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Sind wir die Wartenden

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18.05.2018
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Sind wir die Wartenden

Seit einem Jahr habe ich Sam nicht mehr gesehen. Er sitzt auf der Grossen Schanze und lässt seine Beine baumeln. Er ist gefährlich nahe am Abgrund, sodass ich mich ihm vorsichtig nähere. Seine Haare sind ganz kurz, man merkt kaum noch, dass er eigentlich dichte Locken hat. Er trägt schwarze Hosen und ein schwarzes T-Shirt. Als er sich vorbeugt, sehe ich, dass die Knochen an seinem Hals hervorstehen. „Hey“, sage ich behutsam. Er dreht sich überrascht um und lächelt, als er mich erkennt. Sein Lächeln ist noch wie früher und die Tatsache raubt mir kurz den Atem. Ich setze mich zu ihm, allerdings ins Gras. Die Höhe macht mir Angst. Er deutet auf die Universität. „Du studierst jetzt hier?“ Ich zucke die Achseln. „Naja, mehr oder weniger.“ Ich bin ein Jahr angemeldet, habe mein Studienfach aber bereits zweimal gewechselt. Das sage ich Sam nicht. „Und du? Ist das Semester schon vorbei?“ Er sieht mich nicht an. „Ich habe mein Stipendium nicht angenommen. Ich arbeite bei meinem Vater.“ Ich schlucke. Es ist also wahr. „Warum?“, frage ich leise. Auf einmal dreht er sich heftig um. „Ich habe es nicht verdient.“ Wir sehen uns an und ich denke, an das, was hätte sein sollen. Wir beide zusammen. Es ist ein Tag im Spätherbst, aber es ist sehr warm. Wir haben uns nichts zu sagen, aber ich möchte nicht weggehen. Also stehen wir einfach da und schauen auf die Stadt hinunter.
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Bereits seit drei Jahren leben wir nun in unserer neuen Wohnung und noch immer kann ich den Busfahrplan nicht auswenden, aber als ich an der Haltestelle ankomme, fährt der Bus direkt ein. Ich habe Glück, der nächste wäre erst in zwanzig Minuten gefahren. Im Bus merke ich, dass ich mein Handy zu Hause liegengelassen habe, aber das macht nichts. Es ist der Abend nach der grossen Feier in der Aula. Ich habe meine Matura in der Tasche. Es war ein heisser Tag und der Abend ist noch immer warm. Die Luft schwirrt erwartungsvoll. Es riecht nach Sommer, nach Freiheit, nach Glück. Heute steht mir die Welt offen. Heute ist alles möglich.
Meine Eltern sind zufrieden mit mir. Meine Noten waren überraschend gut. Der Beste unseres Jahrgangs war natürlich Sam. Sam ist der klügste Mensch, den ich kenne. Manchmal glaube ich, es gibt nichts, das er nicht kann. Ich trage ein Sommerkleid und – ganz speziell für mich – Lippenstift. Im letzten Moment noch habe ich meine Sandalen gehen hohe Schuhe getauscht. Als ich aus dem Bus aussteige höre ich die Musik. In meinem Bauch kribbelt es. Etwas liegt in der Luft. Etwas Spannendes. Ich fühle mich gleichzeitig aufgedreht und nervös. Am liebsten würde ich laut lachen. Der Abend ist verheissungsvoll.
Sam trägt ein graues Kapuzenshirt, darunter ein schwarzes T-Shirt und eine braune Hose. Sein Haar ist noch wilder als sonst. Er hat sich noch nie um sein Aussehen gekümmert. Neben ihm steht Alex, der gross und gutaussehend ist. Aber mir gefällt Sam. Ich mochte ihn schon seit meinem ersten Tag hier. Ich bestelle mir ein Bier. Es ist heiss in der Menge und ich stürze es zu schnell herunter. „Hey.“ Er steht vor mir. Erst jetzt fällt mir auf, dass er die Brille nicht trägt. Er hat grüne Augen und ganz lange Wimpern. Mir wird ein bisschen schwindlig. Er lächelt mich an und ich kann nicht anders als zurück zu lächeln. „Hey“, sage ich. „Hey“, sagte er wieder und wir schauen uns in die Augen, bis die Situation seltsam wird und wir beide lachen müssen. Es ist kitschig und albern, aber für mich ist es perfekt.
