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So schmeckt die Nacht

PPS

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24.11.2017
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So schmeckt die Nacht

Gilbert geht mit schnellen Schritten die Straße entlang. Er kennt jeden Riss im Trottoir, jede Leuchtreklame, jedes einzelne Schaufenster, auf diesem Weg. Der Herbst hat bereits Einzug gehalten und scheint durch das gewagte Farbenspiel, das er mit den Blättern der Laubbäume treibt, die Stimmung des Betrachters etwas aufheitern zu wollen. Erfolglos.
Es ist der Weg, den er jeden Abend zurücklegt. Er geht ihn in einer Art Trance, die ihn im Banne des nachhallenden Tages gefangen hält. Seit wie vielen Jahren geht er diesen Weg eigentlich? Egal, es wird noch sehr oft sein.
Morgen wird er eine Stunde früher zur Arbeit gehen.
Das letzte Stück ist ihm besonders verhasst. Es führt an einer Kneipe vorbei. Ein düsteres Loch, das wohl niemand freiwillig gerne betritt. Grau, wie die Gestalten die sich drinnen befinden, obwohl sie sich im faden Licht, kaum richtig ausmachen lassen. Er wirft einen kurzen Blick hinein und wendet sich angewidert ab. Dann klappt er seinen Mantelkragen hoch, der stark nach dem Parfüm seiner Sekretärin riecht. Seit Jahren folgt ihm dieser Geruch, den er je nach Tagesverfassung unterschiedlich wahrnimmt. Mal liebt er ihn, mal hasst er ihn. Heute kann er sich nicht entscheiden.
Ein leichtes Knacksen unter seinem rechten Schuh treibt ihm den stolzen Ausdruck eines Jägers, der gerade einen Treffer zwischen die unschuldigen Augen seines Opfers gelandet hat, ins
Gesicht. Es gibt viele dieser miesen, unnützen Krabbler in der Gegend. Den Müllschluckern in den
alten Wohnblocks sei Dank!
Gekonnt streift er seinen Schuh am Bordstein ab, bis er das Gefühl hat, die klebrige Masse sei gänzlich von der Sohle verschwunden. Wenige Meter entfernt biegt er in eine Seitengasse. Dort befindet sich endlich die Tür zu seiner Wohnung.
Irgendwoher kommt Musik. Eine wunderschöne russische Ballade.
Es scheint, als würden sich die wenigen auf den Bäumen verbliebenen, herbstlichen Blätter im
Rhythmus dazu wiegen.
Er spürt, wie ihn ein kurzer Hauch von Melancholie ereilt, den er aber gleich wieder abschüttelt, als wäre es Schnee, der sich kurz auf seinen Schultern einen Zwischenstopp erlaubt hat, bevor ihn die Schwerkraft unvermeidlich auf den Boden zwingt. Inzwischen ist es dunkel. Die feuchte Straße reflektiert die Lichter der Schaufenster.
Seit seiner Scheidung vor vier Jahren lebt er alleine. Sogar den Kater hat seine erste und einzige Liebe mitgenommen. Manchmal fragt er sich was er jetzt mehr vermisst, das Schnurren der Katze oder die längst in seinem Kopf verblasste Stimme seiner Exfrau. Er drückt die Tür rasch hinter sich zu, als würde ihm jemand folgen. Jetzt ist er in seinem Reich. Ein Gefühl der Sicherheit überkommt ihn.
Er geht zum Schrank, in dem viel zu großen Raum, und nimmt eine Flasche Single Malt heraus. Der erste Schluck tut gut. Das Sofa ergibt sich weich unter seinem Gewicht. Er versinkt in der Mulde, die sein Körper dem Sitzmöbel über die Jahre aufgezwungen hat. Er nimmt einen weiteren großen Schluck und starrt auf das Muster am Boden des jetzt bis zum Rest geleerten Whisky Tumblers.

