschungel und wartete darauf, dass was passierte.
„Hör´ auf damit! Du Großstadtyuppie-Schwuchtel. Setz dich auf deinen Arsch! Er ist ganz in der Nähe. Ich kann ihn verdammt nochmal spüren.“ Rodriguez konnte ihn nicht hören, da er sich auf einer anderen Milchstraße befand. Während er fortwährend auf der selben Stelle tänzelte, bewegten sich seine Arme wie Schlangen zu einem verschreckten Häschen. Sein Gesicht war müde und wirkte eingefallen, seine Augen jedoch waren hellwach. Er sah zu einem toten Latino-Mädchen, deren sanfte Finger sein Gesicht zu berühren versuchte und es nicht konnten.

Carlos verließ das Führerhaus und stapfte auf Rodriguez zu. Er spuckte eine Fliege aus, die sich in seinem Mund verflogen hatte. Er packte Rodriguez an den Schultern und riss ihn herum.
„Verdammt noch eins. Das hier ist kein Spiel.“ Er streckte den ihn müde anblickenden Rodriguez mit einem Kinnhaken nieder. „Es tut mir leid....das mit Larissa. Scheiße! Das war nicht okay. Aber, ich habe keinen Bock nur weil du unbedingt jetzt trauern musst, ins Gras zu beißen. Also reiß dich gefälligst zusammen.“

Carlos durchwühlte seine Taschen, fand Marihuana und eine halbe Flasche Whiskey.
„Wegen diesem Scheiß hier, werden wir alle verrecken.“
Selbst nach diesem Niederschlag zeigte Rodriguez nicht die geringste Regung. Es war, als hätte er mit dem Leben abgeschlossen und wartete nur noch darauf, dass ihn jemand begrub.
Carlos warf die Flasche Whiskey zu Boden und die Drogen über Bord. Hunderte scharfkantige Scherben lagen nun verteilt auf dem Deck und funkelten böse durch die grell strahlende Sonne.

Carlos half dem trübe dreinblickenden Rodriguez wieder auf die Beine. Er stieß ihn zu der Susi, die uns schützte und hütete wie eine besorgte Mutter, die unsere Gegner in den Arsch trat und ihnen den Kopf wegpustete, wenn sie uns zu nahe kamen.
Er hatte Recht, es war ganz in der Nähe. Ich konnte es so deutlich spüren, dass ich glaubte es jeden Moment hinter dem nächsten Baum entdecken zu können. Ich war mir sicher, Alkohol würde nicht der Grund sein, weshalb wir sterben würden. Wir würden sterben, weil wir zuviel Schuld auf uns geladen hatten und uns einen Gegner ausgewählt hatten, der uns einfach überlegen war.

**********

Gutes Material ist schwer zu finden, dachte Ben und konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Diese Worte hatte General Hooker zu ihm gesagt, bevor er ihn in diesen Einsatz schickte. Nun lag er im Tarnanzug gemeinsam mit vier weiteren Kameraden geschützt von hohen Hecken im Gras und wartete darauf, dass es dunkel wurde. Aber es würde nicht dunkel werden. Irgendein Idiot hatte diesen Einsatz vollkommen verplant. Es war eine sternenklare Nacht und es war Vollmond.

Ein hell erleuchteter Mond schien zu ihm herab und schien ihm zuzurufen und zuzuwinken. „Diese Mission wirst du nicht erfolgreich durchführen. Diesmal nicht.“ Und er lachte sein dreckigstes Lachen. Ben nahm den Feldstecher zur Hand und linste zum Objekt, ein einsames Landhaus mitten in der Pampa. Keine Zufahrtstraße, keine Nachbarn, nichts was auf zivilisiertes Leben hindeutete und doch, es brannte Licht im Wohnzimmer und die erste Etage war ebenfalls hell erleuchtet. Das war ganz und gar nicht das, was geplant war. Da hatte jemand Mist gebaut. Abbrechen, dachte er. Abbrechen und den nächsten Tag abwarten. Ben wußte, dass diese Gedanken ihm nichts bringen würde. Zu deutlich erinnerte er sich an die Worte des Generals: „Der Erfolg dieser Mission – dieses Projekts ist ganz allein von dem Gelingen der heutigen Aktion abhängig. Ein Misserfolg ist nicht akzeptabel.“ Er wusste was das bedeutete.

In der obersten Etage wurde das Licht gelöscht. Es wurde Zeit zu handeln.
Nach einem kurzen Funkspruch zu seinen Kollegen, erhob sich Ben vom Boden und lief, die Beretta im Anschlag auf das Gebäude zu. Seine Kameraden taten es ihm nach und strömten sternförmig auf das Haus zu. Ben stand vor der Eingangstür und wartete auf das Zeichen. Sämtliche Fluchtwege waren versperrt. Sein Adrenalinspiegel stieg. Er klingelte. Doktor Kingsley a. D. stampfte, wütend darüber, dass man ihn um so eine Uhrzeit behelligte zur Eingangstür. In dem Moment, als Herr Kingsley die Tür öffnete, wurden die Fensterscheiben eingeschlagen und Blendgranaten in die Wohnung geworfen. Ben rammte den Doktor mit der Türe, stieß ihn in die Wohnung und drückte ihn zu Boden, wo er ihn mit seinen Knien fixierte.

„Was wollen Sie von mir?“, stammelte der am Boden Liegende.