Die Band spielt Coversongs alter Rockbands. Gerade kommt „Are we the waiting“ der amerikanischen Rockband Greenday. Nein, denke ich, wir warten nicht mehr. Endlich beginnt das Leben. Ich werfe den Kopf zurück und starre in den Himmel. Er ist dunkelblau und erleuchtet von den Scheinwerfern der Bühne. Der Alkohol hat mich ein bisschen beduselt, aber es ist ein gutes Gefühl. Sam steht neben mir. Mehr brauche ich gar nicht. Ich denke an die Zukunft. Im September werde ich mein Studium beginnen. Aber vor mir liegt ein langer Sommer, in dem ich nichts zu tun habe. Auch Sam scheint sich zu freuen. Er hat gute Laune und wirkt unbeschwert. Sonst ist er oft etwas schwermütig. Aber an diesem Abend kann man gar nicht anders als glücklich zu sein. Wir trinken billigen Sekt, den meine Freundin Mara aus dem Supermarkt mitgebracht hat. Die Bläschen sprudeln auf meine Zunge und ich lache auf. Mir wird es ein kleines bisschen schwindelig, als ich mich zu der Musik drehe.
Später, die Band hat längst aufgehört zu spielen, machen wir uns auf den Weg nach Hause. Am Bahnhof verabschieden wir uns von Alex und Mara. Sam bietet an, mich nach Hause zu bringen. Auf dem Weg erzählt er von seinem Stipendium. Sams Familie ist sehr arm, aber da er so klug ist, kann er an einer der besten Universitäten Chemie studieren gehen. Er wird wegziehen aus Bern, aber das macht nichts, die Schweiz ist klein, ich werde ihn oft besuchen.
Ein junger Mann mit dunkler Hautfarbe kommt uns entgegen und fragt uns nach dem Weg zum Bahnhof. Sam erklärt ihn ihm. Wir gehen weiter und plötzlich beginnt Sam zu singen. Er ist ein bisschen betrunken und lacht. „Are we the waiting“, grölt er. Ich lache und halte mir aus Spass die Ohren zu. Er tanzt um mich herum und zupft an meinen Armen. „Are we, we are the waaaaiting.“ Es klingt schrecklich. „Hör auf“, rufe ich. Nach einer Weile gehorcht er. „Naja“, sage ich grinsend, „ich bin ja froh, dass es wenigstens eine Sache gibt, die du nicht kannst.“ „Was?“, fragt er gespielt empört, „dabei wollte ich doch Rockstar werden.“ „Hmmm, ich würde mir noch einen Plan B überlegen.“ Sam greift sich an den Kopf und stöhnt leise. „Weisst du, dass ich noch nie betrunken war?“ „Was?“ „Ja“, er seufzt, „ich war immer ein fleissiger und braver Schüler.“
Das stimmt. Noch nie habe ich jemanden wie Sam gekannt. In der Schule trug er meistens eine grosse Brille und blinzelte einem am Morgen verwirrt an. Seine Tasche war immer übervoll, da er meist viel zu viele Bücher mitschleppte. Immer war er in Eile irgendwohin unterwegs und merkte kaum, wo er hinlief. Aber niemand kann so gut zuhören wie er. Ich glaube, niemand kennt so viele Dinge von mir wie er. Und er hat das schönste Lächeln, das es gab. Und ich bin wirklich sehr verliebt in ihn.
Wir sind schon in der Innenstadt angekommen, weit weg von Sams Zuhause, aber ich will mich noch nicht verabschieden. Der Abend kann noch nicht zu Ende gehen. Auch Sam scheint es gar nicht eilig zu haben. Ich wohne in der Altstadt und mein Heimweg führt durch einige dunkle Gässchen. Am Anfang hatte ich mich ein bisschen gefürchtet, aber mit Sam fühle ich mich wohl. Plötzlich hören wir laute Stimmen. Ein Mann schreit etwas, das wir nicht verstehen und lacht dann laut und unangenehm. Wir biegen um die Ecke und da steht der Mann von vorhin, der nach dem Weg gefragt hat. Neben ihm stehen zwei grosse, offensichtlich stark betrunkene Männer. Der dunkelhäutige Mann