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So oder so

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02.11.2001
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So oder so

Am hellen Tag. Die Bar ist leer, ein Mann alleine am Tresen.
Noch ein Bier, eines. Ein Bier, ja? Das Erdbeben im Bauch tobt. Schnell wieder der erste große Schluck, zwei, drei kleinere danach, schnell. Dann wieder. Ein Bier, ja? Ein paar Zeitungen. Nachrichten vom Gestern darin, vom Vergangenen. Staub darauf.
Den Wunsch geäußert, wieder und wieder. Nun also gewünschte Wirklichkeit im falschen Augenblick. Für ihn. Sie sagt nichts. Hört nur, was er jetzt dazu zu sagen hat. Wie er es sagt. Vergleicht mit frühen Worten. Früher von ihm aus dem Bauch heraus. Jetzt in ihrem Bauch. Nun nicht mehr gewollt wie doch Jahre gewünscht gewesen?
Wünsche schon jenseits. Ein Sieg des Alltags? Nein. Da blieb doch was. Wie sie ihn beobachtet hatte den ganzen langen Abend, der doch zu kurz wurde mit dem Morgen, den keiner so schnell wollte.
Kein Druck, sagte sie. Wir haben noch zwei Wochen. Er: Das ist nicht viel und doch.....
Doch bleibt uns die Zeit, sagte sie. So oder so. Ich hatte das alles schon. Aber wenn du.....
Das war keine Träne, verstohlen, schon im Mundwinkel, dachte er.
Sie fuhren doch.

Ein Bier, ja? Hilflosigkeit am Tresen. Sie sagte: Hol mich in drei Stunden.
Er hat die erste abgesessen. Arche Noah heißt die Bar. Nein, nicht so, doch für ihn genau das.
Er möchte ihre Hand halten. Geplatzte Äderchen auf den Wangen des Wirtes. Keine Fragen.
Kinder lachen in einer Welt am Ende der Bar.
Am Ende der Bar ist die Zukunft begraben.
Ein Kreuz. Eine kleine Hand winkt und winkt und winkt. Abschied? Oder so: Hilfe, ich ertrinke. Bist es du, Vater? Lass’ das Bier stehen und hol’ mich. Mutter würde es schon richtig finden. Sie braucht dein Zeichen, hat selbst so wenig Kraft. Du kennst sie. Sie möchte doch. Sie braucht ein Zeichen. Ein Zeichen, Vater, eines nur. Ich hätte was von der Sonne draußen. Es ist gleich schwarz hier. Es wird kälter. Spring, Vater, spring jetzt. In deinen Armen könnte ich später einschlafen!
Er kann nicht vom Hocker ins Wasser hechten, retten, was zu retten ist. Das Boot schwankt und vor der Tiefe graut ihm. Also drinnen bleiben und auch winken. Hallo, du dort, Kleines, ja, meine Arme wären es gewesen. Sieh mich an, einmal noch. Wie zart deine Finger sind. Dein Urvertrauen. Ich bin dabei es zu demontieren, auszulöschen. Geht gut mit Bier. Geht wirklich gut damit. Frische Blumen, bitte, Herr Wirt, dort ans Ende der Bar. Dort ersäuft mein Kind. Sehen Sie? Sehen Sie die kleine Hand winken?
Er trinkt alleine um die Wette. Niemand ist da. Er hat gerade noch zwei Stunden. Wird das Licht in ihren Augen erloschen sein, wenn sie in seinen Wagen steigt? Er wird dann betrunken sein. Es nicht erkennen können. Besser so.
Geht denn das alles?
Aus. Nein. So nicht.
Zahlen, schreit er, wirft Geldmünzen, viel zu viele, auf den Tresen. Kein Stau, bitte, kein Stau.
Die Fahrt gegen die Zeit. Gleich einem Videospiel. Das Lenkrad längst Joystick und letzter Ausweg. Links, rechts, er donnert quer durch die Stadt, biegt ein.
Jetzt, da. Der Parkplatz. Schon zu spät das alles? Rauf, schnell. Zwei Stufen, drei Stufen auf einmal, er fliegt. Er stößt die Glastüre auf.....

