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Sommer 2006

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20.10.2008
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Sommer 2006

„Hi, na, wie geht’s? Ich hab gesehn dass du auf die Biber-Brüder stehst. Ich find ‚Total dental’ sooo lustig.“
Diese Nachricht las ich, als ich eigentlich gerade offline gehen wollte um den Herrn der Ringe weiterzulesen. In diesem Sommer begleitete ich Frodo zum vierten Mal zum Schicksalsberg. Ich klickte auf das Profil des Absenders. Männlich, 19, Wohnort Kleinding. Das war wohl kaum ein Zufall, denn daher kam ich auch.
„Kenn ich dich?“
„Ich war eine Klasse unter dir. Max Weller.“
„Sagt mir nichts… Hast du ein Foto?“
„Sorry, keine Digi-Cam.“
„Achso … jedenfalls, ja, kenn ich, ist die beste Folge. Die späteren sind irgendwie mau.“
„Find ich auch. Aber der Superbiber ist auch geil.“
„Und Oxnard Montalvo oder wie der heißt.“
„Ja, sau-lustig.“
„Also bist du noch auf dem Marien-Gymnasium?“
„Ich hab grad Abi geschrieben, steck jetzt in dem tiefen schwarzen Loch, das danach kommt. Und was machst du jetzt?“
„Ich verdien ein bisschen Geld und fang im Herbst an der Uni an.“
„Cool, genau wie ich.“
„Das ist irgendwie seltsam, du weißt wer ich bin, aber ich nicht wer du bist …“
„Hast du einen alten Jahresbericht da?“
„Ne, hab ich mir nie gekauft. Beschreib dich mal, vielleicht klingelt es dann …“
„Hm, also ich bin 1,80, blond, blauäugig, 90-60-90 :-)“
Ich klickte nochmal auf das Profil. Männlich. Und außerdem hieß er ja Max. Das war also wohl ein Scherz.
„Haha …“
„Na gut. Ich bin mittelgroß, … rotbraune, kurze Haare, in der Schule hab ich meistens eine Brille auf …“
„Nach der Beschreibung kommt echt jeder in Frage.“
„Sorry, ich hab halt keine Narbe auf der Wange oder ein Tatoo auf dem Unterarm oder so … ich bin voll durchschnittlich …“
„Hm … dann kann man wohl nix machen.“
„Mehr haben wir uns wohl nicht zu sagen, hm? Dann geh ich jetzt mal lesen.“
Die Ehrlichkeit gefiel mir.
„Was liest du denn?“
„Ach, Fantasy, nichts literarisch anspruchsvolles.“
„Ich les grad zum vierten Mal den Herrn der Ringe.“
„Und wo bist du gerade?“
„Frodo und Sam haben sich gerade von den anderen getrennt.“
„Ich mag … die Beziehung der Beiden. Das ist echte Freundschaft.“
„Viele sehen darin was Homoerotisches.“
Ich war gespannt wie er darauf reagieren würde.
„Echt? Hm … kann schon sein. Jedenfalls find ich es toll wie sie aufeinander aufpassen.“
„Allein hätte Frodo es jedenfalls nicht geschafft. Gandalf hat schon gewusst was er tat, als er Sam hinter ihm hergeschickt hat.“
„Was hältst du von den Filmen?“
„Hab ich mir nicht angeschaut. Ich hab Angst, dass sie meine ganze Vorstellung von Mittelerde zerstören.“
„Ja, das passiert normalerweise. Ich bin bei Buchverfilmungen auch immer skeptisch. Aber Jackson hat das echt gut gemacht. Die Charaktere sind so echt und die Story ist gut adaptiert. Ich war echt alle drei Mal total begeistert. Ich hab mir sogar die Special-Edition-DVDs gekauft.“
„Naja, vielleicht ändere ich meine Meinung doch noch …“
„Ich muss jetzt lesen gehen, bin grad an ner echt spannenden Stelle. Aber war schön mit dir zu Schreiben, David.“
„Danke gleichfalls, Max.“
„Bis dann.“
„Ciao.“
Ich ertappte mich dabei, dass ich grinste. Ich mochte es, dass er sich keine Ausrede einfallen ließ, um den Chat zu beenden, sondern einfach sagte was er wollte. Und was er über Frodo und Sam gesagt hatte… das war genau das, was ich so toll fand an den Gefährten. Und die Biberbrüder kannte und schätzte kaum jemand in meiner Umgebung. Ich legte mich auf mein Bett und las irgendwie lustlos. Bald schaute ich regelmäßig nach, ob er vielleicht wieder online kam. Aber das Feld neben seinem Namen blieb dunkel. Ich aktualisierte alle paar Minuten, bis ich weg döste.