scheint Angst zu haben, aber das stachelt die beiden Männer nur noch an. Sie rufen dem jungen Mann rassistische Bemerkungen zu, die er zu ignorieren versucht. „Lassen Sie mich los“, sagt er. Doch einer der Männer schlägt ihm an den Kopf, sodass Blut rausfliesst. Schockiert sehe ich zu Sam, der ganz weiss geworden ist. Die beiden Männer lachen. Die Nacht scheint auf einmal ungemütlich heiss zu werden. Die Männer merken kaum mehr was. Sie drücken den jungen Mann an die Wand und sein Kopf schlägt mit einem ekelerregenden Geräusch dagegen. „Ich glaube, ich muss mich übergeben“, sagt Sam neben mir. „Was?“ „Ja, das- das Blut“, bringt er noch heraus, bevor er sich an die Wand übergibt. „Wir müssen helfen“, beschwöre ich Sam. „Ja“, sagt er, macht aber keine Anstalten, sich zu bewegen. Die beiden Männer haben den jungen Mann in eine Ecke gedrängt. „Sam“, flüstere ich beschwörend. „Wir müssen etwas tun. Lass uns die Polizei anrufen.“ Sam nickt. Vorsichtig, um die Männer nicht auf uns aufmerksam zu machen, zieht er sein Handy hervor. Dann sieht er ungläubig auf das Display und schüttelt es. „Verdammt“, zischt er und zeigt mir das schwarze Display, „mein Akku ist leer.“ „Dann lass und Hilfe holen. Wir können schreien.“ Ich mache den Mund auf, doch Sam presst mir die Hand darauf. „Bist du verrückt, wenn die uns hören, sind wir dran. Die merken nichts mehr.“ Seine Augen sind eigenartig geweitet, als stünde er unter Strom. „Die hören schon wieder auf“, sagt er verzweifelt, „lass uns abhauen.“ Kennt ihr das, wenn eure Welt zusammenbricht? Wenn ihr merkt, dass ihr eine Person überhaupt nicht kennt? „Johanna“, beschwört er mich. „Sieh dir die beiden an. Wir haben keine Chance.“ „Aber – der junge Mann-.“ „Die lassen ihn schon in Ruhe. Komm schon.“ Ich sehe die beiden Männer an mit ihrem dämlichen Grinsen, dann sehe ich den jungen Mann, der am Boden liegt und dann sehe ich zu Sam mit seinen netten Augen. Wir gehen nicht weg. Aber wir tun auch nichts. Ich rede mir ein, dass die beiden Männer den jungen Mann gleich loslassen werden. Das tun sie nicht. Und wir warten. Und warten und warten.
Irgendwann drehen wir um. Die Nacht ist dunkel und die Strassen leer. Der Tag hat seinen Zauber verloren. An der nächsten Kreuzung verabschiede ich mich von Sam und renne nach Hause. Ich rede mir an, dass dem jungen Mann nicht geschehen wird. In der Zeitung erfahre ich vom Tod eines jungen, dunkelhäutigen Mannes. Es ist der erste Tag der Sommerferien. Das Wetter ist heiss, die Freiheit liegt vor mir. Es ist der Tag, an dem ich den Glauben verliere, an die Menschheit und an mich selber.
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Plötzlich drehe ich mich heftig um. „Das ist doch Unsinn“, rufe ich. „Du hast es verdient. Du hast so viel Gutes getan. Du hast immer allen geholfen in der Schule, hast du das vergessen? Du könntest Grosses leisten, wenn du es nur versuchst, weisst du das eigentlich?“ Er reagiert nicht. „Das ist doch feige, oder nicht?“ Sam dreht sich um. Sein Gesicht ist ganz weiss. „Ja, ich bin ein Feigling.“ Er lacht spöttisch. „Genau wie du.“ Wir starren uns an. Nach einer Weile wende ich mich ab. Sam rührt sich nicht. Der Abend hat uns auf ewig verbunden, aber es ist unmöglich, dass wir zusammen sind.
Ich beginne dann doch noch ein Studium, das mir gefällt. Ich schliesse mit sehr guten Noten ab und finde einen guten Job. Sam schafft es nicht, darüber hinwegzukommen. Der Nachmittag auf der Schanze ist das letzte Mal, das ich ihn sehe. Ich hoffe, dass ich das Ganze eines Tages vergessen kann. Bis dahin warte ich.