Ein lautes, penetrantes Klingeln reist ihn aus seinem Domizil der verlogenen Geborgenheit.
Mühsam rafft er sich auf und befreit sich aus den Fängen der stark abgewohnten Kissen.
An der Tür steht der Barkeeper aus der verhassten Kneipe um die Ecke. Das billige Hemd, das er trägt, hängt ihm in Fetzen vom Leib. Er hat eine Platzwunde oberhalb des linken Auges. Einige Tropfen Blut landen auf den zerkratzten Dielen des alten Parketts.
Der Barkeeper öffnet seine Faust und zeigt dem verblüfften Gilbert einige tote Kakerlaken.
Er bricht einen der leblosen Körper entzwei. Irgendetwas quillt aus dem toten Leib. Es sieht aus wie kleine feine Kabel und ein Mikrochip.
„Du bist in Gefahr! Schnell komm mit.“ Bevor er etwas erwidern kann, wird er am Arm hinaus gezerrt. Draußen wartet ein weißer Kastenwagen. An der Seite erkennt er einen Teil der Aufschrift:
„Schädlingsbekämpfung Knockando“ den Rest kann er nicht lesen.
Ein ihm unbekannter Mann, in einem abgetragenen Anzug, öffnet rasch die Seitentür. In der Fahrerkabine pendelt ein von Staub bedeckter Duftbaum vom Spiegel. Er war bestimmt mal grün. Der Barkeeper schiebt ihn in den Wagen und setzt sich neben ihn. Dann fährt der Wagen los, ehe die Tür ganz geschlossen ist. „Spione, mini Roboter, die Kakerlaken“, sagt der Barkeeper. „Die machen uns noch alle fertig!“
„Wer denn?“
„Warum hast Du Sie zertreten?" „Die Kakerlake?“ „Wusstest Du was davon?“
„Nein, natürlich nicht!"
„Warum erschlägt man eine Fliege?“
Etwas trifft ihn hart am Kopf. Eine Staubwolke verlässt den Duftbaum, bis das Bild vor seinen Augen zur Gänze verschwindet. Jetzt ziehen nur noch die Lichter lange Fäden. Das Auto fährt schneller und schneller. Die Worte des Barkeepers zerren sich in eine unendliche Länge, bis Sie schließlich ohne einen Sinn zu ergeben, völlig verstummen. Da erklingt wieder diese Ballade.

Wie ein Pfeil treffen ihn plötzlich wieder verständliche Silben. Er öffnet zaghaft seine verklebten Augen. Neben ihm schläft der Mann im Anzug den Schlaf eines Bewusstlosen. Sein Kopf liegt auf der Theke in einer klebrigen, undefinierbaren Masse. Ein grüner Duftbaum pendelt an seinem Schlüsselbund, der ihm halb aus der Hosentasche hängt. Wer benützt denn einen Duft Baum als Schlüsselanhänger?
Gilbert erblickt sein Spiegelbild zwischen den sortierten Flaschen. Sein zerfetztes Hemd hängt ihm von der linken Schulter. Der Geschmack von getrocknetem Blut breitet sich in seinem Mund und auf seinen Lippen aus. Dazu der schale Nachgeschmack vom Whisky und den vielen Zigaretten. Das getrocknete Blut entstellt seine Oberlippe. Es sieht aus wie
schwerer Herpes Befall. Seine Frau hatte Herpes.
Sein Kopf schmerzt und seine Gedanken rasen. Am Tresen steht eine leere Flasche Single Malt mit der Aufschrift „Knockando“. Am Boden des Whiskey Tumblers klebt eine zerquetschte Kakerlake.
Es sieht aus wie Hinterglasmalerei. Sie hatte es bestimmt eilig.
Heute wird er eine Stunde früher in die Arbeit gehen.

 

Hallo PPS,

bin selbst ganz neu hier und kommentiere zum ersten Mal.

Ich finde, dein Text liest sich insgesamt sehr gut und hat einen angenehmen Rhythmus. Du schreibst mit vielen Sinneseindrücken (vor allem, die Stelle mit dem Krabbeltier ist sehr anschaulich :)).

"Verraucht und düster ist das Loch." - Hier fand ich die Formulierung etwas unglücklich. Ich weiß zwar, was du meinst, denke aber, der Satz würde durch eine etwas genauere Beschreibung gewinnen.

"Er drückt die Tür rasch hinter sich zu, als würde ihm jemand folgen." Ich bin als Leserin mit Gilbert mitgegangen und habe gesehen, gerochen und gedacht, was Gilbert denkt. Dieser Satz macht ein bisschen Gänsehaut, denn als Leser bekommt man das Gefühl, selbst dieser jemand zu sein, der Gilbert verfolgt. Das ist richtig gut!

