Sommergewitter
Sommergewitter
Irgendwann, an einem Tag, der so ist wie der heutige wird einmal die Welt untergehen. Es liegt eine Spannung in der Luft, die mit keinem noch so modernen Gerät gemessen werden kann. Das Herz schlägt zu schnell, die Luft wird zu dünn und überhaupt – es ist alles unerträglich, ja schmerzlich – der Himmel ist bleiern grau. Plötzlich ein Urknall.
Mit einer Urgewalt schleudern die Blitze ihre geballten Ladungen auf uns herab. Wütend rüttelt der Sturm an den Fenstern. Ein Heulen, gleich dem hungriger Wölfe jagt um das Haus. Irgendwo fällt eine Tür laut krachend ins Schloß. Beunruhigt sehe ich aus dem Fenster. Die bedrohliche Färbung des Himmels wird immer wieder durch einen Blitz erleuchtet. Die Wipfel der Birke beugen sich nachgiebig der Gewalt. Immer wieder fegen Sturmböen, die abfallenden Blätter in alle Himmelsrichtungen. Schon wieder ein Blitz.... 1, 2, 3, 4 ..... Ich zähle ... Ängstlich erwarte ich das Grollen. Urplötzlich ein lauter Knall. Obwohl ich ihn erwartet habe, zucke ich doch zusammen.
Urgewalt...
Ich rühre in meiner Tasse Kaffee und denke an vergangene Zeiten. Die unsinnigsten Gedanken jagen durch den Kopf und doch man ist nur ein Mensch, ein kleines, winzig kleines Zahnrad im Weltengetriebe.
Was kann ich tun, was soll ich tun? Ist es im Grunde nicht unwichtig? In mir streiten sich die Gefühle: Jagen und gejagt zu werden. Kleines scheues Reh und großes starkes Raubtier.
Es ist schon eine Mischung die sonderbar vorkommt. Eine seltsame Stimmung breitet sich aus. Eine Melancholie die in tiefe Traurigkeit übergeht nimmt von mir Besitz. Das Gewitter hat sich verzogen. Mein Kaffee ist noch heiß und ich nippe in kleinen Zügen das belebende Getränk. Ich stehe von meinem Sessel auf, wandere unruhig in meinem kleinen Zimmer umher, bleibe dann vor einem kleinen Spiegel stehen und sehe hinein. Ein Paar braune traurige Augen sehen mir aus einem blasen Gesicht entgegen. „Bin ich das?“ Was ist mit mir passiert, was ist aus mir geworden! Der Rauch der Zigarette brennt in der Kehle, und trotzdem beglückt er mich. Ich träume von einer Inselwelt ganz abgeschieden und still, dort wo man noch das Zwitschern der Vögel hören kann und die Blumen betrachten, wenn sie durch den Wind leise hin und her geschaukelt werden.
Oh ja, das wäre schön! Ich sehe mich an und halte Zwiesprache.
Bin ich eigentlich noch normal. Was ist denn heute noch normal? Jeden Tag zur Arbeit hetzen, Streß und Langeweile in einem?
Man kommt wieder einmal aus der Tretmühle, ausgelaugt und kaputt und was kommt dann? Abgeschirmt und steril, jeder in seiner eigenen Welt, fristet man sein Dasein. Man wartet; aber auf was? Niemand kann eigentlich sagen auf was oder wen man eigentlich wartet. Man wartet eben.
Auf was warte ich? Bin ich so wie andere, oder vielleicht anders. Es sind Fragen, die ich mir an solchen Tagen oft stelle, auf die ich einfach keine Antwort weiß.
Schon viele Erfahrungen habe ich gemacht, und trotzdem – habe ich was dazu gelernt? Ich weiß es nicht.
Wenn ich so nach draußen sehe, steigt in mir eine wilde Zärtlichkeit auf, vor der ich mich ängstige. So wie der Sturm vor Wut an den Fenstern rüttelt, genau so könnte ich mich an Dir festsaugen und nie mehr loslassen, bis der Sturm der Leidenschaft sich gelegt hat und einer unheimlichen Ruhe Platz macht. Eine Ruhe, die ausfüllt und unsagbar glücklich macht. Mein Kaffee ist kalt und schmeckt schal. Der Geschmack ist auch nicht anders. Ich sehe mich in meinem Zimmer um, meine plötzlich, die Wände kommen auf mich zu, erdrücken mich. Ich will schreien, mich wehren, doch kein Ton kommt aus meiner Kehle; sie ist wie zugeschnürt....
Doch was nützt das Schreien, wer würde mich hören; wer mir helfen? Du? Du, den ich noch nicht kennen gelernt habe, Du, der Du ein einer netter freundlicher Mensch bist, oder einfach nur ein Mensch.
Ist es überhaupt noch erlaubt ein Mensch zu sein? Darf man Schwächen haben und sie auch noch zeigen?
