Siedepunkt
Jahrelanges lügen bringt es nicht mehr.
Sie haben entschlossen es zu beenden. Trennung. Seit elf Jahren sind sie nun verheiratet, vorher neun zusammen gewesen. Ihre gescheiterte Ehe hinterlässt ein Kind, um das es sich nun zu streiten gilt.
Beide versuchen schon im Vorfeld, ihre Tochter so gut es geht zu beeinflussen.
Doch diese weiß noch gar nichts von der Scheidung. Sie hat keine Ahnung, dass schon alles über ihren Kopf hinweg entschieden wurde.
Die Tochter Laura ist neun Jahre alt. Sie liebt ihre Eltern über alles.
Sie ahnt nichts, als ihre Eltern sie ins Wohnzimmer rufen.
Es ist eine ziemlich verkrampfte Angelegenheit. Die Eltern haben schon vorher stundenlang diskutiert, sitzen sich nun mit verschränkten Armen gegenüber.
Laura setzt sich.
„Sag’s ihr!“, zischt der Vater zur Mutter.
Laura schaut interessiert zu ihrer Mutter.
„Sag’s ihr doch selber“, sagt die Mutter zum Vater.
Es herrscht eine bedrückende Stille in dem kleinen Wohnzimmer.
Da fängt der Vater an. In einem so ungeheurem Tempo, dass Laura ihm kaum folgen kann.
Sie wollen sich scheiden lassen, er habe schon alles geplant, schönes Haus an der See, neue Freundinnen, er habe sogar schon einen „Ersatz“ für Mama...
Mitten im Satz unterbricht ihn die Mutter. Sie wollten sich zwar scheiden lassen, aber Laura hat keine Schuld, sie hätten einfach gemerkt das sie nicht zusammen passen.
Sie hätte schon alles vorbereitet, eine kleine Wohnung in der Stadt habe sie nur, allerdings reiche sie für die beiden. Sie könne Papa auch jederzeit besuchen. Und sie solle sich doch bitte selber entschieden, bei wem sie wohnen.....
Laura fängt an zu schreien. Sie hat das Gefühl, ihr Schädel würde auseinander platzen.
Sie läuft aus dem Haus. Kalt weht der Herbstwind durch ihre dünne Kleidung. Weinen läuft sie an den kleinen Bach, an dem sie sonst mit ihren Freundinnen spiel. Aber heute ist keiner dort. Ganz alleine, nur in Hausschuhen und ohne eine Jacke, klettert sie im Herbstwind auf ihren Lieblingsbaum. In sechs Meter Höhe setzt sie sich auf eine Astgabel.
Der Wind weht ihre Tränen fort.
"Sie passen nicht zusammen, aber mich haben sie trotzdem in diese Welt gesetzt. Sie müssen es doch auch schon früher gemerkt haben. Was nicht passt, passt nicht, man merkt das doch!!!", denkt sie
Auf der alten Eiche verlernt sie das weinen.
Sie will nie wieder nach Hause, will davon fliegen.
Sie lehnt sich weiter nach vorne. Sie schwitzt, ist wirklich kurz davor.
Laura springt nicht.
Ein paar Minuten später geht sie mit klaren Augen nach Hause zurück.
Ihre Eltern sitzen immer noch im Wohnzimmer.
Laura geht zu ihnen, sagt, es ist in Ordnung wenn ihre Eltern sich trennen. Verhindern kann sie es ja sowieso nicht. Ihr Blick ist hart und eiskalt.
Ein wenig Bedenkzeit erbittet sie sich. Laura weiß nicht bei wem sie wohnen will.
Sie hat ihre Eltern beide gleich doll gern und will mit beiden zusammen sein.
Aber das ist nie wieder möglich, dass weiß Laura.
Sie setzt sich unter die kalte Dusche.
Lauras Eltern sitzen im Wohnzimmer, jeder mit einem heißen Becher Tee in der Hand.
„ Sie hat es ja ganz gut aufgenommen“, sagt der Vater
„ Ja, ich glaube, Laura ist heute ein ganzes Stück erwachsener geworden“, erwidert die Mutter.