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Sommernacht
Meine Hände umklammern das Glas, das vor mir auf dem Tresen steht. Die Tür zur Bar geht auf. Er sieht sich suchend um, ich winke ihm zu. Sein Lächeln ist wie damals, nur der Blick ist älter.
„Hey.“ Er bleibt vor mir stehen und breitet die Arme aus.
Ich stehe auf und merke, dass meine Beine zittern. „Hey.“
Wir umarmen uns. Meine halbe Schulzeit fliegt in Sekunden an mir vorbei.
„Was trinkst du?“, fragt er und setzt sich neben mich.
„Gin Tonic.“
„Keinen Lambrusco mehr?“
„Nein, auch keine Sangria aus’m Tetra Pak.“ Ich streiche mit der Hand über das dunkle Holz der Theke. Sehe uns, wie wir auf dem Schulhof liegen, jeder einen Stöpsel des Walkmans im Ohr. Wir schauen in den Nachthimmel, rappen ein paar Brocken in schlechtem Französisch und trinken abwechselnd aus dem Pappbehälter.
Er winkt dem Barkeeper zu und deutet auf meinen Drink. „Für mich auch einen.“
Wir stoßen an.
Er betrachtet mich, sein Ausdruck ist ganz ruhig, die Augen dunkel und tief.
„Du siehst fast genauso aus wie früher.“
„Nur fast?“
„’n bisschen ernster.“
Ich zupfe kleine Stücke aus dem Bierdeckel.
„Ist schon abgefahren, oder?“, sagt er. „Achtzehn Jahre … Für irgendwas ist Facebook wohl doch gut.“
Sein Lächeln. Leise sticht es in meinem Bauch.
„Ich hab schon oft daran gedacht … Dir zu schreiben, meine ich.“
Er fischt den Strohhalm aus seinem Drink und legt ihn auf die Theke. „Hast ganz schön lange dafür gebraucht.“
„Immerhin hab ich’s überhaupt gemacht.“
Neben uns begrüßt eine Gruppe Männer gröhlend zwei Frauen, die zu ihnen stoßen.
„Warum jetzt?“ Er lehnt sich ein Stück vor, um den Lärm zu übertönen.
„Ist ’ne seltsame Phase gerade. Alles ist durcheinander irgendwie.“
„Durcheinander?“
„Du weißt schon“, sage ich. „Alle verheiratet, alle haben Kinder … Sowas eben.“
„Und das ist seltsam?“
„Wenn man selbst ganz woanders steht …“ Hinter mir schiebt sich eine Blondine an die Bar und lacht gellend über irgendeinen Spruch des Barkeepers. „Schwer zu erklären.“
„Probier’s“, sagt er.
Ich blicke auf meine Hände hinunter. „Kennst du das, wenn man das Gefühl hat, man muss alles neu sortieren?“
„Ziemlich gut sogar.“
„Naja, und seit ich da eben seit ein paar Monaten so vor mich hin sortiere, habe ich beschlossen, alles zu tun, was ich schon lange mal tun wollte.“
„Und da gehört ein Treffen mit mir dazu?“
„Bild dir ja nichts drauf ein.“
Ein kleines Leuchten huscht über sein Gesicht. „Hab mich echt gefreut, als deine Nachricht kam“, sagt er.
„Wusstest du gleich, wer ich bin?“
„Klar.“ Er sieht mich an. In mich hinein. „Gehen wir eine rauchen?“
Ich schnappe mir meinen Drink und folge ihm nach draußen. Die Luft ist weich, sie riecht nach schlafenden Bäumen und warmem Asphalt. Wir setzen uns auf den Bordstein. Seine Schulter berührt meine.
Für einen kurzen Augenblick sitzen wir auf einer der Steinbänke vor der Aula. Unser Atem malt Wolken in die Nacht. Drinnen tanzt die halbe Schule, verkleidet in Faschingskostümen, draußen nimmt er meine Hände und küsst mich.
„Hast du noch Kontakt zu Philip?“, frage ich ihn und betrachte die Rauchkringel, die sich vor uns in Luft auflösen.
Er schüttelt den Kopf. „Ich hab zu fast keinem mehr Kontakt. Wenn ich zu Hause bin, dann nur wegen meiner Familie. Du?“
„Laura sehe ich ab und zu noch. Sie wohnt jetzt in Berlin.“
„Laura …?“
„Sie war mit mir auf der Oberstufenjazznacht. Weißt schon …“
„Du meinst, als ich dich abschleppen wollte?“ Er stützt seine Hand hinter mir auf dem Boden ab. Ganz nah an meinem Rücken. Wir berühren uns nicht, aber ich spüre seine Wärme.