Als ich aufwachte, war es stockfinster geworden und nur der Monitor erleuchtete eine Ecke meines Zimmers. Benommen stand ich auf und aktualisierte wieder. Und da war das Feld gelb! Es war zwei Uhr Morgens, aber ich war sofort hellwach und tippte:
„Hey, na, hast du tolle Abenteuer erlebt?“
„Hey! Ja, klasse Buch. Der zweite Teil kommt hoffentlich morgen mit der Post.“
„Ich will dich ja nicht entmutigen, aber morgen ist Sonntag …“
„Neeeeeeiiiiiin!!“
„Oh jeh, du vergisst schon welcher Tag ist. Das ist symptomatisch für das schwarze Loch nach dem Abi …“
„Was mach ich denn jetzt morgen den ganzen Tag?“
Sofort war dieser Gedanke in meinem Kopf. Die Herr der Ringe-Trilogie mit mir anschauen, wollte ich schreiben. Aber dann besann ich mich. Wie würde das denn wirken? Ein wildfremder Kerl den man gerade erst online kennengelernt hat. Außerdem musste ich arbeiten.
„Naja, du wirst schon was finden. Das Wetter wird sicher wieder schön …“
„Reden wir jetzt echt übers Wetter?“
Ich tippte einen lachenden Smiley ein.
„Warum nicht? Und über Lokalpolitik.“
„So verzweifelt unterhalten zu werden bin ich dann doch nicht.“
„Jetzt bin ich voll im Zugzwang, sonst rennst du mir wieder weg.“
„Keine Sorge, das Buch ist ja ausgelesen. Also, dann stell ich mal die große Frage:“
Mir wurde heiß.
„Die große Frage?“
„Ja! Die einen jeder fragt. Was willst du denn dann mal werden, wenn du groß bist?“
Ich atmete erleichtert aus.
„Achso. Psychologe. Du?“
„Physiker.“
„Das fängt beides mit P an und hat ein y drin.“
Warum hatte ich den Scheiß bloß abgeschickt? Aber ein lachender Smiley kam zurück und dahinter stand:
„Uuuh, wir sind seelenverwandt!“
Irgendwie musste ich schlucken … denn damit hatte er eine meiner größten Sehnsüchte getroffen. Ich beschloss, ihm einfach zu schreiben was mir dazu einfiel.
„Ich hab damals nach dem Abi eine Liste gemacht, mit Dingen, die ich unbedingt tun muss. Vieles hat noch nicht geklappt …“
„Was stand da so drauf?“
„Einen Seelenverwandten finden, zum Beispiel.“
„Glaubst du echt an so was?“
„Natürlich. Bei den Milliarden von Menschen da draußen muss es doch einen geben, der die Welt mit meinen Augen sieht.“
„Und dann ist es auch wahrscheinlich, dass der in deiner Nähe lebt, weil ja durch die Sozialisation die Weltsicht bestimmt wird und so …“
„Genau, das ist auch meine Theorie.“
„Also halt die Augen auf. Dein Seelenverwandter könnte näher sein als du denkst …“
Ich musste schlucken. Das Gespräch entwickelte sich in eine ganz seltsame Richtung. Bevor ich antwortete, flatterte schon die nächste Nachricht von ihm herein.
„Sollen wir lieber doch übers Wetter reden?“
Ich lachte laut los und schrieb ihm das auch.
„In der Schule hast du nie gelacht. Da hast du immer recht ernst dreingeschaut.“
„Ich komm mir plötzlich so beobachtet vor …*über Schulter schau*“
„Hihi, neeeee! Ich beobachte generell gern.“
„Ist das nicht mein Job als künftiger Psychologe?“
„Vielleicht sollte ich doch noch meine Studiengangwahl überdenken?“
„Vielleicht.“
„Also, dann bleiben wir doch gleich mal auf der tiefschürfenden Ebene: Glaubst du an Gott?“
„Äääääh, dazu könnte/müsste ich dir jetzt nen ganzen Aufsatz schreiben …“
„Ja oder nein? Entscheid dich.“
„Dann nein. Du?“
„Allein um das Gespräch interessant zu halten, muss ich ja jetzt ja sagen.“
„Na gut, aber jetzt will ich mich doch kurz erklären. Es ist nämlich so: Mir ist egal, ob es einen Gott gibt.“
„Oh … okay … interessante Einstellung, erzähl mal.“
„Ich versuche immer, das Richtige zu tun, egal ob es da oben einen Gott gibt, der mich dafür belohnt oder nicht. Es macht für mich keinen Unterschied.“
„Und woher nimmst du das Wissen darüber, was richtig und falsch ist?“
„Ich kann doch die Bibel lesen und mir denken, ja stimmt, das ist sinnvoll, da haben sich ein paar kluge Leute zusammengesetzt und das aufgeschrieben.“
„Stimmt. Aber woher nimmst du die Kraft, immer das Richtige zu tun, wenn das Falsche so viel leichter wäre?“
„Eine Mischung aus Karma und Empathie.“
„?“
„Ich glaube schon, dass alles irgendwann auf einen zurückfällt. Aber nicht durch eine andere Kraft, sondern durch Rache, oder auch durch mein eigenes schlechtes Gewissen. Und ich würde nie jemand anderem Leid zufügen, weil ich mir dann immer vorstellen müsste, wie es dem geht …“
„Hört sich an als würde das für dich funktionieren.“
„Ja, das tut es.“
„Trotzdem braucht man dazu schon viel Kraft, die hat bestimmt nicht jeder.“
„Und für die gibt es ja zum Glück die Religion.“
„Willst du sagen Glauben ist ein Zeichen von Schwäche?“
„Das würde ich mir nie anmaßen. Ich würde nie über jemanden ein Urteil fällen, wegen dem woran er glaubt. Das ist einfach viel zu persönlich und geht eigentlich niemanden etwas an.“
„Dann danke, das du deinen Glauben mit mir geteilt hast.“
„Ich hab das Gefühl, dass ich ehrlich zu dir sein kann.“
„Das kannst du auch. So, ich schlaf schon fast ein und muss morgen früh raus.“
„Gehst du etwa in die Kirche oder so?“
„Gut geraten. Aber nur weil ich gezwungen werde. Ich werde wegen meinem Glauben verfolgt. Von meinen Eltern. Sie verstehen einfach nicht, wie ich mich für was anderes als den katholischen Glauben einsetzen kann.“
„Was glaubst du denn?“
„Wenn du morgen Abend wieder hier bist, erzähl ich es dir.“
„Gut, so ab Elf, davor muss ich arbeiten.“
„Okay, dann bis morgen.“
„Bis morgen.“
Das Feld neben seinem Namen wurde wieder dunkel. Es war fast vier. Ich hatte überhaupt nicht gemerkt wie die Zeit vergangen war, während ich auf seine Nachrichten gewartet hatte. Er hatte wohl gleichzeitig noch mit jemand anderem geschrieben. Ich fragte mich mit wem …

Ich schlief bis Zehn, dann stand ich auf und las mir unser Gespräch noch mal durch, mit einem Grinsen das gar nicht mehr verschwinden wollte. Vielleicht war er ja der, den ich gesucht hatte. Aber kaum hatte ich den Gedanken gedacht, schüttelte ich auch schon über mich selbst den Kopf. Wir hatten ein paar Stunden gemailt, das war alles. Ja, aber über so wichtige Themen. Ich hatte ihm Gedanken anvertraut, die ich noch nie mit jemandem geteilt hatte … unter dem Deckmantel der Anonymität. Aber nur für ihn. Er kannte mich ja. Vielleicht wusste er sogar, wo ich arbeitete und machte sich den Spaß, sich ins Restaurant meiner Tante zu setzen und sich von mir bedienen zu lassen. Was, wenn er plötzlich vor mir stünde? Was, wenn er hässlich war? Ich beschloss, so bald wie möglich einen alten Jahresbericht aufzutreiben.

