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Silberschlange

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04.12.2011
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Silberschlange

SILBERSCHLANGE
(Kurzgeschichte von Mario Dircks / basierend auf dem Hörspiel von Mario Dircks und Daniel Grothe)

Nachdem Adam alle Jalousien seines geräumigen Apartments heruntergelassen hatte, eilte der Dreißigjährige zur massiven Eingangstür, um die fünf Schlösser an derselben zu verriegeln. Anschließend kontrollierte er, ob auch in allen Räumen Licht brannte. Dann griff der angehende Anwalt zur heute Nachmittag verfassten Check-Liste, um sich zu vergewissern, dass er auch keinen Punkt übersehen hatte.
„Kaffee – auf dem Nachttisch
Telefon – auch
Kamera – ist aufgebaut
Jalousien – alle zu
Licht – brennt
Tür – verschlossen. Okay!“
Durch den hell erleuchteten Flur ging Adam in sein luxuriöses Schlafzimmer, wo er sofort den Fernseher einschaltete und eine Video-Kamera, die bereits auf einem Stativ neben seinem Bett installiert war, startete.
Er verriegelte die Tür des Zimmers, dann fiel sein Blick kontrollierend auf den Nachttisch. Neben einer Kanne Kaffee und einer Tasse lag eine 45er. Adam nahm sie in die Hand und vergewisserte sich, dass sie geladen und entsichert war.
„So, und jetzt noch mein Joker.“
Er öffnete die oberste Schublade seines Nachttisches und holte ein Paar Handschellen hervor. In voller Kleidung legte er sich auf sein Bett und fesselte sein linkes Handgelenk an den Rahmen.
Mit der freien Hand schenkte er sich eine Tasse Kaffee ein und trank einen Schluck. Dann begann er, im Fernsehen nach einem Programm zu suchen, das ihn wach halten sollte.
Doch Adam vermochte es beim besten Willen nicht, sich auf die Story des Filmes zu konzentrieren.
Immer wieder blickte er ängstlich auf die große Wanduhr.
Es war kurz nach eins.
Es wurde zwei.
Adam nahm die letzte Tasse Kaffee.
Halb drei.
Es kam Adam so vor, als würde das leise monotone Ticken der Uhr allmählich immer lauter werden. Nervös blickte er auf die Zeiger der Uhr. Schließlich blieb seine Aufmerksamkeit an der rhythmischen Bewegung des dünnen Sekundenzeigers hängen. Adam vergaß alles um sich herum. Um kurz nach drei begannen seine Lider schwer zu werden. Er kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Doch letztendlich verschwamm das Zifferblatt der Uhr vor seinen Augen, und Adam tauchte in tiefen Schlaf ein.
Am ganzen Leib vor Kälte zitternd wachte Adam plötzlich auf. Abrupt riss er die Augen auf. Mit was er konfrontiert war, ließ ihn jedoch daran zweifeln wirklich wach zu sein. Eine kalte knochige Hand, mit grauer Haut und bestückt mit vier überlangen Fingern, befand sich nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht.
Unfähig irgendetwas anderes zu tun, schrie Adam vor Angst auf.
Schlagartig wurde die Hand zurückgezogen und gab so Adams Blickfeld auf ein bizarres Gesicht frei, das ihn emotionslos fixierte. Es war das fremdartige Wesen, das er bereits aus seinen Träumen kannte, die ihn schon seit seiner frühen Kindheit verfolgten.
