Sommer, Sonne, Suizid
Drei Uhr mittags,neunundzwanzig Grad, vielleicht auch etwas mehr. Die Sonne wirft ihr gleißendes Licht auf den kleinen Fleck Erde mitten in Deutschland. Mühldorf nennen es die Menschen hier. Für Griffin ist es was es nun mal ist: Eine kleine Ansammlung von Häusern irgendwo im nirgendwo. Natürlich könnte er das Dörfchen beschönigen doch wieso sollte er? Es ist nichts besonderes.
Vögel zwitschern. Sonst ist es still.Ein wunderschöner Tag. Nun das würden wohl die anderen sagen.
Griffin nicht. Für ihn ist jeder Tag gleich. Seine Stimmung dümpelt zwischen schwarz und Holzkohle-grau umher. Das war nicht immer so. Er war glücklich. Irgendwann mal. Bevor sein Vater starb. Er ist alleine zuhause. Geschwister hat er nicht und seine Mutter arbeitet schon wieder. Ihm kommt es so vor, als würde sie ständig arbeiten. Nie hat sie Zeit für ihn.
Er sitzt im Garten, um nachzudenken. Einen schattigen Platz hat er gefunden. Der einzige im ganzen Garten, wohl bemerkt. Gedanken jagen durch seinen Kopf. Wörter die er einmal gesagt hatte. Einige waren schon Jahre her andere erst einige Stunden alt.
Es macht ihn so krank. Dieser ständige Kampf mit ihm selber. Dieser Kampf der ihm jede Kraft raubt. Tag für Tag. Achtzehn. So alt ist er geworden. Letzen Dezember. " Nicht mein Tag, seit achtzehn Jahre" murmelt Griffin. Er wünscht sich niemals geboren wurde zu sein. Er wünscht sich, ihn hätte jemand gefragt ob er leben möchte. Er hätte Nein gesagt. Er verabscheute jede einzelne Sekunde die er hier war. Jeden einzelnen Atemzug. Das erinnerte ihn an einen Spruch den irgendjemand mit Graffiti an eine Hauswand gesprüht hatte:"alive or just breathing?" Lebst oder atmest du nur noch? Er hatte die Frage im Stille mit "just breathing" beantwortet. Griffin steht auf, durchquert den kleinen Garten und öffnet die Garage.
Er hat ein Motorrad. Wenn sein Kopf zu voll ist fährt er damit durch die Gegend. Ohne Ziel. Er liebt dieses ziellose umherfahren. Er liebt die Vibration die sich von dem Motor auf seinen ganzen Körper überträgt. Das Summende Geräusch wenn er Gas gibt. Die stickige Luft unter dem Helm, das drücken der Schutzkleidung.
Der Motor schnurrt als Griffin den Kickstarter betätigt. Er rollt aus der Garage. Zum ersten Mal fährt er ohne Helm. Seine Mutter hatte es ihm verboten. Aber was macht das jetzt noch? Zum ersten Mal hat Griffin ein Ziel. Karl-Marks-Straße. Die lange, steile Abfahrt endet mit Grauem Beton in einer Sackgasse. Ungefähr vier Meter hoch und bestimmt halb so dick. Kalt, glatt und sauber.
Griffin lässt den Motor aufheulen, der Wind pfeift an seinen Ohren vorbei. Die Reifen quietschen und die Federung bewegt sich rhythmisch mit der Straße mit. Er presst die Knie gegen die Verkleidung des Motorrades, um nicht herunter zu fallen.
Griffin fährt schneller als erlaubt, er will es hinter sich bringen.
Er biegt in die Karl-Marx-Straße ein.
Fünfzig Kilometer pro Stunde, Sechzig, Siebzig, Achtzig. Mehr schafft sein Motorrad nicht.
Er jagt über den Asphalt. Er hat Angst. Aber nur ein wenig, nicht zu viel. So kurz vor dem Ziel ist er voller Vorfreude. Der Betonklotz kommt immer näher. Noch fünfundvierzig Meter. Noch dreißig, noch zwanzig Meter. Unmöglich jetzt noch abzubremsen, nicht ohne über den Lenker zu fliegen.
Denken ist jetzt völlig unnötig. Griffin kneift die Augen ein wenig zusammen. Noch fünf Meter.Eine halbe Sekunde. Vielleicht auch weniger.
Grauer Beton mit roten Flecken. Nicht mehr sauber. Das Kunstwerk von einem Toten. Blauer Himmel spiegelt sich in Öl. Benzin und Blut vermischen sich und laufen in kleine Rinnsalen über die Straße.
Das Motorrad liegt in Einzelteile auf dem Asphalt.
Kaum noch zu erkennen, Griffin. Nichts mehr übrig, von den schwarzen drahtigen Haare, von den glänzenden braunen Augen, von den weißen geraden Zähnen und von dem kantigen Gesicht.
Nichts mehr übrig von seinen Gedanken und Erinnerungen von seinem Lachen und von seinen Tränen. Alles verloren, was Griffin war. Ein Leben voller Erinnerungen, Gedanken, Wünschen und Zielen ausgelöscht. In weniger als drei Sekunden.
Karl-Marks-Straße. Vielleicht nicht mehr ganz dass,was sie einmal war.
Sommer, Sonne, Suizid.