Meine Tante fragte mich an dem Tag oft, wo ich bloß meinen Kopf hatte. Ständig fiel mir irgendwas runter oder ich vergaß Bestellungen oder ich starte einfach Löcher in die Luft. Der Tag konnte nicht schnell genug vorbei sein.

Um Zehn hatte ich endlich Feierabend. Ich trat in die Pedale und war in zehn Minuten zu Hause, normalerweise brauchte ich 20. Dafür musste ich, nachdem ich den PC angeschaltet hatte, erst mal unter die Dusche.
Um halb Elf war er noch nicht da. Ich legte mich mit dem Herrn der Ringe auf’s Bett und studierte Landkarten, während ich zwischendurch immer fleißig F5 drückte. Es wurde halb Zwölf, bis sein Feld endlich gelb leuchtete. Ich beschloss, trotz meiner Ungeduld, darauf zu warten, bis er mich anschrieb. Bis dahin vergingen weitere zehn Minuten.
„Hey! Sorry, bin grad erst heimgekommen. Na, wie war die Arbeit?“
„Wie immer. Wo warst du denn unterwegs?“
„Ach, mit eine paar ehemaligen (ja das kann ich jetzt sagen) Klassenkameraden am See. Lagerfeuer, grillen, so was halt.“
„Also?“
„Oh Gott, jetzt bin ich da gerade überhaupt nicht drinnen.“
„Wir können auch wieder übers Wetter reden.“
„Ja, du kannst dem Regen danken, dass ich wieder da bin. Die hatten sogar überlegt, unter freiem Himmel zu schlafen.“
„Danke, lieber Gott des Regens. ;-)“
„Na gut, also, ich bin überzeugt, dass es eine Kraft gibt, die uns alle verbindet. Wenn ich jemandem Leid zufüge, dann füge ich auch mir selbst Leid zu. Und die Welt wird erst dann ein besserer Ort, wenn wir das alle verstanden haben.“
„Das hört sich irgendwie voll kitschig an …“
„Dacht ich mir auch gerade, als ich es mir noch mal durchgelesen habe. … Kennst du den Markus Mann?“
„Da klingelt was, ja.“
„Der hat heute zu tief ins Glas geschaut und musste auf meinem Gepäckträger mitfahren.“
„Ist das nicht dieser riesige Kerl? Und grad leicht schaut der auch nicht aus. Warum ham sie den denn dir aufgebrummt?“
„Willst du wissen ob ich stämmig bin, hm?“
Ertappt …
„Nein, ich … na gut … hey, ich will eben wissen, mit wem ich schreibe.“
„Was sagt denn meine Figur über mich aus?“
„Nichts Wichtiges … ach, vergiss es …“
„Da hast du dich ganz schön reingeritten, was?“
„Erlös mich!“
„Na gut. Hast du Geschwister?“
„Eine kleine Schwester. Du?“
„Nein, niemanden.“
„Ich hab mir oft gewünscht, ein Einzelkind zu sein.“
„Und ich hab mir oft Geschwister gewünscht …“
„Tja, man will immer das, was man nicht haben kann…“
„Nur zu wahr …“ pflichtete er mir bei.
„Was wünscht du dir noch, was du nicht haben kannst?“
„Ach, einiges … aber nichts, was man einfach so erklären könnte …“
„Na gut …“
„Sei nicht sauer, ja?“
„Ach Quatsch …“
„Es ist nur … wir kennen uns eigentlich gar nicht …“
„Ich weiß. Aber gerade deshalb fällt es mir leicht, mit dir über solche Sachen zu reden …“
„Ich wüsste gerne von wem ich meine Augen habe.“
„Häh?“
„Die sind grün und die meiner Eltern sind blau.“
„Du denkst also …“
„Nein, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass ich sie nicht danach fragen kann, ohne sie zu verletzen …“
„Ist es wirklich so wichtig? Ich meine, es sind nur Gene … die Erziehung macht viel mehr aus …“
„Ich weiß, … trotzdem ist da irgendwie ein Loch …“
„Verstehe … und wenn du ihnen das erklärst?“
„Wenn ich nur in die Nähe dieses Themas komme, dann seh ich die Angst in ihren Augen. Nein, keine Chance. Dieses Geheimnis werden sie wohl mit ins Grab nehmen …“
„Tut mir leid …“
„Schon okay, ich leb damit schon seit einer Weile. …Was ist dein größter Wunsch?“
„Ein eigenes Zuhause, mit Menschen die ich liebe.“
„Soll das heißen du liebst deine Eltern nicht?“
„Doch, sie sind ja meine Eltern … aber von Harmonie ist hier nicht viel zu spüren.“
„Ich dachte deine Eltern leben getrennt?“
„Du weißt ja ganz schön viel …“
„In so einer Kleinstadt wird viel getratscht …“
„’Getrennt’ bedeutet, dass mein Dad nach nebenan gezogen ist. Ich seh ihn nicht seltener als früher. Nur dass er jetzt ungestört Damenbesuch empfangen kann, was meine Mum sehr wütend macht, wie man sich vorstellen kann …“
„Aber wenn sie doch getrennt sind …“
„Ja, das sag ich ihr auch immer …“
„Eltern, hm?“
„Ja, schrecklich …“ pflichtete ich bei.
„Ich muss bald ins Bett …“
„Wirklich, schon?“
„Ich hab meiner Freundin versprochen morgen mit ihr einkaufen zu fahren …“
Mein Herz blieb stehen. Natürlich. Seiner Freundin … was hatte ich auch erwartet?
„David?“
„Hm?“
„Warum schreibst du nicht mehr?“
„Meine Schwester war kurz da und brauchte was …“ log ich.
„Achso … jedenfalls … Claudi will mit dem Zug um kurz nach Neun fahren. Wenn es um’s shoppen geht, versteht sie keinen Spaß…“
„Claudi? Die etwas durchgeknallte, die mit Hannes gegangen ist?“
„Genau die. Ich hab sie gewarnt, aber sie wollte nicht auf mich hören. Der Kerl hat sie böse abserviert …“
„Und seit wann seid ihr zusammen?“
„Was?! Nein! Wir sind Freunde. Beste Freunde, eigentlich schon immer.“
Ich kann gar nicht sagen wie erleichtert ich war. Es machte mir selbst Angst. Ich steigerte mich da total in etwas hinein. Das musste ein Ende haben.
„Aso. Na gut, dann schlaf gut.“
„Sehen wir uns morgen Abend wieder hier?“
„Weiß noch nicht. Also bis dann.“
„Bis dann, und gute Nacht, David.“
Die Art, wie er meinen Namen verwendete, jagte mir einen angenehmen Schauer über den Rücken. Trotzdem beschloss ich, die nächsten Tage erst mal ohne Internet zu verbringen. Selbstschutz.