 

Hallo, @Auryn

Deine Geschichte hat mich tatsächlich sehr berührt. Da geht’s um Zivilcourage, um Schuld. Ein gutes Thema, vor allem für eine Jugendgeschichte (Wie wäre es mit einem entsprechenden Tag?). Seit ich als Sechzehnjährige im Theater was zu Zivilcourage gemacht habe, denke ich mir immer, wenn ich in eine Situation komme, in der jemand Schwierigkeiten hat, wie schlecht ich mich fühlen würde, wenn ich nichts tun würde, und schreite deshalb ein. (Im Übrigen habe ich immer ein geladenes Handy dabei, aber diesbezüglich sprechen wir uns noch.) Solche Geschichten können also etwas bewegen.

Aber der Reihe nach. Ich gehe erst einmal schrittweise durch den Text. Lass Dich davon nicht erschrecken, das meiste sind nur Kleinigkeiten.

Sind wir die Wartenden

Zunächst der Titel. Ich habe beim Suchen des Greenday-Songs auf Spotify gelernt, dass Die das auch ohne Fragezeichen schreiben. Ich finde es trotzdem komisch. Hat eine Weile gedauert, bis ich drauf gekommen bin, warum Du das so schreibst. Da würde ich nochmal drüber nachdenken.

Als er sich vorbeugt, sehe ich, dass die Knochen an seinem Hals hervorstehen.

Ich als sehr schmaler Mensch habe mich mal vorgebeugt, und das einzige, was in die Richtung raussteht, sind die Wirbel (in die andere Richtung hätte ich mehr zu bieten ;) ). Ich begreife dieses Bild auch so, dass Du die Wirbel meinst, und deshalb würde ich einfach „Wirbel“ schreiben. Ist ein schönes Bild.

Mal was Generelles: Man macht normalerweise bei jedem Sprecherwechsel einen Absatz. Das heißt, jede/r Sprecher/in bekommt einen eigenen Absatz für das, was er/sie sagt und tut. Das würde ich Dir auch ganz dringend raten, denn es erhöht die Lesbarkeit enorm. Gilt für den gesamten Text. So sind Deine Absätze sehr lang, und das macht sie recht schwer lesbar.

„Hey“, sage ich behutsam. Er dreht sich überrascht um und lächelt, als er mich erkennt.

Du benutzt viele adverbial gebrauchte Adjektive (im Folgenden nenne ich sie „Adverbien“). Hier im Zitat sind das „behutsam“ und „überrascht“. Ich würde damit sehr sorgsam umgehen, immer genau prüfen, ob ein Adverb wirklich notwendig ist. Zum Beispiel brauchst Du das „überrascht“ meines Erachtens nach nicht. In meinen Augen sind Adverbien häufig Abkürzungen, die der/die Autor/in nimmt, weil er/sie keine Zeit hat zu schreiben, wie jemand aussieht, der sich überrascht umdreht. Anstatt solche Dinge einfach zu benennen, wäre es reizvoller, zu zeigen, wie sie sich äußern. Zum Beispiel beim behutsam Heysagen. Wie klingt das? Weiche Stimme, leise Stimme, ein geflüstertes Wort? Schau Dir das im Text nochmal genau an. Viele Adverbien könntest Du wahrscheinlich ersatzlos streichen, andere durch Gezeigtes ersetzen.

Wir sehen uns an und ich denke, an das, was hätte sein sollen.

Komma weg vor „an“.

Also stehen wir einfach da und schauen auf die Stadt hinunter.

Eben gerade saßen sie noch.

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Auch was Generelles: Derartige Zeilentrennungen würde ich nicht machen. Kann ja sein, dass sie in Deinem Dokument genau über die Seite geht, aber hier auf dem Desktop ist die Sternreihe zu kurz, in der mobilen Ansicht erstreckt sie sich über zwei Zeilen. Kurzum: Wie weit die Sternenreihe (und das gilt auch für die Striche unten) reicht, hängt von der Schriftgröße und Feldbreite ab. Also besser nicht tun. Du könntest einen, drei oder fünf Sterne als Trennung setzen und diese zentrieren. Das fände ich deutlich angenehmer im Auge.

Bereits seit drei Jahren leben wir nun in unserer neuen Wohnung und noch immer kann ich den Busfahrplan nicht auswenden, aber als ich an der Haltestelle ankomme, fährt der Bus direkt ein. Ich habe Glück, der nächste wäre erst in zwanzig Minuten gefahren.

Also, erstmal „den Busfahrplan anwenden“, sagt man das so in der Schweiz? Für mich klingt das furchtbar technisch. Da, wo ich lebe, liest man den Busfahrplan. Außerdem, wenn Deine Prota den Fahrplan nicht lesen kann, woher weiß sie dann, dass der nächste Bus erst in zwanzig Minuten gefahren wäre?

Im Bus merke ich, dass ich mein Handy zu Hause liegengelassen habe, aber das macht nichts.

