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Simones Entscheidung

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23.07.2001
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Simones Entscheidung

Simones Entscheidung

Als Simone den Schatten bemerkte, schien ihr Herzschlag für eine Sekunde auszusetzen. Sie versteifte sich und sah auf. Es war aber nur der Kellner, der ihr den Tee brachte. Beruhigt lächelte sie ihm zu und entspannte sich. Ganz verschwand die Nervosität nicht. Wie auch? Seit sie das Treffen hier verabredet hatte, war sie kaum noch zu einem klaren Gedanken fähig gewesen. Er hatte darauf bestanden und ihr war es im Grunde genommen auch recht. Sie wollte sicher sein.
Während sie den Tee rührte, beobachtete sie die Tür der Bar und immer, wenn Jemand hereinkam, machte ihr Herz einen Ruck. Es war noch nicht spät und nur wenige Gäste waren anwesend. Drei Männer saßen am Tresen und unterhielten sich angeregt mit dem Barkeeper. Ein einzelner Mann saß abseits, starrte gedankenverloren in sein Glas, nippte hin und wieder daran und sah manchmal flüchtig zu Simone herüber. Als hätte sie es nicht schwer genug, ihre Selbstsicherheit wiederzufinden, schwang die Musik von Pink Floyd dezent durch den Raum und legte sich auf ihr Gemüt wie drohendes Unheil. „Wish you were here“. Welche Ironie.
Die Tische waren bis auf den in der äußersten Ecke frei. Dort hatte sich ein junges Paar niedergelassen. Sie beobachtete die beiden, wie sie heftig miteinander flirteten und fragte sich, ob das wohl der Anfang des Glücks oder der einer Tragödie wäre. Sie selbst hatte sich an das andere Ende des Raumes gesetzt. Wenn er da war, brauchte Niemand die Unterhaltung mitzubekommen.
Die Tür ging wieder auf und Simones Haltung versteifte sich augenblicklich. Günther hatte die Bar betreten, blieb kurz stehen, orientierte sich, und als er sie erkannt hatte, kam er auf sie zu. Er war groß und elegant. Die schwarzen Haare glänzten im diffusen Licht. Der Anzug saß perfekt. Ein Mann, der auf Frauen Eindruck machte. „Guten Abend Schatz.“ Er lächelte charmant, ging um den Tisch herum und küßte sie auf die Wange. „Schön, dich wiederzusehen.“ Seine Freude war echt. Simone saß völlig steif mit versteinerter Miene da. „Guten Abend Günther.“ Sie hatte einen Kloß im Hals und ihre Stimme überschlug sich leicht. Sie schaffte es nicht, ihren Mann direkt anzusehen und so wanderte ihr Blick unstet umher. Flüchtig streichelte er ihre Schulter und behielt seine Hand bei ihr, während er um den kleinen Tisch ging. Als er gegenüber Patz genommen hatte, nahm er ihre Hand in seine. Er musterte sie wie Jemanden, den er lange nicht gesehen hatte. Und was er sah, schien ihm zu gefallen. Simone war jung und gepflegt. Sie hatte eine schlanke Figur, die blonden Haare umrahmten ein Gesicht, das nicht im klassischen Sinne schön war, aber auf eine besondere Weise attraktiv. An diesem Abend wirkte sie allerdings grau und erschöpft, ihre Augen ängstlich und müde. „Ich habe dich vermißt.“ Er beugte sich weit zu ihr vor und sprach leise, mit ruhiger und freundlicher Stimme. Als du plötzlich fort warst, war ich fast von Sinnen vor Angst. Wo bist du gewesen?“. Simone sah ihn immernoch nicht an. Ihre Hand war kalt und sie schwieg. Hin und wieder drang vom Tresen ein Lachen herüber und Pink Floyd wirkte weiter auf sie ein. Sie war sicher, daß er ihren Herzschlag, der bis in den Hals hinauf hämmerte, auch in ihrer Hand spüren mußte. Vorsichtig zog sie sich zurück und traute sich endlich aufzusehen. Sein Blick bohrte sich tief in ihre Augen und er lächelte immer noch. Genau in diesen Blick hatte sie sich vor Jahren blind verliebt und damals die Kälte nicht bemerkt. Günther sah sich um, als suche er etwas. „Wo hast du deine Sachen? Wenn du den Tee getrunken hast, können wir gehen.“ Sofort wurde ihr Herzschlag um einen Takt schneller. Sie räusperte sich, ihre Stimme kam leise: „Günther, so geht das nicht.“ Sie hielt jetzt seinem Blick nicht mehr stand und sah in ihr Glas, in dem sie wieder mit dem Löffel rührte. „Ich werde nicht gleich mitkommen.“ Seine Miene verfinsterte sich leicht. „Wie soll ich das verstehen? Ich werde dich.....