Der nächtliche Besucher war von zwergenhafter, spindeldürrer aber humanoider Gestalt. Sein kahler, birnenförmiger Kopf wirkte im Verhältnis zu seinem Körper unheimlich groß. Das gespenstische Wesen besaß einen schmalen, lippen- und zahnlosen Mund, hatte keine Ohrmuscheln, und wie bei einem Totenschädel befanden sich anstelle der Nase lediglich zwei kleine, schlitzartige Öffnungen.
Doch das Schrecklichste waren seine Augen. Diese riesigen, ovalen, tiefschwarzen alles verschlingenden Augen. Adam hatte das Gefühl, mit seinem ganzen Bewusstsein in diesem hypnotischen Blick zu versinken. Aus Furcht wollte er seine Augen sofort wieder schließen, doch es war ihm unmöglich, als ob unsichtbare Klammern seine Lider mit Gewalt offen hielten. Sein nächster Gedanke galt seiner Waffe, als er jedoch nach ihr greifen wollte, musste er feststellen dass er am ganzen Körper gelähmt war. Einzig seine Augen konnte er bewegen. Als Adam seinen Blick durch den Raum schweifen ließ, bemerkte er drei weitere dieser grauen Wesen. Und verblüfft erblickte er einen Mann von ca. einem Meter neunzig, der rechts neben seinem Fernseher stand. Das Gesicht des Fremden war durch eine dunkle Sonnenbrille und einen Schlapphut verdeckt.
Die Kleidung des Mannes war grotesk, denn dieser trug einen schwarzen Anzug wie aus einem Gangsterfilm der 50er Jahre. Als Adam den Mann verwirrt betrachtete, machte dieser unvermittelt einen Schritt auf das Bett zu.
„Bitte bleiben sie ruhig, Herr Hellinger.“
Einen Augenblick später begannen sich die seltsamen grauen Gestalten in Luft aufzulösen. Sie verschwanden einfach vor Adams Augen. Nur der Mann in Schwarz blieb an seinem Bett stehen.
„Möglicherweise haben sie jetzt ein sehr viel komplexeres Problem, Herr Hellinger. Sie hätten das hier nicht sehen dürfen. Sie hätten es nicht sehen dürfen.“
Dann drehte sich die schwarze Gestalt um und verließ das Schlafzimmer durch die Tür.
In diesem Moment wurde es schlagartig stockdunkel im Raum. Und Adam wurde von seiner zwanghaften Starre befreit. Jetzt erst realisierte er, dass er nicht mehr mit der linken Hand an sein Bett gefesselt war. Die Handschelle hing jedoch immer noch geschlossen am Bettrahmen. Sämtliche Lampen wie auch der Fernseher waren ausgeschaltet. Adam knipste das Licht an. Sein nächster Gedanke galt der Uhrzeit. Es war wenige Minuten vor fünf. Er hatte Zeit verloren. Schnell überprüfte er die Video-Kamera. Ein Blick auf das Zählwerk genügte, um festzustellen, dass die Aufnahme etwa zu der Zeit gestoppt wurde, zu der er eingeschlafen war. Es war also nichts von Bedeutung aufgezeichnet worden.
Adam überlegte einen kurzen Moment, dann nahm er die Pistole in die Hand und verließ das Schlafzimmer. Er ging von Raum zu Raum und schaltete alle Lichter wieder ein. Nichts. Alles war ruhig und friedlich.
Schließlich ging Adam in die Küche, legte die Waffe auf den großen Rundtisch und nahm sich eine Flasche Whiskey sowie ein Glas.


