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Soldaten ziehen durch das Land...
Soldaten zogen durch das Land.
In roten Uniformen. Ihnen folgten die in blauen. Kurz darauf war es umgekehrt. Erst liefen die Roten durch das Land, hintern ihnen die Blauen. Dann kamen die Weißen, gelegentlich waren auch mehrere Farben gleichzeitig da.
Sie zogen von Nord nach Süd, dann wieder von Süd nach Nord. Nur von Ost nach West oder umgekehrt zog keiner. Im Osten lag das Mare Baltikum, im Westen begrenzte der Blanke Hans den Aktionsradius der Soldaten.
Den Bewohnern des kleinen Dorfes Böklund, auf dem Geestrücken nördlich von Schleswig gelegen, war es fast gleich, ob die Dänen, die Preußen, die Schweden oder wer auch immer gerade die Macht ausübten. Sie wurden ohnehin nicht gefragt.
Der jeweilige Regent forderte seinen Tribut ein. Das war das einzig Schmerzliche an der Situation. Die Böden waren karg, die Zeiten unruhig, und so fiel es den Dorfbewohnern schwer, trotz harter Arbeit ihren Lebensunterhalt aus den Früchten ihres Tuns ausreichend zu decken.
Hühner und Gänse gab es kaum noch im Ort, und auch die in das nahe Eichengehölz getriebenen Schweine wurden von den Soldaten erbarmungslos requiriert. Das galt im gleichen Maße für die zubereiteten Fleischwaren, das Pökelfleisch, den Schinken oder selbst das Schwarzsauer.
So litten die Menschen Hunger. Auch Hinrich war davon betroffen. Als Vollhuffner bewirtschaftete er mit seiner Frau Gesine, seinen Kindern und dem Gesinde einen der großen, früher prächtigen und stolzen Höfe.
Mit jedem erneuten Einfall der Soldaten wurden seine Speisekammer und die mühsam erwirtschafteten Vorräte geplündert, so dass die Einheimischen gemeinsam mit den Söldnern Hunger litten.
„So geht es nicht weiter“ brummte Hinrich in seinen wilden roten Bart. „Soll der König seine Soldaten doch selbst ernähren.“
Gesine sah zu ihrem Mann auf: „Du wirst kaum etwas gegen die Landsknechte ausrichten können, wenn sie das nächste Mal unsere Kammern durchsuchen. Ein knurrender Bauch ist allemal besser als ein toter.“
„Du vergisst, meine Teure, dass aus einem knurrenden Bauch bei Zeiten ein toter wird“, erwiderte der Bauer. „Wir müssen etwas unternehmen, so dass den Soldaten die Freude am Requirieren der Lebensmittel vergeht.“
„Dein Ansinnen ist wohl bedacht, aber bisher haben sie alle unsere Verstecke gefunden. Vergiss nicht des Hauptmanns Drohung, Dich bei Deiner nächsten Weigerung, die Soldaten zu versorgen, den Kürassieren aus zu liefern. Und wenn Deine geheimen Orte, an denen Du die Nahrung vor den Soldaten zu verstecken trachtetest, auch von den hungrigen Mäulern nur zum Teil aufgespürt wurden, so haben die Tiere ein Übriges getan, um den vergrabenen Speck statt unser zu verzehren.“
„Wohl dem“, schlug sich Hinrich gegen die Stirn, „auch wenn Du nur ein bescheiden Weib bist, so hast Du wohl beizeiten ein wenig Recht.“
Es folgte ein besonders schöner Sommer, in denen selbst die Fürsten und Könige sich an den vielen Annehmlichkeiten des Lebens erfreuten und darüber für einige Monate vergaßen, ihre roten und blauen Soldaten von Nord nach Süd oder umgekehrt zu schicken.
Hinrich und die anderen Bauern des Dorfes nutzten diese Zeit, um ihre Felder zu bestellen und mit viel Geschick das Vieh groß zu ziehen. Eine muntere Hühner- und Gänseschar schnatterte über die Dorfstrasse, der Schweinehirt trieb das Borstenvieh durch die Eichenwäldchen der Umgebung und selbst für den Tauschhandel mit den Kappelner Heringsfängern blieb noch ein wenig übrig.
Doch bereits im Herbst verkündeten durchreisende Händler, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sich wieder Soldaten nähern werden. Keiner in Böklund war wirklich daran interessiert zu erfahren, ob es die roten oder die blauen wären. Vielleicht auch die weißen.
