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Sommerregen
Goschi, mein 8 Jahre alter Akita-Rüde und ich hatten gerade die Hälfte unseres Routinespaziergangs geschafft, als über unser dieser wütende Platzregen hereinbrach. Er begann mit sanften Tropfen, die immer fordernder und härter wurden und schließlich rannten Goschi und ich den schlecht geteerten Weg entlang, um möglichst schnell den Wald zu erreichen. Der Plan war, uns von dem dichten Blattwerk vor den sintflutartigen Regenströmen schützen zu lassen, jedoch konnten selbst die großen Blätter am Himmel über uns nicht verhindern, dass wir beide bis auf die Haut nass wurden.
Im Gegensatz zu mir, freute sich Goschi wie ein kleiner Welpe über die Regentropfen, die gebündelt mit einem großen „Platsch“ zwischen den Baumkronen herunterfielen. Ich jedoch hatte nicht mit einem derartig kräftigen Wetterwechsel gerechnet und mein T-Shirt klebte kalt und nass auf meiner Haut. Meine Arme sahen aus, als habe man sie gerupft und selbst meine Jogginghose, die kleineren Regenschauern immer standzuhalten vermochte, hatte sich in eine einzige schwarze und schwere Masse verwandelt, die mich am Laufen hinderte und sich am unteren Bund immer wieder nach dem dreckigen Boden reckte, als könne sie es kaum erwarten, ein kleines Stückchen des Waldes mitzunehmen.
Goschi hatte begonnen, den Tropfen nachzujagen, musste aber relativ schnell feststellen, dass seine Reaktionsgeschwindigkeit bei weitem nicht ausreichte, um jeden einzelnen Wassertropfen zu fangen und so beschränkte er sich nun darauf, die in großen Pfützen angesammelten flüchtigen Tropfen zu genießen, indem er sich in ihnen wälzte und immer wieder in die kleinen Seen sprang, die entstanden waren.
Ich lachte und langsam begann sich meine Laune wieder aufzuhellen. Ich mochte keine Überraschungen und da machte auch ein plötzlicher Wetterwechsel keine Ausnahme. Aber als ich sah, wie viel Spaß mein Hund mit dieser Überraschung hatte, ließ ich meine Anspannung fallen und folgte seinem Beispiel.
Ich reckte meinen Kopf und ließ die feuchten Perlen über mein Gesicht kullern. Sie zeichneten Bahnen auf meinen Wangen, bahnten sich ihren Weg weiter meinen Hals hinab, bis sie sich schließlich in meinem Dekolleté mit den anderen Tropfen vereinten, die im Stoff meinen Shirts ihre Zuflucht gefunden hatten. Die Kälte störte mich immer weniger, dagegen nahm ich immer mehr den frischen Geruch wahr, der sich über den Wald gelegt hatte. Es roch nach Geborgenheit und ich mochte das Gefühl, das dieser Geruch in mir auslöste.
Die Vögel, welche den ganzen Spaziergang über fröhlich gesungen hatten, waren im Laufe des Regens immer leiser geworden und als er den Höhepunkt seiner Intensität erreicht hatte, war ihr Lied vollkommen verstummt. Doch jetzt, wo die Tropfenbündel, die uns noch immer trafen, immer weniger und kleiner wurden, konnte ich ein erneutes zaghaftes Anklingen ihrer Sinfonien wahrnehmen.
Der Gedanke daran, dass ich diese natürliche Schönheit nur mit Hilfe meines Hundes wahrgenommen hatte, machte mich nachdenklich und auch ein wenig traurig.
Hatten wir Erwachsenen unsere Begeisterungsfähigkeit wirklich schon so weit verloren? Waren wir mit jedem Jahr nicht nur älter, sondern auch verschrobener und ungeduldiger geworden?
Als Kinder tollten wir durch jede Witterung und kehrten erst spät nachmittags mit dreckigen Kleidern und strahlenden Augen wieder nach Hause zurück, nur um dort die Schelte der Eltern über uns ergehen zu lassen, die uns rügten, dass wir wieder die neuen Kleidungsstücke verdreckt und sie eventuell sogar kaputt gemacht hatten. Doch das störte uns nicht und am nächsten Tag waren wir wieder in den Wiesen und Feldern unterwegs.
Dann kamen die Jahre und wir wurden ruhiger, bedachter – ja, gar langweiliger.