Jo … Später habe ich mich schon gefragt, warum SIE nicht einfach die Polizei ruft. Diesen Satz habe ich wohl am Anfang überlesen. Jetzt muss ich sagen: Das ist aber arg konstruiert. Welcher Teenager, vor allen Dingen welches junge Mädchen geht denn bitte feiern ohne Handy? Also, ich würde prinzipiell das Haus nicht ohne Handy verlassen (und ich bin nicht einmal mehr Teenager), aber gerade beim Feiern! Meine Eltern hätten mich umgebracht, wenn ich als Jugendliche ohne Handy auf die Piste gegangen wäre. Ich hätte mich zutiefst unwohl gefühlt, nicht nur, weil ich meine Sucht nicht befriedigen kann, sondern weil meine Eltern mir mein Leben lang eingeredet haben, wie gefährlich das ist. Das macht eine Menge! Und das Mädel weiß das doch. Nee, das glaube ich Dir einfach nicht. Für mich wäre das in dem Alter ein extrem guter Grund gewesen, einen Bus später zu nehmen. Also, da musst Du Dir wirklich was anderes überlegen.

Als ich aus dem Bus aussteige höre ich die Musik.

Komma vor „höre“.

Gerade kommt „Are we the waiting“ der amerikanischen Rockband Greenday.

Erstmal das entsprechende Lied angeworfen. Perfekt. Ich mag es, wenn Musik in Texte eingewebt wird. Allerdings weiß ich nicht, ob es „die amerikanische Rockband“ wirklich braucht. Das sind ja direkt drei Erklärungen: Greenday kommen aus Amerika, Greenday machen Rock, Greenday sind eine Musikgruppe. Puh. Also, mir hätte Greenday gereicht, und ich finde auch, es klingt immer aufgesetzt, wenn in Geschichten erklärt wird, wessen Musik gespielt wird. Ich meine, Deine Prota würde das doch sicher nicht so erklären. Also, ich würde nur „Greenday“ schreiben.

Wir trinken billigen Sekt, den meine Freundin Mara aus dem Supermarkt mitgebracht hat.

Ich kann mir irgendwie gar nicht vorstellen, wo Deine Figuren sich aufhalten. Offenbar ist das Openair, aber auch kompleter Openaccess? Denn in Deutschland und Griechenland, wo ich schon auf Konzerten war, wäre es absolut nicht gestattet, selbstmitgebrachte Getränke (vor allem nicht aus Glasflaschen, in denen sich der Sekt ja wahrscheinlich befindet) zu trinken. In der Markthalle in Hamburg gibt es kurz vor dem Eingang ein geniales Geheimversteck, wo Leute ihr Bier verstecken. Das verrate ich nicht öffentlich (obgleich ich auch nie daraus trinken würde). Ich finde, Du verschenkst hier die Gelegenheit, noch was Authentisches über Jugendliche zu erzählen, nämlich die ständige Überlegung, wie man Alkohol durch die Sicherheitskontrollen schleust. Fun Tip: Kurze Hose unterm Rock, da kann man alles reinstecken, da wird man nie kontrolliert.

Sams Familie ist sehr arm, aber da er so klug ist, kann er an einer der besten Universitäten Chemie studieren gehen.

Das ist für mich Wischiwaschi, reine Behauptung. Viel lebendiger wäre es, wenn Du erzählen würdest, woran Deine Prota sieht, dass Sams Familie arm ist. Zum Beispiel, dass seine Geschwister sich ein Fahrrad teilen, oder so was, irgendwas, was sie während ihrer Freundschaft an ihm beobachtet hat. Das gleiche gilt für seine Klugheit. Woran sieht man, dass er sehr klug ist? Und welches ist „die beste Universität“? In Deutschland kriegen die Leute große Augen, wenn man eine Zulassung für Heidelberg bekommt. Ich finde, es klänge viel authentischer, wenn Deine Prota einfach klar sagt, welche besonders tolle Universität das ist. Ja, dafür musst Du vielleicht recherchieren. Das ist dann so. Und mach Dir keine Sorgen, dass man die Uni vielleicht nicht kennt. Am Tonfall sollte deutlich werden, was das für eine tolle Uni ist. (Ich bin auch immer überrascht, mit welcher Ehrfurcht die Ingenieure an meiner Uni über Aachen sprechen.)

In der Schule trug er meistens eine grosse Brille und blinzelte einem am Morgen verwirrt an.

„einen“ statt „einem“.

Und er hat das schönste Lächeln, das es gab.

Wieso dieser plötzliche Zeitenwechsel?

Am Anfang hatte ich mich ein bisschen gefürchtet, aber mit Sam fühle ich mich wohl.

Perfekt statt Plusquamperfekt funktioniert hier problemlos.

Wir biegen um die Ecke und da steht der Mann von vorhin, der nach dem Weg gefragt hat. Neben ihm stehen zwei grosse, offensichtlich stark betrunkene Männer.