Hastig ging man im Dorf daran, ein großes Fest zu veranstalten. Obwohl Federvieh und Schweine noch gut etwas weiter im Futter hätten stehen können, wurde drei lange Tage nur gegessen und getrunken.
Doch leider kann der Mensch nur bedingt auf Vorrat speisen, auch wenn ihm danach eine Periode des Darbens bevorsteht.
So schleppten sich die Vollhuffner, die Kätner, das Gesinde und wer sonst rund um den Kirchturm Zuflucht gefunden hatte mit dicken Bäuchen durch das Dorf. Selbst der Pastor hatte dem ihn zustehenden Zehnten in diesen drei Tagen verprasst.
Alle sahen blass aus. Jedem stand das Übel ins Gesicht geschrieben.
Hinrich saß auf der Bank vor seinem Haus, schmauchte eine Pfeife, sah dem Treiben im Vorgarten und auf der Strasse ruhig zu und schmunzelte still in seinen roten Bart.
Plötzlich sprang er auf!
Wäre er ein gebildeter Mann und ein wenig des Griechischen mächtig gewesen, hätte er womöglich „Heureka“ gerufen.
Eilig lief er zum Dorfschulte um eine Versammlung der anderen Bauern zu veranlassen. Noch am selben Abend wurde im Dorfkrug lange über Hinrichs Idee palavert, bis sich schließlich eine Mehrheit unter den Männern Böklunds fand.
Und bereits am nächsten Tag wurden Knechte und Mägde eingespannt. Alles, was nicht davon fliegen konnte oder nicht getauft war, wurde geschlachtet.
Eine halbe Woche arbeiteten die Menschen fieberhaft, selbst nach Einbruch der Dunkelheit wurde im Schein der Tranlampen und Kienspäne eifrig gewerkelt.
Zu dieser Zeit stieg aus den Kaminen der großen Bauernhäuser Rauch auf, erst schwarzer, der im Laufe der Zeit zunehmend weißer wurde. Und es roch merkwürdig, so, als wäre der ganze Ort eine einzige Schinkenräucherei.
Die Händler hatten recht. Noch im Herbst kamen die Soldaten wieder nach Böklund. Man vermag heute nicht mehr genau zu sagen, ob das Säbelrasseln oder das Knurren ihrer hungrigen Mägen sie zuerst ankündigten.
Auf der Suche nach Essbarem stürmten sie in alle Häuser und fanden dort in den Speisekammern und in den Essen der großen Küchendielen nur lange dünne Schläuche vor. Die rochen zwar lecker, so dass die Soldaten am Wasser, das ihnen im Mund zusammen lief, zu ertrinken drohten, sahen aber eigentümlich aus. Sie waren braun, grau, rot und fühlten sich auch beim Berühren merkwürdig an.
„Was ist das?“ wollte der Hauptmann von Hinrich wissen.
„Das“, grinste ihn dieser an, „sind die Därme von Schweinen, Schafen und Ziegen mit dem, was dort hinein gehört.“
„Und so etwas hängt ihr euch in die Häuser?“ wollte der Hauptmann wissen.
Hinrich sah ihn interessiert an. Das Grün seines Gesichts harmonierte überhaupt nicht mit dem Blau der Uniform.
„Tjäää“, gab der Hausherr zurück, „wisst Ihr, Herr Hauptmann, unsere Vorfahren waren bekanntlich Wikinger. Nicht weit von hier – in Haithabu – haben sie früher gelebt. Und so ist es heute wieder Brauch bei uns, böse Geister mit gefüllten Tierdärmen zu vertreiben.“
„Pfui Spinne“, ekelte sich der Soldat. „Ihr seid Barbaren. Um Euer Dorf sollten zivilisierte Menschen einen großen Bogen machen.“
Der Uniformierte drehte sich auf seinen Absätzen um und eilte davon. Er wollte vermeiden, dass die dumme Dorfbevölkerung etwas von der aufkommenden Übelkeit, die sich seiner bemächtigte, mitbekam.
„Tjäää“ rief ihm Hinrich hinterher. „Die Wikinger hatten wohl recht. Es wirkt! Die gefüllten Därme vertreiben wahrlich böse Geister.“
An Hinrich, Gesine und die anderen Bewohner Böklunds denkt heute keiner mehr, es sei denn, Dir fällt beim Verzehr einer delikaten Leberwurst, einer geräucherten Holsteiner Mettwurst oder eines Böklunder Würstchens wieder die Geschichte von den roten und den blauen Soldaten ein...