Im zweiten Teil, verwendest du "Mann im abgetragenen Anzug" mehrere Male. Ich würde die Beschreibung nicht mehrmals eins zu eins wiederholen, sondern noch etwas Markantes hinzufügen.

Der Twist mit den Kakerlaken und Mikrochips finde ich gut, auch wie die Geschichte mit der Entführung weiter geht. Leider hast du mich als Leserin mit dem Schluss etwas ratlos zurück gelassen:

"Sein Kopf schmerzt und seine Gedanken rasen. Am Tresen steht eine leere Flasche Single Malt mit der Aufschrift „Knockando“. Am Boden des Whiskey Tumblers klebt eine zerquetschte Kakerlake.
Es sieht aus wie Hinterglasmalerei. Es sieht aus, als hatte sie es eilig.
Heute wird er eine Stunde früher in die Arbeit gehen. "

War alles nur eine Wahnvorstellung von zu viel Whiskey?
Wurde er wirklich entführt und ist dann auf verschlungenen Wegen zurück in die Kneipe gebracht worden? Und warum will er jetzt eine Stunde früher in die Arbeit gehen? :hmm:

Freue mich auf eine zweite Fassung :-)

Viele Grüße
Captain B

 
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Hey Captain B!

Vielen lieben Dank für dein Feedback! Fühle mich geehrt dein erstes Kommentar zu erhalten! Ich bin noch etwas zaghaft mit meinen Kommentaren, freue mich aber schon von was von dir zu lesen!
Am Anfang habe ich kurz erwähnt, dass er am nächsten Tag früher in die Arbeit muss - daher dieser Schluss. Ob es alles eine Wahnvorstellung war, würde ich in diesem Fall dem Leser selbst überlassen. Werde mich auf jeden Fall an die Überarbeituntg machen! Schönen Tag und liebe Grüße, PPS


Hallo Manlio!

Danke dir! Hab ich gleich geändert. Trottoir ist vielleich altmodisch - aber ich finde das Wort schön;)
Bin derzeit noch mit dem riesigen Angebot bei WK überfordert. Werde aber natürlich so viel wie möglich lesen um zu lernen!
GLG, PPS

 

Hallo PPS,

Ich habe deine zwei zeitnahen Antworten zusammengefasst.
Bitte in Zukunft zeitnahe Antworten in einen einzigen Post zusammenfassen, damit das alles nicht aufbläht.

Bei deiner Gegenwind-Geschichte wird das noch durch einen Mod nachgeholt.

Danke und gute Grüße,
GoMusic

 

Ein leichtes Knacksen unter seinem rechten Schuh treibt ihm den stolzen Ausdruck eines Jägers, der gerade einen Treffer zwischen die unschuldigen Augen seines Opfers gelandet hat, ins
Gesicht.

Unangenehm, wenn Herr- und Frau Pes vorbeischauen. Oft genug Anzeichen von Ekel. Dabei sind Kakerlaken in naher Zukunft Grundnahrungsmittel (da werden selbst die Invasoren von der Vega nicht umhinlommen) und wer weiß schon, was die Industriestandards der Lebensmittelbranche uns heute schon andienen, abgesehen vom Dickmacher Zucker (der ja auch nur durch einen perfiden Trick der Zuckerindustrie das natürliche Fett - es gibt auch industrielle Fette, also da ist die Schöpfung des Zauberlehrlings schon weiter, als der Lehrherr - als Dickmacher verdrängte).

So also schmeckt die Nacht,

liebe PPS,

und schon allein das Wort

Trottoir
entzückt mich, muss einen wie mich entzücken, dass auch scheinbar veraltende Ausdrücke überleben. Denn wie wir mit der Sprache umgehen, so gehen wir auch mit Menschen um (daher kommt ja auch die Umgangssprache). Wie einer mit einem andern spricht, verrät mehr über den Sprechenden als den Zuhörer (der sich ja auch taub stellen kann und so tun als ob).

Schon der Name "Gilbert" hat's in sich, ob Du ihn bewusst gewählt hast oder nicht. "Gisal" (ahd.) meinte ursprünglich einen Speer, aber zugleich das, was man heute noch hineinlesen kann: die Geisel, die bis ins Mittelalter hinein eine völlig andere Bedeutung hatte als heutigentags: Die Edlen und Großen tauschten, um Verträge mehr als einem Handschlag beizufügen und die Ver-einbar-ungen zu verstärken, ihre Kinder aus. Die genossen dann weniger den Status eines heute zur Geisel Genommenen, als alle Vorteile des Adels. Sie sollen ja die guten Beziehungen pflegen und nicht den Konflikt wiederaufleben lassen. Früher war man trotzdem nicht unbedingt weiter als heute.

