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Skoth
Die Rede des Weisen Knotha an die Menschen und die Lounata
„Wir sind die Lounata, oder wie ihr uns nennt, die Schwarzen Männer. Wir sind immer bei euch. Wir begleiten euch. Wir wachen über euch. Menschen und Lounata sind eine fast perfekte Symbiose eingegangen. Ihr gebt uns ein Zuhause, eine Heimat und wir bringen euch dafür die Träume. Ohne unsere Träume können die Menschen nicht existieren, sie brauchen uns um all die geheimnisvollen Dinge und Gefühle, die tagtäglich auf sie hereinprasseln zu verarbeiten. Ohne unsere Träume werden die Menschen wahnsinnig und degenerieren zu stupiden, sabbernden Kreaturen, denen jegliche Fantasie abhanden gekommen ist. Es schien eine perfekte Symbiose zu sein und es hätte immer so weiter gehen können, doch seit einigen Jahren bedrohen die Menschen unsere Existenz. Sie rauben uns den Lebensraum und das in einem Umfang den wir nicht mehr tolerieren können. Seit nahezu dreißig Jahren verzichten die Menschen darauf Möbel aus natürlichen Materialien zu kaufen. Stattdessen richten sie ihre Wohnungen in Sperrholz und Kunststoff ein. Die Lounata benötigen aber die reinen Strukturen des Holzes. Die Windungen und Linien eines gewachsenen Baumes sind die magischen Zeichen der Götter. Sie funktionieren wie ein Tor, durch das wir in eine Art Zwischenwelt gelangen. Doch nur wenn ein Raum von vier, Linien durchzogenen, Wänden umgeben ist, gelingt es uns die Grenzen zu passieren. Diese andere Welt ist für uns realer als die Welt der Menschen und sie ist unsere Heimat. Schrecklich endeten die Versuche einen Zugang durch die zerrissenen Linien der Sperrholzwände zu finden. Die Freiwilligen blieben in den Wänden stecken und es gab kein entkommen mehr für sie. Gefangen mussten sie auf den erlösenden Tod warten und noch nach Tagen vernahmen wir ihre Schmerzensschreie.
Es war furchtbar und aus diesem Grund fordern die Lounata die Menschen auf, diesen unseligen Frevel einzustellen und zu den alten, überlieferten Traditionen zurückzukehren.
Sollten die Menschen unserem Aufruf nicht folgen, werden sich die Lounate von den Menschen abwenden.“
Als er geendet hatte senkte er langsam den Kopf und die Gemeinde tat es ihm gleich. Fünfzig Augenpaare starrten von der Kommode auf das schlafende Ehepaar hinunter. Als keine Reaktion der Menschen erfolgte, schüttelte der alte Knotha enttäuscht den Kopf, die Federn in seinem grauen Haar wackelten leicht und verliehen ihm das Aussehen eines zu kurz geratenen Staubwedels. Dann wand er sich ab.
Mutlos machten sich die Versammelten an den beschwerlichen Abstieg. Sie alle hatten viel Hoffnung auf die Zusammenkunft von Menschen und Lounata gesetzt und die Enttäuschung und die Angst um die Zukunft waren grenzenlos.
Als einer der letzten verlies der junge Skoth das Plateau. Er drehte sich noch einmal zu den Menschen um und schüttelte wütend seine Fäustchen in die Nacht, während ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Dann prüfte er noch einmal ob der Haken mit dem Seil auch sicher an der Nachttischlampe befestigt war und machte sich mühsam an den Abstieg. Am zweiten Schubladengriff machte er eine Pause und wischte sich umständlich die Nase am nackten Arm ab. Wehmütig starrte er eine Zeitlang auf seine tätowierten Oberarme, die ihm die Geschichte seines Stammes erzählten und er fragte sich, ob es wohl jemals dazu kommen würde, dass auch sein restlicher Körper mit den heiligen Zeichen verziert wäre. Oder ob sie bis dahin alle von den Göttern geküsst wurden und an ihrer Seite im großen Kleiderschrank sitzen durften. Schnüffelnd machte er sich wieder an den Abstieg.
