Was ist neu

Sinnlos

Mitglied
Beitritt
11.01.2003
Beiträge
29

Sinnlos

Heute, nimmt sie sich vor, würde sie ihren freien Tag nicht sinnlos verstreichen lassen. Heute, würde sie ihn ausnützen, und all das tun, was sie schon so lange nicht mehr getan hat. Heute, würde sie nicht erst mittags lustlos ins Badezimmer schlurfen, sich anschließend auf die Couch vors Fernsehgerät platzieren und alle zehn Minuten gelangweilt auf die Uhr sehen, ehe der Tag auch wieder um ist. Heute will sie nicht ihren depressiven Gedanken nachhängen, solange bis sich wieder traurig geweinte Tränen den Weg über ihre Wange suchen. Heute, beschließt sie, würde sie sich einen schönen Tag im Einkaufszentrum machen. Sie liebt es an den zahlreichen Geschäften vorbei zu gehen und lange an den großen Schaufenstern stehen zu bleiben. Jedes Detail prägt sie sich gut ein, selbst die Dekoration hinter den breiten Scheiben bewundert sie fasziniert. Gehetzte und gestresste Menschen laufen ihr entgegen, neben ihr, überholen sie und rempeln sie auch manchmal ziemlich heftig an. Ihre guten Vorsätze, sich heute fröhlich auf zu erstehende Waren zu konzentrieren, sinken langsam wieder nach unten. Wie ihre Laune. Diese rempelnden Menschen haben scheinbar ganz gezielte Vorstellungen welche Besorgungen sie noch zu erledigen haben, oder laufen schnellen Schrittes in die Richtung wo sich jenes Cafe befindet, dass sie als Treffpunkt mit der Freundin ausgemacht haben. Sie irrt ziellos umher, hat nichts zu besorgen und keine Freundin wartet auf sie, in welchem Cafe auch immer. Auf einer dieser futuristisch aussehenden Ruhebänke aus löchrigem Metall lässt sie sich nieder und beobachtet die vorbeilaufende Menschenmasse. Manchmal bekommt sie Gesprächsfetzen eines Paares mit, oder einige Worte des neuesten Klatsches untergehakten, kichernden Freundinnen. Schulschwänzende Jugendliche in Gruppen, ziehen rauchend und sich gegenseitig schubsend, scheinbar ohne schlechtes Gewissen an ihr vorbei. Menschen die lachen, reden, es eilig haben, Mütter mit ihren Kindern an der Hand oder im Kinderwagen vor sich her schiebend. Hunderte Menschen, doch sie sitzt auf der harten Bank wie unter einer Dunstglocke und fühlt nichts als tiefe, taube Einsamkeit. Dieselbe Einsamkeit, vor der sie auf der Couch vor dem Fernseher flüchten wollte.

Eine junge Mutter gesellt sich zu ihr auf die Bank. Sie schiebt ihren Pullover hoch, nimmt das Baby in den Arm, legt eine Stoffwindel zwischen sich und das Kind und beginnt es zu stillen. „Das hat mir gerade noch gefehlt“, denkt sie, und schielt so unauffällig wie möglich, immer wieder zu dem nun saugenden Kind. Schmatzende und vor Zufriedenheit raunende Laute drängen sich in ihren Gehörgang. Die Mutter sieht ihr Kind liebevoll an, küsst es zwischendurch auf Stirn oder Nase und hält die kleine, zur Faust geballte Hand in ihrer großen, schützenden. Neid, aber auch tiefe Traurigkeit vermischt mit Glücksgefühlen und einem warmen Gefühl in ihrem Herzen breiten sich im ganzen Körper aus. Sie ist angefüllt mit Emotionen, bis obenhin und fühlt sich dennoch so leer. Leer und einsam. Im nächsten Moment scheinen all die vorbeilaufenden hundert Menschen, sich in Müttern mit Kindern an der Hand oder vor sich schiebende Kinderwägen, oder schwangere Frauen mit dicken Bäuchen zu verwandeln. Sie vernimmt ein lautes ticken, dass so unangenehm stark wird und sie beinahe zur Verzweiflung treibt. Das unaufhaltsame Ticken ihrer biologischen Uhr. Immerhin wird sie bald dreißig. Ihr eigenes Ultimatum läuft bald ab, und ihr wird wieder einmal klar, dass sich ihr Wunsch niemals erfüllen wird. Nicht in diesem Leben. Sie stellt sich vor, wie es sein muss Leben in sich zu spüren. Fußtritten eines Ungeborenen Kindes ausgesetzt zu sein. Ein kleines pochendes Herz unter ihrem eigenen schlagen zu hören. Wie gerne würde sie Geburtsschmerzen aushalten, und ein kleines Bündel Mensch, Blutverschmiert und neugeboren auf ihrem nackten Bauch erfühlen. Wie einzigartig es sein muss, sein eigen Fleisch und Blut durch Muttermilch zu nähren und dabei die enge Verbundenheit zu seinem Kind zu fühlen. Sinnlosigkeit macht sich in ihrem Kopf breit. Sinnlos, hier auf dieser Bank zu sitzen, Sinnlos, in diesem Einkaufszentrum schmerzende unerfüllte Träume umherlaufen zu sehen, Sinnlos überhaupt morgens auf zu stehen. Sinnlos. Kinderlos.