Ben ignorierte die Frage, stattdessen blökte er in das Funkgerät: „Fox1: Status...Fox2: Status!!“ „Zwei Objekte in Etage eins gesichert.“ „Ein Objekt im Wohnzimmer gesichert!“
„So eine verdammte Scheiße!“, konstantierte Ben. „So ein Mist!“
„Was wollen Sie? Geld? Ich kann Ihnen Geld geben!“, bettelte der Doktor.
„Was sollen wir tun?“, erklang es aus seinem Funkgerät.
Ben zögerte. Er hielt dem Doktor die Pistole an die Schläfe. „Wer sind die?“
„Oh, nein! Bitte nicht.“
Ben spannte den Abzug. „Ich hab´s eilig.“
„ Das ist meine Tochter Susann. Sie und ihre zwei Töchter. Maggie und Ellen. Sie sind zu Besuch da.“
„Verdammt!“ Ben strich sich über die Stirn. „Was sollen wir mit ihnen machen?“, krächzte es aus dem Funkgerät.
Ben war ganz dicht davor, jeglichen Mut zu verlieren und an dieser Verantwortung zu verzweifeln. Was sollen wir mit ihnen machen?
Er stöhnte hörbar auf. „Ok. Eleminiert die Objekte....“
„Nein!“ Der Aufschrei des Doktors ging im Pistolenfeuer unter.

Nur wenige Sekunden prasselten die Schüsse auf die kleinen Körper nieder um deren Leben ein abruptes Ende zu bereiten. Dann folgte eine Stille, die wie eine enormes Gewicht auf Bens Körper lastete. Objekte, Menschenmaterial, dachte er, nichts weiter.

Wieder ertönten Schüsse. Ben brüllte ins Funkgerät: „Was soll diese Scheiße!“ Er wusste, dass er seine Nerven nicht mehr unter Kontrolle hatte. „Ein Objekt hat sich noch bewegt.“

Sie verließen das Gebäude, machten den Männern des Räumkommandos platz, die sich um die juristisch Einwand freie Erledigung der Aktion kümmern würden. Ben wusste es aus ähnlich verlaufenen Aktionen zuvor. Die Öffentlichkeit würde es als kollektiver Selbstmord oder Amoklauf eines verzweifelten Vaters wahrnehmen. Beweise würden auftauchen, die belegen würden, dass er Depressiv war, Schulden hatte und mehrere Flaschen Whiskey täglich konsumierte. Kein Wort von einer geheimen Aktion einer Organisation, deren Existenz noch nicht einmal dem Präsidenten bekannt war.

Dr. Kingsley, dem man einen braunen Sack übergestülpt hatte, stolperte vor ihnen schreiend und zeternd her. Ben stieß ihn vorwärts, wartete, bis er den Rand des offenstehenden Transporters erreicht hatte, umschloss mit seiner rechten Hand den Lauf seiner Pistole und schlug ihm mit dem Knauf ins Genick. Dr. Kingsley fiel wie ein nasser Sack nach vorne, so dass sein Oberkörper auf der Ladefläche des Transporters landete. Zwei Soldaten zogen ihn hinein. Ben sprang auf und gab dem Fahrer ein Zeichen zur Abfahrt. Der Transporter fuhr los und während Ben den Blick zurück scheute, sah Rodriguez, ein Frischling, an ihm vorbei hinaus auf das einsame Landhaus. In seinem Blick teilten sich Kummer und Schmerz.

„Du gewöhnst dich daran!“, sagte Ben. Rodriguez, der ihn zunächst nicht registrierte, blickte ihn nun verständnislos an und schüttelte den Kopf.
„Es waren doch Kinder“, flüsterte er.

„Ja. Scheiße. Da hat jemand Mist gebaut und ich werde persönlich dafür sorgen, dass dieser jemand dafür büßen wird. Das wird nicht ungesühnt bleiben, Kleiner.“ Er wusste, dass er das nur sagte, um ihn zu besänftigen. Niemand würde für sie büßen können.

Im Hauptquartier angekommen, befehligte er Rodriguez sofortige Bettruhe. Mit einer ordentlichen Portion Wut betrat er das Büro von General Hooker.
„Ah, mein bester Krieger. Treten Sie ein. Setzen Sie sich.“ General Hookers Büro glich den Büros anderer Stabsleiter. Ein ausladener Bürotisch, zwei begrenzende Grüngewächse und ein von schlechtem Geschmack zeugendes Gemälde an der Wand. Ben saß an dem Bürotisch und sah zu General Hooker, der auf ihn den Eindruck machte, als ob er genau wusste, was er dachte, der zwei Züge weiter war, noch bevor er einen Satz ausgesprochen hatte.

Sein schlohweißes Haar und seine gepflegte Erscheinung wirkten durch die Uniform wie ein monumentales Abbild eines Herrschers, eines großen Feldherrn. Er hingegen, in seinem verdreckten Tarnanzug machte dagegen eine ziemlich lächerliche Figur.

„Ich habe gehört, Sie waren erfolgreich? Prächtig, prächtig“, freute sich der General.
Ben sprang von seinem Stuhl auf und wollte seinen Unmut freien Lauf lassen, doch der General hielt ihn zurück. „Bleiben Sie sitzen, junger Freund. Ich weiß, dass sie zu Recht wütend sind. Wütend, darüber, dass der Einsatz nicht gut vorbereitet war, dass mehr Personen anwesend waren, als geplant war. Wütend, dass Ihre Kameraden völlig unnötig einer Gefahr ausgesetzt waren, die wir hätten vorraussehen müssen – nein, verhindern müssen. Doch glücklicherweise waren es in diesem Fall nur Kinder – nicht wahr?“ Der General kramte eine Holzschachtel hervor und bot Ben eine Havanna an. „Rauchen Sie?“

Ben rauchte normalerweise nicht, wusste aber, was ihm der Anstand gebot, wenn ihm der General eine seiner Lieblingszigarren anbot, also nahm er sich eine. „Wissen Sie, Ben, dieser Einsatz war eine Fehlleistung irgendeines Stabsoffiziers, der morgen schon nicht mehr hier sein wird. Also vergessen Sie es. Haken Sie es ab. Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns Fehler vorzuhalten, Fehler, die nicht passieren dürfen, aber dennoch geschehen. Sie und ich, wir beide haben für diese Mission zu hart gearbeitet, als dass wir uns von solchen Widrigkeiten, tragischen Missgeschicken, ablenken lassen. Wir haben ein gemeinsames Ziel und das dürfen wir nicht – niemals! – aus den Augen lassen. Vergessen Sie das nicht.“

Ben ertappte sich dabei, wie er die Worte des Frischlings wiederholte: „Es waren noch Kinder.“ Ein Vergessen würde nicht eintreten und auch der General bot ihm keine Vergebung an. Der General blickte aus dem Fenster und rieb sich die Stirn. „Tragisch, ja.“ murmelte er. „Ich erwarte Ihren vollständigen Bericht, bis morgen.“

Ben verließ das Büro, ohne seine Wut losgeworden zu sein, mit dem Gefühl, als hätte er gerade seine Seele verkauft. Auf dem Gang stieß er versehentlich gegen Miller, einem jungen Amerikaner, der zu den Putzkolonnen gehörte, die das Gebäude einmal wöchentlich reinigten. Millers Entschuldigungen wurden von Ben ebenso wenig wahrgenommen wie seine ganze Person. Es war, als wäre er gar nicht vorhanden.