Zweimal „stehen“. Mal ganz davon ab, dass das Wort ohnehin ziemlich nichtssagend ist und aktivere Formulierungen besser wären, unschöne Wortwiederholung. Du könntest zum Beispiel schreiben, dass die beiden den Mann „sehen“, und dass die anderen beiden ihn bedrängen, oder so. Ich meine, sie stehen neben ihm? Das klingt so nett! Und woran erkennt man betrunkene Männer? Nicht einfach behaupten, sichtbar machen!

Der dunkelhäutige Mann scheint Angst zu haben, aber das stachelt die beiden Männer nur noch an. Sie rufen dem jungen Mann rassistische Bemerkungen zu, die er zu ignorieren versucht.

Auch hier. Das ist Wischiwaschi. Wie sieht jemand aus, der Angst hat? Woran sieht Deine Prota, dass das die beiden Männer anstachelt? Was genau tun sie denn? Was genau rufen sie denn? Woran sieht man, dass der andere Mann sie zu ignorieren versucht? Wieso nur „versucht“? Woran erkennt man sein Scheitern? Du redest hier um den heißen Brei herum, anstatt die Dinge beim Namen zu nennen. Das entkräftet die Szene. Hab keine Angst vor dem, was Du schreiben möchtest. Beziehungsweise, hab Angst und schreib das trotzdem auf! Und denk an die Absätze um die Sprecherwechsel.

Ich rede mir an, dass dem jungen Mann nicht geschehen wird.

„ein“ statt „an“.

In der Zeitung erfahre ich vom Tod eines jungen, dunkelhäutigen Mannes.

Steht das da wirklich in der Zeitung? „Ein junger, dunkelhäutiger Mann ist gestorben.“ Hm. Komische Zeitung. Ich würde da vielleicht lesen, dass ein dreiundzwanzigjähriger Asylbewerber (zum Beispiel) zusammengeschlagen wurde und im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Oder so.

Ich schliesse mit sehr guten Noten ab und finde einen guten Job.

Das würde ich streichen, das schöne Studium einfach offenlassen. So liest es sich wie ein heftiges Fast Forward. Und das reißt mich irgendwie raus.

So, das war’s schon von mir. Bezüglich des Handys würde ich mir etwas Besseres überlegen. Da habe ich das Gefühl, dass das nur passiert, um die Situation am Ende unangenehmer zu machen. Und wenn ich als Leserin so ein Gefühl habe, ist das nicht gut. Die Trennzeichen zwischen den Erzählzeiten würde ich dringend ändern und zwischen den Sprecherwechseln Absätze machen. Einige Stellen prüfen, an denen Du Geschehnisse und Gefühle nur behauptest, anstatt sie für Deine Leser/innen sichtbar zu machen. Aber alles kein großes Ding. Make it work!

Behauptete Grüße,
Maria

 
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Hey Auryn,

ich beschränke mich in meinem Komm mal weitestgehend auf Stil und so.

GoMusic schrieb:
Bitte mache nach jeder wörtlichen Rede eine neue Zeile, dann weiß man, wenn der Sprecher wechselt und es liest sich besser.
Das hat dir GoMusic schon zu deinem ersten Text geschrieben, Maria hat dich oben auch darauf hingewiesen und ich mache das nun ebenso. Jetzt vergisst du das bestimmt nicht mehr, hm :)? Liest sich einfach besser, rein optisch wirkt der Text dann auch lockerer, nicht wie ein Textblock, der nicht gerade zum Lesen einlädt.
Zur "Zeilentrennung" hat Maria bereits was geschrieben. Schaue dich doch mal um, sieh dir an, wie andere Autoren das lösen. Mit ein bis drei Sternchen z.B. Und oder was zentriert Ausgerichtetes.

