Sky Martini
Die hell schimmernde Oberfläche der Theke spiegelte das Angesicht des alten Mannes, und ebenso seine faltigen Hände, die seinen schlohweißen Kopf stützten.
Die engelsgleiche Bedienung schwebte ein wenig entfernt, sie kümmerte sich nicht weiter um ihn, sie hatte ihm erst vor Stunden einen Sky Martini gebracht, und den hatte er noch nicht einmal zur Hälfte geleert.
Es war wenig los, hier in der Sternenbar, obwohl der Blick über die Milchstraße und vor allem das Sonnensystem grandios war. Der Sky Martini war beinahe das einzige, was so etwas wie eine sichtbare Bewegung vollführte. Das wolkige Gebräu kreiste langsam ohne Unterlass in dem Glas, und der alte Man tat scheinbar nichts anderes, als diesem Kreisen zuzusehen.
Einen Moment später glitt die Tür am anderen Ende der Bar geräuschlos auf, die Bedienung sagte freundlich "Grüß Gott", und herein trat ein deutlich besser gebauter jüngerer Typ. Er schaute sich eine Weile um, und steuerte dann geradewegs auf den alten Mann zu. Er nahm neben ihm an der Theke Platz, und schaute den alten Mann an, der noch immer keine Regung zeigte. Dann blies er hinüber in den Sky Martini, dessen Drehbewegung so akut gestört wurde. Ein wenig schwappte sogar über den Rand. Der alte Mann schaute müde auf, und drehte sich zu dem neu angekommenen Typ hin.
"Na, Alter, heute keinen Bock aufs Saufen? Komm, trink aus, ich bestell die nächste Runde!"
Der alte Mann schüttelte nur langsam den Kopf. Der jüngere schaute etwas betreten. "Sag mal, hast Du ein Problem?"
Die Reaktion war nur ein etwas tieferer Atemzug. Das Ausatmen klang fast wie eine Antwort, fast wie eine Zustimmung.
"Du hast tatsächlich ein Problem, oder?"
Der alte Mann blickte dem jüngeren nun direkt in die Augen. "Wie alt bist Du, mein Junge?"
"Wie alt ich bin? Nun, ich schätze, nicht mal halb so alt, wie Du, und das will was heißen!"
"Ja, ja, so jung bist Du. Du hast das Leben noch vor Dir, weißt nicht, wie es ist, wenn es zu Ende geht, und die Probleme immer größer werden."
"Probleme? Was für Probleme? Du sitzt hier, in der geilsten Bar der Galaxie, haust Dir einen Sky Martini rein, und beklagst Dich über Probleme? Hier gibt es keine Probleme!"
Der alte Mann schaute ihn lange schweigend an. Dann setzte er wieder an, etwas zu sagen, doch der jüngere unterbrach ihn: "Ich hatte auch mal Probleme, geht es mir deswegen schlecht?"
"Ich werde Dir erzählen, was mein Problem ist, mein Junge. Höre zu, und dann sage mir, ob das ein Problem ist."
"Ok, aber lass mich vorher noch was bestellen, wie ist es, magst Du auch noch was?" Der alte Mann schüttelte den Kopf, woraufhin der jüngere nach der Bedienung rief, und sich einen Silver Cloud bestellte. Als die Bedienung mit dem Getränk heranschwebte, und es ihm hinstellte, begann der alte Mann langsam zu erzählen.
"Weißt Du, ich habe eine Welt erschaffen, aus einem toten Stück Gestein. Ich habe das Wasser erschaffen, habe die Länder geformt, habe das ganze bewohnbar gemacht, die Luft atembar, und alles gedieh prächtig und zu meinem Wohlgefallen. Es ging mir gut, viele tausend Jahre lang hatte ich meine Freude daran." Der alte Mann stoppte, und blickte einen Moment lang mit einer Träne im Auge ins Nirgendwo.
Dann fuhr er fort. "Weißt Du, ich hatte auf einen alten Experten gehört, er hatte mir einen Trick verraten, wie man die schlechten Stoffe aus der Luft herausbekäme. Ich habe viele Tiere wachsen lassen, und dann vergehen lassen, und diese Tiere nahmen die schlechten Stoffe in ihren Körpern auf, und dann habe ich die Erde sich neu schichten lassen, und die schlechten Stoffe aus der Luft waren ganz tief vergraben. Niemand kam dort heran. Alles war gut."