Miller war ein anständiger Mensch und ein guter Amerikaner. Er wusste, was sich gehörte und was er durfte. Er war auf diesem Stützpunkt nur ein geduldeter Gast. Er sorgte dafür, dass die Böden sauber und die Toiletten gereinigt waren. Keine bedeutende Aufgabe, aber wie sein alter Herr immer zu sagen pflegte: Auch in der noch so unbedeutensten Aufgabe, vermag ein ehrlicher Mensch Großes zu leisten.

Er war der Ansicht, dass man alles im Leben – und schien es noch so unbedeutend und gering – mit aller Liebe und Hingabe machen sollte, sonst wäre das Leben eine reine Zeitverschwendung. Miller putzte mit Inbrunst die Böden, wusch mit aller Liebe die verdreckten Toilettendeckel und schmachtete bei dem Gedanken an das wohlgeformte runde Becken Vu Minhs, einer niedlichen, viel zu jungen Vietnamesin, die ihn während dieser Zeit auf dem Stützpunkt das Leben versüßte und die seinen Nachwuchs in sich trug, von dem er allerdings noch nichts wusste.

Gott sei Dank hatte er eine Möglichkeit gefunden, Vu Minh vorbei an den Sicherheitsleuten in den mit hohen Stacheldraht umzäunten Gelände zu schleusen, ohne dass es jemand mitbekommen mußte – und das war gut so. Ganz offensichtlich hatte das Militär etwas gegen jegliche Eindringlinge und bei Einheimischen waren sie ganz besonders darauf erpischt, sie von dem Gelände fernzuhalten. Niemand sollte mitbekommen was hier vorging.
Miller war nun schon seit über drei Monaten auf diesem Stützpunkt. Von gelegentlichen Freigängen ins nahegelegene Dorf, bei denen er unter anderem Vu Minh kennengelernt hatte, abgesehen, wurde er hier festgehalten wie ein Strafgefangener. Und obgleich er über gute Augen verfügte und sich schnell einen Reim machen konnte, wusste weder er, noch irgendwer sonst, den er bis zu diesem Zeitpunkt gesprochen hatte, was hier wirklich vorging. Eines war nur gewiss – es war Top Secret.

**********

Song LeeLong, die Schlange, zog unser kleines Boot immer tiefer in ihren Schlund. Der Flusslauf war an manchen Stellen so verengt und das Wasser stand so niedrig, dass eine Umkehr unausweichlich schien. Dennoch fuhren wir weiter, immer tiefer in den Dschungel. Das ominöse Dunkel der Nacht verwandelte den Wald in finstere Kreaturen. Rodriguez hielt eine Fackel in der Hand und versuchte das Ufer auszuleuchten. Ein ums andere Mal verwandelten sich die Kreaturen des Dschungels in harmloses Geäst, manchmal jedoch waren es Leichen von getöteten Soldaten, deren Gedärme aus den schlaffen Körper krotesk heraus hingen.

Ich hatte seit drei Tagen nicht mehr geschlafen und allmählich wurde ich das Gefühl nicht los, dass mir das noch zum Verhängnis werden könnte. Nach Einschätzung meiner Karten würden wir bald – sehr bald – unser Ziel erreicht haben. Ich sollte mich freuen. Aber die Ereignisse der letzten Tage, der Kampf mit dem Fluss, die Auseinandersetzungen mit den Viet-Kongs, der Tod von Larissa; all das zerrte so sehr an meinen Nerven, dass ich mir wünschte, dass wir das Ziel erst morgen erreichen würden – oder besser nie.
„Scheiß Dschungel!“ Carlos hielt das Steuer fest in der Hand, war ganz nach vorne gebeugt und blinzelte in die Dunkelheit.

„Hör auf da herum zu hampeln...weiter links...verfluchte Scheiße...da hätte es uns beinahe erwischt. Du mußt weiter nach hinten. Wie soll ich denn was erkennen können, wenn du hier vorne herumhampelst?“
Sonnyboy Rodriguez tat sein bestes, um den wilden Anweisungen Carlos nachzukommen.
Er lief nach vorne und blickte gleichzeitig zu Carlos, um auf das nächste Kommando reagieren zu können.
Den Uferrand nahen Baum mit den sehr tief hängenden schweren Ästen, konnte er nicht rechtzeitig erkennen.

Nach einem halben Salto rückwärts landete Rodriguez auf seinem Rücken. Ohne die zusätzliche Beleuchtung der Fackel sah Carlos nicht, dass wir schon viel zu nahe am Uferrand waren. Er bemerkte viel zu spät, die drohende Gefahr. Hektisch riss er das Steuerrad herum, legte den Rückwärtsgang ein und ließ ein Stoßgebet zum Himmel.

Das Boot fraß sich in die Sandklippe und blieb stehen. Carlos startete erneut den Motor und versuchte das Boot heraus zu bekommen. Der Motor heulte auf, aber das Boot blieb stecken.
„Wir sollten ne Pause einlegen. Morgen früh versuchen wir das Baby herauszubekommen.“, sagte Carlos.
„Nein“, war meine kurze Antwort.
Er wollte protestieren, hielt aber inne, als er sah, wie ich die Flasche Whiskey von der Bordkiste ergriff und einen kräftigen Schluck davon trank.
„Wie weit noch“, fragte er.
„Wir sind ganz nahe dran. Wir werden den Rest zu Fuß gehen.“
„Durch den Dschungel?“
Ich nickte.
Carlos entriss mir die Flasche und trank den Rest.

