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Sommergewitter auf einer Hütte
Und meine Augen öffneten sich. Was war passiert? Die linke Schulter schmerzte ungeheuerlich. Sowohl unter als auch neben mir lagen Holzscheite und Splitter. Das muss der Tisch gewesen sein, dachte ich. Genau, wo war meine beste Freundin? Mit ihr war ich hier zu dieser Hütte gegangen, um Zuflucht zu suchen. Unsere Eltern machten uns die Hölle heiß. Darum waren geflohen. Zu dieser Hütte. Um Spaß zu haben.
Ich stand langsam auf. Der Schmerz wurde heftiger, weitete sich bis in den Brustbereich aus. Die Hütte glich einem Schlachtfeld: Ein umgekippter Schrank, unsere Sachen, die Spielkarten, die Kippen der Zigaretten, die Glassplitter. Von draußen grollte ein Donnern. Ein Gewitter zog auf. Wo war sie?
Ich konnte mich nicht gut an den vorherigen Abend erinnern. Mein Kopf brodelte. Ich hatte starke Kopfschmerzen. Es gelang mir nicht, mich zu erinnern – für das Erste. Noch nicht ganz. Vielleicht ein bisschen. Ganz grob wusste ich, dass wir gestört wurden. Von wem, wie, was geschah – keine Ahnung. Ich vermisste sie einfach nur.
Es schreckten erste Blitze auf, der Donner polterte entsetzlich. In dem Kram suchte ich nach Anhaltspunkte. Kein Brief, kein Handy, nur Bilder. Ich nahm sie auf. Mit ihrem Ex- Freund sah sie sehr glücklich aus, ihre langen schwarzen Haare, die braunen Augen, das weiße Hemd, die enge, Bein umschlingende Jeans, diese Schuhe – sie war einfach bildhübsch. Schade für mich zugleich. Für sie war ich nur ein guter Freund. Sie mochte mich sehr und ich liebte sie. Nie gestand ich meine wahren Gefühle für sie. Wir kannten uns seit unserer Schulzeit. Jetzt war sie verschwunden und ich allein in dieser Hütte.
Die nächsten Bilder hielt sich recht schlicht, fielen nicht ins Augenmerk. Ich stand auf, ging durch den Raum. Diese Schmerzen, fürchterlich. Das Bett war so unordentlich. Es übermannte mich beinahe. Mein Gedächtnis füllte erste Lücken. Auf dem Stuhl neben mir nahm ich Platz. Wir lagen gestern nicht im Bett, an dem Tisch saßen wir, spielten Karten, lachten, erzählten uns skurrile
Alltagsgeschichten. Frei von allem, was belastete. Zum Glück. Endlich. Wo wir am Tisch uns aufhielten, lagen wir nicht im Bett. Ich erkannte Risse auf dem Bettlaken. Der Atem stockte. Sie besitzt scharfe Fingernägel. Das konnte nicht sein, nein, unmöglich!
Ich entdeckte auch Blutspritzer. Der Brustkorb zog vor Schmerzen sich enger zusammen. Nein. Unmöglich! Nein. Die Nackenhaare stellten sich rasch auf. Gänsehaut überall. Für einen kurzen Moment nickte ich ab. Ich fing mich. Was war passiert?
Es begann, leicht zu nieseln. Immer wieder Blitze und Donner im Wechsel. Erschrocken blickte ich zur Tür. Blutflecken! Vom Bett zur Tür, ich musste kombinieren. Eventuell wurde sie entführt oder gar vergewaltigt oder... ermordet! Meine Augen ließen Tränen zu. Meine beste Freundin – ein Opfer eines Gewaltverbrechens? Hoffentlich nicht, hoffentlich nicht!
Gedanken purzelten willkürlich. Aufzuhalten waren sie nicht. Es drückte im Kopf. Die Schulter schmerzte. Schweiß lief von meinen Achseln meinem Körper hinunter. Innerlich zitterte ich vor der Wahrheit. Eigentlich wollte ich nur einen Aufschluss, was nun gestern hier vor sich ging, aber ich merkte, wie mir die Auflösung weh tun würde. Irgendetwas geschah. Etwas Fürchterliches, das ahnte ich, bevor ich durch Tür nach draußen schritt.
Als ich an der Tür stand, lief vor mir ein Film ab. Ich erinnerte mich: Wir spielten Karten, bis zwei Männer hineinpreschten. Sie trugen normale Kleidung mit der Ausnahme, dass Masken ihre Köpfe schmückten. Einer hielt eine Waffe in der Hand, riss meine Freundin an sich. Der andere bedrohte mich. Dabei lehnten wir uns über den Tisch. Er fragte nach Geld, Kohle, Zaster, Moneten. Genau! An seinem Oberarm prangte eine kleine Tätowierung – eine Zahlenkombination, mit Bindestrichen dazwischen. Soldatenbrüder! So war es gewesen! Ich drückte ihn mit dem Arm nach hinten weg, wollte sie retten. Doch dann schubste er mich zurück zum Tisch, brach durch diesen, landete auf meiner Schulter. Was ich noch hörte, waren ihre weinenden Schreie und das hässliche Lachen und Gerede der beiden. Danach wurde es tief schwarz. Ich würgte aus Angst, vor dieser Rückführung. Sie hatten wir etwas angetan! Ich werde die beiden fertig machen, sie eigenhändig begraben, sollten meiner Freundin etwas widerfahren sein.
Der Regen durchweichte mich schon, so sehr eilten die ersten Gewitter- Vorboten heran. Mein Weg über die Wiese zur Nachbarhütte erschwerte der Wind von allen Seiten. Über mir versetzte der Donner die Landschaft in Schrecken. Mir war kalt. Die Schmerzen unerträglich. Der Wehmutsgedanke quälte mich. Erst überlegte ich, ob ich die Tür öffnen sollte. Wer weiß, was dahinter warten würde. Meine Freundin, andere Leute, eine Verletzte, dar eine weinende Person, Gleichgesinnte, Gehässige, Feurig, die Soldaten oder gar eine Leiche? Allein jetzt musste ich brechen. Gebeugt im Wind stehend, das Wasser auf dem Rücken spürend – das war es, was ich nicht wollte. Was sollte mich erwarten? Was wäre, wenn sie nicht da ist? Wo hätte sie sonst stecken können? Ist sie vielleicht gefesselt, gefangen worden, um nicht Hilfe zu holen?
Ich raufte mir die Haare, begann zu schluchzen. Glück, es rinnten mir ohnehin Regentropfen übers Gesicht. Mit zitternder Hand langte ich zum Griff und schlagartig riss ich die Tür auf. Jetzt oder nie!
Später teilte mir die Polizei die eilende Nachricht mit, dass eine Stunde nach der Entdeckung auf der ortsansässigen Straße bergab zwei Männer durch die starken Regenfälle die Kontrolle über ihr Gefährt verloren hätten und frontal mit einem Baum kollidiert wären. Es seien zwei Masken und eine Pistole sichergestellt worden.
Es regnete noch bis zum nächsten Morgen durch. Bei mir ebenfalls.