Was ist neu

Sommerradio

Mitglied
Beitritt
06.07.2003
Beiträge
13

Sommerradio

Die Sonne war auch jetzt noch unerbittlich warm und warf ihre goldenen Strahlen auf meine nackten Beine, die ich auf das Balkongeländer gestützt hatte. Es war achtzehn Uhr fünfundzwanzig. Die Hitze setzte mir zu, ließ meinen Kopf schwer und fiebrig glühend erscheinen. Mein Nacken schmerzte, weil ich ein dickes Buch las und somit mehr verdreht als bequem auf dem großen Holzstuhl saß.
Die Radiomoderatorin plapperte übertrieben fröhlich und aufgedreht ins Mikro und durch die Boxen in meinem Rücken konnte ich ihre Stimme auch hier, bei mir daheim, vernehmen. "...Und ganz liebe Geburtstagsgrüße an meine Freundin Bianca in Regensburg..." So las sie eine der Hörer -E-mails vor. Schlagartig riss mich mein Unterbewußtsein aus der unwirklichen Szenerie des Romans.
Ich wollte auch dort sein! In Regensburg! Den Sommer genießen, lange schlafen und tagelang lesen und ...bei ihm sein... Es schien so real, so möglich! Ich könnte tatsächlich dort sein!! Könnte... Aber real war es nicht. Ich saß hier und las und würde am folgenden Tag wieder aus dem Wochenende gerissen in den Alltag zurückkehren müssen. Keine Lust darauf. Nur Lust darauf, alles hinzuschmeißen!!! Einfach alles wegzuwerfen!! Ich hatte meine Ziele verloren, wollte bloß, daß alles ein Ende hatte. Mehr denn je. Und zwar sofort!
Aber noch zwei Jahre! Nur zwei Jahre!! Das mußte doch zu schaffen sein! Vielleicht nicht mit Glanzleistungen angefüllt, jedoch bestanden und abgehakt. Sonst keine Zukunft.
Oha. "...Die schönsten Lovesongs bei XXX! Und jetzt geht's weiter mit..."
Ich dachte daran, jetzt bei ihm zu sein. Wo auch immer genau in Regensburg er war. Ich wollte auch dort sein. Sein Lächeln im gelben Sonnenlicht sehen, die Augen vielleicht wegen der Helligkeit halb geschlossen. Seine schönen Augen. Ihm konnte man wenigstens in die Augen sehen. Weil sie nicht tot waren. "...What a feeeheeeling..." Ich fragte mich, wie es wäre, wenn ich da sitzen würde -irgendwo in der fremden Stadt-, ein Buch in der Hand, die Beine hochgelegt, sein Kopf auf meinem Schoß; die Augen hätte er geschlossen, sein eigenartiges Gesicht zu einer Dornröschen -Maske erstarrt...
Okay, das war nun langsam aber sicher wirklich genug. Eine halbe Stunde süßlich-romantische Musik und ich gab auf. Heiße Tränen seltsam fremd, rannen über meine Wangen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mizugo4,

ich habe jetzt schon ein paar Mal in deine Geschichte geschaut, immer in der Hoffnung, dass mir etwas kluges, gescheites oder gefühlvolles dazu einfällt.
Vielleicht hast du etwas Pech, dass ich diese Sehnsüchte schon in zu vielen ICQ Gesprächen über Fernbeziehungen gelesen habe, und dass die Klagelieder des Vermissens selbst im ICQ deine Geschichte in der Anzahl der Worte oft genug übertreffen.
Vielleicht hast du auch Pech, dass ich in deiner Geschichte nicht begreife, was einen liebenden Menschen davon abhalten soll, innerhalb von zwei Jahren mal eine Zugfahrt nach Regensburg auf die Reihe zu bekommen, selbst wenn das Studium viel Arbeit macht.
Natürlich kann ich die Sehnsucht verstehen, die man in éiner solchen Beziehug manchmal hat, in deiner Geschichte erscheinen mir aber die Rahmenbedingungen nicht deutlich genug gesteckt.
Ob er sie zurück liebt oder es nur eine einseitge Schwärmerei ist wir leider nicht deutlich. Ob sie jene Bianca ist, die zu Beginn über das Radio gegrüßt wird, darüber kann man nur spekulieren.
Auch weiß ich nicht, ob er weggezogen ist, oder ob das Mädchen nicht hätte vorher wissen können worauf sie sich einlässt. Das mag zwar für die Sehnsucht egal sein, nicht aber für ihre Haltung dazu. Denn dieser Selbstmitseidsflash wäre für mich anders zu erleben, wenn sie vorher wüsste, auf was sie sich einlässt.
So will die Trauer deiner Protagonistin mich leider nicht erreichen. Dazu hast du zu wenig erzählt.

Einschränkend zu meiner Kritik muss ich sagen, dass ich nicht sicher bin, ob mich das Thema nicht enfach nur nervt und deshalb mehr Aggressionen als Mitleid mit dem Mädchen deines Textes weckt. Wie gesagt, ich habe in letzter Zeit Dutzende solcher Gespräche geführt mit Menschen, die bei dreimonatigen Trennungen schon eine Welt zusammengebrochen ist, ohne dass die Liebe in Frage gestellt worden wäre.
Es kann also gut sein, dass ich zu deiner Geschichte einfach aus persönlichen Gründen ungerecht bin.

Lieben Gruß, sim

 

Danke für Deinen ausführlichen Kommentar!
Er bestätigt, daß ich in meinen Texten scheinbar stets zuviel offen lasse. Mir geht es mehr darum, eine bestimmte Stimmung einzufangen, anstatt möglichst vieles zu erklären. Ich finde es langweilig, alles vorgesetzt zu bekommen wie in den meisten der Filme im TV und finde Denken hat noch keinem geschadet. ;) Natürlich kann ich nachvollziehen, daß Du von der Thematik übersättigt bist und ich nehme Deinen Kommentar auch nicht persönlich. Keine Sorge. Deine Kritik ist durchaus konstruktiv.

 

Gern geschehen. :)

Mir geht es mehr darum, eine bestimmte Stimmung einzufangen, anstatt möglichst vieles zu erklären.
Diese Erläuterung lese ich hier oft. Meines Erachtens wird hier aber Erklären mit Erzählen verwechselt.
Ich finde es toll, Stimmungen einzufangen und großartig, wenn man sie auch wiedergeben kann.
Was mir oft um diese Stimmungen fehlt ist eben die "Erzählung", das "weißt du was mir passiert ist".
Davon hast du ja in deiner Geschichte einen Ansatz.
In der Kurzfassung: "Als ich neulich Radio hörte, musste ich weinen"
Denken schadet nicht, aber du möchtest ja, dass der Leser die Gefühle dieser Frau nachvollziehen kann, dass er mit ihr weinen könnte, dass er ihre Trauer teilt. Das schaffst du für mein Gefühl besser, wenn du noch mehr erzählst (nicht erklärst).
So erlebe ich deine Protagonistin vielleicht einfach als (Übertreibung macht anschaulich) hysterische Ziege, die in Selbstmitleid ertrinkt, anstatt das einzig richtige zu tun, sich ein Zugticket nach Regensburg zu kaufen (Wo sie lernt ist doch in den Semesterferien egal).

Also noch einen lieben Gruß, sim

 

:cool:

Mit der aufgeführten Kritik gehe ich nicht einig. Kritiken sollten aufbauend sein. Dem Kritiker täte ein entsprechendes Seminar "gut".

Franz

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom