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Snow Field (Part 2)
Erinnere dich an das was du werden musst.
Der Erlöser, der uns alle mit blutigen Händen ins Paradies führen wird...
Patrick
Das schrille Läuten meines Funkweckers ließ mich hochschrecken. Wieder schlecht geschlafen. Zuviel geträumt. Laken und Bettdecke waren nassgeschwitzt und klebten unangenehm an meinem Körper. Von draußen strahlten mir helle und warme Sonnenstrahlen entgegen. Auf dem Baum saß wieder der kleine, laute Vogel. Ich hatte das Mistvieh noch nie zu Gesicht bekommen. Die Steinschleuder lag schon seit einem Monat unbenutzt auf der Fensterbank. Von unten hörte ich den Staubsauger. Warum machte sie das jedes Mal. So früh am Morgen schon ihren Hausfraulichen Pflichten nachgehen. Meine liebe Ziehmutter. Ganz und gar gefangen in gesellschaftlichen Idealen. Nun, wenn sie denn glücklich damit war konnte es mir ja egal sein. Ich schaute nach draußen und lehnte mich weit aus dem Fenster. Der kühle Wind trocknet mir den Schweiß auf der Haut. Ein entspannendes Gefühl. Unten auf der Straße lief unser Sheriff. Man, was musste den sein Job ankotzen. In einem gut bürgerlichen Nest wie Snow Field, in dem wenn es hoch kam zweimal im Jahr etwas aufregendes passierte. Keine Bankräuber, keine Verbrecher. Die Bevölkerungsgruppe im Durchschnitt vierzig Jahre oder älter. Ab und an mal ein paar Schlägereien in die ich des öfteren selber verwickelt war. Ein paar besoffene Jugendliche, die am Wochenende gegen ihr kleines Spießerdasein protestieren wollten und rumpöbelten. Ansonsten hatte der gute Chief Murphy wenig zu tun. Aber es gab ja immer noch Leute wie mich, die ihm den ganzen Tag bei der Arbeit zuschauen konnten. In dieser engen und adretten Uniform sah er aber auch zu gut aus. Knackiger Arsch und breite Schultern. Hatte irgendwie das Verlangen ihn jetzt in meinem Bett zu wissen. War echt neugierig zu sehen was sich unter seiner Uniform befand. Ich schaute auf das kleine, grüne Display meines Funkweckers. Verschwommen sah ich die kleinen Ziffern unter der Uhr. Nur mit extrem zusammengekniffenen Augen fügten sich die Linien wieder zusammen. Scheiße, wollte es zwar nie wahrhaben aber würde wohl eine Brille brauchen. Mein einundzwanzigster Geburtstag rückte immer näher. Keine Spur von Freude. Na ja, immerhin durfte ich ab morgen Bier auf den Straßen trinken. Außerdem wollte mir Sean endlich mal wieder einen Mann besorgen. War es nämlich leid geworden, mir bei Filmen einen runterzuholen, während irgendein Keanu Reeves Verschnitt die Hüllen fallen ließ. Jetzt war es erst mal Zeit für die Arbeit. Die Vorstellung, gleich wieder in der Fabrik zu stehen und während des Schuftens nur den wohlverdienten Feierabend vor Augen zu haben ließ mich resignieren. Wenn die lauten Maschinen warmliefen und die Luft zum kochen brachten verging selbst den emsigsten Exemplaren die Lust zu arbeiten. Immerhin gab es einige gut gebaute Männer dort, denen man gerne dabei zusah wie ihnen der Schweiß über die stählernen Muskeln rann.
Ich schnappte mir schnell meine ausgewaschene und löchrige Jeans und ein weißes Shirt vom Stuhl. Als ich die Zimmertüre öffnete, kam mir das laute und penetrante Geräusch des Staubsaugers entgegen. Zähneknirschend flitzte ich die Treppen hinunter und wünschte mir zugleich, dass der Tag schnell zuende sein würde...