Am Montag bot ich an, im Restaurant auszuhelfen. Nachdem ich den zweiten Teller zerdeppert hatte, nahm meine Tante, die Schwester meiner Mutter, mich bei Seite.
„Was ist denn bloß los mit dir?“
„Ich weiß auch nicht, ich kann mich einfach nicht konzentrieren …“
„Hast du Stress mit einem Mädchen? Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.“
„Schon okay, wirklich …“
„Also geht es um ein Mädchen? Jetzt erzähl schon!“
„Na gut … wir haben uns online kennengelernt. Ich hab keine Ahnung wie … sie aussieht. Aber ich mag sie wirklich. Unsere Gespräche waren … einfach einmalig.“
„Und jetzt hast du Schiss, dass sie nicht das Gleiche empfindet, oder vielleicht doch, aber leider hässlich wie die Nacht ist?“
Ich nickte nur.
„Dann musst du sie treffen!“
„Das geht nicht so einfach …“
„Warum denn nicht?“
Weil es ein Kerl ist, und wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehne und er sich als Tratschweib entpuppt, dann weiß bald die ganze Stadt über mich bescheid. Aber das konnte ich ihr natürlich nicht sagen. Ich zuckte nur die Schultern.
„Du gehst jetzt erst mal und genießt den restlichen Nachmittag. Es ist nicht mal Vier, fahr an einen Weiher oder so was.“
„Sicher?“
„Klar, bevor du noch mehr zerstörst. Geh schon.“

Zu Hause packte ich schnell ein paar Sachen zusammen und schon war ich auf dem Weg zu einem Baggerweiher, keine viertel Stunde entfernt. Ich ging an das ruhigere Ufer, denn auf der anderen Seite genossen einige Familien mit vielen Kindern das schöne Wetter bevor es in ein paar Tagen wieder schlechter werden sollte. Kaum hatte ich mich eingerichtet, die Headphones eingestöpselt und die Seite wieder gefunden, auf der ich war, zog schon eine ganze Horde an mir vorbei und ließ sich an ‚meinem’ ruhigen Ufer nieder. Einige kannte ich vom Sehen. Die Mädels waren in der Mittelstufe gewesen, als ich Abi gemacht hatte. Jetzt hatten sie sich scheinbar ein paar ältere Jungs angelacht. Die zehn Leute machten einen Lärm wie 50, das hörte ich sogar durch meine Headphones. Als sie einen Ghetto-Blaster auspackten und voll aufdrehten, wollte ich schon umziehen, aber die Beschallung reichte sicher für den ganzen See. Ich machte meine eigene Musik lauter bis mir die Ohren wehtaten. Resigniert machte ich aus, ließ die Stopseln aber drinnen, in der Hoffnung, sie mögen die Elektro-Mucke etwas dämpfen. Ich las schon zum dritten Mal die selbe Zeile. Im Wasser kreischten die Mädels als die Jungs versuchten, durch ihre Beine zu tauchen. Ich war fest entschlossen wenigstens dieses Kapitel fertig zu lesen. Einige fingen an, Frisbee zu spielen. Offensichtlich lag ich ihnen im Weg, aber ich machte keine Anstalten, zu verschwinden. Immerhin war ich zuerst hier gewesen. Ich drehte mich auf den Bauch und schaffte es erstaunlich gut, den Rest auszublenden. Bald war ich auf der letzten Seite des Kapitels.
„Achtung!“
Ich zuckte arg zusammen, als die Frisbee-Scheibe auf meinem Rücken landete. Wütend fuhr ich herum.
„Sorry, sorry, sorry!“
Einer der Spieler rannte schon auf mich zu.
„Ich hab noch versucht, dich zu warnen. Ich hatte wohl den Wind nicht einberechnet. … Alles okay?“
Er schaute so schuldbewusst, dass ich ihn nicht mehr anschnauzen konnte, obwohl ich große Lust dazu gehabt hätte.
„Jaja …“
Ich gab ihm die Scheibe.
„Wir haben dich hier ganz schön belagert, hm?“
„Hier war es schön ruhig, ja.“
„Hast du’s bald?“
Seine Freunde wurden langsam ungeduldig. Mit einer Grimasse schleuderte er die Scheibe weg und der Wind trug sie weit in den See.
„Na wunderbar!“, blökte einer seiner Mitspieler.
„Sorry! …Siehst du, ich hab den Wind schon wieder nicht einberechnet …“
Er machte keine Anstalten, zu verschwinden.
„Was liest du denn da? Ah, der Herr der Ringe.“
Er ließ sich auf mein Handtuch fallen und redete einfach weiter als wäre das ganz normal.
„Weißt du, mir war die Story-Line mit Frodo und Sam immer am liebsten. Wie sie sich umeinander kümmern und so. Das sieht der Gott des Regens bestimmt gerne.“
Für einen Moment muss ich ihn absolut verständnislos angeschaut haben, bis es plötzlich klick machte.
„Jetzt hast du’s, was?“
Er streckte mir die Hand hin.
„Max.“
„David.“
„Ich verfolge dich nicht oder so was.“
„Gut ... ich bin immer noch etwas perplex …“
„War ich auch, als ich dich vorhin hier liegen hab sehen.“
„Du bist ja gar nicht stämmig.“
„Hab ich ja auch nie behauptet. Ich war nur der einzige mit Gepäckträger.“
Ich musterte ihn so lang ich es wagte. Er sah gut aus. Puh, Glück gehabt. Er war schlank, etwa so groß wie ich, zumindest soweit ich das im Sitzen beurteilen konnte. Seine Haare waren hellbraun mit einem Kupferstich. Und diese Augen! Leuchtendes Grün! Ich wusste plötzlich überhaupt nicht mehr, was ich sagen sollte.
„Immerhin weißt du jetzt, mit wem du schreibst.“
„Du siehst so gut aus … äh, ich … ich meine, man hört doch immer von diesen assligen Typen die sich in irgendwelchen Chatrooms rumtreiben, weil im echten Leben niemand auch nur in ihre Nähe kommen will …“
„Ach, ich sitz eh die ganze Zeit am PC um das mit meiner Ausmusterung zu regeln. Ich hoffe, ich hab dich nicht zu lang auf meine Antworten warten lassen …“
Das war es also, er hatte gar nicht mit jemand anderem geschrieben.
„Ach Quatsch, ich hab mir die Zeit schon vertrieben …“
„Naja, ich werd mal ins Wasser gehen. Kommst du mit? Ich will zu der Insel schwimmen.“
„Da rüber? Hast du nicht gehört dass es da spuken soll?“
„Nur nachts. Also was ist jetzt?“
„Ich glaub, ich passe.“
„Bist du noch da wenn ich zurückkomme?“
Ich nickte und er stürzte sich in die Fluten. Oh mein Gott, er war einfach perfekt. Ich bekam plötzlich Angst. Alles schien so gut zu laufen. Irgendwo musste doch ein Haken sein. Und ich konnte mir auch schon denken wo.

