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Socken

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Heute muss es einfach sein. Die Sache duldet keinen Aufschub mehr. Ich habe diese leidige Pflicht jetzt eine Woche vor mir hergeschoben, habe jeden Tag zum Tag davor erklärt, aber jetzt finde ich selbst vor mir keine restlos zufriedenstellenden Ausreden mehr. Um es kurz zu machen: Ich werde die Wäsche abnehmen.

Nur noch eine Zigarette und dann mache ich ernst. Ich werde mir auch noch einen Kaffee kochen, bevor ich den Weg zum Trockenboden antrete. Das heisse, aromatisch duftende Bohnengetränk gibt mir die Kraft, die ich benötige, um mich der gnadenlosen Kälte des Dachbodens zu stellen, auf dem meine verwaschenen Jeans, meine wirklich hübschen Karohemden, meine verblichene Bettwäsche, meine schüchternen Unterhosen und meine unsportlichen Socken auf ihre Erlösung warten. Ich dämpfe die Zigarette aus. Wieder mal eine bis zum Filter geraucht. Ein Blick in die Kaffeetasse sagt mir, dass sich noch ein Glimmstengel ausgeht. Einer geht sich immer aus. Besonders an Wäschetagen. Ich zünde das süße Gift an, rühre gedankenverloren um, und grüble über Tassen nach, die nie leer werden.

Das Wohnzimmerfenster hinter mir ist gekippt. Die kalte Herbstluft von draußen umspült zärtlich meinen Rücken und lässt mich frösteln. Vor zehn Jahren wäre mir das noch egal gewesen, aber heute überlege ich, ob ich mir jetzt die Nieren ausreichend verkühlt habe, um die Wäsche Wäsche sein zu lassen. Ich strecke mich durch und werde enttäuscht. Es geht mir gut. Jedenfalls gut genug um aufzustehen, den Schlüssel und den Wäschekorb zu schnappen und mich Richtung Trockenboden in Bewegung zu setzen. Das ist keine große Sache – ich wohne ja daneben. Dritter Stock, direkt unterm Dach und Tür an Tür mit dem großen Raum in dem ich mich jetzt hemmungslos an die Arbeit mache.

Ich erinnere mich dunkel an den Tag an dem ich meine Sachen aufgehängt habe. Das hat eine Ewigkeit gedauert, aber es war nicht so kalt, wie es heute ist. Ich beschließe kurzen Prozeß zu machen, reiße und zupfe die einzelnen Stücke rasch von der Wäscheleine, und knülle sie achtlos in den braunen Plastikkorb. Bei der Sockenabteilung halte ich kurz inne. Ich muss mich zwingen das oberste Wäscheabnahmegesetz einzuhalten. Niemals die abgenommenen Socken zählen! Niemals! Wer beim Wäscheabnehmen die Socken zählt, ist dazu verdammt sich fragen zu müssen, warum er nur bis elf kommt. Oder bis siebzehn. Jedenfalls ist das Ergebnis immer eine ungerade Zahl, an schlechten Tagen sogar eine Primzahl. Ich reisse mich zusammen und schaffe es, die Socken ungezählt in den Korb zu verbannen. Zwei Minuten später kann ich wieder in die wohlige Wärme meiner Wohnung zurückkehren.

Leider hat die Kälte meine Lebensgeister geweckt, denn ich beschließe, die Wäscheaffäre gleich zu einem ordentlichen Ende zu bringen. Ich kippe den Inhalt des Wäschekorbs auf die Schlafcouch und fange mit den großen Sachen an. Bettwäsche und Badetücher sind einfach zusammenzulegen. Danach kommen die Jeans dran, die auch keine wirkliche Herausforderung sind. Der unordentliche Wäschehaufen ist merklich kleiner geworden und mir fällt ein, dass ich fast fünfzehn Minuten ohne Nikotin auskommen musste. Also überwinde ich den Stilbruch zwischen Jeans und Hemden mit einer Rauchpause, in der ich mich für das große Wäschefinale sammle.

Das Zusammenlegen der Hemden geht am schnellsten, denn es findet einfach nicht statt. Ich suche einige Kleiderbügel und hänge die Hemden beiseite, um sie bei allernächster Gelegenheit zu bügeln. Gleich morgen. Vielleicht. So bin ich jetzt bei den T-Shirts angekommen. An dieser Stelle durchlebe ich jedesmal den gleichen inneren Konflikt. Eine innere Stimme ermahnt mich, auch die T-Shirts zu bügeln. Zum Glück gelingt es mir immer, diesen peniblen Saubermann in mir verstummen zu lassen. Deshalb lege ich jetzt Shirt für Shirt ordentlich und ungebügelt zusammen. Die Ordnung bezieht sich immer auf genau ein Stück, das nicht im Kontext zu den anderen gesehen werden darf. Es ist einfach unmöglich die Dinger so zu falten, dass sie anschließend alle die gleichen Abmessungen haben. Der auf diese Weise entstandene Stapel hat nichts Gleichmäßiges an sich, was mich gottlob wenig berührt.

Die Unterhosen sind meine Lieblingskategorie. Wegen der schieren Menge die ich hier bewältigen muss, gerät das Zusammenlegen immer zu einer meditativen Übung, die hervorragend geeignet ist, meinen Geist zu leeren und mein Inneres zu erforschen. So gereinigt bin ich bereit, mich dem letzten Kapitel meines persönlichen Wäschedramuletts zu widmen. Es trägt den Titel „Socken“. Wie bereits angedeutet ist die größte Hürde beim Waschen, Abnehmen, Zusammenlegen und Wegräumen der Socken, dass man es schafft während dieses ganzen Prozederes immer die gleiche Anzahl beizubehalten, die im optimalsten Fall auch noch eine gerade Zahl sein sollte. Ich betrachte kritisch den vor mir liegenden Sockenhaufen und versuche ihn zu taxieren.