Sie sitzt noch im Warteraum. Bebende Lippen. Gerade noch, denkt er. Gerade noch.
Ich habe auf dich gewartet, sagt sie.
Ich sagte wir haben noch zwei Wochen, so oder so.
Lass uns ins Grüne fahren. Ich habe unbändige Lust die Sonne zu sehen.
Am Ende des Ganges hat eine kleine Hand gewunken. Ich dachte an Glück dabei. Die Kälte hier.
Lass uns raus, weit fort in den Tag.

 

Oha Aqualung, zweimal habe ich es ziemlich langsam durchgelesen, inne gehalten, weiter gelesen, dann den ersten Absatz wieder. Und schon jetzt weiss ich, dass ich die hier ganz bestimmt öfter lesen werden. Und ich schreibe hier soon Zeugs, weil ich gar nicht weiss, was ich schreiben soll. Ich muss es in einem Tag und in 2 Tagen wieder lesen, ich werde wohl gar nicht anders können. Bin betäubt, erschlagen!

Keine Worte mehr!

Liebe Grüsse Stefan

 

Wenn mich "Ich liebe dich" von der Verschlüsselung her schon an "De profundis" erinnert hat, an was soll mich das denn jetzt erinnern.
Melde mich in ein paar Tagen nochmal, wenn ich die Geschichte wenigstens in Ansätzen verstanden habe...

 
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Servus Aqualung!

Zwei Wochen Entscheidungsfreiheit ob diese winkende Kinderhand Relalität werden darf oder nicht? Ein sehr nachdenklich stimmender Text, der berührt. Auch in dieser Geschichte unglaubliche Wortgewalt, neben all dem vielen Bier.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

hi Aqua.

das ist das gottverdammt geilste was ich seit langem gelesen habe.

Grüße und einen Kuß, alex.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich möchte jedem von euch vieren ein Danke sagen.

Arche: Dir, weil du dich unglaublich ins Zeug legst und dich meine Geschichten manches Mal erschlagen und du das zulässt.

Prodi: Dir dafür, dass du dich äußerst kosequent zu Wort meldest und nicht gleich die Flinte ins besagte Korn wirfst und die konstruktive Kritik suchst.

schnee.eule: Dir, weil du mit weiblicher Intuition alles erkannt hast und du sonst auch immer da bist.

Alex: Dir für die absoluten Worte wie "das gottverdammt Geilste" und für den überraschenden Kuss zum Gruß.

Liebe Grüße - Aqua

 

Hallo Aqualung,

ich habe mir zum erstenmal eine fremde Story runtergeladen.
Ich wünschte ich hätte sie geschrieben.
Du bist da ganz dicht an der Realität eines Typen, den ich immer noch nicht ganz kenne, obwohl ich schon so lange mit ihm lebe!

Ich wünscht wirklich, ich hätte sie geschrieben!

Liebe grüsse Stefan

 

Hallo Aqualung!

Er entscheidet sich für das Leben, stimmts? Wenns stimmt, hab ich den Text verstanden... aber so einfach war das wirklich nicht! Du beschreibst seinen Konflikt wirklich stark, ein starker Text, eindringlich. Sein plötzlicher Gesinnungswandel, kein drumrum, muss einfach schnell gehen!!

Ein toller Text Aqua. Selbst,wenn ichmit meiner Interpretation falsch liegen sollte....

Schöne Grüße, Anne

 

Hi Arche,

es passiert, daß man mit Menschen lebt, die man nicht wirklich oder noch nicht kennt. Es müssen grobe Dinge ihren Lauf nehmen und plötzlich sieht man klar. Diese Klarheit kann ganz spät kommen. Dann heißt es schnell zu reagieren. Danke dir fürs Lesen, Stefan.