Ich zerbrach mir den Kopf, ob ich ihm lieber gleich sagen sollte, dass ich schwul bin, um es hinter mich zu bringen und es nicht ewig ängstlich vor mir herzuschieben. Aber ich kannte ihn doch kaum. Ich konnte ihm doch nicht das sagen, was ich noch niemandem je gesagt hatte, nach zwei Tagen! Andererseits hatte er gesagt, ich könne immer ehrlich zu ihm sein, aber damit hatte er vermutlich nicht gerechnet, sonst wäre er mit solchen Aussagen vorsichtiger gewesen. Ein kalter Schauer traf mich.
„Waaaah!“
„Bin wieder da.“
„Ein ‚Hallo’ hätte mich das auch wissen lassen.“
„Wo bleibt da der Spaß? Darf ich?“
„Klar.“
Er legte sich neben mich und ich ertappte mich dabei, wie ich die Wasserperlen auf seiner hellen, gleichmäßigen Haut musterte. Schnell steckte ich die Nase wieder ins Buch.
„Wo bist du gerade?“
„Merry und Pippin haben vor ein paar Seiten Baumbart getroffen.“
„Der erinnert mich so an meinen Vater. Der lässt sich mit wichtigen Entscheidungen auch ewig Zeit. …Ließt du mir vor?“
„Ehm, okay … Baumbart singt den Hobbits grad was vor …“
Nach ein paar Seiten schaute ich zu ihm rüber.
„Schläfst du?“
Das Ausbleiben einer Antwort deutete ich als ja und las still weiter. Ich wagte es kaum, mich zu rühren. Verstohlen musterte ich die Muskelstränge auf seinem Rücken und die Badehose, die eng anlag, weil sie nass war. Irgendwie fühlte es sich falsch an, ihn auf diese Art anzuschauen, während er nichts dagegen tun konnte. Ich vertiefte mich wieder in mein Buch. Es war fast Sechs, aber die Sonne brannte noch immer vom Himmel. Auf Max´ Rücken waren schon ein paar Stellen gerötet. Ich hätte es nicht gewagt ihn anzufassen um Sonnencreme zu verteilen, also deckte ich ihn mit meinem Handtuch zu. Er schmiegte sich dankbar hinein und schlief weiter. Ich wunderte mich langsam, dass keiner seiner Freunde mal rüber kam oder so was. Aber so war es mir eh lieber. Ich las noch ein paar Seiten während die Sonne langsam unterging. Max regte sich. Er zog das Handtuch beiseite und streckte sich gähnend. Das Spiel der Muskeln unter der Haut machte mich verrückt. Dann lächelte er mich auch noch an. Ohjeh.
„Ich muss ins Wasser.“
…denn ich brauchte dringend eine Abkühlung.
„Was? Jetzt noch? Du wirst nie wieder trocken!“
Da stand ich schon bis zur Hüfte im Weiher und tauchte unter. Als ich wieder auftauchte, sah ich, dass die anderen ihre Sachen packten. Toll, jetzt würde ich also allein zurückbleiben, um die letzten Sonnenstrahlen dazu zu nutzen, mich noch ein bisschen zu trocknen, bevor mir der kalte Fahrtwind eine Hirnhautentzündung bescheren würde. Ich stapfte ans Ufer und merkte, dass selbst am Familien-Ufer nur noch einzelne Leute saßen, die bereits packten. Max kam mir mit meinem Handtuch entgegen.
„Hier. Wenn du dir mal keine Erkältung holst …“
„Danke. Ich setz mich hier noch ne Weile hin und dann fahr ich langsam heim, halb so schlimm. …Wir sehen uns dann heut Nacht online, hm?“
„Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier nass und frierend in der Dämmerung zurücklasse, oder?“
„Aber deine Leute …“
„Lass sie doch gehen, dann wird es hier wenigstens wieder etwas ruhiger. Schau, ich bin noch von gestern bestens ausgerüstet. Ich hab Kerzen und Bier und eine Decke.“
„Dem Regengott sei Dank.“
Während ich mich abtrocknete und umzog, holte Max seinen Rucksack und seine Gitarre rüber.
„Du spielst also Gitarre?“
„Für Lagerfeuermusik reicht es. Hier.“
Er gab mir eine Dose Bier und lies sich mit seiner eigenen auf meinem Handtuch nieder.
„Nimm die Decke. Du zitterst ja.“
„Ach, das Bier macht’s schon warm.“
„Wie du willst, aber wehe du schreibst mir morgen, dass du dich erkältet hast …“
„Na gut, gib schon her. …Grins nicht so, sonst werf ich dich gleich auch noch ins Wasser.“
„Oooooh, jetzt hab ich aber Angst.“
Wir nahmen beide einen Schluck aus unseren Dosen.
„Also, das waren deine Leute?“
„Ein paar davon, aber wenn diese kleinen Tussen dabei sind, führen sie sich auf wie die letzten Idioten.“
„Ist mir aufgefallen …“
„Du hättest dein Gesicht sehn sollen, als wir ankamen. Und als die Musik anging.“
„Und als du mit dem Frisbee nach mir geworfen hast.“
„Das war echt keine Absicht. Ich hab die ganze Zeit überlegt, ob ich mich enttarnen soll, und dann hat der Windgott für mich entschieden.“
„Und das war auch gut so, du Feigling. Ich wollte endlich wissen, mit wem ich es zu tun habe.“
„Und, kennst du mich?“
„Vom Sehen, klar.“
„Wir haben beim Sportfest letztes Jahr im gleichen Basketball-Team gespielt.“
„Ich hab so ein schlechtes Gedächtnis. Wo ist denn Claudi? An die erinnert man sich.“
„Verwandtschaftsbesuch, sie kann sich nur zwischendurch mal davonstehlen. Deshalb ist mir ja auch so langweilig …“
„Ist dein Buch heute angekommen?“
„Ja, ich hab’s schon halb durch.“
„Was liest du eigentlich?“
„Die Schattengilde-Reihe. Sagt dir das was?“
„Nö, überhaupt nicht.“
„Lynn Flewelling. Ich kann die Bücher echt kaum noch aus der Hand legen.“
„Wenn du lieber lesen willst …“
„Im Kerzenlicht mach ich mir bloß die Augen kaputt. Kannst du singen?“
„Nicht wirklich gut …“
„Komm schon. Knocking on Heavens Door und Summer of 69 wirst du ja wohl noch hinbekommen. Und es macht warm.“

