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Silberne Hochzeit

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01.08.2002
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Silberne Hochzeit

Eilig lief ich zur anderen Theke um ein neues Glas Wodka zu füllen. Es war bestimmt schon das zehnte Mal, dass ich zur anderen Theke laufen musste. Es war jeden Abend das gleiche. Ich stand neugierig hinter der Theke, um die ganzen „Homos“ zu beobachten, wie sie in die Nacht feiern. Es ist oft angenehm zu beobachten, wie „anders“ solche Leute mit sich selber und ihrer Sexualität umgehen. Außerdem ist es für Frauen nur von Vorteil in einer Schwulen-Disco zu jobben, denn da wird man nicht dauernd nach der Telefonnummer gefragt oder ungewollt am Hinterteil begrapscht. Mein vier Jahre älterer Bruder war mittendrin.

Es macht mich glücklich zu sehen, welchen Spaß er daran hat, mit der Menge mitzugehen. Hier ist jeder genauso wie er. Hier gibt es keinen, der ihm auf der Straße nachtuschelt oder schief anschaut. Noch vor ein paar Tagen streifte er mit seinem Freund die Straßen Frankfurts entlang und eine ältere Dame sagte leise: „Guck mal die Schwulen. Wie dich sich in der Öffentlichkeit präsentieren ist eine Unverschämtheit. Zur meiner Zeit hätte es so etwas nicht gegeben.“ Er geht damit ganz gut um und beachtet solche niveaulosen Kommentare von Passanten überhaupt nicht. Meine Eltern sind da aber jedoch einer ganz anderen Auffassung. „Ich schäme regelrecht einen schwulen Sohn zu haben. Der hat nichts auf meiner silbernen Hochzeit verloren. Ich würde das Gespött aller Leute sein.“ sagte mein Vater in wütender Stimme zu mir als wir über den Planungen für den feierlichen Anlass saßen. „Papa, er ist immerhin noch dein Sohn. Du hast kein Recht ihn zu verachten, nur weil er nicht auf Frauen steht.“ Ich rege mich jedes Mal auf, doch immer ohne Erfolg. Für mich persönlich macht es keinen Sinn mehr, meinen Vater eines Besseren zu belehren. Ich habe das Gefühl, dass er mit einer geschlossenen Brille durch sein eintöniges, oft egoistisches Leben läuft. Meine Mutter dagegen steht voll und ganz zu der Sexualität meines Bruders. Sie hat deswegen des Öfteren auch Streit mit meinem Vater.

Bei lauter Musik, Blitzlicht-Geflacker blieb es mir immer noch fraglich warum mein Vater meinen Bruder so verachtet. „Ich werde jetzt gehen, da ich morgen noch ein Vorstellungsgespräch bei der neuen Werbefirma habe. Rufst Du mich morgen an?“ Ich wollte ihm noch gerade hinterher rufen, dass ich ihm viel Glück wünsche, aber er war zu schnell. Ein Strahlen in seinen Augen war zu erkennen. Er war so glücklich, dass die neue Werbefirma ihn zu einem persönlichen Bewerbungsgespräch einlud. Wenn die Werbefuzzies seine Kreativität und sein Durchsetzungsvermögen morgen nicht positiv begutachten, dann haben die keine Ahnung von einem guten Werbekaufmann. Ihm macht es Spass, neue Konzepte zu entwickeln und kreativ zu sein.

Als auch die letzen Gäste die Disco verließen, beschloss ich, noch schnell die tägliche Abrechnung zu erledigen und anschließend nach Hause in mein Bett zu springen. Morgens die langweiligen Vorlesungen an der Universität, mittags die Kommentare meines Vaters und abends die ständige Lauferei von der einen Theke zur anderen. Das schlaucht einen ganz schön - man wird schnell unausgeglichen und müde. Nach der letzten abgerechneten Quittung konnte ich endlich die Disco verlassen und nach Hause gehen. Ich lag in meinem Bett und lies den Tag in meinen Gedanken noch etwas Revue passieren, bis ich dann endlich einschlafen konnte.

Am nächsten Morgen stand ich in der Küche, um mir einen Kaffee zu machen, als es an der Tür klingelte. „Hoffentlich sind es noch nicht meine Eltern. Sonst bemerken sie, dass ich mal wieder eine Vorlesung schwänze!“ dachte ich mir. Aber es war mein Bruder. Ich war erleichtert und guckte ihm mit erwartungsvollen Blicken an, da er mir bestimmt das Resultat seines Bewerbungsgespräches mitteilen wollte.
Er sagte mit trauriger, zugleich tränendicker und grotesker Stimme: „Herr Siebenhofer, es tut uns leid aber es passt einfach nicht zu unserem „Image“ homosexuelle Mitarbeiter zu beschäftigen.“ Ich traute meinen Ohren nicht, als ich das zu hören bekam und nahm meinen Bruder tröstend in die Arme. „Wieso können Menschen nur so verachtend und bescheuert sein?“ „Frag nicht es gibt halt solche Menschen. Damit muss ich eben leben.“ sagte er mit Tränen in den Augen. Er hat sich doch so sehr auf diesen Job gefreut. Und nun das! Ich konnte es einfach nicht begreifen und fragte mich selber, warum es solch eine Ungerechtigkeit noch geben kann. Ich werde es wohl auch nie verstehen.

