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Singing in the Rain
Regen, Regen, Regen, ich laufe durch den Regen. Den Regen, das Himmelswasser, den Sendboten, der schon seit vielen Stunden zu Boden fällt. Ist er nicht schön? Wie er Rinnsteine herabläuft, gegen Fenster prasselt und meine Haare durchnässt, sie zu kleinen, dünnen schwarzen Strähnen verbindet, die an meiner Stirn kleben. Ich schniefe, huste leise. Meine Schritte hallen leise in der kleinen Gasse wieder, durch die ich mich bewege, ein Kaugummi klebt an meinen Sneakers. Ich reibe meine Schuhe an einem Gitter auf dem Boden, das Mistzeug geht einfach nicht ab. Eigentlich ist es auch nicht so schlimm, also spucke ich aus und laufe weiter. Der Regen ist von meinem kurzen Intermezzo vollkommen unbeeindruckt geblieben. Er fällt unablässig weiter, auf Feldwege, Dächer, Köpfe, Regenschirme und Straßen. Er hat so etwas unendliches, unvergleichbar mit allem anderem auf dieser Welt. Menschen kommen und gehen, der Regen aber bleibt. Für immer und alle Zeiten begleitet er uns, ob wir wollen oder nicht. Treibt uns ins Haus zurück, unter ein rettendes Dach oder aber er ist ein Begleiter durch den Tag, die Nacht. Ich schaue nach oben, an den schmal aufeinander zulaufenden Häuserdächern vorbei, direkt in den endlosen, von grauen Wolken verhangenen Himmel. Meine Sorgen, angesichts dieser kaum greifbaren Naturgewalt verschwinden sie und gerinnen zu einem kleinen Häufchen. Aufgeschichtet, wie ein Berg Sand an einem Strand.
Nach einigen weiteren Schritten öffnet sich mir ein Meer aus weiteren Eindrücken, als ich aus der Gasse heraustrete. Lichter, Farben, Stimmen. Ich weiß, wohin ich will.
Zu dem einen Ort, der mir immer eine Zuflucht bieten konnte, wenn ich traurig war. Den ich aufsuchte, wenn ich etwas auf dem Herzen hatte, das niemand je erfahren sollte. Kein besonderer Ort eigentlich, diese Steinplatte unweit des Bahnhofes. Aber wenn ich auf ihr saß, direkt hinter dem Bahnhofsgebäude, mit den Schienen vor mir, fühlte ich mich, als würde mich jemand umarmen und mir jedwede Aufmerksamkeit schenken. Besonders bei strömendem Regen, so wie jetzt, verweilte ich sehr gerne dort, genoss, wie die Tropfen an meiner Jacke herabliefen, sich mit der Platte vermengten und mir zuhörten. Während ich mich an zwei Passanten vorbei schob, auf die Schienen zuhaltend, überlegte ich, ob das nicht vielleicht ziemlich bescheuert war – der Gedanke, dass Regentropfen sich seine Sorgen zu Gemüte führten.
Aber in dieser schnelllebigen, oftmals so grauen und kalten Welt, war da nicht die Natur und damit der Regen die einzige Konstante?
Ich erreichte die Platte, griff nach der Kante und zog mich mit einem Ruck an ihr hoch. Zwei Sekunden später lag ich ausgestreckt auf ihr, meine Kapuze tief ins Gesicht gezogen und lauschte dem Fallen der Tropfen. Nichts anderes drang an mein Ohr, es war eine bodenlose, fast schon unheimliche Stille, die nichts als dem ewig strömendem Regen Raum bot. Wie so oft hing ich meinen Gedanken nach, während die Leben all der namenlosen Existenzen um mich herum an mir vorbei zogen. In diesem Moment gab es nur mich und den Regen.
Ein leises, summendes Geräusch durchbrach die selige Monotonie dieses Augenblicks. Ich griff nach meinem Handy, nahm den Anruf an und hielt es mir ans Ohr.
"Hey..."
"Hi..es..tut mir leid.."
Ich lächelte. Er hörte sich schwach an, ängstlich. Er hatte nicht den Regen an seiner Seite.
"Ist schon gut, ich verzeihe dir...wo bist du?"
Meine Stimme war kräftig, sicher und ausgeruht. Die zwei Stunden lange Wanderung in dieser nasskalten Nacht hatte mich beruhigt.
"Auf der Platte...willst du auch kommen?"
Es verstrich ein Augenblick ohne Worte, ein Augenblick in dem sich nichts weiter ereignete, den auch der Regen für nicht weiter wichtig erachtete.
Ich setzte noch einmal an zu sprechen, hielt das Handy so fest wie nur möglich.
"Bitte."
Er hauchte irgendetwas und legte auf. Und ich schniefte wieder einmal, schob meine durchnässten Haare aus dem Gesicht und grinste. Ich grinste ihn an, den Regen, meinen alten Freund. Und irgendjemand sang eine bescheidene, unaufdringliche Melodie. Meine Probleme spülte die Natur in einen Abflusskanal, wo sie in der Dunkelheit verschwanden und so schnell wohl nicht wieder hervorkommen würden.