Du spielst gut, und du hast ne tolle Stimme.“
„Danke, und du warst viel zu bescheiden. Man kann sich deinen Gesang durchaus anhören. Hey, wie wär’s damit?“
Er sang die ersten Töne von „My Way“ und ich stimmte mit ein, so tief ich konnte. Der Song hatte schon immer irgendwas in mir bewegt, aber diesmal war es noch extremer. Ich war total gebannt. Max fühlte was er sang, das konnte ich spüren. Er meinte:
„Mann, der Song trifft es einfach total. Genau darum geht es. Dass du am Ende auf dein Leben zurückschaust und nichts bedauerst, weil du weißt, dass du es auf deine Art getan hast. Wenn man erkennt, dass auch all die schlechten Erfahrungen wichtig waren, um einen zu dem zu machen, der man ist. Verstehst du? David, alles okay?“
„Ich … ja. Diese eine Zeile… ‚ To say the things he truly feels and not the words of one who kneels’ das ist genau mein Problem. Ich kann es einfach nicht sagen.“
„Was denn?“
„Was ich wirklich fühle, wer ich wirklich bin. Ich muss es verstecken, weil ich nicht damit leben könnte, dass alle über mich bescheid wissen. Ich verstecke mich schon so lang, und ich hab Angst, dass ich irgendwann zurückschaue und erkenne, dass mein ganzes Leben nichts wert war, weil ich mich immer hinter dieser einen großen fetten Lüge versteckt habe.“
„Du weinst ja. Was ist los? David, mir kannst du es sagen, ich werde nichts weitererzählen.“
„Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht! Ich muss jetzt los.“
Ich kann mich kaum noch daran erinnern, meine Sachen zusammengerafft zu haben. Der Fahrtwind ließ mich erschaudern, meine feuchten Haare fühlten sich an wie Eis. Ich versuchte, an nichts zu denken, aber immer wieder musste ich an Max denken, und an seinen nackten Oberkörper, daran, wie gern ich ihn berührt hätte und wie gern ich ihm alles über mich erzählt hätte. Aber die Panik hatte mich ergriffen. Ich brachte es einfach nicht über die Lippen. Ich hatte Angst was das für Folgen haben konnte.

Im Wohnzimmer brannte noch Licht.
„David? Da bist du ja. Ich hab dir Lasagne aufgehoben.“
„Schon gegessen. Gut Nacht.“
„Du bist ja ganz nass. Du holst dir ja eine Lungenentzündung. Nimm ein warmes Bad bevor du ins Bett gehst. Soll ich dir Tee machen?“
„Ich will einfach nur schlafen, okay?“
„Okay. Dann reden wir morgen.“

In der schützenden Dunkelheit in meinem Zimmer ließ ich meinen Gefühlen und Sehnsüchten freien Lauf.

Am Morgen redete ich mir ein, dass ich mit der ganzen Sache abgeschlossen hatte. Ich würde mich einfach dagegen entscheiden. Ich konnte immer noch selbst entscheiden, wer ich sein wollte und wer nicht. Und ich wollte sicher nicht der einzige Schwule in dieser Kleinstadt sein. Ich war stark genug, das durchzuhalten, das sagte ich mir immer wieder.

Ich war froh um die Beschäftigung im Restaurant. Dienstags gab es immer ein besonders günstiges Pasta-Angebot und der Laden war voll. Diesmal konnte ich es mir nicht leisten, Geschirr fallen zu lassen, ich musste einfach funktionieren und das machte meinen Kopf frei. Als der größte Ansturm vorbei war, kam meine Mutter.
„Hast du ein paar Minuten um mit mir zu essen?“
„Ich denke schon. Was magst du denn?“
„Das Tagesangebot.“
„Kommt sofort.“

„Bitteschön. Also, was gibt’s?“
„Was war denn gestern los?“
„Ich war einfach nur müde und durchgefroren und wollte ins Bett, das ist alles.“
„Wenn du nicht mit mir reden willst, dann versprich mir, dass du mit jemand anderen redest.“
„Was auch immer. Mach dir keine Sorgen. War das alles?“
„Nein… dein Vater und ich, wir haben beschlossen, dass du das Geld schon jetzt bekommen sollst.“
„Was für Geld?“
„Du weißt schon, die Unterhaltszahlungen. Dann kannst du dir ein kleines Auto kaufen und am Wochenende heimfahren, wenn du keinen Studienplatz in der Nähe bekommst.“
„Warum das jetzt plötzlich?“
„Das ist für uns günstiger, wenn es um die Aufteilung geht… Wir haben die Scheidung eingereicht.“
„So schnell schon?“
„Wir wollen einen klaren Schnitt, auch für deine Schwester und dich.“
„Hast du schon mit Klara geredet?“
„Nein, noch nicht. Ich wollte erst mit dir reden.“
„Wozu, werde ich nach meiner Meinung gefragt?“
„Nein, die Scheidung ist beschlossene Sache.“
„Dann ist die Sache doch erledigt. Hab es zur Kenntnis genommen.“
„Du wirst immer zynisch wenn du verletzt bist. Es tut mir leid…“
„So ist es besser für alle Beteiligten. Ich bin bloß gespannt, wie ihr das mit dem klaren Schnitt hinbekommen wollt, wenn Dad nebenan bei Oma und Opa wohnt…“
„Darüber solltest du mit ihm selbst reden.“
„Zieht er weg?“
„Red mit ihm darüber. Und jetzt iss. Cora braucht dich bestimmt bald wieder.“

Der Tag wurde immer besser, und gerade als ich dachte schlimmer kann es gar nicht kommen, stand Max plötzlich vor mir.
„Hey.“
„Hey.“
„Du hast dein Handtuch vergessen.“
Er hielt es mir hin, offensichtlich frisch gewaschen.
„Oh… danke.“
„Ich bin gerade auf dem Weg zum Weiher… wie lange musst du denn noch arbeiten?“
Ich wollte ihm gerade vorlügen, dass ich leider bis Abends viel zu tun hatte, da kam Cora an.
„Na, wer hält hier meine Angestellten von der Arbeit ab?“
„Oh, tut mir leid, ich bin schon wieder weg.“
„Na jetzt warte doch mal. Ich kenn dich doch, oder?“
„Max Weller. Ich wohne…“
„Auf dem alten Heider-Anwesen, na klar.“
„Genau…“
„Da wohnst du? In dem alten Herrenhaus?“
„Meine Eltern haben es vor zehn Jahren gekauft und ewig renoviert. Ich hab seitdem immer meine Ferien hier verbracht und vor vier Jahren sind wir ganz hergezogen.“
„Und was habt ihr beiden jetzt vor?“
„Ich war gerade auf dem Weg zum Weiher und …“
„Geh ruhig, David. Hier ist eh nicht mehr viel los.“
„Aber …“
„Jetzt geh schon, bevor ich es mir anders überlege.“
Damit hatte ich wohl keine Wahl mehr. Ich holte mein Rad während Max neben mir her schob.
„Wenn du willst, kannst du eine Badehose von mir haben, dann müssen wir nicht extra zu deinem Haus zurück und können den Waldweg nehmen.“
„Wie du meinst…“
„Ich hab dich ziemlich überrumpelt, hm? Tut mir Leid.“
„Was soll ich denn darauf sagen?“
„Lass uns bei mir zu Hause reden, ja? Meine Eltern sind bis zum Wochenende weg.“

Wir bogen in den Feldweg, der zum alten Heider-Anwesen führt.
„Früher sind wir in der Freinacht immer hier hergekommen und haben Fenster eingeworfen und so. Der früherer Besitzer ist verrückt geworden, heißt es.“
„Naja, senil. Die Erben haben es meinen Eltern günstig verkauft. Die wollten es wohl loswerden.“
„Ich war schon ewig nicht mehr hier. Das sieht echt aus wie neu.“
„War auch monster-viel Arbeit. Komm rein.“
„Irgendwie hat hier alles so einen Südstaaten-Flair.“
„Ja, mein Dad ist ein großer Amerika-Fan…“
„Ist das da draußen eine Pool?“
„Ja, den haben wir seit letztem Sommer. Da war es leider fast immer zu kalt um baden zu gehen.“
„Warum fährst du denn an den Weiher, wenn du einen Pool im Garten hast?“
„Wegen der Gesellschaft.“
„Lad deine Leute doch hierher ein.“
„Du hast die Meute doch gestern erlebt. Das ist keine gute Idee. Außerdem hätte ich dann bald ganz viele Freunde. Willst du was trinken?“
„Ich bin versorgt, danke.“
„Willst du in den Pool?“
„Dann bräuchte ich noch eine Badehose …“
„Kommt sofort.“
Ich war froh zu sehen, dass er ebenfalls die langen weiten favorisierte und ging kurz ins Bad um mich umzuziehen. Als ich zum Pool kam, lag Max bereits auf einer aufblasbaren Liege und ließ sich auf dem Wasser treiben. Ich machte eine Arschbombe und revanchierte mich so für den Schwall kalten Wassers, den ich am Vortag abbekommen hatte.
„Wuaaaah!“
„Haha!“
„Na warte!“
„Was denn, ich bin eh schon nass.“
„Verdammt. Aber ich krieg dich schon wieder.“
„Oh, ich erzittere. Was ist denn das für ein cooles Teil? Was wenn ich dich da runter werfe?“
Er ließ sich gleich mal freiwillig runterrollen und schauderte.
„Das ist sooo kalt…“
„Beweg dich, dann wird es schon wärmer. Wow, so ein Pool eröffnet ganz neue Möglichkeiten …“
„Zum Beispiel?“
Ich spürte wie meine Ohren rot wurden.
„Hier drin rummachen zum Beispiel, hm? Das war auch Claudi’s erster Gedanke.“
„Und? Hast du?“
„Noch nicht, nein. Hat sich irgendwie noch nicht ergeben…“
„Hast du eine Freundin?“
„Nein. Du?“
Ich schüttelte den Kopf. Max schwamm rückwärts auf den Ausstieg zu.
„Ich glaub, ich wärm mich mal ein bisschen auf.“
„Ich komm auch gleich …“
„Lass dir Zeit. Ich hab ein gutes Buch.“
Ich schwamm noch ein paar Bahnen, dann ging ich raus und zog mir einen Liegestuhl neben den von Max.
„Was passiert gerade? Du bist ja schon fast fertig.“
„Ach, ich will dir nicht zu viel verraten, vielleicht liest du das ja irgendwann, aber gerade ist was passiert, worauf ich schon lange gewartet hab. Aber ich bin an einem Kapitel-Ende. Willst du jetzt was trinken?“
„Nein, ich meld mich dann schon.“
Er legte das Buch zur Seite und setzte sich auf.
„Willst du jetzt dann vielleicht über gestern reden?“
Ich war von dieser Direktheit total überrumpelt und setzte mich auch erst mal hin.
„Max, nimm es nicht persönlich, aber ich kann es dir nicht sagen.“
„Sind wir Freunde?“
„Keine Ahnung? Sind wir?“
„Ich bin dein Freund. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich weiß es einfach. Sei ehrlich zu mir, bitte.“
„Ich weiß, dass danach alles in die Brüche geht.“
„Nichts was du sagst kann so schlimm sein, dass ich es nicht verstehen könnte. Ich will dich nicht nur kennenlernen, ich will alles über dich wissen. Keine Geheimnisse. Die verletzen nur. Ich will einen Menschen, der vollkommen ehrlich zu mir ist und zu dem ich vollkommen ehrlich sein kann.“
„Bist du dir sicher? Wenn ich es erst gesagt habe, dann…“
„Sag es einfach!“
„Na gut. Max, ich bin schwul.“