Als Dr. Schwartz, der hinlänglich als Psychiater für Besserverdienende galt, seine Praxis wie jeden Morgen um 10 vor 9 betrat, hatte er kaum die Zeit, seinen Mantel abzulegen, als Adam aufgeregt hereinplatzte.
„Doktor Schwartz, ich weiß jetzt, dass...“
„Adam, wir haben doch gar keinen Termin heute. Oder doch?“
Mit todernstem Blick ging Adam auf den hoch gewachsenen Mittfünfziger zu.
„Nein, haben wir nicht. Aber Sie müssen mir zuhören. Und zwar jetzt. Ich... Es ist unglaublich. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich weiß nicht, ob ich jetzt endgültig verrückt werde, oder ob...“
„Sie haben getrunken, nicht wahr?“, fragte der Doktor, als er Adams Whiskey-Fahne wahrnahm.
„Verdammt, das tut doch jetzt nichts zur Sache.“
„Nicht? Sie sollen täglich nach dem Abendessen zwei Ephemerol nehmen und Sie wissen ganz genau, dass das Medikament in Verbindung mit Alkohol zu vielen unerwünschten Nebenwirkungen führen kann: Von Magenbeschwerden über Kopfschmerzen bis hin zu Halluzinationen.“
„Was ich gesehen habe, war Wirklichkeit. Ich war wach und außerdem stocknüchtern. Getrunken habe ich erst danach.“
„Was haben Sie gesehen?“
„Die waren... Sie... Sie werden es mir nicht glauben. Das wird mir kein Mensch glauben.“
„Adam, wir kennen uns nun schon so lange. Wie oft waren Sie bei mir? Wem können Sie Ihre Geschichten anvertrauen, wenn nicht mir?“
„Verdammt, ich glaube, ich drehe jetzt endgültig durch.“
„Beruhigen Sie sich! Legen sie ihren Mantel ab. Wir setzten uns jetzt hin, trinken einen Tee, und dann erzählen Sie mir ganz in Ruhe, was Sie so erregte.“
Adam willigte ein und tat, was ihm der Doktor vorgeschlagen hatte.
Dieser setzte Wasser auf, zog aus der untersten Schublade seines massiven Schreibtisches zwei Teebeutel heraus und holte aus einem kleinen Schrank Tassen.
Schließlich setzten sich die Beiden auf zwei gemütliche Sessel, zwischen denen ein antiker Teetisch platziert war.
„Also gut. Was ist passiert?“
„Heute Nacht habe ich sie im Wachzustand gesehen. Ich schwöre es. Und es war diesmal kein Traum. Ich war hellwach. – Und plötzlich waren da diese... Mein Gott, diese Augen. Diese riesigen Augen.“
„Jetzt atmen sie mal durch und dann fangen sie noch mal ganz von vorne an. Okay?“
„Okay, Doktor Schwartz. – Diesmal hatte ich mich vorbereitet. Ich hatte mich mit Handschellen ans Bett gefesselt und eine Waffe auf dem Nachttisch. Aber – was soll ich sagen – es hat nichts genützt.“
„Habe ich Sie richtig verstanden? Handschellen? Waffe? Wir sprechen hier von Träumen. Was hatten sie vor?“
„Was glauben sie wohl? Mich verteidigen, natürlich. Verhindern, dass die mich wieder mitnehmen.“
„Sie meinen... die Wesen aus ihren Träumen?“
„Das waren keine Träume, verdammt! Sie standen vor meinem Bett. Mit ihren riesigen Köpfen und diesen schwarzen Augen, die mich ständig anstarrten. – Und das verrückteste war, dass da auch ein Mensch war. Ein großer Mann in schwarzer Kleidung. Er hatte eine Sonnenbrille und einen Hut auf. Und er...“
„Adam, jetzt hören sie mir mal ihn ihrem eigenen Interesse zu. Es gibt da gewisse Richtlinien.“
„Richtlinien? Was für Richtlinien?“
„Wenn Sie mir, als mein Patient, erzählen, dass Sie eine geladene Waffe neben ihrem Bett liegen haben, ist es eigentlich meine Pflicht, Sie einweisen zu lassen, um Sie vor sich selbst – und auch andere vor Ihnen zu schützen. Es kommt immer wieder vor, dass Psychose-Patienten den Blick für die Realität verlieren und sich selbst oder anderen Gewalt antun.“
„Ich habe keine Psychose! Seit heute Nacht bin ich mir sicher, dass die Dinge, die ich erlebe, keine Träume oder Wahnvorstellungen sind. Das alles ist real!“