Der alte Mann wischte sich die langsam trocknende Träne von seiner alten Haut und nahm dann sein Glas. Nach einem kleinen vorsichtigen Schluck hustete er ein wenig, bevor er weiter erzählte: "Ich war glücklich und zufrieden, nie lief groß etwas schief, mal schlugen sich die Bewohner untereinander die Köpfe ein, aber im großen und ganzen war es eine perfekte Welt. Doch dann irgendwann, es ist noch nicht lange her, haben die Bewohner begonnen, diese tief vergrabenen schlechten Stoffe anzubohren, und wieder auf die Oberfläche zurückzuholen. Und dazu begannen sie wie verrückt, dieses Zeugs in großen Mengen einfach zu verbrennen." Er setzte das Glas, was er noch immer in der Hand hielt, wieder ab, und schaute dem jüngeren wieder in die Augen. "Das war mein Fehler gewesen, das Zeug brannte einfach perfekt. Viele tausend Jahre war es gut und sicher verborgen, doch nun sind die Bewohner süchtig nach diesem Stoff, und ich sehe es kommen, daß sie alles, was ich tief unter der Erde verborgen habe, wieder heraufholen und verbrennen. Und damit werden sie ihre Welt, meine Welt, wieder zu Grunde richten. Und weißt Du, mein Junge, was das schlimmste ist?" Der alte Mann schaute den jüngeren neben ihn fragend an.
"Nein, weiß ich nicht, was ist denn das schlimmste daran?"
"Ich kann es nicht mehr aufhalten. Meine Mittel sind begrenzt, ich kann ihnen Sturm und Feuer schicken, Wolken und Unwetter, und das habe ich ja auch schon getan, aber sie lassen nicht davon ab. Ich bin gezwungen, dieser Zerstörung einfach zuzusehen. Weißt Du, das war mein letztes eigenes Projekt, bald gehe ich in Rente, und ich kann diesen Fehler nie wieder gut machen. Das ist mein Problem."
Der jüngere nahm einen Schluck aus seinem Glas, setzte es wieder ab und sprach: "Naja, ich weiß nicht, warum Du da so ein Riesenproblem draus machst. Die Welt wird wohl nicht umfallen, oder?"
"Was heißt denn umfallen? Meine Kinder richten sich zugrunde, und ich soll zusehen, ich muß zusehen, ohne Einhalt geben zu können? Verstehst Du überhaupt, wovon ich rede?"
Der jüngere blickte den Alten lange an, dabei konnte man sehen, daß auch er bereits feine Sorgenfalten um die Augen herum hatte.
"Ja, ich weiß ziemlich gut, worüber Du redest."
"Hast Du etwa eine Welt erschaffen?" Der Alte schaute etwas verärgert, hob wieder das Glas, und leerte es nun in einem Zug aus. Wieder hustete er ein wenig. Dann sprach der jüngere wieder: "Ja, ganz zufällig hab ich das."
Der Alte schaute in groß an, und mußte wieder husten. "Was hast Du? Eine Welt erschaffen?"
"Ja, zufällig genau neben Deiner, wenn ich nicht irre. Du hast doch diesen dritten Planeten im Sonnensystem gemacht, oder?"
Der alte Mann schaute ungläubig, und hob sein leeres Glas, so daß die Bedienung das bemerkte, und sogleich begann, ihm einen neuen Sky Martini zu mixen. Noch immer schaute der alte Mann ungläubig, ohne ein Wort zu sagen.
"Ich hatte meinen Planeten auch einmal soweit, daß es darauf Leben gab, und alles. Auch bei mir hat sich dann nicht alles so besonders toll entwickelt. Es gab eine Riesenschlacht, der ganze Planet stand in Flammen, und danach war einfach nur noch Ruhe angesagt." Der junge Typ machte eine Pause, um einen weiteren Schluck zu nehmen. "Aber weißt Du, im Prinzip ist das doch alles egal, ich kann immer noch sagen, daß ich einen Planeten erschaffen habe, und er ist ja auch noch heute da. Ist zwar eher kalt dort im Moment, oder eher schon eine ganze Weile, aber so hab ich meine Ruhe. Es war ja nicht ich, der den ganzen Blödsinn da unten angefangen hatte. Die Bewohner auf meinem Planeten konnten ja auch denken – haben sie aber nicht. Selbst Schuld, würd ich mal sagen. Mehr als sie zu erschaffen und dann mal laufen lassen ist wohl nicht möglich, oder? Du musst den Kinderchen einfach mal ihren Willen lassen, und einfach zuschauen, und hier ab und an mal einen Drink kippen. Macht das Leben leichter, meinst Du nicht?"
"Welcher Planet ist Deiner, wer bist Du?"
"Mein Planet? Liegt nur eins weiter draußen, das ist der Mars. Nach mir benannt. Aber wie gesagt, laß die Kinder da unten einfach mal machen, und wir hier oben schauen zu. Was hältst Du von der Idee?"
Und er winkte dem Engel zu, um schon mal die nächste Runde zu bestellen. Der alte Mann dagegen starrte nun aus dem Panoramafenster hinaus auf das Sonnensystem, wo sich die blaue Erdkugel langsam um die Sonne drehte.