Mein Blick streifte über das Wasser in das tiefe Dunkel des Dschungels. Ich versuchte ihn hinter einem der Mangroven-Bäume aus zu machen, doch es war zu finster. Ich sah nichts anderes, als die schwerbeladenen Äste der Bäume, die wie eine Mauer das Tor zur Hölle schützten. Innerlich ob der verdammten Dunkelheit fluchend, fiel mein Blick auf den seltsam verkrümmten Körper Rodriguez, der keinerlei Anstalten machte, aufzustehen.
„Sieh´ mal nach dem Kleinen“, wies ich Carlos an.
Carlos sah zu ihm hinüber, sah mich an und schüttelte den Kopf. „Der wird sich nur ein wenig ausruhen.“
Ich hatte keine Lust darauf zu warten, bis Carlos sich endlich entschließen würde, nach ihm zu sehen, also ging ich selbst. Rodriguez lag zwischen zwei schweren Kisten und machte den Eindruck, als schliefe er.

„Was habe ich gesagt“, hörte ich Carlos Stimme, der sich mir näherte, „er schläft.“
Ich blickte ihn scharf an. „Ach ja?“ Ich beugte mich zu Rodriguez hinunter, horchte nach seiner Atmung, fühlte seinen Puls. „Was soll das?“, fragte Carlos.
„Der wird schon wieder!“

Obwohl sein Körper auf den ersten Blick unversehrt aussah, entdeckte ich, wie sich ein feuchter, dunkler Kranz um seinen Kopf gebildet hatte. Ich wendete den schlaffen Körper und beleuchtete mit der Fackel die Stelle. Eine große Scherbe hatte sich in den Kopf gebohrt. An dem einen Ende tropfte das Blut und das andere Ende war zwei Zentimeter in Rodriguez Gehirn. Carlos sah angewidert weg.

**********

Der Geruch, der in dem kleinen abgedunkelten Raum hing wie eine dicke giftige Wolke, erinnerte sie stark an verbranntem Gummi. Vu Minh kauerte auf dem Boden hinter einem Behälter, dessen Oberfläche sie mit ihrer Wange sanft berührte. Es fühlte sich glatt und geschmeidig an. Sie vermutete, dass es ein großer Glasbehälter sei, an den sie sich lehnte, wusste es aber nicht, da es stockfinster war.

Miller hatte sie hier eingesperrt mit dem Versprechen so schnell wie möglich wieder bei ihr zu sein. Ungeduldig fuhr sie sich durch ihre langen pechschwarzen Haare. Konnte sie ihm trauen? Er war ein guter Mann und ein zärtlicher Liebhaber, ein wenig ungeschickt zwar, aber er hatte echte Gefühle für sie. Er würde sie mitnehmen nach Amerika oder besser in ein anderes Land und sie heiraten. Sie würde ihm viele Kinder schenken und ihn glücklich machen, so, wie es sich für eine gute Ehefrau gehörte – das hoffte sie.

Es würde ihm nichts ausmachen, dass er fortan mit einer Vietnamesin zusammenleben musste. Den Blicken von boshaften Menschen, die intollerant und demütigend sein würden, würde er standhalten. Er würde sie vor all dem beschützen und nicht, wie ihr Vater sagen würde, die amerikanische Feigheit an den Tag legen, wie er es von ihnen gewohnt war.

Er war anders, fürsorglich und umsorgend, kein Feigling sondern ein wahrer Held. Keiner dieser Männer, die eine Waffe benötigten um ihren Heldentum zu beweisen, sondern ein echter Mann, ein starker Beschützer. Sie wusste, dass es naiv gedacht war und wenn nur die Hälfte davon stimmte, konnte sie sich glücklich schätzen. Aber was hatte sie auch für eine andere Wahl. Es gab keine andere Alternative. Im Namen ihres ungeborenen Kindes musste sie es zumindest versuchen, anderenfalls hieße die Alternative, den Bastard in ihrem Dorf alleine aufzuziehen. Was das für sie bedeutete, mochte sie sich gar nicht erst vorstellen.

Vu Minh zuckte zusammen, als mit einem plötzlichen Ruck die stählerne Tür aufgestoßen wurde. Ein fahler Lichtschein drang in den Raum und gleich darauf traten drei Gestalten in den Raum. Vu Minh drängte sich noch mehr an den Behälter und hoffte, dass man sie nicht entdecken würde.

„Verschließen Sie die Tür!“ Ein junger Offizier sprintete zur Tür und tat das, was General Hooker ihm befohlen hatte. Mit einem dumpfen Geräusch fiel die Tür ins Schloss. Es war wieder dunkel. Einer der Männer schaltete eine Taschenlampe ein, die eine diffuse Helligkeit im Raum erzeugte.

Vu Minh kannte keinen der Männer. Anhand ihrer schmucken Uniformen und ihrem Gehabe mussten es dem Rang nach höher gestellte Soldaten sein. Sie unterhielten sich leise, gerade so, dass Vu Minh es verstehen konnte, aber warum schaltete niemand das Licht ein? „General...“, begann der erste, „man beginnt sich ernsthaft zu sorgen.“ Seine Stimme klang einerseits um Vergebung bemühend, andererseits hatte sie auch etwas Bedrohliches an sich. „Man ist sich nicht sicher...“ General Hooker unterbrach ihn.„Sprechen Sie ruhig weiter. Ich bin sehr gespannt, was diesen Sesselfurzern diesmal nicht passt.“
„Sie müssen es verstehen...“, setzte er erneut an.
„Verstehen? In Zeiten wie diesen geht es nicht darum zu verstehen, sondern nur noch darum, dass man handelt.“
„Immerhin hat man sehr viel investiert und man...“
„Und es ist gut angelegt. Vertrauen sie mir. Jetzt hören Sie mir mal ganz genau zu. Wenn sich einer der Herren jemals hierher bemühen würde, dann würden sie die Größe dieses Projekts erst richtig einschätzen können. Ich habe genug von diesem ängstlichen Altweibergeschwätz! Kommen Sie! Na, los.“ Er entriss dem jungen Soldat die Taschenlampe und beleuchtete den Behälter, neben dem sich Vu Minh versteckt hielt.
Der Offizier stöhnte hörbar auf. „Oh, mein gütiger Gott!“, jammerte er, „was haben Sie getan?“
„Da staunen Sie? Nicht wahr?“, triumphierte Hooker. Vu Minh war übel. Ihr war, als säße sie wie ein unschuldiger Engel im Fegefeuer, umzingelt vom Bösen.