Am Fuße des Nachtschränkchens angekommen sah er sich vorsichtig um. Die Anderen waren schon weit voraus und Skoth erkannte, dass er sich, mit Ausnahme der leise schnarchenden Menschen, alleine im Schlafzimmer aufhielt. Mit einem präzisem Ruck am Seil löste sich der Hacken von der Lampe und segelte dem Fußboden entgegen, kurz bevor der Aufprall erfolgte fing Skoth ihn auf, sammelte das Tau ein und wickelte es sich um den Oberkörper. Dann lauschte er noch einmal angespannt in die Nacht, um anschließend vorsichtig im Dunkeln unter der Kommode nach seinem Goshi zu suchen, nach wenigen Minuten hatten seine Finger ihn ertastet. Mit einem erleichterten Seufzen zog er den Stab, der ihn um eine halbe Manneslänge überragte, hervor. Der Goshi war bei langen Wanderungen unerlässlich und diente sowohl als Stütze als auch, dank der eingearbeiteten Glassplitter, als Waffe.
Das Leben der Lounata war nicht ungefährlich, abgesehen von den ungeheuerlichen Dimensionen, die sie bei den Ausflügen durch die Häuser der Menschen zu überwinden hatten, lauerten dort auch gefräßige Gegner wie Hunde, Katzen und Ratten. Zwar gab es Gerücht, dass es Lounata gab die Ratten abrichten um auf ihnen zu reiten, doch bei Skoths Stamm war diese Technik unbekannt und wurde meistens als Unsinn abgetan.
Leise huschte Skoth diagonal von einem Bettpfosten zum anderen und näherte sich dann überaus vorsichtig der Tür. Durch den Türspalt viel ein fahler Streifen Licht, den der Mond durch das Fenster am Ende des Flures fallen ließ. Wachsam blieb der junge Krieger stehen und beobachtete den Flur, der eine der größten Gefahrenquellen auf seinem Weg darstellte. Auch hier war nichts von seinen Angehörigen zu sehen, er musste länger für den Abstieg gebraucht haben als er gedacht hatte. Unwillkürlich berührte er seinen Sasaquatsch, einen, aus seiner eigenen Nabelschnur geflochtenen Halsschmuck. Großmutter Maishe hatte ihn bei seiner Geburt gefertigt und allerlei Schutzkräftige und schöne Gegenstände mit eingeflochten.
Als er sicher war, dass ihm, zumindest auf der ersten Strecke, keine Gefahr drohte, schickte er noch ein kurzes Gebet zu Mamasikki, der Göttin der leisen Schritte und rannte so schnell er konnte zum Telefontisch. Auf der Hälfte des Weges hörte er hinter sich ein Geräusch, dass ihm die Haare zu Bergen stehen ließ. Er presste sich dicht an die Wand und schallt sich einen Narren, er hatte das Katzenklozimmer vergessen. Er drehte sich langsam um. Das Katzenklozimmer war absolut Tabu für die Lounata. Die ersten Exkursionen in dieses Gebiet hatten einfach zu viele Todesopfer gefordert und die Lounata bekamen den Eindruck, dass die Katze ganz besonders gereizt auf Störungen innerhalb dieses Zimmers reagierte. Außerdem ließ sich immer nur schwer vorhersagen wie viel Zeit die Katze in dem kleinen Häuschen verbringen mochte. Die scharrenden Geräusche verrieten ihm, dass der Stubentiger sein Geschäft gerade beendet hatte und nun jeden Augenblick im Flur erscheinen konnte. Er sprintete los, es war nun keine Zeit mehr für leises herumschleichen und so schlugen seine Füßchen einen raschen Trommelwirbel auf das Parkett. Mit einem Ruck stieß die Katze die Tür auf und trat sprungbereit ins Freie. Da bemerkte sie die flinke Bewegung und ihr Interesse war sofort geweckte. Schon hörte Skoth das trommeln samtener Pfoten. Er warf den Oberkörper nach vorne, stieß sich kräftig mit den Beinen ab und landete mit einer Rolle vorwärts unter dem schmalen Telefontisch. Nur ein hastiger Sprung an die Wand rettete ihn vor den Krallen der Katze, die sofort mit der Tatze nach ihm fischte. Nun saß sie vor ihm, ihre grünen Augen glühten in der Dunkelheit und mit ihren Pranken jagte sie Skoth von einer Ecke in die andere. Er versuchte einen ungeschickten Ausfall, als er am Kopf gestreift wurde, für einen Augenblick wurde es ihm schwarz vor Augen und das reichte der Katze um in heranzuziehen.