Letter from the lost Days
Der Abend hatte die Luft ein wenig abgekühlt. Frieren brauchte wohl keiner bei diesem Wetter, aber es war jetzt angenehm und erträglich. Gelegentliche Windböen fegten über die verlassenen Straßen. Unzählige Glühwürmchen tanzten über den Grünstreifen. In einigen Häusern brannte noch Licht, aber auf den Straßen war es friedlich und ruhig. Der Mond stand voll und stark am Himmel. Sein Leuchten ließ die dicken Wolkenschichten um ihn herum violett erstrahlen. Das war zweifelsohne eines der Highlights hier in diesem Dorf. Ich liebte diesen allabendlichen Fußmarsch von der Fabrik nach Hause. Hinter meiner rauen Fassade war auch ich bloß ein hoffnungsloser Romantiker. Jemand, der sich nach einer großen Liebe und Beliebtheit sehnte. Wohl wissend jedoch, dass ich von beidem Lichtjahre entfernt war. Was hatte ich schon. Finanzielle Sicherheit? Wohl kaum. Menschen die mich liebten? Meine Pflegeeltern versuchten mir zwar das Gefühl zu geben, aber ich wusste das ich ihnen peinlich war. In ihrem ausgeprägten Gesellschaftsleben konnten sie es wahrlich nur schwer ertragen einen schwulen Adoptivsohn zu haben, der zudem noch als rücksichtsloser und Verantwortungsloser Rabauke abgestempelt wurde. Sean aber war mein bester Freund und gleichzeitig eine heimliche Liebe. Aber so ziemlich der Heterosexuellste Typ den ich kannte. Ich war diese immer wieder kehrenden Gedanken satt. Die Hoffnung auf ein besseres Leben. Pah, warum konnten wir Menschen uns bloß nie in unser Schicksal fügen. Eine dumme Angewohnheit, aber sie gab mir in den letzten Jahren meines Lebens den Mut weiterzumachen. Jedenfalls war ich nun müde und erschöpft von der Arbeit. Eine kalte Dusche und eine Kleinigkeit zu Essen, dann würde ich wieder schlafen gehen und auf den nächsten Tag warten, der genauso verlaufen würde wie dieser hier. Wieder und wieder, bis ich irgendwann mal soviel Geld zusammengespart hätte um auf eigenen Beinen zu stehen und dieses Nest verlassen zu können.
Als ich vor meiner Haustüre angekommen war drehte ich müde das Schloss und betrat den kleinen Flur. In der Küche brannte noch Licht. Ob einer von den beiden auch noch Hunger hatte? Die Uhr sagte mir, dass ich in knapp einer Stunde Geburtstag hatte. Ich legte den Schlüssel auf die Kommode und ging in die Küche. Keiner da. Auf dem Tisch stand ein Teller, ein Brettchen mit Vollkornbrot und ein Messer. Ich musste lächeln. Ab und zu kam es tatsächlich vor, dass ich glaubte vielleicht doch ein wenig von ihnen geliebt zu werden.
Ich setzte mich auf den Stuhl und bemerkte den kleinen Umschlag auf dem Teller. Daneben lag ein Brief von Maria, meiner Pflegemutter.
„Hallo Patrick. In dem Umschlag liegt ein Brief von deiner leiblichen Mutter. Ich habe ihr versprechen müssen, dir diesen Brief noch vor deinem einundzwanzigsten Geburtstag zu geben. Ich hoffe du kannst damit umgehen. Schlaf gut.“
Ein Brief von Mama? In diesem Augenblick kamen die alten Erinnerungen wieder hoch. So Schmerzhaft. Der Abschied von ihr. Schmerzhaft aber auch schon die Jahre davor. Meine Glieder verkrampften und in meinem Bauch rumorte ein unangenehmes Prickeln. Hastig öffnete ich den verschlossenen Umschlag mit dem Brotmesser und faltetet das Blatt auseinander...
„Mein lieber Sohn Patrick,
Wenn du das hier liest haben Sie es tatsächlich geschafft dich mir wegzunehmen. Sie glaubten ich sei nicht gut zu dir, würde deine Gedanken vergiften. Dabei sind Sie es die versuchen dich zum Teufel zu schicken. Erinnere dich an die alten Tage. An das, was ich dich immer versucht habe zu lehren. Ich weiss bestimmt das du es nicht vergessen hast.