„Adam, als Sie mich vor zwei Jahren zum ersten Mal konsultierten, erzählten sie mir von ihren Ängsten vor dem Einschlafen und der Dunkelheit, die Sie seit ihrer Kindheit verfolgen. Auch erinnerten Sie sich schemenhaft an Albträume, in denen Sie von grauen Kobolden verschleppt wurden. Als Sie dann vor knapp drei Monaten mit diesem Buch über Entführungen durch Außerirdische zu mir kamen und glaubten, das wäre genau das, was ihnen widerfahre, haben sich ihre Ängste und Albtraumbilder nur noch mehr manifestiert. Wie es zu befürchten war, denn diese anti-wissenschaftliche Literatur führt bei Menschen, die sowieso schon durch ausgeprägte Phobien vorbelastet sind, zu extremen Psychosen und Wahnvorstellungen. Ich habe Ihnen schon damals gesagt: Lassen Sie die Finger von solchen Märchen und verlassen Sie sich auf seriöse, wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethoden. Ich kann ihnen nur helfen, wenn Sie mir und meinen Methoden voll und ganz vertrauen. Adam, sind Sie dazu noch bereit?“
„Ich weiß ja genau, was Sie meinen. Es klingt ja auch völlig absurd. Aber es schien so verdammt real, so verdammt real. Diese Außerirdischen mit ihren...“
„Es gibt keine Außerirdischen. Genauso wenig wie es Kobolde, Elfen oder Zwerge gibt. Diese Fabelwesen sind Ausgeburten der menschlichen Phantasie.“
„Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass Psychosen einfach so aus dem Nichts entstehen.“
„Das tun sie auch nicht. Sie berichteten mir, Sie würden nachts an Herzrasen leiden, Schwindelgefühlen, Hitze-Kälteschwankungen in Verbindung mit Beklemmungsängsten. Ohrensausen. Kopfschmerzen. Wenn ich das alles mit ihren Träumen und Ängsten aus der Kindheit in Relation setze, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass sie an mehreren Phobien litten, die sich mittlerweile zu Psychosen ausgeweitet haben. Viele Menschen leiden darunter, Adam. Und es gibt Mittel und Wege, um Sie zu heilen. Aber das wird bestimmt nicht mit Pseudoliteratur gelingen und schon gar nicht mit einer geladenen Waffe neben Ihrem Bett.“
„Ich weiß, ich weiß. Sie haben mir das alles schon erklärt. Und schließlich sind Sie der Fachmann. Wissen Sie, ich habe über etwas gelesen, was man Rückführungen nennt. Das würde mich interessieren.“
Dr. Schwartz, der gerade zu seiner Teetasse greifen wollte, hielt inne und blickte Adam für einen Augenblick prüfend an.
„Sie meinen die so genannte regressive Tiefenhypnose. Wo haben Sie das denn her? Bestimmt aus einem dieser UFO- Bücher.“
Adam wich dem strengen Blick des Arztes verlegen aus.
„Das hab ich mir gedacht, dass sie mir damit auch noch kommen. Ich nehme an, in diesem Buch stand nicht, wie umstritten diese Methode ist. Abgesehen davon ist sie auch sehr gefährlich.“
„Wieso gefährlich?“
„Weil sie Traumbilder und Wahnvorstellungen ins Extreme steigern kann. Sie kann es sogar unmöglich machen, den Patienten erfolgreich zu behandeln.“
„Ich will es aber trotzdem versuchen. Ich muss Gewissheit haben!“
„Nein, ich lehne diese Methode aufs Äußerste ab. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Verfahren nicht die Wahrheit ans Licht bringt, sondern viele Phobien in Bilder umsetzt, die bereits durch die Außenwelt an einen herangetragen wurden. Ich würde ihnen zu einem stärkeren Medikament raten. Außerdem sollten sie Abends unbedingt auch noch eine Schlaftablette nehmen. Gesunder Schlaf ist...“
„Sie können mich mal mit ihren Tabletten! Damit wollen Sie mich doch nur ruhig stellen. Ich will Antworten! Verstehen Sie? Antworten! Ich kam zu Ihnen, damit sie mir helfen meine Karriere als Anwalt zu retten. Und jetzt bin ich ein Wrack. Ich kann nicht mehr schlafen, mich nicht mehr konzentrieren und frage mich ständig, ob ich gerade verrückt werde oder ob ich es schon längst bin. Vielen Dank, Doktor Schwartz! – Aber ich suche jetzt wo anders Hilfe.“
„Wenn Sie die Behandlung jetzt abbrechen, schaffen Sie sich noch größere Probleme, Adam.“
„Doktor Schwartz, Guten Tag!“
Adam brach das Gespräch ab. Dann packte er mit einer schnellen Bewegung seinen Mantel und eilte zur Tür hinaus.