Ganz konkret weiß man das von den Goten, die mit Byzanz einen Friedensvertrag schlossen. So kam nämlich der spätere Theoderich, den man mit Recht den Großen nennt, nicht nur zu einer enormen Bildung, sondern wurde auch einer der gefürchtetsten Heerführer seiner Zeit und das Vorbild Karls des Großen, der Quasi das Erbe des Dietrich von Bern der Sage vollendete. Das ahd. beraht dagegen bedeutet einfach nur "glänzend". Und als wessen Geisel ist Gisbert zu erkennen, wenn er mit schwerem Kopf aufwacht? Könich Allohol!

Trivialeres

Morgen würde er eine Stunde früher zur Arbeit gehen.
Warum Denglish (would, das in Wirklichkeit mehr Bedeutungen hat als der Konj. II unseres "werden"), wenn die Zukunft und somit das schlichte Futur I eh unbestimmt ist?
Solltestu nochmals die würde-Konstruktionen durchschauen, aber - um ans Trottoir anzuschließen - wäre der Konjunktiv II in der Umlautung nicht schöner als jede würde-Konstruktion, mit der sparsam umgegangen werden sollte, da sie ja durchaus eine Funktion erfüllt.

Wenn Du noch mal hinschaust, wirstu selbst merken, was da im folgenden nicht stimmt bei den beiden Passagen

Dann klappt seinen Mantelkragen hoch, ...
... und die Lichter der vorbeifahren Autos ...

Hier nun im folgenden Satz gesellt sich noch ein Komma dazu
Er spürt, wie ihn ein kurzer Hauch von Melancholie ereilt, den er aber gleich wieder abschüttelt[,] als wäre es Schnee, der sich kurz auf seinen Schultern einen Zwischenstopp erlaubt hat, bevor ihn die Schwerkraft unvermeidlich auf den Boden zwingt.
weil "als" einen vollständigen Satz einleitet - und wäre der noch so kurz!

... und starrt auf das Muster am Boden des Jetzt bis zum Rest geleerten Whisky Tumblers.
Ich glaub zu wissen, was Du Dir beim "Jetzt" gedacht hast. Aber, das "des" bezieht sich genau auf das, was mit der Genitivendung endet allein auf "Tumbler" und nicht auf jetzt, ist eher Teil des Attributes zum leeren Glas ...

Ein lautes, penetrantes, Klingeln ...
Das erste Komma ist für mich begründbar (halt zwischen gleichrangigen Adjektiven, sofern man nicht alles, was laut ist, als penetrant empfindet), aber warum zwischen Attribut und dem zugehörigen Substantiv?

„Du bist in Gefahr! Schnell komm mit.“
Der zwote Teil klingt gehörig nach mehr als einer bloßen Aussage ...

„Schädlingsbekämpfung Knockando“[,] den Rest kann er nicht lesen.
Auf jeden Fall ein Komma, allein schon, weil ein vollständiger Satz folgt. Ein "und" oder Gedankenstrich kann das Komma ersetzen

Duft Baum
Ist das ein besonderer "Duftbaum", dass er auseinandergeschrieben werden muss/soll?

Es sieht aus wie Hinterglasmalerei. Es sieht aus, als hatte sie es eilig. Heute wird er eine Stunde früher in die Arbeit gehen.
So, geht auch ohne "würde", gelle? Aber das "als" erzwingt eigentlich ein "hätte" ...

Wir haben viel zu tun,

packen wir es an!

Friedel

 

Servus Friedel!
Wie immer eine klare Ansage! Es freut mich, dass Dir "Trottoir" gefällt! Gilbert habe ich auch bewusst gewählt. Am Rest werde ich brav weiterarbeiten! Schönes WE! GLG, PPS

Servus Manlio!
Auch von Dir kommen super Tipps, mit denen ich viel anfangen kann! Ich freue mich sehr über Dein Feedback und werde die Geschichte baldmöglichst noch mal überarbeiten!
Herzliche Grüße, PPS

 

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