Maus, Maus,

ja, er entscheidet sich fürs Leben und gegen die Abtreibung. Ein kurzer Kampf an der Bar wars und er hat ihn gewonnen. Danke auch dir für deine Kritik, Maus. Sie tut gut.

Liebe Grüße an euch beide - Aqualung

 

au hah,
wieso sind die düsteren geschichten gerade wieder so modern??
hi aqua,
es tut mir leid, ich habe die geschichte nicht verstanden *seufz*.
erst deine letzte gegenkritik gab mir aufschluss.
abtreibung!
"Mutter würde es schon richtig finden." naja, jetzt wird der satz klar!
ich bewundere die kritiker, die deine und solche wie deine geschichte verstehen, während ich keinen blassen schimmer habe.
es gibt jetzt zwei möglichkeit für mich, deiner geschichte zu begegnen. entweder schreibe ich, dass deine geschichte super ist (und verheimliche einfach, wie blöd ich bin), oder ich gebe zu überlegen, dass du mit deinem erzählstil einige lesergruppen ausschliesst.
ich entscheide mich für möglichkeit 3 und schreibe gar nichts. ... *look up* *ups* zu spät *grins*
nichts für ungut, aqua - ich habe mir echt mühe gegeben.
bye
barde

 

Hallo Aqua, hallo Barde,

auch ich gebe zu es mit der Abreibung nicht verstanden zu haben, dadurch kam es auch teilweise, zu einer Fehlinterpretation. Aber die story bleibt einsame Klasse

Stefan

 

HI Barde,

daß du meine Geschichten liest, ist für mich schon ein Kompliment. Das Verstehen ist nicht Voraussetzung. Oftmals "passiert" das später. Ich kann mir vorstellen, daß der Zugang zu mancher Geschichte aus der Sicht der Leser sehr versteckt angelegt ist und dadurch Irritationen entstehen. Ich finde das jedoch besser, als jemanden an der Hand hinzuführen.

Arche, he,

Fehlinterpretationen sollen sein. Es ist ganz einfach schön zu sehen, wie du dich mit den Texten auseinandersetzt. Es entsteht Austausch und Kommunikation - und im Dialog schon sowas wie ein bisschen Philosophie.
Ganz einfach schön eben.

Liebe Grüße an euch beide - Aqua

 

hey arche, du lädst dir 'ne story runter, die du nicht verstanden hast und wünscht dir obendrein noch, sie selbst geschrieben zu haben? *hehe* - du bist echt ein orginal!

 

Hallo Aqua,

Hut ab vor diesem Wahnsinnstext.

Ich hab erst durch den letzten Absatz geschnallt was da eigentlich vorgeht und hab die Story dann mit diesem Wissen gleich noch mal gelesen. Und dann ein drittes Mal, weil so verdammt gut geschrieben.

Der Mann steht einen inneren Kampf aus, wie er härter nicht sein könnte. Und dann handelt er so zu sagen aus dem Bauch heraus – mit dem Feind „Zeit“ im Nacken.

Das Ende bleibt für mich offen aufgrund von:

Ich sagte wir haben noch zwei Wochen, so oder so.

Sagenhaft gut, mehr gibt`s dazu eigentlich nicht zu sagen.

Gruß
Liz

 

Hi Liz,

was soll ich dir auf diese Kritik antworten?
Ich machs ganz einfach mit einem großen DANKE.
Schau wieder mal bei mir vorbei.

Liebe Grüße - Aqua

 

Super, Aqua, starke Geschichte! Pflichtlektüre für jeden Mann.

Liebe Grüsse, Venice

 

Hallo venice3456,

ja, ich sehe das auch so. Manchmal passiert es, daß der eine oder andere zu spät damit zurecht kommt.
In diesem Fall hat es ja geklappt. Zumindest die nächsten zwei Wochen.
Danke für deine Kritik.

Liebe Grüße - Aqua

 

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