Song for the Leftovers
Song For The Leftovers
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Stille ist eine Festung, in der wir uns verstecken, wenn wir traurig sind und nicht
sprechen wollen. Und unsere Zeit eilt, teilt und heilt.
Es waren sechs Monate. Die Zeit mir ihr müsste Präsens sein, denn wo immer ich
bin, bin ich bei ihr. Die herbstlichen Sonnenstrahlen kitzeln mein Kinn, sie sind
die letzten in diesem Jahr und auch die traurigsten.
Ich rauche. Mehr, als jemals zu vor. Ich schaue den Eichenbaum in unserem Garten an
und schaue durch ihn hindurch, als ob dahinter irgendwo die Hoffnung läge, die
ich verloren habe. Ich bin Deist. Aber irgendwie bekomme ich das Gefühl nicht los, dass Gott keine Lust mehr hat und die meiste Zeit schläft oder mit dem Satan Strip- Poker spielt.
Der Baum sagt nichts, vielleicht ist er traurig, oder er will mir seine
Geschichte nicht erzählen.
Diese unglaubliche Leere in meinem Kopf, ich kann meine Augen nicht mehr öffnen,
glaube, nicht mehr atmen zu können, alles dreht sich...
Alles endet mit der Frage: warum? Die wahre Antwort darauf gibt es nicht und
Ihr solltet wissen, dass es kein Happy- End im richtigen Leben gibt. Es wäre falsch, konstruiert
und unrealistisch. Ich gehöre auf einmal nicht mehr zu denen, denen es egal ist, wohin
sie fahren, weil sie glücklich sind, sondern bin einer von denen, die ständig in die
Vergangenheit zurückblicken werden, weil sie dort irgendwo ihr Glück verloren haben.
Das Glück verloren zu haben schmerzt wesentlich mehr, als das Gefühl, Glück noch nicht
gefunden zu haben und ich frage mich, warum ich nicht einfach aufhöre, so
wie diese Geschichte, die irgendwo zu Ende geht und nicht mehr weiter.
Ihre Augen waren nicht mehr blau, sie hatten keinen Glanz. Man konnte fast meinen,
sie tauchte in einen grauen Nebel, analog zu ihrem Inneren, das sich barst und wand
und irgendwie nicht ausbrechen konnte. Sie fand eine Lösung, wie man aus der dämonischen
Unterwelt fliehen konnte. Und sie floh in die Überwelt. Mit ihren gebrochenen Flügeln.
Ob ich schuldig geworden bin, ihr gegenüber, ich weiß es nicht. Hätte ich helfen
können? Kann man einem Menschen helfen, der sich nicht fühlen kann. Einem,
der nicht mehr fühlen will. Eine Hochelfe war sie, gehüllt in ein unsichtbares Gewand, das
nur dazu gedient hat, besser fliegen zu können.
Am Ende, am Anfang, schon lang bevor wir uns kennen gelernt hatten, hatte sie
sich irgendwie verabschiedet. Sie war lustig, sie war spontan und immer ein wenig auf
der Überholspur, anscheinend aber nie sie selbst. Diese Traurigkeit, die sie durchtrank,
diese tiefe Traurigkeit habe ich selten bemerkt, oder verdrängt.
Sie wollte sich spüren und sie wollte fliegen. Nicht nur während eines Kusses, keine
Traumsequenz, keine blaue Taube, tätowiert auf dem linken Schulterblatt.
Tempus fugit. Ich wollte in ihren Armen sterben. Nun starb sie in den meinen.
Der Arzt erklärte mir kopfschüttelnd, dass es unerklärlich sei und die Überlebenschance
im Normalfall sehr hoch sei. Als ich den langen weißen Krankenhausgang entlang gegangen bin, habe ich ein Neugeborenes schreien gehört. Und ich habe gehofft, dass für jeden seiner Lungenflügel einer eines Engel flog.
Bedauernd muss ich feststellen, dass ich immer noch nicht weinen kann.
Ich stehe vor dem Hügel Erde, dem Blumenmeer und den verwehten Taschentüchern und
die Sonnenstrahlen kitzeln mich und sind wohlig warm.
Sie liegt unter einem großen Weidenbaum, eingebettet, wo es windgeschützt und schattig ist.
Eine blaue Rose säumt das provisorische Kreuz, das ihren Namen trägt und ich lege die meine
daneben und wünsche mir, wünsche mir, dass sie glücklich ist, da wo sie jetzt ist.
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