Patrick, erinnere dich an das was du werden musst! Während du das hier liest nimmt das unvermeidliche seinen Lauf. Ich bitte dich, lass dich nicht von Ihnen blenden. Werde zum Erlöser, der uns alle mit blutigen Händen ins Paradies führen wird.
Ich liebe dich über alles mein Sohn. Ich liebe das, was aus dir werden wird! Und jetzt geh schlafen. Morgen wird alles anders sein.“
Ja Mama, mehr habe ich von diesem Brief auch nicht erwartet. Langsam ließ ich mich auf dem Stuhl herabrutschen. Den Brief in der einen Hand, das Brotmesser in der anderen. Sie hatte nie aufgehört an diesen Unsinn zu glauben. Ein Wunder, dass ich selbst noch im Stande war dieses Geschwätz von damals als Lüge zu entlarven. Ich musste mir schließlich ganze sechs Jahre lang ihre Lehren anhören. Das Okkulte Gelabere über den angeblichen Sinn meiner Existenz. Mit anderen Kindern durfte ich nie spielen. Eigentlich hab ich das Haus kaum verlassen. Keine Schule besucht. Ja, ich glaube ich war schon damals als Kind depressiv. Wurde oft geschlagen wenn ich den Aussagen meiner Mutter keine Beachtung zollte. Aber es gab auch einen Moment den ich nie vergessen werde.
Als mich die Behörden ganz unvermittelt von zuhause abholten. Da hatte meine Mutter um mich gekämpft wie eine Löwin, bitterlich geweint und mir nachgerufen. Obwohl ich von ihr geschlagen wurde war sie doch die einzige Person auf der Welt die jemals um mich geweint hatte. Das würde ich ihr niemals vergessen.
Nun musste ich hilflos mit ansehen, wie eine vereinzelte Träne über meine Wange lief. Was gab ich bloß für eine jämmerliche Gestalt ab. Von niemandem wirklich geliebt und bis in alle Zeit Kinderlos. Von der Gesellschaft verspottet und zu allem Überfluss der Sohn einer Verrückten.
Ich betrachtete mein blasses Gesicht im Küchenfenster. Versuchte dabei zu lächeln. Aber es war kein Lächeln das ich sah, da war nichts ehrliches an dieser Mimik. Beurteile einen Menschen nie danach wie oft er lacht. Denn wie oft lacht man, nur um nicht weinen zu müssen? Eine nette Weisheit, nur was war mit Leuten wie mir, die selbst das Lachen verlernt hatten? Ich schaute noch einmal auf den Brief.
„Erinnere dich an das was du werden musst.“ Vor meinem geistigen Auge fügten sich nun ein paar Erinnerungen zusammen. Mama hatte immer gesagt, das es einige wenige Menschen auf der Welt gäbe die in der Lage wären etwas zu verändern. Sie könnten sowohl Gott als auch Teufel sein. Meine Mutter hatte gemeint, dass ich einer von diesen Menschen wäre. Und das ich eines Tages, gemäß der Tatsache das ich bei ihr bleiben würde zu Gott werden könnte. Sie sprach vom ewigen Paradies, das ich angeblich schaffen könnte indem ich die Welt von allen Unreinheiten säubern würde. Was für eine Närrin sie doch war. Obwohl mir dieser Gedanke natürlich schon gefallen hatte. Ich weiss noch, dass ich mich damals immer wie Jesus gefühlt hatte. Als ich klein war konnte ich die Tatsache besser ertragen, indem ich mir vormachte etwas besonderes zu sein. Und jetzt stand ich vor meinem damaligen Ich und wurde ausgelacht. Ich war so schrecklich gewöhnlich wie jeder Mensch. Keine Superkräfte. Keine Engel die mich unterstützen. Kein Gott...
