silk condition: Bericht
Das Gesicht habe ich verloren, nachdem ich es gezeigt hatte. Niemand hat damals applaudiert, dort zwischen den Autos. Die Wächterin vor meiner Tür hatte gelächelt, die Staatsschützer haben am Folgetag mit Litauen telefoniert und schließlich hat ein unvollkommener Fötus sein natürliches Bett verlassen müssen um mit klopfendem Herzchen als organischer Abfall mit geschlossenen Liedern, so zart wie dünnste Seide, in Mullbinden gewickelt, den Weg in die Biotonne zu finden. Ein Irrtum von Seiten Litauens. Ein Wort der Entschuldigung im Raucherbereich - Pardon, dann ein nicht sorgfältig ausgedrückter Zigarillo, welcher den an die Wand geschraubten Ascheimer in Brand setzte.
Die Fahrt sollte auf dem Rücksitz eines Ladas über mehrere Staatsgrenzen führen, aber die Familie griff in letztem Moment ein: Man brauche den eigenen Sohn, hieß es nun auf einmal, wo der Nachwuchs dezimiert und die Gebärmütter heraus gekratzt worden waren. Der sterilisierte Clan brauchte seinen Nachkommen. Darum war schlussendlich das Geheul von Polizeisirenen erschollen, aber das letzte Wort in dieser Sache hatte nun mal der Staatsschutz. Ein Haufen rechtskonservativer Sadisten hatte sich auf der Station eingenistet. Einer von denen hieß Armin, lag mit mir im selben Raum und gab abends über das ruckartige Auf und Zuziehen der Gardine vorm Fenster Nachricht an seine Schergen, die draußen Wache hielten. „Weil Sie ihm auf den Kopf gekackt haben“, darum war ich Kronzeuge im NSU Prozess: ein Schlaffi, den man in einer Psychiatrie eingelagert hatte, um ihn bis zum Prozessauftritt zu schützen. Und Anna hätte mich nie als den erkannt, der ich war.
Sie hatten sogar Jule aufgespürt um endlich das Gegenteil zu beweisen, aber der Staatsschutz, wusste besser Bescheid. Die Falle war zugeschnappt und es ging schon lange nicht mehr um Hundertausende Euro Schulden bei einer litauischen Pornoseite. Da war kein Ausweg außer das Big Brother Duell mit Bushido, dessen kleiner Bruder mir im Vorfeld hinter der roten Flora seelenruhig Gras vertickt hatte. Und ich hatte bloß Armin als Backup. Das war so gut wie niemand, wussten die Produzenten von Endemol. Bushido und sein kleiner Bruder gegen den chronisch schnaufenden Armin und mich - ein aussichtsloser Kampf. Das war ihre Rache für den offenen Brief, den irgendjemand aus der Familie in unlauterer Absicht auf Facebook gepostet hatte – vielleicht sogar Johannes selbst? Die Station leerte sich jedenfalls erschreckend bis eines Tages niemand mehr zu sehen war und Bushidos Einzug bevorstand.
Und als Spielpfand hatte ich unfreiwillig meine Wohnung in den Pott getan. Irgendetwas mit der Steuer hatte ich falsch gemacht, der Kaufvertrag von 2009 war somit ungültig und sasbau sauer. Die Verkäufer sahen ihre Chance es mir heimzuzahlen. Kameras waren die ganze Zeit über auf mich gerichtet. Big brother in der Klapsmühle. Wer kommt raus? Bushido oder Aaden? Personal und Patienten – alle nur Statisten. Zwei Teller hatten sie schon abgedreht, darüber konnte ich sie nachts auf dem Flur murmeln hören, und als ich aus dem Bett sprang und die Zimmertür aufriss, stand da die Wächterin. Dann hatten sie mit Litauen telefoniert. Es ging schließlich um das Duell BRD gegen DDR. Ein Stockwerk tiefer war eine identische Station aufgebaut, geleitet nach den Vorstellungen der DDR und ich würde das Zünglein an der Waage sein. Welches System wird letztendlich siegen? Nachts, wenn ich auf dem Stuhl in der Dusche saß und die Badezimmertür zuhielt würde der Fahrstuhl sich in Bewegung setzen und mich illegaler Weise und gegen die Regeln auf die DDR-Psychiatriestation senken, wo es in den Sternen stand, wann ich wieder rauskommen würde und sie mich ganz nach Orwell mit den größten Schrecken traktierten und folterten. Doch das war zum Glück nur ein Albtraum gewesen.
Der Stuhl in der Dusche, ganz aus Plastik, mit den Seitengriffen war für die Kastration da. Es gab Löcher in der Sitzfläche, damit das Blut rascher abfließen konnte. Man sollte die Dusche aufdrehen, sich nackt draufsetzen und auf den Spezialisten warten, den Litauer mit den Zigarillos, der extra eingeflogen worden war. Aber nachdem der Litauer den Ascher in Brand gesetzt hatte, würde die Stationsärztin die OP übernehmen. Das konnte ich eines Nachmittags mithören, als Armin, der Staatsschützer seine schwere Weste mit der Knarre aus dem Spind geholt hatte, um vor der Tür auf und ab zu patroullieren. Dabei hatte er sich mit der Ärztin verquatscht und ich konnte alles hören. Betäubung ginge bei dem Eingriff nicht. Das einzige mögliche Mittel sei nun Mal Opium und das wäre illegal. Also – ohne Betäubung. Entfernung der Hoden und Nebenhoden. „ Was? Ohne Betäubung?“ fragte meine Mutter erschöpft und ungläubig, draußen vor der Klinik einen der Staatsschützer. Ich konnte es durchs gekippte Fenster hören. Ich konnte auch hören, wie sie daraufhin zusammenbrach. Ein paar Mal knallte noch der Dephribrillator, aber die Reanimation hatte keinen Erfolg. Ich war ein Staatsgeheimnis. Kronzeuge, Entlastungszeuge für Beate Zschäpe, die eigentlich Anna hieß und die ich von früher aus meiner Kindheit kannte. Niemand mochte mich, aber es musste mich geben. Darum auch der Staatsschutz. Es ging um den Fortbestand der BRD.
Ein Stockwerk tiefer war die DDR Station, wo eine alte Frau den Flur entlang schlurfte und nicht merkte, dass sie unterm Leibchen ihre Windel nebst Inhalt verlor. Und Endemol brachte die Entscheidung, die Joachim Gauck i.A. am Ende würde treffen müssen, als Fernsehshow. Aber als es soweit war, als ich durch die Tür des Krankenzimmers ins Studio treten sollte, hatte Gauck noch ein Ass im Ärmel gehabt. Mehrere junge Frauen im Studio hatten auf einmal Erbarmen mit mir und brachten das Ganze ins Wanken. Ich konnte durch die Tür hören, wie sie nacheinander vereidigt wurden, mit zitternden Stimmen auf die Verfassung schworen und die Aufzeichnung daraufhin gestoppt wurde. Ein genialer Schachzug war gelungen. Ich durfte in meinem Bett bleiben. Jene Nacht kamen sie nicht um mich zu holen. Tags darauf begann das Olanzapin zu wirken. Sie hatten mich über Pornoseiten aufgespürt.