 

Hallo Leonie!

Gefällt mir sehr gut! Sehr schön geschrieben und gut zu lesen.
Allerdings würde mich der Hintergrund der Einsamkeit dieser Frau interessieren. Hat sie wirklich niemanden, keine Familie (Mutter, Vater), keine Verwandten, Freunde oder Arbeitskollegen? Und warum ist sie so depremiert?
Ja, ich weiß, ich bin wahnsinnig neugierig, stimmts?!
Aber sonst, wirklich prima!

Viele Grüße
Petra

 

Hallo Leonie!

Die Geschichte macht in viele Richtungen nachdenklich. Hat diese Frau wirklich niemanden, mit dem sie sich treffen kann? Besteht ein schöner Tag wirklich darin, allein durch Einkaufsläden zu schlendern? Warum ist sie so einsam? und, schließlich auch: ist Kinderlos immer gleich sinnlos? Kann sie nicht auch ohne ein Kind etwas aus ihrem Leben machen?
ICh finde den Text sehr gelungen, er ist flüssig und gut geschrieben, und, wie gesagt, er wirft in mir einige Fragen auf, die mich auch traurig zurücklassen. Denn es gibt eben Menschen, die einsam sind. Die ihr Leben als sinnlos empfinden.
Ein guter Text! Die Kommas könntest Du nocheimal nachsehen...

schöne Grüße, Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo leonie!

Ein ziemlich ernster Text. Auch mich macht die Geschichte nachdenklich und ich schließe mich in diesem Sinn den Fragen von Maus an.

Das trostlose an der Geschichte ist unter anderem, dass die Prot. ihr Glück zunächst ausgerechnet in einem Einkaufszentrum sucht. Und auch darin, dass sie ihr Leben ohne Kind als sinnlos empfindet. Leider bleibt die Frage unbeantwortet, warum sie davon ausgeht, nie in ihrem Leben ein Kind zu bekommen. Tickt für sie die biologische Uhr tatsächlich schon so laut? Sie ist doch erst unter 30. Warum unterwirft sie sich einem solchen Ultimatum?
Dies ist ein weiterer Punkt, der die Geschichte für mich traurig macht, der grundsätzliche Pessimismus der Prot., der beispielsweise bezüglich ihres Kinderwunsches für mich nicht begründet erscheint.

Insgesamt ein wirklich trauriger, aber gelungener Text.

lg
klara

 

Hallo Leonie!

Es ist sehr leer in Deiner Protagonistin, das beschreibst Du sehr gut. Depressionen, das Gefühl, von niemandem geliebt oder auch nur gebraucht (i.S. von helfen) zu werden, machen sie lustlos, leblos.

Vielleicht geht sie deshalb ins Einkaufszentrum, weil da viele Menschen sind, vielleicht aber auch, weil man da keine Zeit hat, sich mit sich selbst, seinen Problemen, Ängsten oder vielleicht sogar Wünschen auseinanderzusetzen. Wer denkt schon in solchen Menschenmassen über den Sinn seines Lebens, oder wie er ihm welchen geben kann, nach? - Kurzum: In meinen Augen flüchtet sie vor sich selbst, vor ihrem Inneren.

Daß sie dann meint, ein Kind könne ihr Leben geben, ist ein gefährlicher Trugschluß. Das Kind würde mit der Aufgabe, der Pflicht, der Verantwortung geboren, die Mutter glücklich zu machen.
Leben geben müssen aber die Eltern dem Kind, nicht nur in biologischem Sinn. Ein Kind, das für die Depressionen der Mutter verantwortlich gemacht wird - und das wird es dann unweigerlich, da ja seine Aufgabe ist, die Mutter glücklich zu machen - wird selbst depressiv.

Sie stellt sich vor, wie es sein muss Leben in sich zu spüren.
Es ist wichtig, daß die Protagonistin erst zu sich selbst findet, ihr Leben findet, spürt, bevor sie ein Kind bekommt. Nur dann ist sie in der Lage, einem Kind das Leben nicht nur körperlich zu schenken, sondern ihm auch ein Leben zu geben, bei dem es glücklicher ist, als es die Mutter war. - Und ich nehme mal an, daß sie das will.

Die biologische Uhr tickt für die Protagonistin noch eine ganze Weile - es gibt immer mehr Frauen, die noch mit über vierzig ein Kind bekommen. Was spricht also dagegen, wenn sie sich als Ziel setzt, bis 35 an sich zu denken, und dann erst an ein Kind?


Ein paar Anmerkungen hab ich noch:

Am Beginn der Geschichte gefällt mir die stete Wiederholung von "Heute, ..." nicht besonders. Übrigens ist nur im ersten Satz (und später bei "Heute, beschließt sie, würde sie" der Beistrich nach dem Heute richtig, die anderen gehören da nicht hin.
Wenn Du nicht unbedingt darauf bestehst, würde ich das aber umschreiben und die Heute bis auf das erste eliminieren. Wenn Du magst, kann ich Dir einen Vorschlag machen, aber ich denke, Du kriegst das auch alleine hin, wenn Du es willst.