Fünfzehn Minuten später betrat Adam sein Apartment. Er überprüfte alle Zimmer, um sich zu vergewissern, dass nichts und niemand während seiner Abwesenheit in seine Wohnung eingedrungen war. Dann warf er seinen Mantel achtlos über einen Stuhl. Gerade wollte er sich eine Zigarette anzünden, als es an der Tür klingelte. Erschrocken fuhr Adam zusammen.
Es klingelte wieder, und wieder.
Seine Nackenhaare stellten sich auf.
Auf Zehenspitzen schlich er zur Tür und warf einen Blick durch den Spion. Ein kalter Schauer durchflutete seinen Körper, und seine Beine drohten zu versagen. Vor der Tür stand der Mann mit dem schwarzen Hut der in seinem Schlafzimmer gewesen war. Der Mann in Schwarz hob den Kopf, und trotz der dunklen Sonnenbrille, und obwohl es unmöglich war, durch den Türspion von außen nach innen zu sehen, spürte Adam, dass ihn der Mann anstarrte.
Heiße Panik durchfloss ihn.
Wie ferngesteuert machte er zwei langsame Schritte rückwärts und entfernte sich von der Tür.
Klick!
Das oberste seiner fünf Türschlösser sprang, wie von Geisterhand geöffnet, auf. Fassungslos starrte er das Schloss an, als sich auch schon der zweite Riegel auftat.
Klick!
Wie ein Blitz schoss es Adam durch den Kopf: „Die Waffe.“
Er eilte zum Schlafzimmer. Kurz bevor Adam den Nachttisch, auf dem die 45er lag, erreicht hatte, hörte er wie sich das dritte Schloss öffnete.
Klick!
In Todesangst schnappte er sich die Waffe und rannte zurück zur Wohnungstür. Währenddessen entriegelte sich das vorletzte Schloss.
Klick!
Adam baute sich, mit der Pistole im Anschlag, vor der Türe auf und legte an - in Kopfhöhe.
Es vergingen zähe Sekunden, die Adam wie Stunden vorkamen. Er atmete schwer. Sein Blut drohte zu verkochen, sein Herz hatte Mühe schnell genug zu pumpen.
Klick!
Das letzte Schloss war aufgesprungen. Die Tür schwang wie in Zeitlupe auf. Da stand dieser unheimliche Mann im schwarzen Anzug auf der Türschwelle. Eine unnatürliche Kälte durchflutete augenblicklich den Raum. Es war, als ob die Zeit stillstehen würde. Adam hielt die Luft an.
Schuss!
Adam traf ihn – mitten ins Gesicht.
Der Kopf des Fremden wurde nach hinten gerissen, doch im nächsten Augenblick fixierte er Adam wieder, als wäre nichts geschehen. Keine Wunde, kein Blut.
„Warum mussten Sie auf mich schießen, Herr Hellinger?“
Der Mann in Schwarz machte er einen bedrohlichen Schritt auf Adam zu.
Schuss!
Er traf den Bauch des Mannes. – Keine Reaktion.
„Sie haben es schon wieder getan.“
Wieder kam der schwarz Gekleidete einen Schritt näher.
Schuss!
Diesmal erwischte die Kugel den Fremden in der Brust. – Keine Reaktion.
„Jetzt hören sie endlich auf damit!“
Mit einem weiteren Schritt kam der unheimliche Mann Adam so nah, dass die Mündung der Pistole nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Mit einem Schrei der Verzweiflung schoss Adam das ganze Magazin leer.
Der heiße Lauf der Waffe verbreitete hellen Qualm.
Adam stand wie paralysiert da.
Unbeeindruckt streckte der Fremde die rechte Hand aus. Ohne die Pistole zu senken, blickte Adam auf die Hand des Unbekannten. Dieser ließ langsam neun Projektile durch seine Finger vor Adams Füße fallen.
„Können wir jetzt reden?“, fragte der Fremde.
Adam ließ die Waffe wie in Trance sinken und starrte fassungslos auf die vor ihm auf dem Boden liegenden Patronen. Dann berührte ihn der Mann in Schwarz mit seiner Hand unvermittelt an der Schulter. Reflexartig schlug ihm Adam mit dem Griff der Pistole auf die Nase.
Er traute seinen Augen kaum, als der Fremde zwei Schritte zurück taumelte und bewusstlos auf dem Teppichboden zusammenbrach.
Adam starrte abwechselnd auf den Besinnungslosen und auf den Griff seiner 45er.
„Jetzt träum ich, oder? – Doktor Schwartz! Ich muss Doktor Schwartz anrufen.“
Adam drehte sich um und fixierte das Telefon, das etwa fünf Meter hinter ihm auf einem Servierwagen lag. Ohne den Mann in Schwarz aus den Augen zu verlieren, näherte er sich rückwärts dem Aparrat. Im Stakkato hämmerte er auswendig die Nummer seines Psychiaters in die grün leuchtende Tastatur.
Adam hörte das Freizeichen, als neben ihm plötzlich ein Mobiltelefon zu klingeln begann.
Er fuhr zusammen. Aus der Manteltasche des am Boden liegenden Fremden ertönte ein digitaler Signalton.
„Nein, nein. Das kann nicht sein. Völlig unmöglich.“
Prüfend schaltete er sein Telefon ab. Zeitgleich verstummte auch der Klingelton.