Sie starrte auf die blanken Füße eines in einer Art Wasserbehälter aufbewahrten männlichen Person. Die Arme hinter dem Rücken zusammengebunden, konnte er geradeso seinen Kopf über den Rand des Wasserbeckens halten, um dort den ersehnten Sauerstoff zu atmen, den er so dringend benötigte. Er schien zu brüllen und schreien, doch kein Ton kam nach außen. Er war in einem nassen Sarg gefangen. Vor lauter Schmerz und Leid waren seine Augen rot angelaufen. Das Schlimmste jedoch waren die vielen Schläuche, die in seinen Körper oder aus seinem Körper hinaus führten.

Der General lachte amüsiert und beleuchtete einen anderen ebenso schrecklichen Behälter und einen weiteren.
„Das müssen ja über ein Dutzend sein“, rief der Offizier aus. „Genaugenommen sind es 14. Uns fehlt noch ein Kandidat und wir können damit beginnen.“ „Womit“, fragte der Offizier verzweifelt. „Was haben Sie mit denen vor?“
Der General stutzte. „Sagen Sie mal. Kann das sein, dass die Herren dort oben ihnen überhaupt nichts gesagt haben? Sie haben ja absolut keinen blassen Schimmer.“
„General Hooker“, sagte der Offizier mit verunsicherter Stimme, „ich habe keine Ahnung, was Sie hier treiben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es von denen abgesegnet war. Was auch immer Sie hier vorhaben, ich verlange eine Erklärung.“

„Die sollen Sie bekommen. Doch zunächst beantworten Sie mir doch mal eine Frage.“
Es trat eine Stille ein, die nur durch ein Räuspern des Offiziers unterbrochen wurde.
„Welche?“
„Sie sind Amerikaner, nicht wahr?“
„Jawohl Sir, seit der drittten Generation, Sir.“
„Das trifft sich ja blendend. Offenbar, sind die Herren etwas schlauer, als ich dachte.“ Der Offizier sah den General an und verstand nicht, was er damit meinte. „Würden Sie mir jetzt bitte verraten, was Sie hier vorhaben?“
„Aber natürlich“, säuselte er und seine Stimme hatte etwas so furchterregendes, dass sich Vu Minhs Nacken-Haare aufstellten.
Das nächste, was Vu Minh vernahm, war das Geräusch eines dumpfen Schlages, und ein leises Stöhnen des niedergeschlagenen Offiziers. Der junge Offizier, der zuvor pflichtbewusst die Tür verschlossen hatte, hielt die Taschenlampe gleich einem Schlagwerkzeug in seiner Hand und sah zu dem Niedergeschlagenen hinab. „Was werden die Herren dazu sagen?“
„Machen Sie sich da mal keine Gedanken, Ben. Er wurde von ihnen geschickt und ich bin mir sicher, dass sie absolut nichts dagegen haben werden. Opferbereitschaft, Ben. Opferbereitschaft.“

Vu Minh zitterte. Ihr ganzer Körper schien vor der drohenden Gefahr zu beben. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Bloß keinen Fehler machen, sonst wäre sie die Nächste.
Der beflissene Soldat entkleidete den Niedergeschlagenen, zog ihm Hemd, Schuhe und Hose aus, bis er völlig nackt war. Dann half ihm der General, ihn in einen leerstehenden Behälter aufrecht hinzustellen. Es schien schwierig zu sein, da der Körper immer wieder in sich zusammensackte. Doch Dank einiger grausamen Halterungen schafften sie es schließlich doch. Seine Gliedmaße wurden in Eisenkrallen gelegt, die sich unerbittlich um das Gelenk schlossen, zu drückten, bis sie auf die Knochen stießen.

Vu Minh konnte das Stöhnen des Erwachenden vernehmen. Die Eisenkrallen fuhren auf Schienen an den oberen Rand des Gefäßes und zogen den Ärmsten mit. Oben angekommen rasteten sie hörbar ein. Dann sah Vu Minh wie das Gefäß geflutet wurde. Wasser umströmte in sekundenschnelle den eingekerkerten Körper. Was dann passierte, würde Vu Minh niemals vergessen. Der fleißige Helfer betätigte unter den Augen des Generals einige Schalter am Gefäß. Augenblicklich schossen Schläuche mit wiederwärtigen spitzen Metall-Enden in das Gefäß und schlugen in den armen Körper hinein, als wäre er kein Widerstand. Der Körper zuckte bei jedem neu herausschießenden Schlauch.

Die Augen des Ärmsten waren wie sein Mund vor Schmerz und Entsetzen weit aufgerissen. Vu Minh drehte sich weg, konnte diese furchtbare Szenerie nicht mehr länger mit ansehen. Sie versteckte ihre Augen hinter ihren Händen und schluchzte leise vor sich hin. Sie bemerkte nicht, wie der fleissige Helfer sich zu ihr drehte, wie er bemerkte, dass sie nicht alleine im Raum waren. Er bewegte sich auf sie zu, ohne dass sie etwas davon mitbekam.

Vu Minhs Handinnenflächen waren feucht, sie schmeckte das Salz ihrer Tränen auf ihren Lippen. Es erschien ihr so sinnlos. Sie blinzelte durch ihre Hände hindurch, als sie die Helligkeit bemerkte. Helligkeit, die von der Taschenlampe des fleissigen Helfers ausging. Er hatte sie entdeckt.

**********

In sicherer Entfernung kauerten wir hinter Büschen und sahen auf das vor uns liegende Dorf. Ich schaltete meine Taschenlampe ein und leuchtete in den Dschungel. Ich hoffte, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag und das Monster nicht hinter uns auftauchen würde.
Riesige Äste wurden durch den kaum spürbaren Wind hin- und herbewegt. Aus dem Dschungel drangen geisterhaft wirkende Gesänge, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Carlos blickte wild um sich. Seine Angst war trotz seiner enormen Größe und physischen Stärke greifbar. „Wo ist es“, fragte er. Ich reagierte nicht, da ich keine Ahnung hatte. Eigentlich hätte es hier sein müssen. Ich blickte auf die Fernsteuerung und überprüfte die Koordinaten. Alles stimmte. „Es ist ganz in der Nähe“, hauchte ich ihm zu. Dabei stellten sich mir die Nackenhaare auf. „Das heißt, du weißt es nicht.“ stellte er fest. Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. „So ein verdammter Mist“, fluchte Carlos, „du hast doch dieses Fernsteuerungs-Gerät. Du musst doch wissen, wo es ist“, schrie er mich an.

Ich konnte seine dick angeschwollenen Adern am Hals erkennen. „Es ist noch nie getestet worden. Wenn dieses Gerät überhaupt funktioniert, dann nur bedingt.“
„Das ist mir zu hoch. Tut mir leid, Ben, aber ich mache nicht mehr mit. Ich verschwinde und wenn du an deinem Leben hängst, dann machst du das gleiche.“ Carlos stand auf und machte ein paar Schritte rückwärts, bis er sich umdrehte und davonlief. Ich fluchte innerlich, da ich es ihm nicht verdenken konnte und am liebsten mit ihm gelaufen wäre. Besser, als hier herumzuliegen und zu warten, aber ich konnte nicht.

Ich leuchtete ihm noch eine Weile nach, sah, wie er immer tiefer und tiefer in den Dschungel rannte, wie das Dunkel des Waldes ihn völlig umschloss und er mit den geisterhaften Ästen des Dschungels verschmolz und dann sah ich es.

**********

„Können Sie mich hören?“ General Hooker hielt ein Mikrofon in der Hand und betrachtete es unsicher. „Keine Sorge..“, sagte Ben, „sprechen Sie ruhig.“ General Hooker spannte seine Schultern und atmete nocheinmal tief ein, bevor er begann. „Werte Anwesende. Ich weiß, dass die Situation, die missliche Lage, in der sie sich befinden nicht sehr angenehm für sie ist und dennoch sollten sie in dieser Stunde ihres bevorstehenden Todes einen Stolz in sich spüren.“

Der General machte eine Pause und blickte um sich, sah in die Gesichter der in den Glassärgen Gefangenen, streifte Vu Minh, die gefesselt an einem Behälter lehnte und sprach weiter. „Wir befinden uns im Krieg und anders als es der Öffentlichkeit bekannt ist, kann Amerika nur noch ein Wunder zu einem Sieg verhelfen. Dieses Wunder wird durch ihren Einsatz ermöglicht. Sie werden Teil des Wunders werden. Dank der enormen Leistung amerikanischer Wissenschaftler ist es uns gelungen, den perfekten Krieger zu entwickeln. Ein Kämpfer, der weder Schmerz noch Skrupel kennt und dabei hundertmal stärker und effektiver ist als ein Mensch. Der einzige Haken ist, dass wir Sie benötigen. Fünfzehn Amerikaner, die an der amerikanischen Sache interessiert sind und die das Aggressionspotential beherbergen, um diesen Kämpfer zu füttern.“ Der General hielt einen Moment inne, blickte um sich, zog eine Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke, die er eigens für diesen feierlichen Moment eingesteckt hatte und zündete sie sich an.

„Sie werden in die Geschichte eingehen“, jubilierte er. Er gab Ben ein Zeichen, woraufhin er einige Schalter umlegte. „Was sie gleich spüren werden, meine Herren,..“, setzte der General fort, „das sind kleine Bohrer, die von oben auf ihren Kopf abgelassen werden. Keine Angst! Sie werden es nicht überleben. Anschließend wird aus allen Schläuchen ein spezielles Gas entweichen, das im Augenblick ihres Todes den Adrenalinstoß verdreifachen wird.“

General Hooker verschränkte die Arme hinter den Rücken und wippte auf den Fersen. „Das ist dann der Augenblick der Geburt des ´nationalen Helden´. Die unbesiegbare Kampfmaschine.“
Ben brauchte nur noch einen einzigen Knopf zu betätigen – einen einzigen. Ben starrte den Knopf an, blickte stur auf die glatte Oberfläche. Die Zeit schien still zu stehen. Was sollen wir tun? General Hooker erkannte das Zögern seines besten Kriegers. Er schwankte und würde gleich umkippen. „Was ist los, Ben?“ Ben sah auf, blickte in die angsterfüllten Augen der Todgeweihten, sah durch sie hindurch und erkannte kleine Kinderherzen. Kleine Kinder, die im Sand spielten und zu ihm aufschauten mit reinem Herzen und ohne Furcht, zu ihm, der eine automatische Waffe auf sie gerichtet hielt und abdrückte – einfach so. Er war auf dem Weg zur Hölle und wusste es. Seine Hand zitterte. Wer würde ihm jemals vergeben können? Er drückte den Knopf.

Augenblicklich schien der gesamte Raum zu vibrieren. Vu-Minh blickte um sich, suchte den Grund für das Vibrieren. Dann sah sie, wie eine Geheimtür, eingelassen in einer Wand, langsam aufging. Was sie dann sah, ließ ihren Körper vibrieren.