"Sie liebt es an den zahlreichen Geschäften vorbei zu gehen"
- liebt es, an den

"Gehetzte und gestresste Menschen laufen ihr entgegen, neben ihr, überholen sie und rempeln sie auch manchmal ziemlich heftig an."
- Der Satz klingt sehr umständlich. Einfacher wäre z.B. ...Menschen laufen in alle Richtungen und rempeln sie...

"haben scheinbar ganz gezielte Vorstellungen welche Besorgungen sie noch zu erledigen haben, oder laufen schnellen Schrittes in die Richtung wo sich jenes Cafe befindet, dass sie als Treffpunkt mit der Freundin ausgemacht haben."
- Vorstellungen, welche
- in die Richtung, wo
- befindet, das sie
- würde den Satz teilen: ... haben. Oder sie laufen ...

"Sie irrt ziellos umher, hat nichts zu besorgen und keine Freundin wartet auf sie, in welchem Cafe auch immer."
- würde schreiben: und keine Freundin wartet in irgendeinem Cafe auf sie.

"Manchmal bekommt sie Gesprächsfetzen eines Paares mit, oder einige Worte des neuesten Klatsches untergehakten, kichernden Freundinnen."
- Gesprächsfetzen von Paaren (oder war es immer dasselbe Paar?)
- des neuesten Klatsches untergehakter, kichernder Freundinnen. - würde aber den Satz etwas griffiger machen:
Manchmal bekommt sie Gesprächsfetzen von Paaren oder den neuesten Klatsch untergehakter, kichernder Freundinnen mit.

"Schulschwänzende Jugendliche in Gruppen, ziehen rauchend und sich gegenseitig schubsend, scheinbar ohne schlechtes Gewissen an ihr vorbei."
- richtiger wäre glaub ich "Schuleschwänzende" - bin mir da aber auch nicht 100%ig sicher und zum Nachschauen müßte ich jetzt aufstehen...
- in Gruppen (Beistrich ein Wort weiter...) ziehen, rauchend ... ohne schlechtem Gewissen

"und beginnt es zu stillen."
- beginnt, es

"denkt sie, und schielt so unauffällig wie möglich, immer wieder"
- beide Beistriche könntest Du weglassen

"vermischt mit Glücksgefühlen und einem warmen Gefühl in ihrem Herzen"
- Wortwiederholung Gefühl

"Sie ist angefüllt mit Emotionen, bis obenhin und fühlt sich dennoch so leer."
- obenhin, und
- besser wäre "Sie ist bis obenhin mit Emotionen angefüllt und ..."

"sich in Müttern mit Kindern an der Hand oder vor sich schiebende Kinderwägen, oder schwangere Frauen mit dicken Bäuchen zu verwandeln."
- sich in Mütter (ohne n) mit Kindern ...
- "oder vor sich herschiebende Kinderwägen" klingt, als würden sich die Menschen in Kinderwägen verwandeln - würde den Satz so ändern:
...sich in Mütter zu verwandeln, die ihre Kinder an der Hand, in Kinderwägen oder noch in dicken Bäuchen hatten.

"Körper aus. Leer und"
- Hier ist ein Leerzeichen zu viel

"Sie vernimmt ein lautes ticken, dass so unangenehm stark wird ... zur Verzweiflung treibt"
- ein lautes Ticken, das (das "so" würde ich weglassen)
- zur Verzweiflung trieb[/b].

"läuft bald ab, und ihr wird"
- ohne Beistrich

"Sie stellt sich vor, wie es sein muss Leben in sich zu spüren."
- wie es sein muss, Leben

"Fußtritten eines Ungeborenen Kindes"
- eines ungeborenen Kindes

"Blutverschmiert und neugeboren"
- blutverschmiert

"Sinnlos, hier auf dieser Bank zu sitzen, Sinnlos, in diesem Einkaufszentrum schmerzende unerfüllte Träume umherlaufen zu sehen, Sinnlos überhaupt morgens auf zu stehen."
- sitzen, sinnlos, in ... sehen, sinnlos

Sinnlos. Kinderlos.
Wäre schön, wenn die Protagonistin es so sehen könnte, daß sie, so wie man ein Kinderzimmer einrichtet, ihre Seele für ein Kind vorbereiten muß. Mit der Einstellung müßte eigentlich dann alles "Sinn haben", was sie für sich selbst tut. ;)

Alles liebe,
Susi

 

Beginner, Maus, Klara und Häferl :)

Danke für eure Antworten. Im Nachhinein gesehen hab ich den Text glaub ich ganz falsch angefangen, oder zuviel Hintergrund weggelassen. Danke trotzdem für die netten Antworten. Danke Häferl für die ausführlichen Verbesserungen, die helfen mir immer sehr. Ich hab den Beistrich-Tick *g* Wie krieg ich den nur in Griff? :)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom