Signallos
Ronald und Rita saßen auf der Terrasse und genossen den sonnigen Nachmittag bei einem Eiscafe. Sommerferien. Die schönste Zeit im Jahr.
Ihre Kinder, Pia und Jonas, kamen angestürmt.
"Wir haben bei der Ferienfreizeit die Schnitzeljagd mit GPS gewonnen!"
"Das war richtig schwierig aber auch sehr spannend", Pia hatte ganz rote Wangen vor lauter Aufregung.
Sie erzählten ihre Erlebnisse, wie sie die einzelnen Etappen mit Hilfe von GPS mit ihrem Handy gemeistert hatten.
"Wir haben von dem Sportgeschäft als 1. Preis einen Gutschein im Wert von 2.500 Kronen gewonnen!", Jonas legte den Gutschein auf den Tisch.
"Gratuliere!", Rita stand auf, umarmte ihre Kinder und gab ihnen einen Kuss.
Ronald blätterte in der Lokalzeitung und wurde auf eine Gebirgshütte aufmerksam, die der Jagd- und Fischereiverband annoncierte.
"Was haltet ihr davon, wenn wir uns zum Wochenende eine Gebirgshütte mieten?"
Diese Hütten waren meist nur zu Fuß zu erreichen, hoch oben im Gebirge, oft an einem See.
Nicht groß, sehr einfach und schlicht eingerichtet mit Tisch und Stühlen, Etagenbetten, Holzofen und Petroleumlicht. Schlafsack und Verpflegung mussten mitgebracht werden.
"Man muss auf die Webseite", maulte Ronald, "um sich weiter zu informieren. In dieser Welt geht ohne Internet gar nichts mehr, selbst eine einfache Gebirgshütte kann man nur dort buchen", meckerte Ronald weiter, "früher konnte man sich telefonisch informieren und dann auch gleich buchen."
Ronald benötigte in seinem Beruf als Elektroinstallateur das Internet überhaupt nicht.
Seine Kinder waren ständig mit Facebook, Twitter und Co. zu Gange. Andauernd starrten sie auf ihr Handy und fummelten unaufhörlich damit herum, was Ronald schon oft auf die Palme brachte.
In den Augen von Jonas blitzte es.
" Papa, das wäre voll cool", rief Jonas ganz aufgeregt, "wir könnten auch angeln. Soll ich den Laptop holen und nachschauen, ob was frei ist?"
Ronald nickte und alle warteten bis Jonas die Seite im Internet aufgerufen hatte.
Tatsächlich war am Wochenende die Hütte noch frei.
Alle schauten interessiert auf die Internetseite und waren sich einig, gleich die Hütte im Gebirge zu buchen. Ronald reservierte die Gebirgshütte mit seiner Kreditkarte. Ohne Geldkarten ging in diesem Leben auch nichts mehr. Seine alte Mutter nahm so eine Kreditkarte niemals in die Hand, sie hatte sie gleich , als die Bank sie ihr anbot, abgelehnt. Nur irgendwann würde es nur noch Karten geben, kein Bargeld mehr. Das fand Ronald ganz schlimm.
"Sieh Papa, hier sind die GPS Daten", Jonas notierte sich gleich die Angaben, wo die Hütte zu finden war.
"Ist das nicht toll, Pia, da können wir sie per GPS suchen?"
"Ich suche nachher lieber eine topografische Karte heraus", meinte Ronald.
"Brauchst du nicht, Papa", versicherte sein Sohn,"wir haben gerade den GPS Wettbewerb gewonnen!"
Samstag Nachmittag. Schon seit einigen Stunden waren sie mit ihren Rucksäcken bepackt unterwegs zur Gebirgshütte. Zunächst ging es durch ein lichtes Gebiet mit Tannen, Kiefern, Birken, und Espen ständig bergauf. Plätschernd schlängelte sich ein Bächlein ins Tal. Als sie die Baumgrenze erreichten, erblickten sie eine riesige, felsige Hochebene mit niedrigen Bewuchs; Zwergbirken, Heide und Beeren aller Arten wechselten sich ab, unterbrochen von einigen kleinen Seen, weit entfernt ging es weiter bergauf zu den Gletschern, die majestätisch vor ihnen lagen. Irgendwo dort in dieser Hochebene musste die Gebirgshütte an zwei kleinen Seen liegen.
Jonas hatte vor einer Stunde gestanden, dass er die Hütte per GPS nicht finden konnte.
"Wahrscheinlich hatte ich zeitweise keinen Empfang", bemerkte Jonas niedergeschmettert.
Ronald hatte noch im Kopf, dass die Gebirgshütte zwischen zwei Gletscherseen lag. Aber bisher tauchten keine zwei Seen auf.
"Hätte ich nur die topographische Karte mitgenommen, dann wäre das nicht passiert. Auf diesen technischen Kram kann man sich einfach nicht verlassen, man ärgert sich nur ", fluchte Ronald.
Er war so richtig stinkig, schlecht gelaunt und zog entsprechend ein Gesicht dazu.
