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Sieben Wochen Regenwetter

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08.01.2002
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Sieben Wochen Regenwetter

Sieben Wochen können manchmal eine lange Zeit sein. Wie viel sind sieben Wochen? Viele Gelegenheiten jemanden kennenzulernen, genauso oft bei der Falschen zu landen, und am Ende ist man doch wieder allein.
Jeden Freitag, von neun bis Mitternacht, kommt im Lokalradio eine Sendung zum "Zuhören und Daten", wie es ein Jingle nach jeder Werbeunterbrechung singt. "Mein Name ist Dieter, ich bin 36 Jahre alt, groß, schlank und sportlich", verkündet ein untersetzter Mann mit Bauchansatz aus jedem Radio im Umkreis von 40 km, der eine attraktive Sie sucht, die vor Spontanität auch mal das heiße Bügeleisen stehenlässt, oder wie soll man diese Eigenschaft sonst verstehen. "Ja Dieter, hast du auch Hobbys?" - fragt der gut gelaunte Moderator, um dann mit der Zuversicht von Susi eine Zusammenfassung für den Kandidaten zu erstellen, und ihn in die Nacht zu entlassen. Ob er dieses mal sein Glück findet?

Mario lag lustlos auf seinem Bett, und starrte nur durch das Fenster seiner kleinen Dachgeschoss-Wohnung; beobachtete die Flugzeuge, die nicht weit von seinem Haus starteten und landeten. Und genauso wie der Kondensstreifen, verblassen auch seine Gedanken, und erwachen bei jedem weiteren Flugzeug von neuem. Es war ein Samstag Vormittag, ein Morgen zum vergessen, kaum erwähnenswert; der Magen knurrte, der Kopf schmerzte noch von der letzten Freitagnacht, die er mit seinen Kollegen durchgefeiert, und mal wieder nicht genau wusste, wie er es eigentlich nach Hause geschafft hat. Dafür hat er jetzt auch Zeit, seit dem er mit seiner Freundin eine sogenannte Fernbeziehung über einige tausend Kilometer führt, -mehr oder weniger.
Draußen waren wieder die Möbelpacker zu hören. Schon wieder eine Räumung? - dachte sich Mario. Das passierte in diesem Haus hin und wieder, obwohl die Mieten hier noch erschwinglich sind, im Vergleich zu den Wohnungen im Zentrum der Stadt.
Er erinnert sich noch gut an die letzte Räumungsklage, und den unvermeidbaren Vollzug. Es war ein Künstler und Frauenliebhaber, der in seiner Wohnung oft lange Nächte hatte, und Mario lange Nächte bereitete. Am Ende verschwand er, ging nach Italien, wie man gehört hat; hinterließ seine gesamte Einrichtung, und den Schuhkarton, in dem er seine Rechnungen aufbewahrt hatte.
Sein ganzes Zeug wurde versteigert, um die Gläubiger wenigstens Teilweise befriedigen zu können, und Mario sah eine Gelegenheit, die nackte Porzellanfrau, die ihm aufgefallen war, als er sich mal ausgesperrt hatte, und bei diesem Nachbarn telefonieren musste, um den Schlüsseldienst zu holen, zu ersteigert. Natürlich waren auch wieder die Geier von den Antiquitätenläden unterwegs, um ihren verstaubten Vorrat aufzufrischen, und es dann überteuert zu verkaufen. Doch an dem Tag hatten sie kein Glück, im Gegensatz zu Mario, denn obwohl er zu Spät kam, stand die Figur noch da. Wahrscheinlich erschien sie ihnen zu sexistisch, und daher unverkäuflich. Es war eine hübsche, gut bestückte junge Frau, die auf den Knien stand, und zum ablegen von Kleinigkeiten ihre schmale Handfläche nach oben streckte. Auf der linken Ferse war gut zu sehen woher sie stammte, Made in Japan. Bei Mario stand sie neben dem Sofa, und diente zum Abstellen der Bierflasche, das fand er witzig.
Im Gegensatz dazu waren seine realen Frauenbeziehungen nicht so einfach. Seit einigen Wochen ist er wieder Solo.
Der letzten Beziehung trauert er noch nach, obwohl er dazu selbst kein Grund sieht. Mit ihr hat er die schönsten Erinnerungen, die heftigsten Streitereien, bis die Fetzten, und die Gläser flogen, aber auch die schönsten Versöhnungen. Sie war 19 Jahre alt, sechs Jahre jünger als Mario, stand kurz vor dem Schulabschluss, und kurz davor bei ihm einzuziehen. Es schien alles perfekt zu laufen; im Restaurant bestellten sie das selbe Essen, im Kino lachten sie an den selben Stellen, rauchten die gleichen Zigaretten, und sie konnten beide Verona Feldbusch nicht ausstehen, das fand Mario besonders sympathisch an ihr.
Einige Tage vor ihrem Geburtstag, dem 18., sah er an einer Landstraße, die er wegen einer Umleitung nehmen musste, an einem Silo eins von diesen illegalen Graffitis, auf dem zufällig I Love U Anna stand. Das war ein perfekter Auftakt zu ihrem Geburtstag, und eine Gelegenheit sich mal als Rebell zu beweisen, musste ja keiner Wissen, dass er es nicht war. Anna wusste es natürlich. Sie liebte solche Sachen an ihm, seine überraschende Art, seine Liebe zu ihr.