2 Wochen später begannen die großen Vorbereitungsarbeiten für die silberne Hochzeit meiner Eltern. Natürlich musste kräftig mit angepackt werden. Ich und mein Vater waren alleine in diesem großen Raum, in den 150 Leute passen sollten und ich wollte gerade eine Frage stellen, als er mich unterbrach: „Nicci, hör endlich damit auf. Ich will nicht, dass Sebastian zu meiner silbernen Hochzeit kommt. Und dabei bleibt es.“ Ich unterbrach meinen Vater mit schreiender Stimme: „Du sagst immer ‚meine‘ silberne Hochzeit. Es ist auch Mamas Jubiläum. Wieso bist Du nur so egoistisch? Hast du Angst oder Scham deinem eigenen Sohn in die Augen zu schauen? Traust du dich nicht, ihm selbst zu sagen, wie sehr du dich für ihn schämst? Dafür bist du wohl zu feige.“ Ich warf die Girlanden, die mit silbernen „25-Zahlen“ bestickt waren, zu Boden und verließ den Raum.
„Du kannst auch zu Hause bleiben“ rief er mir noch hinterher.

Als ich fassungslos auf meiner Couch saß und lustlos in den Fernseher glotzte, klingelte mein Telefon. „Nicci, hast Du kurz Zeit für mich?“ fragte mein Bruder mit aufgelöster und aufgeregter Stimme. „Komm vorbei! Mama und Papa sind nicht zu Hause.“ sagte ich beruhigend und legte den Hörer auf meinen Tisch. Seine Hektik verwunderte mich und ich war gespannt, warum er mich so dringend sprechen wollte.
Schnell bekam ich eine Antwort auf meine Frage, als Sebastian mit blassem Gesicht und Tränen in den Augen vor mir stand. „Nicci, ich liebe dich!“ schluchzte er und ich fragte, was denn überhaupt los sei. „Ich, ich, ich war gerade bei meinem Arzt und habe einen AIDS-Test machen lassen. Ich bin HIV-positiv!“ erklärte er mir. Mir wurde ganz übel, ich stand mit aufgerissenem Mund vor ihm und mir schossen tausende Gedanken durch den Kopf. Was ich in diesem Moment genau gedacht habe, weiß ich gar nicht mehr. Alles war so hektisch in meinem Kopf - durch und durch. „Was? Warum? Wieso?“ fragte ich ihn. „Ich habe den Test gemacht, weil ich vor 2 Wochen mit einem anderen geschlafen habe. Erinnerst du dich noch? Ich war plötzlich schnell verschwunden.“ - „Ja, ich erinnere mich. Aber wieso hast du mir nichts von diesem Test erzählt?“ fragte ich erwartungsvoll. „Ich wollte dich nicht noch mit meinen Problemen unnötig belasten. Nicci, AIDS kann man nicht heilen. Ich werde sterben.“

Ich nahm ihn in den Arm und fing erst 10 Minuten später bitterlich an, zu weinen. Erst da begriff ich langsam, was überhaupt los war. „Wir schaffen das!“ versuchte ich ermunternd zu sagen. „Mein Schicksal ist bestimmt. Wieso ich?“ Ich verstand es genauso wenig wie er und ich dachte die ganze Nacht immer noch, dass ich in einem schlechten Film gerade die Hauptrolle spielen würde. Meine Eltern feierten gerade ihr 25jähriges „Bestehen“ und ich lag mit meinem AIDS-kranken Bruder im Bett. Ich bin aus Trotz nicht hingegangen. Meine Mutter bettelte mich später am Telefon noch an, aber auf den Anblick meines Vaters wollte und musste ich verzichten.

Die ganze Nacht lag ich mit offenen Augen im Bett und beobachtete meinen Bruder im Schlaf. Als ich endlich um ca. 5 Uhr quälend einschlief, wurde ich durch einen Schuss plötzlich geweckt. Ich schreckte auf und knipste das Licht an. Ich konnte den Schalter kaum finden, weil meine Hände stark zitterten. Dann fand ich meinen Bruder neben mir – mit offenen Augen. Er hatte sich selbst erschossen, weil er todkrank war und ihn keiner akzeptiert hat, so wie er ist.
Ich schloss seine starren Augen mit meinen Händen und die Silberhochzeit war zu Ende.

In dieser Geschichte handelt es sich um erfundene Personen. Ich habe ein Bruder. Er ist aber nicht schwul und tot.
Ich will mit der Geschichte nur ausdrücken, wie ungerecht und verachtend die Gesellschaft mit homosexuellen Menschen umgeht.

Bin gespannt auf Eure Antworten & Kommentare!!!

 

Hallo LaDitaXX und erstmal willkommen bei kg.de!

Deine Geschichte behandelt ein ernstes und interessantes Thema, über das es sich lohnt zu schreiben und auch zu lesen, um die Meinung mancher Menschen in Bezug auf Homosexualität zu ändern.
Schließlich haben diese Menschen im Grunde genommen genau dieselben Gefühle wie andere, nur eben für das andere Geschlecht.

Du wolltest mit dieser Geschichte unsere Gesellschaft kritisieren und ich glaube, dass dir das durchaus gelungen ist.

Auch finde ich, dass die Story sehr realistisch erscheint, da sie in gewisser Weise aus dem wirklichen Leben gegriffen ist und es solche Gedanken und Geschehnisse täglich gibt.

Insgesamt denke ich also, dass die Geschichte, vor allem in Hinsicht auf die behandelnde Thematik, gut gelungen ist.

Viele Grüße, Michael :)

 

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