Ist man Alkoholiker, wenn man am Feierabend ein Bier trinkt? Ist man schlecht und verdorben, wenn man einen Menschen mag und ihm das auch noch zeigt? Wie kann man sich gegen Intrigen schützen und wie gegen Verleumdungen? Wer hilft Dir, wenn Du am Ende bist, nicht mehr weiter weißt und trotzdem Mensch bleiben willst. Ein Zug aus meiner Zigarette und die Welt sieht schon etwas unklarer aus. Nicht mehr so scharf gestochen brutal. Jetzt fällt eine Fliege von der Wand – sie hat ausgelitten. Sie kann nicht mehr gejagt und gehetzt werden, sie ist einfach tot. Die Spuren die sie hinterlassen hat, werden weggewischt, so als wäre sie niemals da gewesen Wie einfach könnte alles sein und wie scher machen es sich die Menschen. Lebensziel so hoch gesteckt – und was erreicht man? Der Spruch „ seit ich die Menschen kenne liebe ich die Tiere“ ist der Vergleich nicht manchmal für die Tiere eine Beleidigung. Es sind Fragen, auf die man keine Antwort geben kann. Weil sie meistens unbequem sind und weil man sich vielleicht vor einer Antwort fürchtet.
Ich habe in meinem Leben schon viele Menschen kennengelernt; ängstliche, draufgängerische, verzweifelte und sogar schon einige ehrliche. Es gibt sehr wenig ehrliche Menschen auf der Welt, man muß sie suchen, meistens eine kleine Ewigkeit. Aber irgendwann findet man sie, ganz unscheinbar und unauffällig gehen sie im Strom der Menschen dahin. Habe ich Dich nun gefunden, diesen einen ehrlichen Menschen auf den ich schon so lange warte? Bist Du der Mensch, der ein Goldkorn in all dem Schmutz ist? Oder ist nur ein wenig Goldstaub über Deinem Kern der bei dem leisesten Regen abgewaschen wird. Wenn es so ist, was kommt dann zum Vorschein?
Es sind Fragen, die ich mir stelle, mich quäle, obwohl ich vor einer negativen Antwort Angst habe sie gar nicht wissen will. Ich möchte vertrauen möchte glauben, glauben an die Menschen die leider allzu oft berechnend sind und um den eigenen Vorteil zu haben, oft über Leichen gehen. Was geht in Deinem Kopf vor, Du, den ich mit meiner ganzen Kraft, meinem ganzen Herzen liebe. Ich zweifele, ich kämpfe mit mir selbst, um endlich wieder einem Menschen zu vertrauen. Ja, es ist ein großes Wort „Vertrauen“. Ganz bestimmt tue ich Dir weh, wenn mein Blick so voller Zweifel auf Dir ruht, vielleicht kränke ich Dich. Ich will es nicht und doch tue ich es. Verlange ich zuviel von andern ?
Plötzlich ein Geräusch, welches nicht in meine melancholische Stimmung paßt. Ich reiße mich von meinem Zwiegespräch mit dem Spiegel los und trete zum Fenster. Eine Lerche sitzt auf einem Birkenzweig und trällert aus vollster Kehle ein Liebeslied.
Die bedrohliche Wolkendecke am Himmel hat sich aufgelockert und ganz vorsichtig lugt ein Sonnenstrahl hinter den Wolken hervor. Plötzlich wird es mir zu eng in der Wohnung. Ich muß hinaus. Die Luft duftet nach Gras, nach Sommer, nach Blumen. Vereinzelt glitzern die letzten Regentropfen auf den sattgrünen Birkenblättern in der Sonne. Das Thermometer zeigt 30 Grad im Schatten. Meine Blicke suchen die Oberfläche des Teiches ab. Die Schilfgräser verdecken die freie Sicht. Die Seerosen haben ihre ausladend großen Blätter entfaltet. Die Natur glänzt noch vor Nässe.
Es ist plötzlich alles so friedlich. So wie der Regen die Natur von Staub und Schmutz befreit hat, so sind auch meine Gedanken und Gefühle von all dem Druck und der Melancholie plötzlich befreit. Ich atme den Duft dieses herrlichen Sommertages ganz tief ein.
Im Kelch der Wasserglocke spiegeln sich purpurfarben die Sonnenstrahlen.
Ein kleines Paradies. So friedlich, so beruhigend. Es ist eine Labsal für Seele und Geist, dem leise plätschernden Wasser zuzuhören und zu träumen.
Kleine runde Glupschaugen sehen mich plötzlich an. Ein kleiner grüner Frosch lugt vorsichtig hinter einem Butterblumenblatt hervor. Er beäugt mich vorsichtig aus sicherer Entfernung. Ich möchte mich nicht bewegen aus Angst, daß er wieder untertaucht. Er sieht mich unverwandt an. Ich möchte wissen was er denkt. Kann ein Frosch denken?
Entspannt setze ich mich in einen sehr bequemen Gartenstuhl und lege die Füße hoch und genieße dieses kleine Paradies. Ein seltsamer Friede überkommt mich.
Wie kann das Leben doch so schön sein? Jeglicher Trübsinn ist mit den Wolken weitergezogen. Eine ungeahnte Energie und Tatendrang durchflutet meinen Körper.