Als Skoth wieder klar sehen konnte, hatte das Tier seinen Schädel soweit wie möglich unter die Kommode geschoben und war im Begriff ihn langsam in ihr Zähne starrendes Maul zu ziehen. Mit einem Schrei des Entsetzens riss er den Goshi in die Höhe und jagte ihn mit aller Kraft in den rosa Gaumen der Katze. Kreischend fuhr sie zurück, hämmerte dabei mit dem Kopf von unten gegen den Tisch, dass dieser gefährlich schwankte. Fauchend versuchte sie den schmerzenden Gegenstand mit den Pfoten aus dem Maul zu entfernen. Skoth blieb keine Zeit um sich zu erholen, er beschloss die Flucht nach oben anzutreten. Vielleicht bot sich vom Rücken der kleinen Kommode eine andere Chance zu entkommen oder zumindest eine bessere Verteidigungsmöglichkeit. Er war sich bewusst, dass dieser Abschnitt der vermutlich gefährlichste war, denn während seiner Klettertour war er den Angriffen seines Gegners schutzlos ausgeliefert. Deshalb schloss er für einen Augenblick die Augen und betete leise zu Methewinnie, der Göttin der trockenen Hände, und machte sich dann über das Telefonkabel an den Aufstieg. Er kletterte schon eine Weile, als er die Katze unter sich entdeckte. Da, jetzt setzte sie sich auf, der Schwanz peitschte den Boden und ihr Hinterteil zuckte vor Aufregung von einer Seite auf die andere. Sekunden später sprang das Tier. Doch Skoth rutschte, so dass das Kabel, welches oben am Telefonhörer hing diesen, durch das zusätzliche Gewicht, aus der Auflagefläche zog. Um Haaresbreite verfehlte sie ihn und krachte ungebremst gegen den Tisch. Als er sich langsam neigte, ertönte ein knirschendes splitterndes Geräusch, die Tischbeine brachen und ein helles Klingeln erklang als Skoth mit dem Telefon unsanft auf dem Parkett landete.
Sofort waren eilige Schritte aus dem Schlafzimmer zu hören und trotz seiner schmerzenden Knochen rannte Skoth los. Auf halben Weg wurde er von der Katze überholt, die jedes Interesse an ihm verloren hatte und nur noch vor dem Zorn ihres Herrn flüchten wollte.
Sieh an, dachte Skoth, so hat doch jeder seinen Meister. Am Fuß der Treppe warf er sich der Länge nach hin und versteckte sich im Schatten der ersten Treppenstufe als er auch schon eine dröhnende Stimme vernahm „ Nun sie dir das einmal an Lisbeth, wenn ich dieses verflixte Katzenvieh in die Finger bekomme. Der Telefontisch ist hin, überall sind die Schrauben ausgebrochen. Das hat man nun von dem Billigkram. Das eine sag ich dir, das war das allerletzte Mal, dass wir so einen Sperrholzmüll gekauft haben. Ab jetzt wird wieder nur vernünftiges Mobiliar aus richtigem Holz besorgt!“ Als sich endlich die Schritte entfernten und im Schlafzimmer das Licht gelöscht wurde stand Skoth vorsichtig auf. Es schien keinen Knochen zu geben der ihm nicht wehtat, doch zum Glück schien nichts gebrochen zu sein. Er stöhnte leise als er an den beschwerlichen Treppenaufstieg dachte und seufzend drehte er sich um. Dunkel und steil ragten die einzelnen Stufen vor ihm auf. Achselzuckend machte er sich auf den Weg.