Ich hatte ja noch nicht mal einen Kerl. Urplötzlich übermannte mich ein langanhaltender Lachkrampf der aber schnell in einem nie Enden wollenden Meer aus Tränen endete. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Meine Augen sahen nur noch ein verzerrtes Licht, die Tränen fluteten die Realität um mich herum. Meine Lungen zogen sich zusammen und mein Körper gönnte ihnen keine Entspannung. Meine Brust schmerzte aber ich konnte nicht aufhören zu weinen. Es dauerte eine Weile bis ich mich ein wenig gefangen hatte. Mein Blick ruhte schockierend lang auf dem Brotmesser in meiner linken Hand. Ich konnte nicht glauben was sich da jetzt in diesem Moment abspielte. Hier und jetzt alles beenden? War das wirklich mein Wunsch oder einfach nur eine Kurzschlussreaktion. Verdammt ich war noch jung. Hatte alles überstanden bisher und würde auch weiterhin durchhalten. Es konnte nur besser werden. Das Brotmesser landete unsanft auf dem Küchentisch. Den Brief versuchte ich zu zerreißen, aber es wollte mir einfach nicht gelingen, also faltete ich ihn zusammen und steckte ihn mir hastig in die Hosentasche. Ich war doch einfach nur müde. Schon die ganze Zeit. Also warum ging ich nicht einfach schlafen....
Final Wish
Das penetrante Geräusch meines Funkweckers ließ mich auch dieses Mal unsanft hochschrecken. Die Müdigkeit steckte noch in meinen Knochen und so war es jeden Morgen aufs Neue die reinste Qual, nach dem verfluchten Teil zu greifen. Diesmal brauchte ich aber nicht nachhelfen. Das schrille Klingeln verstummte augenblicklich. Batterien leer? Na von mir aus gerne. Ich kuschelte mich wieder zurück in die Bettdecke. Ich hatte zwar wieder stark geschwitzt, aber diesmal war es erträglich. Die Müdigkeit kam schnell zurück und ich genoss das Gefühl, langsam wieder ins Reich der Träume abzudriften. Bis dann schließlich das Allmorgendliche Vogelzwitschern in meine Ohren drang. Oh, wie ich dieses Tier hasste. Laut seufzend presste ich mir das Kopfkissen über den Schädel und wälzte mich unruhig durchs Bett. Irgendwann würde ich diesen Vogel zum Teufel jagen. Aber vielleicht war es auch gut so, sonst würde ich mich bloß wieder verspäten. Ich versuchte zu lauschen was unten so abging. Hoffentlich keine übertriebenen Geburtstagsgrüße von den beiden. Ein kleiner Händedruck würde mir vollkommen reichen. Na wenigstens hatte Maria den Staubsauger stehen lassen. Und überhaupt war es plötzlich ziemlich still. Der Vogel war auch verstummt. So ließ es sich gut leben am Morgen. Keine Eltern die um einen herumwuselten und keine frechen Piepmätze, die den Raum vor meinem Fenster nutzten, um mir ihren schrecklichen Minnegesang aufzuzwängen. Immerhin hatte ich heute Geburtstag. Also warum sollte mein Umfeld dann nicht auch einmal Rücksicht auf mich nehmen.
Fehlte nur noch ein Anruf von der Fabrik. So ein ruhiger Geburtstag nur mit Sean wäre doch schon etwas feines. Das plötzliche Klingeln an der Haustüre holte mich unsanft zurück in die Realität. Wer mochte denn das schon so früh sein? Vielleicht Sean. Hastig griff ich mir meine alte Arbeiterhose und zog sie mir über. Zeit um ein Shirt anzuziehen nahm ich mir nicht mehr. Schnellen Schrittes trampelte ich die Treppe hinunter, wohl darauf bedacht so laut wie möglich zu sein. Unten war es angenehm kühl und dunkel. Maria und Harry schienen auch nicht da zu sein. Eigentlich ungewöhnlich. Maria verließ so früh am Morgen nie das Haus und auch Harry hatte noch etwas Zeit bevor er zur Arbeit musste. Aber ehrlich gesagt war es mir auch ganz egal. Durch das grobfasrige Glas der Haustüre konnte ich eine große Gestalt sehen. Sah nicht nach Sean aus. Egal, ich öffnete die Türe und schaute sogleich einem zuckersüßen, aber immer ernst dreinblickenden Mann in die Augen.
