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Sie
Noch habe ich es nicht abgeschickt - dieses jungfräuliche Wesen, in seidenem Gewand.
Tagelang habe ich Dich grossgezogen - umgestellt, gefeilt und wieder umgestellt.
Deine Existenz berechtigt Dein Dasein.
Sollte man Dich nicht immer annehmen, wie Du bist - egal mit welcher Behinderung?
Soll ich Dich den Pranken der kritischen Masse preisgeben - diesen Geiern mit ihren spitzen Schnäbeln, den Hyänen mit ihren gewetzten Krallen?
Ich könnte Dich schützen - einsperren in ewiger Dunkelheit.
Schon kreisen die Adler am Firmament und rucken mit ihren scharfen, schwarzen Augen unruhig hin und her.
Zeile für Zeile.
Zuerst werden sie sich langsam um Dich herum versammeln.
Warten, bis der Erste zuschlägt.
Warten, ob Gift und Galle versprüht wird oder doch der rote Saft herausrinnt.
Während Du - unschuldig, nichtsahnend - ihnen in die Augen schaust - ohne Furcht.
Dann schlagen sie sich auf eine Seite - conform, uniform.
Laut kreischend zählen SIE die Erbsen, spalten Haare - vermissen Kommas.
Bis wieder ein Kultusministerium Ihre kleine Welt zerstört.
Aber es wird nicht lange dauern und sie beherrschen wieder alle Regeln der Kunst.
Schreiten an dem Gebilde auf und ab - vermessen und wiegen - halten Farbstreifen gegen das Licht und schnauben den staubigen Geruch ein - mit ihren eitrigen Nüstern.
Jagen die Hexen - und verbrennen sie.
Ertränken und ersticken sie.
Teeren und federn sie.
Und dann, wenn nur noch das zerfetzte Kleid über dem zerschundenen Körper liegt, heben sie sich empor und suchen sabbernd nach neuen Opfern.
Aber ich kann nicht anders.
Will sehn, wie Du zappelst, windest, versuchst zu entkommen.
Ich drücke ab.