Seit einem Jahr habe ich Sam nicht mehr gesehen. Er sitzt auf der Grossen Schanze und lässt seine Beine baumeln. Er ist gefährlich nahe am Abgrund, sodass ich mich ihm vorsichtig nähere. Seine Haare sind ganz kurz, man merkt kaum noch, dass er eigentlich dichte Locken hat. Er trägt schwarze Hosen und ein schwarzes T-Shirt. Als er sich vorbeugt, sehe ich, dass die Knochen an seinem Hals hervorstehen. „Hey“, sage ich behutsam. Er dreht sich überrascht um und lächelt, als er mich erkennt. Sein Lächeln ist noch wie früher und die Tatsache raubt mir kurz den Atem. Ich setze mich zu ihm, allerdings ins Gras. Die Höhe macht mir Angst. Er deutet auf die Universität. „Du studierst jetzt hier?“ Ich zucke die Achseln. „Naja, mehr oder weniger.“ Ich bin ein Jahr angemeldet, habe mein Studienfach aber bereits zweimal gewechselt. Das sage ich Sam nicht. „Und du? Ist das Semester schon vorbei?“ Er sieht mich nicht an. „Ich habe mein Stipendium nicht angenommen. Ich arbeite bei meinem Vater.“ Ich schlucke. Es ist also wahr. „Warum?“, frage ich leise. Auf einmal dreht er sich heftig um. „Ich habe es nicht verdient.“ Wir sehen uns an und ich denke, an das, was hätte sein sollen. Wir beide zusammen. Es ist ein Tag im Spätherbst, aber es ist sehr warm. Wir haben uns nichts zu sagen, aber ich möchte nicht weggehen. Also stehen wir einfach da und schauen auf die Stadt hinunter.
Mal exemplarisch, Auryn, du verwendest zu häufig klassische Satzmuster nach dem SPO-Prinzip. Das zieht sich durch den ganzen Text, wirkt eintönig, auch ein wenig einfallslos. Ich rate dir: Spiele ein wenig, probiere mal was anderes, nutze vermehrt sprachliche Möglichkeiten.

Er sitzt auf der Grossen Schanze und lässt seine Beine baumeln. Er ist gefährlich nahe am Abgrund, sodass ich mich ihm vorsichtig nähere. Seine Haare sind ganz kurz, man merkt kaum noch, dass er eigentlich dichte Locken hat.
...
Meine Eltern sind zufrieden mit mir. Meine Noten waren überraschend gut.
Pp (Possessivpronomen) bzw. Possessivartikel bewusst setzen. Wo brauchst du sie, wo reichen einfache Artikel aus. Meist vermeidest du Wortwiederholungen, wenn du darauf achtest. Hier ginge auch "die Beine" und "Die Noten", wessen Beine denn sonst (ist ja keine Horrorgeschichte :baddevil:)? Und wessen und was für Noten gemeint sind, ist auch klar, nicht?

Er sitzt auf der Grossen Schanze und lässt seine Beine baumeln.
Kannst du auch lassen, aber ich habe kein Bild von dem Teil. Sie setzt sich später davor ins Gras. Festungsbau, Skischanze? Vielleicht blickt deine Prota hinunter und beschreibt irgendwas. Dann könnte ich mir das herleiten. Oder du wirst eben präziser. Ich finde übrigens, du könntest insgesamt präziser werden.

Ich bin ein Jahr angemeldet,
Unpräzise und schief irgendwie. Seit einem Jahr vielleicht? Studiere hier seit einem Jahr?

Ich habe mein Stipendium nicht angenommen. Ich arbeite bei meinem Vater.“ Ich schlucke. Es ist also wahr. „Warum?“, frage ich leise.
Nur mal ein spontaner Vorschlag (exemplarisch), der Dialog klingt für mich ein wenig gestelzt, infodumpmäßig, sprich: unauthentisch:
„Scheiß aufs Stipendium (Studium). (Ich) Arbeite jetzt bei meinem Vater.“
„Warum?“, frage ich leise.

Wir beide zusammen. Es ist ein Tag im Spätherbst, aber es ist sehr warm. Wir haben uns nichts zu sagen, aber ich möchte nicht weggehen. Also stehen wir einfach da und schauen auf die Stadt hinunter.
So wirkt das wie ein Fremdkörper, entweder streichen oder anders einbauen.
Das kann weg, einfach beide dastehen und schauen lassen - wird ja dann auch so klar.
Übrigens, hat sie nicht Höhenangst, wie kann sie dann nach unten in Stadt sehen? Sie saß doch eben noch ein wenig weiter hinten im Gras, oder?

Bereits seit drei Jahren leben wir nun in unserer neuen Wohnung und noch immer kann ich den Busfahrplan nicht auswenden, aber als ich an der Haltestelle ankomme, fährt der Bus direkt ein.
Seit drei Jahren in der Neuen Wohnung? So neu klingt das ja dann nicht mehr. Und wer ist wir? Erst dachte ich, du meinst deine Prota und Sam.

Ich würde den Text noch mind. ein- zweimal überarbeiten, Auryn. Setze dich mal grundlegend mit Stil, Satzbau und so auseinander. Maria hat schon was über Adverbien, Adjektive geschrieben - überhaupt viel Hilfreiches.
Schaue doch bsp. mal hier rein. Sich auf Andreas Eschbachs Seite umzusehen, könnte ebenfalls hilfreich sein.