„Guten Morgen Sheriff Murphy.“ Der Chief rückte seinen Kragen zurecht und lächelte mir starr entgegen. „Sie wollen sicher zu Harry. Tut mir leid aber weder er noch Maria sind Zuhause. Darf ich ihnen was ausrichten?“ Ich war selbst verwundert über meine übertriebene Freundlichkeit, aber irgendwie hatte es mir dieser Kerl angetan. Obwohl er immer recht kühl und abweisend wirkte. Vielleicht mochte ich aber genau diesen rauen Charme so gerne.
„Ich bin nicht wegen ihren Eltern gekommen“, sagte er trocken und sah mir dabei direkt in die Augen. Mir war das ein wenig unangenehm, aber ich spielte mit. Ich war ohnehin fasziniert von diesen tiefblauen Juwelen. Im Kontrast zu seinen kurzen, schwarzen Haaren stachen sie besonders stark heraus.
„Dann hab ich wohl wieder etwas angestellt“, rutschte es mir flapsig raus. Murphy schien das aber nicht zu kratzen, immerhin gehörte er selber noch nicht zum alten Eisen.
„Darf ich reinkommen?“, fragte er und schaute unverhohlen auf meinen nackten Oberkörper.
Wow, also das war jetzt doch ein wenig aufregend für mich. Einerseits spürte ich eine gewisse Anspannung aufgrund seines Besuches, andererseits war es auch ziemlich erregend ihn in meinem Haus zu wissen.
„Na klar, kommen sie ruhig rein.“ Ich versuchte lässig und cool zu wirken. Ich meine, mir war klar das ich zurzeit außerordentlichen Überdruck hatte. Eigentlich reagierte ich in Gegenwart fast jedes männlichen Wesens ein wenig übertrieben. Aber der Chief war keine verkappte Schwuchtel. Keine nach Duftwässerchen riechende Tunte. Das war ein echter Kerl. Ein wilder Stier. Ich meine, was würde der im Bett alles mit mir anstellen können. Ich verdrängte schnell diese Gedanken und führte ihn in die Küche.
„Wollen sie vielleicht ein Glas Wasser?“ Murphy sah mich wieder etwas länger an und schüttelte hastig den Kopf. Dann lehnte er sich lässig gegen das Sideboard.
„Also dann, warum sind sie hier?“ Ich war jetzt wieder interessiert am eigentlichen Grund seines Erscheinens. Er zögerte nicht lange.
„In ihrer Fabrik gab es einen Unfall. Genau genommen sogar eine Hand voll Unfällen.“
Ich spürte wie mir das Herz fast in die Hose rutschte.
„Was ist passiert?“, fragte ich ein wenig heiser von der Anspannung.
„Die Maschinen sind durchgedreht. Ein technischer Defekt oder so etwas in der Art hat in der ganzen Fabrik die Maschinen verrückt spielen lassen. Das wird aber zurzeit noch untersucht.“
Die Anspannung viel wieder ein wenig von mir ab. Hatte schon gedacht er wolle mich für diese Unfälle verantwortlich machen.
„Ist irgendjemanden etwas passiert?“, fragte ich mehr aus Neugierde statt echter Betroffenheit.
„Es gibt fünf Tote Arbeiter. Ein paar von ihnen wurden teilweise ziemlich übel zugerichtet..“
Na gut, jetzt war ich doch ein wenig betroffen. Immerhin kannte ich sie bestimmt von der Arbeit, wenn auch nur vom sehen.
„Oh...“, war alles was mir einfiel.
„Wie dem auch sei. Sie haben jetzt erst einmal einen kleinen Zwangsurlaub. Die Fabrik bleibt bis auf weiteres geschlossen.“
Na das war doch mal eine gute Nachricht. Als hätte ich es kommen sehen. Auch wenn der Anlass ein wenig traurig war. Mir ging es gut dabei. Ich hatte mir ein paar ruhige Tage verdient. Natürlich konnte ich den Chief an dieser Freude nicht teilhaben lassen.
„Alles klar, dafür habe ich natürlich Verständnis“, heuchelte ich ihm kalt entgegen.
„Melden sie sich bei mir, wenn alles geklärt ist und die Arbeit weiter gehen kann?“ Murphy musterte mich wieder eindringlich. Seine Augen sahen unnatürlich gläsern aus. Dann machte er ein paar Schritte auf mich zu. Verdammt, um mich herum begann die Luft zu knistern. Bevor ich reagieren konnte presste er mir seine Lippen auf den Mund. Seine kurzen Bartstoppeln kratzten auf meiner Haut. Dann begann er mir seine Zunge in den Hals zu stecken. Ich versuchte mit meiner dagegen zu halten, aber der Kerl war echt wild. Ich konnte kaum glauben was da gerade geschah, aber ich würde es verdammt noch mal genießen. Seine Hände glitten über meinen Oberkörper und mit den Fingern umkreiste er meine harten Nippel. Dann griff er sich meine Hand und legte sie auf seine Schenkel. Reflexartig schob ich sie höher in seinen Schritt. Durch die dünne Hose konnte ich seinen knüppelharten Schwanz spüren. Nicht so groß wie ich es mir erhofft hatte, aber dennoch recht ordentlich. Ich wollte gerade damit anfangen ihm das Hemd aufzuknöpfen als er sich entsetzt losriss. Ein wenig benommen stolperte er gegen die Scharniere und hielt sich den Kopf. Ich stand bloß fassungslos in der Mitte des Raumes. Die Hände noch in der Luft und mit einer großen Beule in der Hose.
„Es tut mir leid Junge. Ich weiß nicht...“, stammelte Murphy und verließ daraufhin fluchtartig den Raum. Ich folgte ihm schnellen Schrittes. Wollte nicht glauben das jetzt schon alles vorbei war. Der Chief hatte das Haus schon verlassen und lief desorientiert die Straße hinunter. Ich wollte ihm nachrufen, bemerkte aber sogleich die interessierten Nachbarn, die Sensationsgeil aus dem Fenster schauten. Der Mann grinste mir verlegen entgegen.
„Da liegt ein toter Vogel vor eurem Haus, Patrick“, sagte der schwergewichtige Rentner und deutete mit seinen Wurstfingern auf den Gehweg. Ich nickte hastig und richtete meinen Blick dann sofort wieder auf Chief Murphy, der sich schon gut hundert Meter entfernt hatte. Was war das nur für ein verrückter Morgen? Ich ging zurück ins Haus und hockte mich auf den Treppenabsatz. Meine Erregung war längst verflogen. Vielmehr war mir plötzlich entsetzlich schwindelig. Meine Beine schwach und zittrig. Mühsam richtete ich mich auf und torkelte nach oben. Was zum Teufel war hier los? Die Realität um mich herum begann zu wanken. Die Bilder verzerrten sich. Ich geriet leicht in Panik. Hatte ich etwas falsches gegessen oder lag das einfach nur an der Hitze? Verdammt, Drogen hatte ich doch schon länger keine mehr angerührt. Vielleicht noch die Nachwirkungen? In meinem Kopf gewitterten zahllose Bilder wüst durcheinander. Hunderte Gesichter. Gesichter aus diesem Dorf. Einige vertraut, andere kannte ich nur flüchtig. Dann dieser entsetzliche Schmerz. Wie ein Presslufthammer wütete irgendetwas in meinem Kopf herum. Ich fiel schreiend zu Boden. Jedenfalls glaubte ich das ich schrie. Um mich herum hörte ich nur ein metallenes Hämmern. So überwältigend laut. Meine Sinne verloren sich fast augenblicklich...
