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So rot wie Blut

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12.04.2017
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So rot wie Blut

Sie musste sehr mutig ausgesehen haben, zumindest dachte sie das mit ihrem kleinen Rucksack, welcher ihr beim Tragen gegen den Rücken drückte, da er bis zum Zerbersten gefüllt war. „So spät noch unterwegs? Sie besaß mit Sicherheit schon eine eigene Wohnung.“ „Sie reiste bestimmt in ein anderes Land; ein Schüleraustausch.“ „Vielleicht sollte ich ihr beim Tragen helfen.“ Solche Gedanken zogen durch die Bahn. Zumindest erhoffte sie das.
Die Realität sah letzten Endes dann doch anders aus. Wen kümmerte es auch groß? Selbst ein Massenmörder wäre in dieser Gleichgültigkeit untergegangen. Ein kurzer Blick auf den ihr gegenüber sitzenden Mann ließ kalten Schweiß über ihren Nacken laufen. Sie verhöhnen einen und dann ist, wie aus dem Nichts, die Freundlichkeit und die Fürsorge wieder da, da sie allesamt die Gefahr wittern konnten. „Entschuldige.“ Seine Stimme ließ sie zusammenzucken, als wären seine Worte so spitz wie Rasierklingen. Oh, er wollte bloß aufstehen, doch die Beine standen ihm im Weg, weshalb er wohl auch das Wort erhob. Albern, deswegen zusammenzufahren, nicht wahr?
Wenn man genau hinhörte, so erfasste man mit dem Ohr ein feines Papier-Rascheln an ihren Fingern, welche fein säuberlich durch die Taschen ihres Mantels verdeckt wurden. Ein Blatt ward stets geduldig, doch konnte man es deswegen nicht auch verurteilen? Ihre Fingernägel kratzten unaufhörlich an dem Briefpapier, als würden sie versuchen, die Worte hindurch zu vernichten. Sie zu dem machen, wie sie am harmlosesten waren. Sinnbefreite Phrasen auf weißem Papier.
Eine Frau lachte und ließ den Zug erschallen. „Rote Farben.“, quietschte sie und war zugleich die Einzige, die ihren eigenen Witz verstand. „Rot, das war auch seine Lieblingsfarbe“, dachte das junge Mädchen zwischen dem Schaben an dem Papier. „Deswegen schenkte er mir auch immer Rosen. Weil sie seine Lieblingsfarbe hatten.“ Erinnerungen kamen und gingen und der Schaffner trat ein. „Das Ticket.“ Es gedankenverloren hochzuhalten genügte ihr nicht. „Weshalb musste es so kommen?“ „Ich verstehe sie nicht.“ Er bevorzugte die Nachtschichten, so kannte er sich mit dem Umgang verwirrter Menschen aus. „Weshalb musste es so kommen?“ Ihre Stimme bebte und ihre Brust hob und senkte sich, als wäre jeder Atemzug eine Qual.
Der Schaffner roch geradezu eine Geisteskrankheit und da wollte er doch tatsächlich verschwinden. „Haben sie eine Frau, Kinder?“, ihre Stimme überschlug sich. Panisch nickend verschwand er im nächsten Abteil; wie unhöflich er doch war. „Kinder, er wollte auch Kinder haben. Ein großes Haus, einen Garten und ein, zwei Kinder, welche den Wunsch lebhafter machten. Er wollte heiraten, um mir zu zeigen, wie sehr er mich liebte und alle sollten kommen. Es waren zwar nicht viele, da er keine wirklichen Freunde hatte. Jedoch war dies nicht gerade wichtig. Wir wären auf ewig zusammen geblieben.“
Verstehen kann man es nicht, aber empfinden. Sie wollte ihn noch einmal lesen; lachen, weinen und schreien. Sehen, was er gesehen hat; fühlen, was er empfand. Tatsächlich schaffte sie es ein Loch hineinzubohren. Passte es nicht? Ein undefinierbarer Abgrund. Tödliche Tiefen. Ihre Finger wollten sich nicht beruhigen, so berührten sie den nächsten Fleck. „Ich hätte ein rotes Kleid getragen; dunkelrot. Mit Blumen in derselben Farbe. Seine tiefen Augenringe wären in seinem eleganten Schwarz geradezu untergegangen. Unsere Familie hätte Freudentränen in den Augen gehabt; nun ja, letzten Endes wohl eher nur meine, schließlich wurde er ja geradezu verstoßen.“
Du hast den Schmerz gemildert, um dann im Schluss doch nur zu verlieren. Ich kann gar nicht genug zum Ausdruck bringen, wie es mir in den Venen schmerzt. Da saß das kleine Mädchen, welches vorher noch so mutig wirkte, zusammengekauert und lachend. Als hätten ihre innerlichen Schmerzen einen Scherz gemacht. Amüsant, nicht wahr?
Sicherheitsbeamte schritten durch die verschiedenen Abteile; erst der Hinweis des Schaffners führte sie zu ihr. Wohin sie wohl gebracht wurde? Jedenfalls verließ sie den Zug, wie sie ihn betrat. In vollkommener Furcht vor all den Menschen, die einen in den bloßen Tod führen konnten. Die Menschen, dir ihr das wichtigste nahmen, was sie je hatte, auch wenn er es nie einsah.

 

Danke für die Beurteilung, nur würde ich gerne betonen, dass die Interpretation nicht in die richtige Richtung geht und ich es somit eigentlich bewusst überdramatisiert hatte. Nun ja, wahrscheinlich habe ich einfach zu wenige Indizien eingebaut, von daher ist es wohl meine eigene Schuld :-)) Vielen Dank, dass sie sich trotzdem die Zeit zum Lesen genommen haben.

 

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