„Doktor Schwartz hatte Recht. Ich bin verrückt. – Ich werde ihn jetzt anrufen, ihm sagen dass er Recht hatte und für morgen einen Termin vereinbaren.“
Er wählte erneut die Nummer seines Psychiaters. Dann deutete er mit dem Zeigefinger auf den Bewusstlosen: „Ich rufe jetzt Doktor Schwartz an. Und es ist gut, dass es so was wie Dich in Wirklichkeit gar nicht gibt.“
Kaum war die Nummer gewählt, ertönte erneut das Mobiltelefon des Mannes in Schwarz. Jäh wurde Adam in die Realität zurückgeschleudert. Kreidebleich und zitternd ließ er den Hörer fallen. Er stürzte auf den Fremden zu, riss ihm Hut und Sonnenbrille vom Gesicht und starrte entgeistert in das Antlitz seines Psychiaters – Dr. Schwartz.“
Unerwartet riss der Arzt sein Augen auf.
Adam schreckte zurück.
Es war weder etwas Weißes noch eine Iris in den Augen zu erkennen, sie waren schwarz – tief schwarz.
„Sie brauchen nichts zu sagen, Adam. Ich kann hören, was sie denken. Sie haben ganz Recht, ich bin kein Mensch.“
Der Doktor bewegte seine Lippen nicht, doch seine Stimme bohrte sich tief in Adams Gedanken. Er wurde telepathisch angesprochen.
„Ich bin auch keiner von ihnen. Aber die Grauen und ich haben denselben Auftrag.“
„Auftrag? Was für ein Auftrag? Was wollen sie von mir?“
„Wir haben bereits, was wir wollten.“
Dr. Schwartz stand auf, bückte sich, hob Hut und Sonnenbrille wieder auf und verdeckte damit sein Gesicht. Dann streckte er die rechte Hand aus und berührte Adam an der Stirn.
„Sie werden jetzt in einen tiefen Schlaf fallen und sich morgen an nichts mehr erinnern.“
Adam schlug abrupt Schwartzes Hand weg.
„Kommen Sie mir jetzt nicht damit! Ich will endlich alles wissen. Die Wahrheit!“
„Die Wahrheit? – Die Wahrheit könnten Sie nicht ertragen. Jetzt nicht!“
„Ich will es wissen. Jetzt!“
Schneller als es das menschliche Auge hätte erfassen können, packte Schwartz Adam am Hals und zog ihn an sich heran – so nah, dass sich ihre Nasen fast berührten.
„Sie sind einer von Vielen. Wir beobachten Sie seit Ihrer Geburt. Sie waren schon hunderte Male bei uns. Wir verfolgten Ihre Entwicklung und studierten Ihren Körper bis ins kleinste Detail. Wir kennen Sie besser als Sie sich selbst – Ihr Zellgedächtnis, Ihre Gene. Und in Ihrer Seele können wir lesen wie in einem Buch. Wir lesen sehr schnell, Adam. Sie gehören zu den Auserwählten. – Sie wissen gar nicht wie wertvoll sie für das Überleben ihrer Rasse sind. – Hören Sie zu! – Wir nahmen Ihren Samen.“
Adam verstand und ein emotionaler Schock ließ ihn vom Kopf bis in die Fingerspitzen erzittern. Schlagartig standen ihm die Tränen in den Augen. Er blickte Schwartz fragend an. Dieser nickte bejahend, dann ließ er Adam los. Kraftlos sackte dieser in die Knie.
Nach einem für Adam schier endlosen Moment des Schweigens fragte Schwartz: „Wollen Sie sie sehen?“
„Ja.“, antwortete Adam, während seine Stimme zu versagen drohte.
Schwartz nickte kurz, hob dann langsam beide Hände und streckte sie gen Himmel, und es manifestierten sich binnen weniger Sekunden drei der grauen Außerirdischen mit den großen Köpfen und den riesigen, schwarzen Augen.
Die Wesen hielten jeweils ein Kind an der Hand – zwei Mädchen und einen Jungen. Die Kinder wirkten zart und zerbrechlich. Abgesehen von ihren übergroßen Augen und der extrem blassen Haut, sahen sie menschlich aus. Als Adam sie sah, überkam ihn eine Welle von liebevollen Gefühlen, wie sie nur Eltern für ihre Kinder haben können.
Der noch immer am Boden kniende Adam öffnete, weinend vor Glückseeligkeit, seine Arme. In diesem Moment vernahm er telepathisch die Stimmen der Kinder, die auf ihn zu liefen.
„Spiel mit mir!“
„Ich habe dich so vermisst!“
„Bleibst Du jetzt für immer bei uns?“
Die Hybridkinder ließen sich in Adams ausgebreitete Arme fallen. Mit Tränen der Freude in seinen Augen drückte er seine Kinder in tiefer väterlicher Liebe an sich.
Doch in diesem Moment beugte sich Schwartz über die Szene.
„Genießen Sie den Augenblick, Adam! Es wird einige Jahre dauern, bis Sie sie wiedersehen werden.“
„Ich... ich will bei ihnen bleiben! – Bitte!“
Schwartz aber legte Adam die rechte Hand auf die Stirn.
„Sie werden jetzt einschlafen und sich morgen an nichts mehr erinnern. Ich sagte Ihnen ja schon: Sie sind jetzt noch nicht bereit dafür.“
Adam versank in einem traumlosen, tiefen Schlaf.