Evil Control
Ich schwebte über den Häusern und Straßen von Snow Field. Unter mir eine aufgebrachte Menschenmenge, die ins Dorfzentrum stürmte. Flüchtend vor einer sich stetig ausbreitenden Dunkelheit. Alle Lichter waren erloschen. Der Himmel wurde von einer gigantischen Wolke belagert, die sich wie ein Lauffeuer ausbreitete. Die Sonne wurde von der Schwärze verschluckt. Ich konnte die Schreie hören. Ich konnte das Entsetzen der Bürger riechen. Die Häuser und Straßen wurden augenblicklich von einem tiefroten Aderngeflecht durchzogen. Wie ein riesiges, pulsierendes Herz mutete das von hier oben an. Oder wie ein teuflischer Virus, der sich in der Dunkelheit bewegte. Einige Menschen wurden infiziert. Das Geflecht überzog in sekundenschnelle ihre Haut. Breitete sich darauf aus, während der Mensch kreischend versuchte, sich das Zeug von der Haut abzustreifen. Ich war hier oben und konnte nichts machen. Fühlte mich irgendwie sicher, aber zugleich auch verloren und einsam. Das Schauspiel unter mir ging seinem Höhepunkt entgegen. Immer mehr Menschen fielen schreiend zu Boden. Das Aderngeflecht durchzog ganze Häuserreihen. Die Straßen waren allesamt befallen. Der große Dorfplatz ein atmendes, skurriles Gebilde, gepflastert mit zappelnden Menschenkörpern. Einige Bewegungen waren bereits erstorben. Ich versuchte mich zu drehen. Meinen Blick abzuwenden. Ich war erstarrt. Schwebte nur so vor mich hin und konnte keinerlei Einfluss auf meinen Körper nehmen. Dann schloss ich die Augen, aber das Bild war da. Es bewegte sich immer noch. Es war ein Gefühl, als ob etwas anderes die Kontrolle über meinen Körper übernommen hätte. Eine fremde Existenz. Unglaublich Mächtig.
Im nächsten Moment wurde unter mir alles dunkel. Die komplette Stadt wurde von dieser Schwärze aufgesogen. Die tiefroten, pulsierenden Adern wurden zum einzigen Kontrast dieser alles umfassenden Dunkelheit. Der Himmel war ebenfalls nicht mehr zu sehen. Alles weg. Verschluckt vom Nichts. Ich begann zu schreien, aber ich hörte mich nicht. Es fühlte sich an wie ein schrecklicher Alptraum. Und ich war der Zuschauer. Dann fror das Bild ein. Wieder dieses hämmernde, metallische Gekreische. Es war unerträglich. Als ob mein Kopf jeden Moment explodieren würde. Es wurde noch intensiver. Noch unerträglicher. Ich wollte aufwachen, sterben, irgendetwas sollte passieren. Im nächsten Moment war das Geräusch in meinem Kopf weg. Ich hatte mich niemals zuvor so erleichtert gefühlt. Mein Körper gehorchte mir wieder. Ich öffnete panisch die Augen. Bemerkte sogleich den festen Untergrund auf dem ich lag. Es war Holz. So angenehm kühl. Ich wusste wieder wo ich war. Ich lag auf dem obersten Treppenabsatz meines Hauses. Vor mir die Türe zu meinem Zimmer. Langsam richtete ich mich auf. Das mulmige Gefühl war noch da. Aber längst nicht mehr so stark wie vorhin. Das heißt, konnte ich mir überhaupt sicher sein wie lange ich hier gelegen hatte? Um mich herum war es dunkel. Unten im Flur ebenfalls. Eine erneute Panik keimte in mir auf und verstärkte auch das Schwindelgefühl. In meinem Kopf baute sich langsam wieder eine unerträgliche Spannung auf. Komm, bleib bloß ruhig Patrick. Die Schmerzen von eben willst du nicht noch einmal spüren. Ich versuchte meinen Kopf zu massieren um den Druck zu vermindern. Es funktionierte. Das Geräusch wurde zunehmend leiser, bis es schließlich vollkommen verschwunden war. Zum Glück. Ich legte eine Hand auf die Türklinke und atmete tief durch. Dann betrat ich mein Zimmer. Ein Blick aus dem großen Fenster genügte. Draußen war es stockfinster. Ich spürte wie meine Beine schwerer wurden. Vielleicht war es bloß Nacht. Aber wo waren dann Maria und Harry? Die hätten mich doch auf der Treppe finden müssen. Ich durfte jetzt bloß nicht wieder panisch werden. Schweren Schrittes ging ich zum Fenster. Draußen war es einfach nur dunkel. Kein Aderngeflecht, keine toten Menschen. Der Himmel wurde von schwarzen Nimbuswolken belagert, die wie riesige Wetterballons am Himmel standen und sich nicht rührten. Eine seltsame Atmosphäre lag in der Luft. Dann hörte ich plötzlich ein schlurfendes Geräusch rechts von mir. Unten auf der Straße bewegte sich etwas. Sah nach Mister Connely, unserem Nachbarn aus. Über seinen dicken Oberkörper hatte er nur ein schmutziges Unterhemd gezogen. Eine Hose hatte er gar nicht mehr an. Sein winzig kleiner Penis pendelte bei seinen torkelnden Schritten von links nach rechts. Sein Blick war zu Boden gesenkt.