Der Morgen dämmerte schon als er die letzte Stufe endlich hinter sich gelassen hatte. Den ganzen beschwerlichen Aufstieg hindurch brannten die Worte des Mannes in seinem Gedächtnis wie ein Leuchtfeuer und trieben ihn zur Höchstleistung an. Oben auf der Treppe ruhte er sich einige Minuten unter einem Pflanzenhocker aus. Als er zu neuen Kräften gekommen war umrundete er die Ecke zur Abstellkammer und blieb erstaunt stehen.
Dort stand sein Stamm. Sie waren zurückgekommen um nach ihm zu suchen. Sie waren höchst beunruhigt, denn sie hatten den Tumult ihm Flur gehört und fürchteten um das Leben des jungen Kriegers. Sofort wurde er umringt und freudig begrüßt, die Jüngeren nahmen ihn überschwänglich in die Arme, die Älteren klopften ihm kameradschaftlich auf die Schultern.
Der weitere Weg zum Lagerplatz verlief ohne Zwischenfälle, doch als der Clan das Feldlager erreicht hatte und gemeinsam am Feuer platz nahm war die Stimmung gedrückt. Es gab keinen der ein Gespräch eröffnen wollte und Skoth blickte beunruhigt in die Runde. Er zögerte, doch dann richtete er das Wort an die Ältesten „ Weiser Knotha, höre was ich von dem großen Mann erfahren habe. Ich glaube, nein ich weiß, dass es für die Lounata eine Möglichkeit gibt die Menschen zu zwingen uns zutritt in die Kwangjathalla, die Zwischen den Linien- Welt, zu ermöglichen.“
„Sprich Skoth, auch wenn ich keine Hoffnung mehr in meinem Herzen trage und nicht glauben kann, dass es für die Lounata noch eine Zukunft gibt.“
Skoth berichtete von seinem Abenteuer mit der Katze, während die Augen der Clanmitglieder an seinen Lippen klebten. Als er die Worte des Mannes wiederholte rissen sie erstaunt die Augen auf und hier und da war ein Keuchen zu hören. Er schloss mit den Worten „ Und darum bin ich mir sicher, dass wir die Menschen zwingen können zu den alten Traditionen zurück zu kehren.“
Ein lautes Jubeln ertönte, das andauerte, bis der alte Knotha gebieterisch die Hände hob und die Menge zur Ruhe aufforderte. „ Bitte meine Lieben, ich weiß, dass ihr jetzt sehr aufgeregt seid, doch ich muss euch bitten uns nun zu verlassen. Der Rat und ich haben viel zu besprechen. Nein Skoth, du bleibst hier. Da du es warst, der uns den Weg aus diesem Dilemma zeigte, hast du ein Anrecht auf einen Platz im Kwatchelbläbläh, dem großen Kriegsrat.“
Die Zusammenkunft dauerte bis zum nächsten Abend dann hatte man endlich einen Entschluss gefasst und es wurden Boten zu allen anderen Lounata Clans geschickt. In den darauf folgenden Wochen waren die Lounata emsig damit beschäftigt Spezialtruppen auszubilden, deren Aufgabe es war Sperrholzmöbel auf subtile Art und Weise zu beschädigen. Aus Verbindungen wurde der Leim herausgekratzt, Schrauben wurden verbogen oder wo möglich ausgebrochen, Stoffbezüge wurden eingerissen und die Nägel aus den Rückwänden wurden entfernt. Nach nur wenigen Monaten zeigten sich die ersten Erfolge und heute sind die Spezialtrupps, mit dem Namen Ikeakaputbar, ein fester Bestandteil im Leben und Kultur der Lounata. Jeden Abend ziehen die Krieger los um den Kampf gegen die Sperrholzmöbel aufzunehmen. Ihre Erfolge haben sich bei den Lounata herumgesprochen und immer mehr junge Krieger schließen sich den Ikeakaputbar an…