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Sinnlose Flocken

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19.11.2001
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Sinnlose Flocken

Sinnlose Flocken

Ich schaue aus dem Fenster und stelle fest, dass es zu schneien begonnen hat. Einen Tag vor Ostern. Der Schnee fällt in dicken, schönen Flocken vom Himmel, wie eine große, unbesiegbare Armee, eine entschlossene Truppe, doch kaum berühren sie den Boden, zerfließen sie zu Wasser und verlieren sich im Grau des Asphalts. Sie sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Und in diesem Moment, als ich deprimiert erkennen muss, dass keine einzige Flocke liegenbleibt, in diesem Moment da muss ich an einen Schriftsteller denken, den ich für ein Zeitungsinterview getroffen habe und der gesagt hat, dass er eigentlich gar nicht mehr wisse, warum er überhaupt Schriftsteller geworden sei.
„Wieso?“ fragte ich neugierig und er antwortete: „Ach, weißt du, die Leute vergessen so schnell, wenn sie überhaupt etwas aufnehmen. Ich kann mir meine Worte noch so wohlüberlegt zurechtlegen, noch so klangvoll feilen...spätestens wenn sie meine Lesung verlassen haben sind meine Worte Opfer ihrer Gedankenlosigkeit. Wichtiger ist nun, wann der nächste Bus sie nach Hause bringt und ob noch irgendwo eine Kneipe offen hat.“
Und er seufzte resigniert und nahm einen Schluck Kaffee, gerade so, als wolle er den üblen Nachgeschmack, den dieser Gedanke hinterlassen hat, auf diese Weise wegspülen und vergessen machen.
Mittlerweile hat es fast aufgehört zu schneien, doch noch immer suchen meine Augen in der hereinbrechenden Dunkelheit nach weißen Flecken auf dem nassen Asphalt. Und erst als der letzte Schnee in Dauerregen übergegangen ist, wende ich mich ab und gehe in mein Zimmer. Und ich hoffe, dass ich nie an Ostern als Schneeflocke niedergehen werde.

 

Hmm ja,... also worüber ging's hier nochmal? Hehehe ;)

Nein, im ernst. Eine sehr schöne Geschichte. Nastalgie und Weltschmerz haben wirklich eine ganz besondere Aesthetik. Die letzten beiden Sätze sind wirklich hervorragend, nur sollten sie nicht beide mit "und" anfangen.

Die Ansicht des Schriftsteller ist interessant, denn sie ist ausgesprochen egoistisch und verbittert. Zum einen kritisiert er Leute die seine Worte angeblich sofort wieder vergessen, zum anderen kann er sich selber nicht mehr daran warum er Schriftsteller geworden ist, was er sich selber eingestanden hatte. Vielleicht ist er ja nicht besonders erfolgreich. Aber es muss doch wenigsten eine Person geben, für die seine Worte etwas besonderes sind, und in der er sich bestätigt fühlen kann.
Auch wenn Schneeflocken liegen bleiben, irgendwann schmelzen sie doch - genügt es dann nicht sie einfach nur beim fallen zu beobachten? Da sind sie ja auch am schönsten.

 

Hi!
Mir hat die Geschichte gefallen. Sie spricht mir zwar nicht aus der Seele, aber es hat doch etwas sehr Nachdenkliches. Aber es stimmt, der Schriftsteller wirkt wirklich sehr verbittert. Vergessen haben die Leute seine Worte bestimmt nicht. Zumindest nicht alle. Um das vielleicht mit dem Schnee zu vergleichen: Die Kinder staunen. Vielleicht nehmen sie sich auch ihre Handschuhe, gehen raus und bauen einen Schneemann. Aber jeder Schnee schmilzt irgendwann. Es sei denn der Schnee liegt in der Arktis. Dort gibt es einige Flocken die bleiben auf ewig. Und ich glaube jeder hat seine ganz eigenen Flocken.
Charly

 

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