Lass dich nicht abschrecken von meinem Komm, ich finde nämlich, da steckt Potenzial in deiner Schreibe, du solltest dranbleiben, an dir arbeiten. Es wird sich mMn lohnen.
Kommentiere auch Texte hier auf der Seite. Nicht nur, weil bei den Wortkriegern ein Geben-und-Nehmen-Ding üblich ist. Man lernst einfach unheimlich viel über das eigene Schreiben, wenn man begründen kann, warum einem etwas in anderen Geschichten gefällt oder eben nicht.

Es würde mich freuen, wenn du dich aktiv ins Forum einbringen würdest, Auryn.


Herzlich willkommen


hell

 

Hallo Auryn,
ich kann Dir diese Geschichte nicht glauben.
Zum einen erscheint sie mir zu offensichtlich konstruiert. Dann entsteht keine greifbare Atmosphäre, da die Erzählsprache sehr distanziert wirkt. Ich empfehle das Wort "merke" aus Deinem Text zu verbannen und durch aussagekräftige Formulierungen zu ersetzen. "Der junge dunkelhàutige Mann" klingt nach Polizeiprotokoll. Und dann ist mir die Figurensprache viel zu künstlich und dadurch unglaubwürdig.
Beispiel: [...]„Dann lass und Hilfe holen. Wir können schreien.“ Ich mache den Mund auf, [...]
Das nimmt die Intensität aus der Szene. Dass die Figur erst die Situation reflektiert und dann ihre Handlung ankündigt und erst dann den Mund öffnet, um zu schreien, klingt unrealistisch. Obendrein erschwert es mir den emotionalen Zugang
Die Kernaussage, Sam verzichte auf das Chemiestudium, weil er in dieser Situation nicht richtig reagiert habe, ergibt für mich keinen Sinn. Worin besteht der Zusammenhang? Wenn es um ein Jura- oder Politikstudium ginge, könnte ich den erkennen.
Unabhängig vom Thema, verliert die Erzählerin für mich ihre Glaubwürdigkeit bereits hier:
"Ich trage ein Sommerkleid und – ganz speziell für mich – Lippenstift. Im letzten Moment noch habe ich meine Sandalen gehen hohe Schuhe getauscht. "
Oder ist der Einschub selbstironisch gemeint?

Schönen Gruß!
Kellerkind

 
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Liebe @TeddyMaria,

Vielen Dank für deine Rückmeldung. Du hast recht mit deinen Kommentaren. Ehrlich gesagt war diese Geschichte eine relativ spontane Idee und ist noch nicht perfekt ausgearbeitet.
Das mit dem Handy finde ich auch konstruiert, da werde ich mir noch etwas überlegen. Ebenfalls versuche ich, die Stimmung und Gefühle der Protagonisten noch deutlicher zu zeigen.

Das mit dem Busfahrplan sollte "auswendig" heissen, das ist ein Typfehler :)

Die Geschichte spielt auf einer Art Sommerfest, das öffentlich ist und bei der eine Band auftritt. Ich war eben erst gerade auf so einem Fest, da durfte man auch selbst Essen und Trinken mitnehmen ;) Dort bin ich auch auf die Idee für die Geschichte gekommen.

Ich werde sie aber sicher noch überarbeiten und deine Kommentare miteinbeziehen.

Liebe Grüsse
Auryn


Lieber @hell,

Vielen Dank für die Antwort. Ich werde die Geschichte nochmals anschauen (genau) und dabei auch auf deine Kommentare eingehen. Ich werde versuchen, das Ganze ein bisschen authentischer zu gestalten.

Zur Schanze, die Geschichte spielt in Bern und die grosse Schanze ist eine Art Unipark, von dem man auf die Stadt hinuntersieht. Aber du hast recht, das ist verwirrend als Nicht-Berner :)

Liebe Grüsse
Auryn


Liebes @Kellerkind,

Vielen Dank für deine Antwort. Ich werde die Geschichte eben sicher noch mal überarbeiten, wie ich bei Maria schon gesagt habe, war die Idee sehr spontan und ich habe sie einfach mal aufgeschrieben. Aber du hast recht, ich finde sie selbst doch konstruiert, ich habe versucht, die Handlungen der beiden Protagonisten nachvollziehbar zu machen, was aber nicht ganz gelungen ist.

Beim Verzicht auf das Studium geht es eher darum, dass er das Gefühl hat, das Stipendium nicht verdient zu haben, nicht das Studium an sich.

Liebe Grüsse
Auryn

 

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