Sein Blick war nicht so, wie ich es erwartet hatte. Nicht angewidert oder verärgert, aber erstaunt.
„Wirklich?“
„Ja, wirklich.“
„Bist du mit jemandem …“
„Nein! Noch nie.“
„Aber du bist dir sicher?“
„Natürlich bin ich mir sicher.“
„Ich bin irgendwie … ich hatte mit irgendwas ganz schrecklichem gerechnet …“
„Also findest du es nicht schlimm?“
„Magst du mich?“
„Was?!“
„Bitte sei ehrlich.“
„Selbst wenn, dann musst du keine Angst haben, dass ich dir die Klamotten vom Leib reiße und …“
„Scheiß drauf.“
Er glitt von seiner Liege, kniete vor mir und legte mir seine Hand in den Nacken. Mit einem Blick fragte er mich um Erlaubnis und ich schloss die Augen. Seine Lippen waren so warm und so weich. Schon war es wieder vorbei. Seine Hand blieb aber und fuhr durch meine Haare. Ich sah sein freundliches warmes Lächeln plötzlich mit ganz anderen Augen.
„Du auch?“
„Ich auch.“

 

Hi vericlear,

diese Geschichte funktioniert für mich nicht so ganz. Das liegt zum einen natürlich daran, dass man recht schnell weiß, was kommt, zum anderen daran, dass du deinen Hang, das meiste über Dialoge zu erzählen, für mein Gefühl hier übertreibst. Selbst, als Max und David sich am Weiher treffen, weiß man oft nicht, wer gerade was sagt, beide sind für mein Gefühl nicht ausreichend genug charakterisiert. Und wenn man über den reinen Dialog geht, hat man nur die Sprachmelodie eines jeden, um die Charaktäre von einander abzugrenzen. Gerade in Alltagsdialogen, selbst, wenn sich da zwei kennenlernen, ist das extrem schwer.
In den Chatgesprächen kommst du, das ist natürlich auch normal bei solchen Gesprächen vom Hundertsten ins Tausendste, es wird über vieles geredet, über nichts richtig. Das ist naturalistisch, nimmt aber der Geschichte den Zug und zieht sie unnötig in die Länge.
Natürlich ist die Geschichte nicht schlecht, aber für mich ist sie eben leider zu vorhersehbar. Dabei macht es gar nichts, dass man weiß, sie werden sich am Ende küssen, nur der Weg dahin ist mir zu sehr verlabert.

Trotzdem einen lieben Gruß
sim

 

Hallo vericlear,
mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen. Ich habe sie gestern Abend noch fertiggelesen, obwohl ich eigentlich ins Bett hätte gehen wollen/sollen. Mir ist beim lesen nicht langweilig geworden, nur musste ich beim chatten am anfang manchmal ein Stück weiter oben gucken udn dann weiterverfolgen, wer da eigentlich was schreibt. Was ich auch gut fand, ist, dass man nicht sofort weiß, dass David schwul ist, sondern erst nach 1,2 Abschnitten denkt, dass er es sein könnte (oder ich war einfach nur zu müde).
Eine Sache ist mir aber aufgefallen:

Es war zwei Uhr Morgens (...) Es war fast vier.
Das Gespräch hat zwei Stunden lang gedauert? Okay, Max hat nciht immer sofort geschrieben, aber das hat mich dann doch ein bisschen irritiert

Lg,
Miriam

 

Oh, ich hab vergessen zu abonnieren.
Also:
Dies ist ein Auszug (der Anfang) aus einer sehr viel längeren Geschichte, die hier den Rahmen sprengt. Sonst wäre mir das Ende mit dem Kuss auch zu klischeehaft. Es schien mir nur ein günstiger Moment, um abzubrechen.

Sim,
Deutlicher machen, wer wann redet. Check. Das werd ich mal versuchen.
Die Längen ... stören mich nicht, aber das ist wohl Geschmackssache. (Hatten glaub ich bei Chinese Food schon ähnlich auseinandergehende Geschmäcker :D )
Danke für den Kommentar :)

Lycai,
Das mit den zwei Stunden, okay, ich schau mal ob ich die Wartezeit noch deutlicher machen kann oder so.
Danke auch dir.

Liebe Grüße,
vericlear

 

hallo vericlear,

ich fand die Geschichte im Großen und Ganzen lesenswert.Dieser Max ist wirklich ein Knuffiger...=)
Was mich stört,ist,dass die beiden so altklug daherreden und so geschwollen..."ich will,dass du immer ehrlich bist...dass wir uns alles erzählen.geheimnisse tun nur weh..."hab jetzt mal versucht,etwas wiederzugeben.Das ist nicht realistisch,finde ich!Aber ansonsten hat mir die Geschichte gefallen.Vor allem das Ende!!Einfach süß =)
lg
muckel

 

Hey muckel,
Dankeschön für deinen Beitrag.
Beim Sprachstil wollt ich mal was anderes versuchen, was weniger saloppes, wie sonst. Die beiden Hauptdarsteller reden auch nur miteinander so. Vielleicht kann man das als ihre Art bezeichnen, mit all den großen neuen Gefühlen umzugehen und ihnen Ausdruck zu verleihen.
Danke für's lesen,
vericlear

 

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