“ Seine Stimme wurde ein wenig lauter, doch dann brach er ab. Der Kellner war an den Tisch getreten. Noch bevor dieser nach den Wünschen fragen konnte, winkte Günter mit einer herrischen Geste ab und der Mann verschwand achselzuckend. „Günter, ich bin mir nicht sicher.“ Simone rührte weiter mit zitternder Hand den kalt werdenden Tee. Sie sprach stockend und suchte nach beschwichtigenden Worten. „Am Anfang war es doch schön mit uns.“ Sie sah ihren Mann fast beschwörend an. „Was ist denn mit uns geschehen. Oder mit dir?“ Er hatte sich zurückgelehnt und saß mit verschränkten Armen da. Aus seinem Gesicht war für einen Moment jede Freundlichkeit gewichen, doch wie durch einen Schalter betätigt, wechselte er wieder zum Wohlwollen. Das Funkeln in seinen Augen blieb jedoch und Simone hatte Angst davor. Sie begann so heftig zu zittern, daß sie den Löffel niederlegen mußte und die Hände in ihrem Schoß vergrub. „Schatz, wir sind verheiratet.“ Er machte eine weit ausholende Geste, als ob er dies zum tausendsten Mal erklären mußte. „ Ich dachte, du wüßtest, was das bedeutet. Eine Frau gehört zu ihrem Mann.“ Er sah sich kurz um, weil er seine Stimme wieder erhoben hatte und er sich vergewissern wollte, daß niemand etwas mitgehört hatte. Günther fuhr ruhiger fort, aber in seiner Freundlichkeit schwang eine Drohung mit, die Simone fast lähmte. „Selbstverständlich muß auch in einer Ehe Jeder seine Freiheiten haben, aber eben nicht grenzenlos. Sonst bräuchte man schließlich nicht zu heiraten.“ Wie zu sich selbst flüsterte sie: „Ich hatte mich doch nur nach diesem Job erkundigt, für drei Stunden in der Woche, weiter nichts. Es hätte mir Spaß gemacht.“ Mit einer flüchtigen Bewegung strich sie über den dunklen Fleck an ihrer Wange. Als sie den Schmerz wieder spürte nahm sie die Hand fort. Augenblicklich griff er zu, hielt ihre Hand wieder in der seinen und streichelte sie mit der anderen. „Ich hatte gehofft, daß du zur Vernunft kommen würdest.“ Sein Druck wurde fester. „Ich verdiene genug und wir können uns ein gutes Leben leisten. Du hast es nicht nötig, zu arbeiten und ich werde es auch nicht zulassen.“ Er verstärkte den Druck weiter und Simone verzog das Gesicht vor Schmerz. „Du hast einen Haushalt zu führen. Wenn du das ordentlich machst, hast du damit genug zu tun. Du wirst deine Pflichten nicht vernachlässigen.“ Simone zog vor Schmerz die Luft ein und entwand ihrem Mann mit Mühe ihre Hand. „Günther, ich werde so nicht zu dir zurückkommen.“ Augenblicklich wunderte sie sich über ihren Mut. Trotz des dezenten Lichtes konnte sie sehen , wie sein Gesicht rot wurde. Er schwieg einen Moment und hatte deutlich Mühe, seine Fassung zu bewahren. Er sah sich um und schien sich zu vergewissern, daß wirklich Niemand von ihnen Notiz nahm. Dann beugte er sich wieder über den Tisch und raunte ihr zu: „Ich gebe dir jetzt die Möglichkeit nach Hause zu kommen. Ich werde so tun, als wäre nichts geschehen. Ich werde dir verzeihen und diesen Ausflug vergessen. Solltest du nicht in spätestens einer halben Stunde wieder daheim sein, werde ich dich holen.“ Er hatte dabei ihren Arm ergriffen und wieder stetig fester zugedrückt. Die Tränen in Simones Augen rührten sowohl vom körperlichen Schmerz, wie auch von der Verzweiflung her. Sekundenlang hielt er sie so gepackt und schien auf eine Antwort zu warten. Simone blieb still und sah ihn dabei unverwandt an. Dann ließ er sie los, stand auf, sah entschlossen auf sie herab und verließ ohne ein weiteres Wort das Lokal.
Simone blieb unbewegt sitzen. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet, auf einen Punkt jenseits des Raumes. Einen Augenblick später wischte sie mit einem Taschentuch die Tränen fort, atmete ein paarmal tief durch und wirkte urplötzlich entschlossener. Viel entschlossener.
Sie schaute zum Tresen hinüber, an dem die Männer immernoch mit dem Barkeeper diskutierten. Sie hatten von ihr keine Notiz genommen. Nur der einzelne Mann sah wieder zu ihr herüber. Er sah sie direkt an. Simone nickte ihm kaum merklich zu. Der Mann nickte ebenfalls, legte einen Geldschein auf den Tresen und verließ eilig das Lokal.