„Wenn du es so nennen willst.“
„Hat nicht wirklich geklappt.“ Er zieht an seiner Zigarette. „Hast mich eiskalt abblitzen lassen.“
„Ich dachte, du wärst noch mit dieser Jasmin zusammen.“
„Du wusstest, dass wir getrennt waren.“
Ich kippe den letzten Schluck Gin Tonic in mich hinein. „Leer“, sage ich und stehe auf.
„Kannst du gut.“
„Was meinst du?“
„Ausweichen.“
„Komm schon, ich brauch Nachschub.“
Ich strecke ihm die Hand hin und er nimmt sie, seine Haut ist warm und ein bisschen rau. Für einen kurzen Moment stehen wir uns gegenüber, ich spüre seinen Atem auf meiner Wange.
„Gefällt dir dein Job?“ Er fährt mit dem Finger am Glas entlang, folgt der Spur eines Kondenstropfens, der hinunterläuft.
„Ist okay.“
Die Bar ist voll, hinter uns drängen immer wieder Leute an die Theke. Ich lehne mich nach vorn, um sie vorbeizulassen. Er greift mit beiden Händen nach meinem Barhocker, berührt meine Schenkel, zieht mich ein Stück näher.
„Und dir?“, frage ich.
„Ist nicht ohne mit den Kids, aber fühlt sich gut an, ihnen zu helfen.“
„Ich wusste damals schon, dass du später mal sowas machen wirst. Was Gutes, Sinnvolles.“
„Wieso?“
„Weil du so vieles so zum Kotzen gefunden hast. Dinge, die anderen gar nicht aufgefallen sind. Oder es war ihnen egal. Aber dich hat das richtig abgefuckt, du wolltest daran was ändern.“
„Schön gesagt.“ Er hebt sein Glas.
Die Musik wird lauter. Um uns herum versinkt alles in einem murmelnden Brei aus Stimmen und dumpfen Beats. Der Gin füllt meinen Kopf mit fluffiger Watte. Ich mag es, dass wir uns bei jeder Bewegung berühren.
„Wie lange bist du hier?“, frage ich.
„Bis morgen. Tagsüber noch mal Schulung, abends fahr ich dann zurück.“
„Eine Nacht also ...“
„Hm?“ Er beugt sich zu mir vor. Er riecht nach herbem Parfüm und Rauch. Ich will mein Gesicht in seinem Nacken vergraben.
„Ach, nichts.“
Er bestellt zwei neue Gin Tonic.
„Ich hab deine Geschichte gelesen“, sagt er.
„Welche Geschichte?“
„Der Link, den du geteilt hast. Ist ’n paar Wochen her.“
„Achso, das … Ja, das war für eine Ausschrei…“
„Die war echt gut.“
Auf einmal ist es furchtbar warm und stickig. Ich fächere mir mit dem Bierdeckel Luft zu, weiß nicht, was ich sagen soll.
„Weißt du was?“ Er lehnt sich zurück. „Ich hab deinen Brief immer noch.“
„Nicht dein Ernst!“ Ich fächere noch schneller. „Das ist echt … Keine Ahnung, ob ich das süß finden soll oder einfach nur peinlich.“
„Peinlich?“
„Na, für mich. Ich war fünfzehn und hochdramatisch.“
„Ich war ja auch ’n Arsch. Da kann man schon mal dramatisch werden.“
„Das ist ewig her.“
„Tut mir trotzdem leid.“
„Hör auf, das war nur ein Kuss.“
„War es nicht.“
War es nicht. Er hat mir das Herz gebrochen. Aber ich war fünfzehn. Diese Nacht fühlt sich weit weg an.
„Wie gesagt – ist ewig her.“
„Ich weiß bis heute nicht …“ Er sieht an mir vorbei. „Du warst so unschuldig. Ich wollte irgendwie was anderes.“
„Das war offensichtlich. Jasmin war da wohl um einiges erfahrener.“
„Ach, komm schon.“
Ich lache, lege meine Hand auf seine Schulter. „Alles gut, ich zieh dich nur auf. Wir waren verdammt jung. Da ist alles irgendwie schlimmer. Man hat noch nicht so viel Übung.“
Sein Blick verändert sich. Ich betrachte die kleinen Fältchen um seine Augen. Zum ersten Mal an diesem Abend sehe ich die Jahre auf seinem Gesicht, die vergangen sind.
„Haben wir die denn jetzt?“, fragt er.
„Denke schon. Es wird leichter damit umzugehen. Mit der Enttäuschung, dem Schmerz. Findest du nicht?“
„Kann sein.“
„Früher hat man sich selbst zerfleischt. Heute ist man einfach …“ Ich suche nach dem richtigen Wort.
