Sommerradio
Die Sonne war auch jetzt noch unerbittlich warm und warf ihre goldenen Strahlen auf meine nackten Beine, die ich auf das Balkongeländer gestützt hatte. Es war achtzehn Uhr fünfundzwanzig. Die Hitze setzte mir zu, ließ meinen Kopf schwer und fiebrig glühend erscheinen. Mein Nacken schmerzte, weil ich ein dickes Buch las und somit mehr verdreht als bequem auf dem großen Holzstuhl saß.
Die Radiomoderatorin plapperte übertrieben fröhlich und aufgedreht ins Mikro und durch die Boxen in meinem Rücken konnte ich ihre Stimme auch hier, bei mir daheim, vernehmen. "...Und ganz liebe Geburtstagsgrüße an meine Freundin Bianca in Regensburg..." So las sie eine der Hörer -E-mails vor. Schlagartig riss mich mein Unterbewußtsein aus der unwirklichen Szenerie des Romans.
Ich wollte auch dort sein! In Regensburg! Den Sommer genießen, lange schlafen und tagelang lesen und ...bei ihm sein... Es schien so real, so möglich! Ich könnte tatsächlich dort sein!! Könnte... Aber real war es nicht. Ich saß hier und las und würde am folgenden Tag wieder aus dem Wochenende gerissen in den Alltag zurückkehren müssen. Keine Lust darauf. Nur Lust darauf, alles hinzuschmeißen!!! Einfach alles wegzuwerfen!! Ich hatte meine Ziele verloren, wollte bloß, daß alles ein Ende hatte. Mehr denn je. Und zwar sofort!
Aber noch zwei Jahre! Nur zwei Jahre!! Das mußte doch zu schaffen sein! Vielleicht nicht mit Glanzleistungen angefüllt, jedoch bestanden und abgehakt. Sonst keine Zukunft.
Oha. "...Die schönsten Lovesongs bei XXX! Und jetzt geht's weiter mit..."
Ich dachte daran, jetzt bei ihm zu sein. Wo auch immer genau in Regensburg er war. Ich wollte auch dort sein. Sein Lächeln im gelben Sonnenlicht sehen, die Augen vielleicht wegen der Helligkeit halb geschlossen. Seine schönen Augen. Ihm konnte man wenigstens in die Augen sehen. Weil sie nicht tot waren. "...What a feeeheeeling..." Ich fragte mich, wie es wäre, wenn ich da sitzen würde -irgendwo in der fremden Stadt-, ein Buch in der Hand, die Beine hochgelegt, sein Kopf auf meinem Schoß; die Augen hätte er geschlossen, sein eigenartiges Gesicht zu einer Dornröschen -Maske erstarrt...
Okay, das war nun langsam aber sicher wirklich genug. Eine halbe Stunde süßlich-romantische Musik und ich gab auf. Heiße Tränen seltsam fremd, rannen über meine Wangen.