Vor circa einem Jahr habe ich mir die weissen Socken abgewöhnt und trage seitdem nur noch dunkle Modelle. Ich bin darüber nicht unglücklich, aber eines steht fest: die Tennissocken hatten den Vorteil einfach zueinander zugeordnet werden zu können, da sie oft von einfärbigen – grünen, blauen, roten – Streifen geziert wurden. Und auch ohne die Streifen: Weiss ist schliesslich weiss, oder etwa nicht? Mit ihren dunklen Brüdern habe ich es nicht so leicht. Die Unterschiede in der Farbgebung – dunkelgrau, anthrazit, schwarz – sind so geringfügig, dass es für mich oft unmöglich ist, eine hundertprozentige Übereinstimmung bei der Wiedervereinigung von linker und rechter Socke zu erzielen.

Verbissen mache ich mich an die Arbeit. Ich lege die Socken einzeln nebeneinander auf. Dieses Sockenmemory ist für mich die beste Methode, um die getrennten Geschwisterpaare wieder zusammenzuführen. Paar für Paar arbeite ich mich vorwärts. Grau zu Grau, Schwarz zu Schwarz, Anthrazit zu Irgendwas. Schließlich kommt der Moment in dem ich mich nicht länger der Wahrheit verschließen kann. Drei Socken liegen noch vor mir – alle drei in ähnlicher, wenn nicht sogar gleicher Farbe. Ich fluche in mich hinein, und gleichzeitig überkommt mich ein Gefühl der Trauer. Wieder wurde eine Familie getrennt, und ich habe nicht die geringste Ahnung wo das verschollene Mitglied sein könnte. Von welchem Schicksal mag es eingeholt worden sein? Ist es einsam? Lebt es überhaupt noch? Von Gewissensbissen geplagt wird mir klar: Es wird eine Weile dauern, bis ich wieder bereit sein werde, die Wäsche abzunehmen ...

 

Grüße journey2heaven

Ich müßte jetzt sagen, daß mich die Geschichte mäßig bis gut unterhalten hat. Allerdings haben in meinen Augen die richtigen Gags gefehlt, Zeug das einen wirklich schmunzeln läßt.
Andererseits find ich die Betrachtung des Wäsche aufhängens aus diesem Blickwinkel schon irgendwie komisch :)

Wegen der schieren Menge die ich hier bewältigen muss, gerät das Zusammenlegen immer zu einer meditativen Übung, die hervorragend geeignet ist, meinen Geist zu leeren und mein Inneres zu erforschen.

Das konnte ich mir so richtig bildhaft vorstellen, was dann auch in meinen Augen das Highlight der Geschichte war :)

In diesem Sinne

Camaun

 

Hallo journey2heaven!

Also ich mußte schon ein wenig schmunzeln bei Deiner Geschichte, vor allem, da ich mich in einigen Situationen selbst wieder fand. Etwa beim Bügeln - meist bügle ich dann wohl die T-Shirts und Jeans meines Sohnes, aber meine nicht.

Daß die Vorkritiker sie nicht lustig fanden, liegt ja vielleicht auch daran, daß sie sich die Wäsche weder selbst waschen und aufhängen, noch sie selbst wieder herunternehmen und bügeln - was sich allein aus dieser Aussage verrät:

Andererseits find ich die Betrachtung des Wäsche aufhängens aus diesem Blickwinkel schon irgendwie komisch
:lol: So gut sollte es unsereins mal gehen, daß wir den Blickwinkel "ich" im Zusammenhang mit Wäschebügeln komisch finden... :D
Deine Geschichte findet man glaub ich nur lustig, wenn man sich dabei selbst entdeckt und die eigenen Unarten unter die Nase gerieben bekommt... :lol:

Aber das Problem mit den Socken hat sich Dein Protagonist selbst gemacht. Warum kauft er sich keine, die zumindest oben ein, zwei bunte Streifen haben (wenn schon nicht ganz bunt, verschiedenfärbig)? Dann könnte er, so wie ich, die Socken schon beim Aufhängen sortieren. Immer einen Socken hinhängen und daneben Platz für den zweiten lassen. Wenn der dann kommt, hängt man ihn dazu.
Aber ich hab mir dafür eine andere Falle eingebaut: Ich habe meinem Sohn die gleichen Socken wie mir selbst gekauft, die sich in der Größe nur mehr minimal unterscheiden. Da ich sie im nassen Zustand schon gar nicht unterscheiden kann, hängen dann acht Stück jeder Farbe beisammen (je zwei pro Person und Farbe). Und da sitze ich dann und vergleiche die Größen der gleich aussehenden Socken und wenn ich dann beim letzten Paar bin, habe ich wieder einen kleinen und einen großen... Oder ich will ein Paar Socken anziehen und komme in einen der beiden nicht rein... :D

Ach ja: Ich würde den Protagonisten in Deiner Geschichte statt der Zigaretten Joints rauchen lassen, das erklärt dann die Laschheit... ;)

Alles liebe,
Susi

 

hi leute,

habt dank' für eure wohlmeinenden und konstruktiven
kritiken. ich war schon in panik, dass sich überhaupt
niemand von dieser kleinen story angesprochen fühlt.:D

lg p.

 

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