Sie sagte, dass sie was ändern müsste, sie muss ihn verlassen, sie muss sich selbst finden, etwas im Leben erleben, wenn ihr jetzt der Ausbruch nicht gelingt, dann ist es zu spät, und sie ist für Ewig in ihrem Alltag gefangen. So sprach sie oft, sie mochte es über ihr Leben, und das Dasein zu philosophieren: Macht es überhaupt einen Sinn, würde mich jemand vermissen, wenn ich nicht mehr da wäre, falle ich auf unter der Masse an verschiedenen Persönlichkeiten. Offensichtlich reichte es ihr nicht, dass Mario da war, es musste einen größeren Grund geben, um sie hier zu halten. Das offenbarte ihre oft verletzende Art von Egoismus.
Mario hat sich einigermaßen etabliert, glaubte, seine mittelfristigen Ziele festgelegt zu haben. Dagegen war Anna noch unentschlossen; wollte noch so viel von der Welt kennenlernen, wusste nicht, wie sie ihre unbegrenzten Möglichkeiten ausschöpfen könnte. Sie entfernten sich von Woche zu Woche immer mehr von einander, sprachen über eine Beziehungspause, dachten sogar über die Möglichkeit nach, sich auch mal mit Anderen zu treffen, eine zeitweilig offene Beziehung zu führen. Schließlich machte sie es kurz, schloss die Schule ab, und ging als Au-Pair Mädchen für ein Jahr nach Amerika, Kalifornien. Sie sagte, sie würde ihm gleich schreiben, sie würde ihm von der Gastfamilie berichten, vom Land und den Leuten erzählen, und ob es sich gelohnt hat.

Es ist Freitag, kurz vor Mitternacht. Der Radiomoderator verabschiedet seinen letzten Anrufer, die Musik spielt noch leise, "I will always love you" von Whitney Houston, und der Minutenzeiger überspringt die Zwölf. Die verflixte siebte Woche neigt sich dem Ende zu, Sieben ist nicht seine Glückszahl.

 

Hallo Pit Broody!

Na na, haben wir denn ein unglückliches Herzblatt-Opfer in unserer Mitte? :rolleyes:
Was soll man zu der Geschichte groß schreiben? Tausendmal gehört, tausendmal gelesen...


Hendek

 

Ok, Kritik akzeptiert.
Stimmt, das Thema ist nicht neu, aber bei der hohen Anzahl von Geschichten kann sich so manches wiederholen.

Ciao, Pit :)

 

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