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Sommerregen
Der Regen trommelt leise, aber hörbar gegen das Fenster. An sich ist es heute ein normaler bedeutungsloser Tag, welcher sich in seiner Belanglosigkeit, nicht groß von dem gestrigen oder morgigen Tag unterscheiden wird. Bis auf diese kleine, unwichtige Tatsache, dass irgendein genialer Mensch es für nötig befunden hat, zwei Häuser weiter eine Bombe zu zünden. Es ist das neue Sprachrohr dieser Tage, drückt dich der Schuh, plagt dich eine leicht depressive Phase, hast du den Eindruck, dass dir ein Politiker sonst nicht mehr zuhört. Bastel dir eine Bombe, die Anleitung gabs von Mitschülern im Chemie-Unterricht, die Materialien im nahe gelegenen Supermarkt.
Ob man sich beim Zusammenbauen versehentlich in die Luft jagt, oder zur Erreichung maximaler Aufmerksamkeit in einem Wohnblock- mit Frauen, Kindern oder Alten -von der Welt verabschiedet ist letztlich egal. Die es eigentlich treffen sollte, die Herren da oben, sind längst in ihre eigenen Ghettos geflüchtet.
Wir leben in unserem Ghetto, die in ihrem, der kleine feine Unterschied hierbei ist, dass es dort definitiv ruhiger sein dürfte und ich dort sicherlich einen tiefen und festen Schlaf haben würde, wovon man hier nur träumen kann, leider im übertragenen Sinne.
Abgesehen von der Lautstärke der Explosion, die naturgemäß etwas lauter ist, kommt die herzzerreißende Anteilnahme der Nachbarn dazu, was nach dem sechsunddreißigsten Mal hier im Viertel teilweise schon etwas übertrieben wirkt, trotz alledem macht sich Betroffenheit bei mir breit, was dann der Gute-Laune-Killer schlechthin ist. Als wenn dieses nicht schon genug wäre, rollt der Staatsdienst mit viel Tamtam und noch mehr Blaulicht an. Dieser Tross besteht natürlich aus Feuerwehr, Krankenwagen und Polizei nebst einer Schar von schwarz gekleideten Herren, die ihren Humor mit der Dienstkleidung gänzlich abgelegt haben.
Der Raum ist gefüllt mit einem nervösen, zappelnden blauen und rotem Licht und einer nicht endenden Welle an Sprachgewirr, Geschrei, Weinen und anderem Lärm. Da es dadurch an sinnvollen Beschäftigungsmaßnahmen mangelt, suche ich die Weisheit in der Flasche Schnaps, die vor mir steht. Da die Gläser sich in nicht erreichbaren Ecken, oder in einem nicht nutzbaren Zustand befinden. Und da das akkurate zielen mir nicht mehr möglich ist, nutze ich den direkten Weg.
Die Explosionen sind in Ermangelung ausreichender Zutaten selten besonders groß, die notdürftige Reparatur gestaltet sich folglich seltenst als schwierig. Aber es hat bestimmt schon so manchen Kindergeburtstag abrupt beendet, wenn der Unterarm das Nachbarn tags drauf an der Wäscheleine baumelte.
An Schlaf ist nicht zu denken, aber der steigende Alkoholpegel macht doch langsam ein farbenfrohes Spektakel aus dem tristen Plattenbau.
Es hat doch schon eine gewisse Aussagekraft, dass der Schnaps, der Marke billig, zum einen nur in 1 Literflaschen zu erhalten ist und dieser dann auch mit das billigste Lebensmittel ist, das es zu kaufen gibt. Die Wahl fällt doch leicht, sich entweder zwischen 15 Flaschen Schnaps oder, einem mageren Stück Fleisch zu entscheiden. Der Schnaps hat hier nebenbei noch eine desinfizierende Wirkung. Das Stück Fleisch hingegen ist so dermaßen vollgepumpt mit Medikamenten, dass von einem Genuss selbst Tage später keine Rede sein kann. Beim Schnaps hingegen ist es ein Paradies auf Erden, wenn man einen bestimmten Pegel erreicht bzw. diesen hält.
Hier versteh ich echt nicht die Junkies, die der Meinung sind, sich den Ärger machen zu müssen und in Apotheken einbrechen, abgesehen davon, das die Strafen empfindlich sind (sprichwörtlich unter anderem die Schläge der Schlagstöcke und Tritte der Staatsbediensteten), sind doch da gegenüber die Folgen des Alkoholgenusses zumindest in den ersten Jahrzehnten doch relativ gering. Die Junkies werden eigentlich nur noch Zombies genannt, weil sie sprichwörtlich so aussehen und sich wohl auch den ganzen Tag so beschissen fühlen; ein Hoch auf den Alkohol!
Es liegt nahe, dass der schon massive Genuss von Alkohol beim Bürger vom Staat geplant ist, es ist eigentlich die einzige erlaubte Möglichkeit zur Flucht aus diesem Chaos, die restliche Zeit hast du zu funktionieren und deinen Dienst zu tun. Wenn sich dies nicht mehr trennen lässt, wird man in die Arbeitslosigkeit verbannt und erhält einen Freifahrtschein für einen lebenslangen Anspruch auf Schnaps. Ich versteh hier wirklich nicht, warum man es sich noch so umständlich macht und mir das Geld in die Hand drückt, wäre doch viel einfacher, einem die Flaschen so in die Hand zu drücken. Aber wahrscheinlich, wollen sich die Herren da oben nicht anhören müssen, dass sie uns zum trinken animieren würden. Dank dieser Politik wird dafür gesorgt das es nicht zu viele aufgeklärte und neugierige Bürger sind, die in zu großer Zahl dem System nur schaden würden
An meiner neuen Arbeitslosigkeit schätze ich zudem sehr, dass ich nicht mehr gezwungen bin mich mit meinen (jetzt zum Glück ehemaligen) Kollegen auseinandersetzen zu müssen. Paranoia und Arschkriecherei sind eine sehr anstrengende Mischung. Die Arbeit im Büro an sich war ansonsten wirklich erträglich.
Der Regen pladdert immer noch gegen das Fenster und draußen vor der Tür sieht es nicht so aus, als würde es demnächst ruhiger werden. Das Beseitigen des Chaos wäre nicht das Schwierige. Die Staatsdiener bemühen sich aber leider um eine sofortige Aufklärung des Verbrechens, das Exekutieren von ein oder zwei Unschuldigen mehr wird dann als Verbrechensvorsorge verbucht. Zudem nutzen sie die Chance, den ganzen Block nach Waffen, illegalen Drogen und unerwünschten Mitmenschen zu durchsuchen. Hier habe ich das Glück, dass der Zustand meiner Wohnung dafür sorgt, dass die Wohnung nur durchsucht wird wenn ein konkreter Verdacht besteht, das war zum Glück seit zwei Jahren nicht mehr der Fall.
Hoffentlich hat sich der arme Wicht selbst mit in die Luft gesprengt, wenn nicht, dann wird er einen echten Scheißtag haben, selbst wenn er gut genug ist, sich nicht packen zu lassen, die Nachbarn Freunde und Familie kriegen sie sicherlich und dann wird es wirklich hässlich. Von der sogenannten freien Presse wird dieses dann sorgfältig porträtiert und bis auf das Maximum publik gemacht.
Auch hier macht sich eine gewisse Freude breit, dass ich mir dieses nicht mehr täglich in der Straßenbahn angucken muss, gemischt mit diesen quälend nervigen Werbespots die einem erzählen, wie schön das Leben doch ist.
Aber es nicht nur das, die Aufklärungsquote ist auch deshalb so hoch, weil hier jeder Grashalm seine eigene Überwachungskamera hat. So lassen sich auch ganz leicht Zeugen finden, weil jedes nicht erfolgte Eingreifen, oder das Zurückhalten von so schön gesagt, sachdienlichen Hinweisen, wird mit der Straftat an sich gleichgestellt, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, zählt hier nicht im Geringsten.
Natürlich ist auch Selbstmord unter Strafe gestellt, jeder missglückte Versuch wird dann echt bitter und wenn man es doch schafft, dann werden die Schuldigen in der näheren Umgebung gesucht.
Sie geben sich wirklich Mühe, dir dein Leben so unangenehm wie möglich zu machen, ah nein, so angenehm wie möglich natürlich... indem sie dir alle Freiheiten nehmen...