[ 30.04.2002, 21:34: Beitrag editiert von: Dreimeier ]

 

der mann ist ein killer und sie hat ihn engagiert? stimmt das so oder habe ich das zunicken und das eilige verlassen des lokals am schluss etwas überbewertet?
die geschichte gefällt mir sehr gut. wirklich spannend! zuerst dachte ich es geht bloss um die entscheidung ob sie zu ihm zurückgeht oder nicht.
ihre angst und verzweiflung finde ich sehr schön rübergebracht. obwohl es eine geschichte war und die frau fiktiv war, habe ich mir ihr mitgezittert und mitgefühlt.
leider gibt es solche schicksale im "echten leben" allzu oft. du hast mit deiner geschichte einen ausweg daraus geschildert. ob das empfehlenswert ist, ist eine andere frage.
aber die geschichte war auf jeden fall interessant.

lieben gruß
insomnia

 

Hallo Insomnia
wer der Mann in der Bar war, weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht ein Killer oder Simones Freund. Ich denke aber, daß er ihn umbringt. Schön langsam.
Nein, natürlich nicht. Das ist nicht Recht. Auch solche Schweine haben ein Recht auf Schutz. Nur die Opfer müssen dann sehen, wie sie mit diesen kranken Typen klarkommen. Und müssen beweisen, daß sie mißhandelt wurden. Wenn sie sich trauen.
Ich hab bei dieser Geschichte an einen Film gedacht. Ich glaube der heißt „Der Fremde in meinem Bett“??
Ich mag es übrigens, wenn das Ende einer Geschichte noch Raum für Phantasie läßt.
Du ja wohl auch, wenn ich Dich in deiner Erklärung zu „In der Tiefgarage“ richtig verstanden habe. Ich werde mal meine Meinung dazu schreiben.
Hat mich gefreut, daß Dir meine Geschichte gefallen hat.
Danke fürs Lesen
Gruß Manfred

 

"der fremde in meinem bett" - ist das der film mit der julia roberts? ich glaube ich habe ihn auch gesehen.

 

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