„Realistischer?“
„Ja.“
„Verändert das nicht alles? Wie wir lieben, meine ich. Wie wir leben?“
„Schon. Aber das muss so sein. Stell dir vor, ich wäre noch genauso unsterblich verknallt in dich, wie früher. Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich vom Hocker fallen.“
„Fänd ich irgendwie gut.“
Mein Blick fällt auf seine Lippen. „Deine Freundin wahrscheinlich nicht.“
Er lehnt sich zurück und greift nach der Kippenschachtel auf der Theke. „Kommst du noch mal mit?“
Neben uns streitet sich ein Paar. Sie weint, redet auf ihn ein, piekst ihm mit dem Zeigefinger immer wieder gegen die Brust.
Ich drehe mich von ihnen weg, lehne mich an die Wand und ziehe eine Zigarette aus seiner Schachtel. Mir ist ein bisschen schwindelig.
„Wo wohnst du?“, fragt er.
„Nicht weit von hier.“
„Allein?“
„Jep.“
Er stößt den Rauch aus. „Schon lange?“
„Seit der Trennung. Fünf Monate. Ungefähr.“
„Bereust du es?“
„Die Trennung?“
„Die Ehe.“
„Nein“, sage ich. „Ich hätte nichts anders gemacht. Vielleicht ist nur die Vorstellung vom Leben eine falsche. Von der Liebe.“
„Meine Scheidung hat mich damals ganz schön fertig gemacht.“
Ich runzle die Stirn. „Wann?“
„Vor einem Jahr.“
„Wusste ich nicht …“
„Wie auch?“ Eine kleine Gruppe stürmt lachend aus der Bar und stößt ihm die Tür ins Kreuz. Wir gehen ein paar Schritte zur Seite. „Das Komische ist“, sagt er und reibt sich den Rücken. „Ich war nie der Typ zum Heiraten. Hab’s einfach probiert. Aber als dann alles vor die Hunde ging ... Hätte nie gedacht, dass dieses Versprechen doch was bedeutet.“
„Vor allem, wenn es gebrochen wird.“
Wir sehen uns an.
„Gin macht dich ganz schön weise.“ Er nimmt meine Hand und zieht mich zurück in die Bar.
Wir stehen dicht beieinander, um uns herum warme, tanzende Körper. Er hat meine Hand losgelassen, legt aber immer wieder schützend den Arm um meine Hüften, um mich vor dem Gerempel abzuschirmen.
Mein Kopf ist leer. Ich schließe die Augen und lächle, als die Anfangstakte von KRS-Ones Sound of da Police aus den Boxen dröhnen. Ich spüre seine Lippen an meinem Ohr.
„Fehlt dir das?“
Ich öffne die Augen, beuge mich vor, meine Wange berührt seine. „Was meinst du?“
„Früher.“
„Manchmal.“
Lachend torkeln wir durch kleine Seitenstraßen. Das Licht der Laternen taucht alles in ein warmes Gelb.
„Ich hab das Gefühl, im Sommer machen die da andere Glühbirnen rein“, sage ich und kichere. „Sieht viel schöner aus als im Winter.“
Wir biegen um die Ecke. Ich werde langsamer, greife nach seinem Arm und bleibe stehen. „Danke für’s Heimbringen.“
Er geht auf mich zu, bis seine Schuhspitzen meine berühren. Wir stehen da, über uns verliert der Nachthimmel sein Schwarz.
„Gerne.“
Seine Lippen berühren meine. Ganz leicht. Er zieht mich an sich, ich schließe die Augen, wir küssen uns und mir wird schwindlig und schlecht und warm und schwindlig. Ich bin wieder fünfzehn, alles um mich herum verschwimmt, nur wir zwei, hier vor meinem Haus. Ich spüre die Bartstoppeln auf der Haut, seine weichen Lippen auf meinem Mund. Mein Magen flattert bei jeder Berührung, die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf, als er mein Gesicht in seine Hände nimmt und mich gegen die Hauswand presst.
Nur eine Nacht.
In meinem Bauch zieht sich etwas zusammen. Ich drücke ihn von mir weg und lehne meinen Kopf gegen die Hauswand.
Er atmet schwer, steht vor mir und wartet.
„Das geht nicht“, sage ich.
Er sieht auf den Boden, dann wieder zu mir. „Ich weiß.“
Ich betrachte sein Gesicht. Präge mir die dunklen Augenbrauen ein, die schwarzen Wimpern, die kleinen Lachfalten, den geschwungenen Mund. Den Blick, mit dem er mir mitten ins Herz schaut.
„Vielleicht brauchen wir noch mal achtzehn Jahre.“ Ich lache.
Mir ist nicht nach Lachen. Ich gehe auf ihn zu und umarme ihn. Drücke ihn fest an mich. Spüre, wie er tief ein- und ausatmet. Langsam löse ich mich von ihm. Ich schlucke, spüre den Druck auf meiner Brust. Er öffnet den Mund und schließt ihn wieder.
Ich drehe mich um und gehe ins Haus.