Sie blickte direkt in die Augen des Monsters. Wenngleich es leblos auf einem Podest stand, barg es soviel Schrecken, dass sie vor Angst zitterte. Über zwei Meter maß das Ungetüm, aus blankpoliertem Stahl bestanden seine Gliedmaßen, gläsern war sein Rumpf, der offenbarte, was Wissenschaft und Medizin vermochte. Die Erschaffung eines neuzeitlichen Frankensteins, ausgestattet mit den modernsten Waffen und einem Inneren, was aus menschlichen Organen bestand.

Ben scheute den Blick zu dem zufrieden grinsende Gesicht des Generals. Die angekündigten Bohrer schraubten sich mit der programmierten Unbarmherzigkeit durch die Schädeldecken mitten hinein ins Zentrum des Wissens der Gefangenen. Ein letztes Mal zuckten sie auf, schrieen in den Behältern, als sie den Druck des Bohrers auf ihren Schädeln spürten. Doch es nutzte nichts. Nichts hielt sie auf. Niemand verhinderte, dass ihr Leben ausgelöscht wurde.

Ein plötzlicher Schlag ließ Vu-Minh herumdrehen. Die Tür war aufgerissen worden und Miller stand gemeinsam mit einigen Soldaten, die Waffen auf den General gerichtet, im Raum und blickten voller Entsetzen auf die Szenerie. „Ihr seid zu spät!“, höhnte der General. „Zu spät! Es ist vollbracht!“

Das Podest erzitterte. Das Monster war erwacht. Aus der Waffe eines Soldaten löste sich ein Schuss. Seine Reflexe hatten seine Muskeln angespannt und den Finger, der am Abzug haftete, gekrümmt. General Hooker lag am Boden. Aus einer kleinen Wunde auf der Stirn lief sein Blut. Das Monster bewegte sich direkt auf den Eingang zu, fegte die Soldaten, die im Weg standen, einfach beiseite. Mühelos zerfetzten seine messerscharfen Glieder die Leiber der im Weg stehenden. Die Tapfersten liefen nicht weg, sondern schossen ganze Magazine auf ihn ab. Es war unaufhaltsam. Ohne Innezuhalten schritt es weiter, tötete, was sich ihm in den Weg stellte.

Am Ende waren es nur eine Handvoll, die überlebten, die schlau genug waren, sich ihm nicht in den Weg zu stellen, sondern sich versteckten – wie Feiglinge.

Ben war zusammengebrochen. Sein Gesicht in seinen Händen vergraben, spürte er soviel Scham, wie sein ganzes Leben noch nicht. Als er aufblickte, sah er in die Mündung zweier Gewehrläufe.

**********

„Es gibt nur dieses Gerät“ erklärte Ben den Übrigen. „eine Art Fernsteuerung, die ihm die Koordinaten übermittelt. Er ist auf Zerstörung programmiert. Egal, was sich ihm in den Weg stellt, solange es organisch ist, wird er es töten.“ Rodriguez sah ihn scharf an. „Und wie wollen wir es aufhalten?“

„Es gibt einen Selbstzerstörer-Mechanismus, der allerdings nur dann funktioniert, wenn man bis auf wenige Meter in seiner Nähe ist.“ „Ein Selbstmordkommando also“, stellte Carlos fest.
„Wenn Sie so wollen, ja.“ Es entstand ein Raunen unter den wenigen Anwesenden.

Diejenigen, die der Mut verließ, schlichen aus dem Raum. „Wer wird es durchführen“, fragte Miller. „Ich“, sagte Ben. „Ich hoffe, dass ich so meine tiefe Schuld bereuen kann.“ Miller trat einen Schritt auf ihn zu. „Ich traue Ihnen nicht. Sie waren es doch, der mit dem General gemeinsame Sache gemacht hat. Sie haben von diesem Monster gewusst und es verschwiegen.“ Er spuckte auf den Boden, nahm Vu-Minhs Hand und eilte aus dem Raum.

„Wir werden es aufhalten“, sagte er zu ihr. Sie wusste, dass er ein guter Mann war, nun wusste sie, dass er auch ein guter Mensch war. Sie würde ihm überall hin folgen. Egal wohin und wenn es ihren Tod bedeuten würde.

**********

Carlos lief direkt in seine Arme. Eine an seinem Arm befestigte Kreissäge mahlte sich durch Carlos Körper und hinterließ eine Masse aus Fleisch und Gedärmen. Das Monster marschierte einfach weiter, geradewegs auf das Dorf My Lai zu, das friedlich und nichtsahnend vor mir lag.

Ich wartete, bis es auf wenige Meter herangekommen war, nahm die Fernsteuerung, zielte auf ihn und drückte den Selbstzerstörungsknopf. Nichts passierte. Ich drückte ihn abermals und wieder passierte nichts. Jetzt war es gleich in meiner Reichweite. Ich stolperte rückwärts, rannte auf Seite und ließ ihn vorbei. Er stapfte weiter und weiter auf das Dorf zu, so wie er programmiert war. My Lai war sein Ziel. My Lai war das auserwählte Dorf, war die Wende, die in diesem Gottverdammten Krieg eingeleutet werden sollte.

Sie sollten die ersten sein, die die amerikanische Durchschlagskraft spüren sollten. Sie sollten es sein, die Tod und Vernichtung erleben sollten durch einen einzigen wahrhaft amerikanischen Krieger – unzerstörbar und allen anderen weit überlegen. Das Monster fuhr seine automatischen Waffen aus und feuerte aus allen Rohren. Wie ein riesiges Feuerwerk sprühten die Kanonensalven und vernichteten alles, was in hunderten von Jahren in diesem Dorf erschaffen wurden. Kinder rannten aus den Häusern, wurden getroffen und starben.

Frauen und alte Männer kamen aus ihren Häusern, teils schlaftrunken teils hellwach sahen sie, wie das Monster unaufhaltsam auf sie zuschritt und mit seinen abscheulichsten Waffen ihre Glieder durchschnitt. Eine Frau rannte vor ihm weg, blickte um sich und sah, wie er auf sie schoss, sie traf, sie nicht nur einfach umbrachte, sondern niedermetzelte, ohne Gnade auf sie schoss. Knochen spritzten durch die Luft. Ich rannte ihm nach, wollte ihn unbedingt aufhalten.