„Mister Connely, geht es ihnen gut?“, rief ich hinunter.
Reflexartig hob er seinen Kopf und starrte mich aus rotglühenden Augen an. Sein Mund war weit geöffnet, seinen Kopf hatte er wie eine Eule in die Schultern gelegt. Ich erschrak fürchterlich. Mein Herz wurde von einer eiskalten Hand gequetscht und meine Beine wurden schwer wie Zementsäcke. Meine Augen waren vor Angst geweitet. Der kleine Fettwanst aber verharrte in seiner Position. Ich drehte mich angewidert weg und dabei huschte mein Blick unruhig durchs Zimmer. Im nächsten Augenblick riss es mir fast den Boden unter den Füßen weg. Da stand jemand im großen Schrankspiegel. Ein von blutroten Äderchen durchzogener Körper. Verdammt, das war ich. Das war mein Spiegelbild. Ich blickte schreckhaft an mir herunter und versuchte dabei panisch das Geflecht von mir abzureißen. Nur war da gar nichts. Mein Körper sah aus wie immer. Keine blutroten Äderchen auf meiner Haut. Ich schaute zurück in den Spiegel. Mein teuflisches Ich lächelte mir boshaft entgegen. Im nächsten Moment wurden die Zimmerwände um mich herum befallen. Das Aderngeflecht breitete sich in Windeseile aus. Erst die Wände, dann die Decke und schließlich der Boden unter mir. Ich konnte gar nichts machen. Als mich das Virus berührte verspürte ich augenblicklich einen stechenden Schmerz, der mir durch den ganzen Körper fuhr. Ich wollte mich auf den Boden werfen, aber blutige Fäden fesselten mich und hielten mich in Position. Es war ein unglaubliches Gefühl. Irgendetwas nahm von mir Besitz ein. Etwas übermächtiges. Es war wie in meinem Traum, der vielleicht gar keiner war. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Mein Verstand war bloß ein Betrachter dieser neu geborenen Existenz. Ich schaute in den Spiegel und verstand plötzlich alles. Meine Mutter hatte immer Recht gehabt. Ich wurde zu etwas besonderem. Mein Körper diente dieser Macht als Manifestation in dieser Welt. Ich hatte in meinem bisherigen Leben die Chance, diese Existenz zu begründen. Jetzt aber war alles getan. Meine Existenz beendet und eine neue geboren. Ich war nur noch ein Betrachter für das, was Geschehen würde.
Mama, auch wenn ich nicht das geworden bin was du wolltest, so werde ich diese Welt trotzdem reinigen. In Zukunft wird es weder Leid, noch Schmerz und Eifersucht geben. Und auch keins der Gefühle mehr, die dies zur Folge haben.
Ich blickte in den Spiegel und sah mich an. Eine gehörnte Gottheit mit blutroten Augen und pechschwarzen Schwingen. Ein unsichtbares Lächeln zauberte sich auf das diabolische Gesicht...
Inspiriert vom Song "Akira Yamaoka-Letter From the Lost Days"
Mit einem Zitat aus "Silent Hill 3"