Alles musste durchdacht und kontrolliert werden und unsere Spontanität wurde genauso hinten an gestellt wie unsere Fähigkeit, uns an Situationen anzupassen und das Beste aus ihnen zu machen.
Ungeplante Zwischenfälle, wie zum Beispiel ein diesem nicht unähnlicher Regenfall, führten bestenfalls dazu, dass wir schneller liefen und entnervt im warmen Heim unsere triefenden Kleider auszogen, während wir uns darüber ärgerten, dass wir uns ein weiteres Mal umziehen mussten. Besaßen wir ein Haustier – so wie ich Goschi – so mokierten wir uns zusätzlich noch darüber, dass jetzt die gesamte Wohnung nach nassem Hund riechen und der besagte Hund vermutlich auch noch nasse und dreckige Spuren auf dem frisch gewischten Boden hinterlassen würde.
Musste das so sein?
War es nicht besser, einen kleinen Teil der kindlichen Gelassenheit zu behalten?
Schließlich konnten wir ohne den Regen nicht leben und wir beschwerten uns doch genauso über zu große Hitze oder Kälte.
Wieso konnten wir nicht einfach mal zufrieden sein?
Ein Donnergrollen riss mich aus meinen Gedanken.
Ich pfiff Goschi zu mir heran und legte ihm die Leine wieder an. Den vorwurfsvollen Blick seinerseits versuchte ich gekonnt zu ignorieren. Er mochte mich zwar jetzt für einen Spielverderber halten, aber mir war ganz und gar nicht wohl bei dem Gedanken, während eines Gewitters im Wald zu sein.
Ich beschleunigte meine Schritte und bald lichtete sich das Blattwerk und der Weg, welcher beim Eintritt in den Wald zu einem weichen Laubteppich geworden war, verwandelte sich wieder in den schlecht geteerten Fußgängerweg. Die mehr oder weniger tiefen Schlaglöcher waren ebenfalls zu kleinen Seen geworden, in denen noch immer kleinen Tropfen die Wasseroberfläche aufmischten. Jedoch ließ ich Goschi nicht die Zeit, auch diese Pfützen für seinen Wellness-Trip zu verwenden. Ein entnervtes Schnauben aus Richtung meiner linken Seite ließ mich wissen, dass er über diesen Schachzug ebenso wenig erfreut war, wie über das Anlegen der Leine, mit dem ich mich bereits zuvor unbeliebt gemacht hatte. Aber auch diese Missbilligung übersah ich meisterlich.
Ich wollte möglichst in der Wohnung ankommen, bevor das Gewitter direkt über uns stand, also beschleunigte ich meine Schritte weiter, bis ich in einen gleichmäßigen Trott verfiel und wir so der Heimat entgegen trabten.
Der Rhythmus unserer Schritte wurde ab und zu durch ein lauter werdendes Donnergrollen untermalt und ich zählte sechs Paukenschläge, bis wir die Türe des Wohnhauses erreichten und uns in die trockene Sicherheit flüchteten.
Vergessen waren die Gedanken an kindliche Freude und die Wertschätzung des Augenblicks, als Goschi sich schüttelte und die dreckige Nässe auf dem Fußboden im Flur verteilte.
Ich sah ihn tadelnd an, doch seine Reaktion war ebenso desinteressiert wie es die meinige gewesen war, als er mir seinen Ärger darüber gezeigt hatte, dass ich ihn so einfach aus seinem Spiel gerissen hatte. Dann trottete er auf mich zu, sprang an mir hoch und leckte über meine Hand.
Dieses Friedensangebot nahm ich nur zu gerne an.
Ich befreite ihn von seiner Leine, griff nach dem erstbesten Handtuch, das mir zwischen die Finger kam und begann, ihn trocken zu rubbeln. Dem Schwanzwedeln nach zu urteilen genoss er diese Aufmerksamkeit und als er endlich keine Gefahr mehr für den Teppich im Wohnzimmer darstellte, ließ ich ihn gehen, um mich selbst aus den klatschnassen Kleidern zu schälen und mich in ein warmes und kuscheliges frisches Outfit zu hüllen.
Der Regen hatte nachgelassen und dem Gewitter, das sich nun über uns austobte, die Bühne überlassen.
Doch Goschi und ich saßen trocken und zufrieden am Fenster und genossen das Spektakel – aus der Distanz und trotz alledem ganz vorne mit dabei.