Ich musste es doch wenigstens versuchen. Er mähte sich durchs Dorf und metzelte und schlachtete, das mir furchtbar elend wurde. Was hatte ich getan? Was hatten sie mir getan?

Ich war in seiner Nähe, er musste mich gesehen oder gespürt haben. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall drehte er sich zu mir um, wollte sich mit mir befassen. Ich hatte nur dieses gottverdammte Fernsteuerungsgerät und er hatte alle Waffen dieser Welt um mich zu zerteilen. Wenn es denn so sein sollte, dann wollte ich es jetzt auch. Ich drückte auf den Selbstzerstörungsknopf und erwartete den Tod, doch abermals passierte nichts. Dann sah ich sie. Wie Engel waren sie plötzlich aufgetaucht.

Das Monster schnitt mir mit seiner Kreissäge den rechten Arm ab. Blut spritzte aus einer Fontäne in die Luft.
Ein unglaubliches Meer von Schmerzen ergriff meinen Körper. Es packte mich und hob mich hoch, verlieh mir Flügel, ließ mich alles rund herum vergessen. Dann hörte ich sie, die Engel. Miller und Vu-Minh riefen meinen Namen und warfen mir etwas zu. Ich fing es auf, erkannte im letzten Moment meines Lebens, dass es sich um eine Granate handelte, bevor mich dieser unglaubliche Lichtkegel aus dieser Welt riss.

 

Hallo André,

die Geschichte hat mir insgesamt gut gefallen. Die Dschungelatmosphäre kam für mich gut rüber, und eine gewisse Grundspannung hat immer vorgeherrscht, weil ich lange Zeit nicht wusste, worum es letztlich geht. Die Angst und Ungewissheit deiner Protagonisten war gut nachzufühlen. Ab dem Zeitpunkt, als die Identität des Monsters feststand, hat die Spannung etwas stagniert. Der „ultimative“ Höhepunkt hat dann für mich gefehlt. Dazu war der Schluss irgendwie im Verhältnis zur Gesamtlänge zu kurz und letztlich auch zu vorhersehbar. Aus dem Kampf mit dem Monster hättest du etwas mehr machen können, finde ich. Das ging mir zu schnell, das Monster war zu übermächtig.

Ein paar Anmerkungen noch:

Sein Körper zuckt Ekstatisch
ekstatisch
schwebt irgendwo auf einer blasblauen Marihuanawolke
blassblauen
Er spuckte eine Fliege aus, die sich in seinem Mund verflogen hatte.
in seinen ... Sonst klingt es so, als flöge sie immer in seinem Mund herum und hätte sich jetzt gerade verflogen :D
Das war nicht o.k.
okay
Carlos half den trübe dreinblickenden Rodriguez
dem
Grund sein, weshalb wir sterben müßten
sterben mussten (würde ich sagen)
Seine Kameraden taten es ihm nach und strömten sternförmig
Die Formulierung hat mir nicht gefallen, vor allem das „sterbförmige Strömen“ nicht.
machten dem Räumkommando platz, die sich um die juristisch Einwand freie Erledigung
machten dem Räumkommando Platz, das sich um die juristisch einwandfreie
“Es waren doch Kinder.“ flüsterte er.
“... Kinder“, flüsterte er.
an das wohlgeformte Becken Vu Minhs, eine niedliche, viel zu junge Vietnamesin
einer niedlichen, viel zu jungen ...
Sie starrte auf die blanken Füße eines in einer Art Wasserbehälter aufbewahrten männlichen Person.
eines ... Mannes ODER einer ... männlichen Person.
„Männliche Person“ würde ich allerdings nicht nehmen, einfach „Mann“.
„Das müssen ja dutzende sein“ ... „Genaugenommen sind es 14.
“Dutzende“; passt aber nicht so ganz, weil es ja nur 14 sind (das würde ich übrigens ausschreiben: vierzehn). Dutzende sind ja 24, 36, 48 ... Da hätte er sich grob verschätzt.
Vorschlag: „Das müssen ja mehr als ein Dutzend sein.“
Aus sicherer Entfernung kauerten wir hinter Büschen
In sicherer ...
„Ich hoffe, dass ich so meine tiefe Schuld bereuen kann.“
Klang mir zu pathetisch, zu sehr „hollywoodlike“.

Wie gesagt: Insgesamt gut. Hab ich gerne gelesen.

Viele Grüße

Christian

 

Hi Criss,

du bist ja schneller als die Polizei erlaubt!!

Vielen Dank für die Auflistung der Fehler. Ich werde sie gleich eliminieren.

Schön, dass sie dir gefallen hat.

 

Hi Bo,

danke für die lobenden Worte. Ich bin stets bemüht möglichst realistische Dialoge zu finden.

Die Story ist quasi eine verzerrte Parabel auf die Ereignisse von My Lai im Jahre 68, als die Amerikaner über 500 Dorfbewohner massakrierten.
Daher auch dieses fast übermächtige Monster. Die Dorfbewohner hatten einfach keine Chance.

@Chris: anstatt sternförmig strömen, was hälst du von sternförmig liefen? Es geht ja darum, dass sie alle Ausgänge des Hauses umstellen.

 

Hi André,
ziemlich gut geschrieben, auch wenn Du ein Thema bearbeitest, womit ich mich sonst sicherlich nicht beschäftigen würde. Besonders gut haben mir Deine sehr natürlich klingenden Dialoge und die Szenen mit Vu Minh gefallen.
Pe

 

Hi Petdays,

Zitat: ziemlich gut geschrieben, auch wenn Du ein Thema bearbeitest, womit ich mich sonst sicherlich nicht beschäftigen würde.

dann besonders vielen Dank für das Lesen und Kommentieren und vor allem für das Lob.

 

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