„Und bevor die Rasse neu erbaut ist, kommt eine Silberschlange zu Besuch
Und speit Menschen aus, um zu mischen was auf der Erde jetzt wächst.
Um zu vermischen und ihnen zu zeigen, wie sie leben und lieben.
Und die Kinder ausstatten mit der zweiten Sicht. Eine natürliche Sache.
Sich graziös entwickeln und demütig sein.
Wenn das getan ist, wird das goldene Zeitalter anfangen.“
aus den Prophezeiungen von Mother Shipton (1488-1561)

 

Ich muss gestehen, ich weiß nicht wirklich, was ich mit dem Thema anfangen soll. Kleine graue Menschenentführer und Hybridproduzenten ohne innovativen oder satirischen Twist (verpasse ich selbigen womöglich gerade?) sind für sich genommen nicht mehr wirklich kurzweilig.

Da hilft es allerdings enorm, dass die Geschichte sich sehr flüssig und unterhaltsam liest. Dein Erzählstil ist wirklich angenehm und kitzelt auch aus dem ausgelutschten Thema noch etwas Spannung heraus. Man gewinnt zumindest Lust, die Geschichte zu Ende zu lesen. Ich bin mir bei genauerer Betrachtung offen gestanden gar nicht sicher, ob ich nicht vielleicht doch irgendetwas Zynisches oder Satirisches an der Geschichte verpasse, denn handwerklich wirkt das schon zugegeben sehr rund.

 

Hi MarioD!

Ich kann Marco Kaas nur zustimmen, was den handwerklichen und inhaltlichen Eindruck angeht. Wobei meine These eher ist, dass du die Story eher als Schreibübung siehst oder für einen 08/15-Schreibwettbewerb eingereicht hast, bei dem Originalität nicht gefragt ist.
Auch wenn das mit den geister- und klischeehaften Außerirdischen und dem Sonnenbrillenmann, dem Kugeln nichts ausmachen, der bei einem Nasenstüber aber zusammenbricht, schon etwas Komisches hat. Damit Satire erkennbar ist, musst du das Thema aber schon etwas mehr ins Lächerliche ziehen.
Das Prophezeiungszitat am Ende finde ich ein wenig überflüssig. Damit bekommt das Ganze einen etwas "geschwollenen" Aufsatz, als würde die Story sich über Gebühr wichtig nehmen. Das nimmt ihr jedoch keiner ab.

Ein paar Mal vergisst du, die Anrede "Sie" groß zu schreiben, z. B.:

Ich kann hören, was sie denken.

Sie wissen gar nicht wie wertvoll sie für das Überleben ihrer Rasse sind.

Wenn du übrigens mehr Feedback willst, könntest du dich an der Diskussion um die Story natürlich auch etwas mehr beteiligen. ;)

Tschüss, Megabjörnie

 

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