Jonas lief herum, wie ein begossener Pudel.
"Jetzt ist aber Schluss, ihr Zwei. Wir hatten so einen schönen Tag und haben ihn immer noch", schimpfte Ruth ihren Mann und Sohn aus, "es ist doch kein Beinbruch, wenn wir die Hütte nicht finden."
Pia stimmte nickend ihrer Mutter zu.
Ronald umarmte grinsend seinen Sohn, der lächelte, dann lachten alle herzlich und befreiend.
"Kommt, bei der Tannengruppe da vorne bauen wir unser Lager auf, da sind wir vor dem Wind geschützt", fröhlich steuerte Ronald auf den ausgewählten Platz zu.
"Habt ihr auch so einen Hunger, wie ich?", fragte Ronald seine Familie.
"Und wie!", brüllten alle.
Ronald zog den kleinen Campinggrill mit Gaskartusche aus seinem Rucksack und Ruth kramte eine Packung Grillwürstchen, gekochte Kartoffel in Öl und Kräuter eingelegt, hervor. Ronald legte alles auf den Grill.
"Voll cool", Pia und Jonas waren ganz begeistert, was die Eltern so alles aus den Rucksäcken zauberten.
Es duftete herrlich und alle konnten es kaum erwarten, bis die wunderbaren Köstlichkeiten fertig waren.
Schmatzend genoss Jonas seine dritte Wurst. "Das schmeckt vielleicht gut".
"Und jetzt gibt es noch Apfelkuchen", Ruth holte noch ein Päckchen aus ihrem Rucksack.
"Oh Klasse, Mama!", sie liebte den Apfelkuchen ihrer Mutter und gab ihr anerkennend einen Kuss.
Nachdem alle total satt waren, saßen sie noch eine Weile beisammen und genossen die Aussicht über das weite, schöne Hochtal.
Die Sonne stand im Westen als großer Feuerball am Horizont und leuchtete die Gletscher noch feuerrot an, um gleich hinter dem Berg zu verschwinden.
"Ich bin so müde, Kinder!", Ronald gähnte herzhaft.
Die Schlafsäcke und Isomatte wurden ausgepackt. Jeder zog seinen Trainingsanzug an. Ruth hatte darauf bestanden, dass alle sie mitnehmen mussten. Es konnte hier oben in 1200 Meter Höhe selbst im Sommer sehr kühl werden.
Alle wünschten sich eine Gute Nacht und kuschelten sich in die Schlafsäcke.
Die ganze Nacht blieb der Himmel hell, gegen 3.00 Uhr ging im Osten am Horizont die Sonne wieder in die Höhe.
Ruth beobachtete das fasziniert. Sie konnte auf dieser harten Isomatte nicht schlafen und lauschte den Geräuschen der hellen Nacht. Vögel zwitscherten immer fort, ein Bach plätscherte in der Nähe und das Kreischen eines Tieres war in der Ferne zu hören.
Um 5.00 Uhr, die Sonne wärmte schon kräftig, zogen Mutter und Sohn mit ihren Angeln zu dem kleinen See, tatsächlich fingen sie vier mittelgroße Fische.
"Das habt ihr toll gemacht!", Ronald freute sich so sehr über die Fische, nahm sie gleich aus, legte sie auf den Grill und machte dazu noch Knusperbrotscheiben. Pia kochte Tee und Kaffee.
Dieses köstliche Frühstück schmeckte allen ausgezeichnet an diesem strahlenden, warmen Sommermorgen hier hoch oben im Gebirge .
Klar in der Gebirgshütte wären die Betten bequemer und vor allem nicht so kühl gewesen. Pia meinte, halb erfroren zu sein. Die Natur so pur zu erleben, kannte Ronald noch von früher. Er war oft auf Rucksack- und Angeltour mit seinem Vater unterwegs gewesen. Ruth und die Kinder hatten das bisher noch nicht erlebt. Die ganze Familie war sich einig , dass der nicht so geplante Ausflug, aussergewöhnlich schön und abenteuerlich gewesen war. Sie packten wieder alle mitgebrachten Dinge in die Rucksäcke.
"Hoffentlich finden wir den Parkplatz ohne GPS!", lachend knuffte Pia ihren Bruder in die Seite.
Alle mussten lachen und begaben sich dann fröhlich mehrere Stunden immer abwärts zurück zum Parkplatz.
Sie kamen noch an einer alten Fanggrube vorbei, die nur dürftige Informationen auf einem Schild lieferte. Ronald wollte, wenn er zu Hause war, das noch einmal im Lexikon ausführlich nachlesen. Jonas bevorzugte im Internet lieber Wikipedia .
Ronald und die Familie waren sich einig, im kommenden Sommer wollten sie die Gebirgshütte noch einmal mieten, aber dann nur mit topografischer Karte ins Gebirge gehen. Für sie alle war klar, diese moderne Technik ist nichts für wilde, unberührte Gebirgslandschaften.