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Sommerverlierer
Hannah schwitzte wie nie zuvor. Die Sonne brannte von einem makellosen Sommerhimmel, und noch vor kurzem hätte sie gejubelt angesichts der hochsommerlichen Temperaturen. Doch nicht heute. Nicht hier. Und nicht jetzt.
Jetzt, da sie zu den Verlierern gehörte. Zu den Sommerverlierern. Man konnte auf viele Arten im Sommer verlieren. Und nie hätte sie gedacht, dass sie irgendwann dazugehörte.
Arten des Verlierens. Hannah fand, dass fast alles mit Ex anfing:
Ex-Dicke, die zu schnell abgenommen hatten. Ex-Schwangere mit leerem Bauch statt stolzer Babykugel. Ex-Freundinnen mit trostlosem Gesicht, auch wenn sie selbst Schluss gemacht hatten. Und dann das große Feld der Ex-Schönheiten.
Hannah unterteilte sie in Bauch- und Arschverliererinnen. Da gab es Angélique aus ihrer früheren Parallelklasse, die tiefdekolletiert im Unterricht gesessen und trotz Riesenoberweite den Bleistifttest besser bestanden hatte als Hannah. Was hatte Angie Hannah damals mitleidig angeschaut, mit einem fiesen, versteckten Grinsen. Aber die Zeiten vergehen und aus der Schulbeauty war eine Vierfachmutti geworden, die unter ihren Hängebauch ein ganzes Buntstiftetui klemmen könnte. Sie bräuchte auf der großen Freibadwiese keine Tasche, um ihre Kleinen mit Stiften zu versorgen.
Hannah war Single, wieder einmal, aber zumindest hatte sie ihren schönen Arsch behalten. Dank des sechsten Stocks, in dem sie wohnte, und von ihrer Dachterrasse konnte sie herrlich die Schwimmbadgäste beobachten. Ein Hobby, was ihr im Sommer zunehmend gefiel. Besonders seit Jan sie verlassen hatte, wegen einer Zwanzigjährigen, einer Eisverkäuferin!, liebte sie es, über andere Sommerverlierer nachzudenken. Denn dass sie eine war, stand außer Frage. Im Herbst oder Winter wäre das nie passiert. Und eigentlich mochte Jan kein Eis. Und auch keine sommersprossigen Mädchen mit Hitzepickeln. Aber dennoch hatte dieses rotgesichtige Ding es geschafft, ihn zu becircen, mit Sojaeis und wässrigem Himbeersorbet. Hannah hatte sich alt gefühlt, viel älter als ihre achtundzwanzig, aber zum Glück entdeckte sie weitere Kriegsschauplätze.
Haare und Haut. Während manche in der Sonne vorteilhaft erblondeten, litten andere unter Stroh- oder Chlorhaaren. Schon morgens im Büro freute sich Hannah, dass der Sommer für Ausgleich sorgte: Während aus den peeptoes von Bürobeauty Ilona schiefe Nägel lugten, konnte die pfundige Sandy mit zum Anbeißen süßen Füßen punkten. Nicht nur Sandy war eine Sommergewinnerin. Auch Lena gehörte dazu und Anne-Christin, im Winter unscheinbar, wurde sie gar eine summer queen mit biegsamen, gebräuntem Schwanenhals.
Auch Hannahs Freundinnen beschäftigten sich mit dem Thema. Auch wenn sie es abstritten. Der Sommer war eben vor allem die Zeit des Flanierens. Und manche hatten dabei mehr Vorteile als andere. Sarah meinte, Sommer müsste eigentlich mit F anfangen, F wie Flatterkleid.
„Oder F wie Flatterhaare“, und strich sich wehmütig über ihre dunklen Stoppeln, die ihr noch im Frühling so gut gefallen hatten. Aber nicht nur Jan war flatterig geworden, sondern auch Jens, Sarahs langjähriger Lebensgefährte.
„F wie Falschbusen“, warf Sandy in die Runde, nachdem sie im Schwimmbad gesehen hatte, wie Ilona etwas aus dem Körbchen gefallen war und alle lachten.
„F wie Ficken“, sagte Hannah und klang weniger forsch als beabsichtigt.
„F wie Flirt“, sagte Kati und nahm Hannah in den Arm. Und Hannah spürte, dass Kati Recht hatte. Schon zu lange hatte sie sich zu Hause verbuddelt, auch wenn es mit einem kühlen Mojito auf ihrer Dachterrasse so gemütlich war. Aber zu zweit wäre es noch viel schöner. Vielleicht würde sie doch noch eine Sommergewinnerin. Es war erst Juli.