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Sie wollte halt nur nett sein
Jeden Morgen wenn ich die Haustüre öffne wünsche ich mir, ich würde auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Baustelle vorfinden. Die dürfte ruhig stauben
und auch Lärm machen, sogar ordentlich, aber jeden Tag werde ich aufs Neue
enttäuscht. Ich habe bereits mehrere Stoßgebete losgeschickt, auf den mir zugeflogenen Marienkäfer mit den sechs Punkten und das vierblättrige Kleeblatt gehofft, auch die Sternschnuppenwunschmethode habe ich ausprobiert, aber immer noch ist kein Bulldozer dagewesen und hat es weggeschoben.
Da steht immer noch dieses kleine Haus, in dem diese Großfamilie wohnt. Papa, Mama, und vier Kinder, in insgesamt hoher Gewichtsklasse. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich viel gelernt habe darüber, dass wir alle Brüder sind und doch im gleichen Boot sitzen und wir uns daher auch alle lieb haben sollten und all so schwierige Dinge mehr. Ich gebe mir sehr große Mühe damit und auch meist mit Erfolg.
Aber meine Nachbarin, die Elfriede, wie ich sie so unpassend nennen muss, treibt mich trotz meinem fleißigen Erinnern an all die tugendhaften Worte, weit über meine Grenzen der Duldsamkeit hinaus. Eine Baustelle sehe ich als professionelle Tenor Stimme, meine Nachbarin dagegen, als wackeligen, zwar penetrant übenden, aber trotzdem erfolglosen Amateursopran. Hätte die Elfriede ihre Kinder Ruth, Liz, Mi und Ulf genannt oder so, wäre alles wahrscheinlich gar nicht so schlimm.
Sie hat aber jedem ihrer Kinder gleich drei Vokale im Namen geschenkt, was in der Summe ganze zwölf Vokale ergibt. Drei dieser zwölf Vokale schlafen noch viel und können sich glücklicherweise noch nicht selbstständig fortbewegen, es ist also nur geringfügig und in annehmbarer Tonlage Kommunikation nötig. Aber neun täglich mehrfach endlos ausgedehnt gekrächzte Vokale, das sind wirklich mehr als genug.
"Säääliiinaaa, gang do weg, du kosch da nondr falla woisch on Saaabiiineee et so schnell fahra, woisch, da kennt a Audo komma un no hätschn Ofall und no liegsch im Krankahaus und no kentsch nämme hier schlofa und des wär schrecklich woisch da mach -Säääliiinaaa noi hanni gsait, gang do weg, sonsch sperr i die ins Zemmr woisch Saaabiiineee du hasch genau ghärt was i gsait han, - Säääliiinaaa noooiii!"
Und da passiert es. Ich öffne die Haustüre und bewege mich ganz vorsichtig nach draußen und obwohl wir um unser Haus herum alles so schön haben zu wuchern lassen, hat sie mich doch entdeckt. "Duuu do, kommsch ammol gschwend nieber, i muss dr was saga, woisch"
Mist, denke ich, aber ich will ja nett sein, stapfe also mit einem angestrengten Lächeln zu Elfriedes Terrasse rüber und liefere mich brav dem schwäbischen Tsunami aus. "Du woisch, dei Bub der got do ämmer an onser Meierle no und dut do mit de Stoinerle späla aber du, i han do an Okrautschprä no gschpriet sonsch wägst do lauder Okraut und des isch so gschickt woisch, jez wägst do nix mee aber des isch halt giftig fürd Känder woisch"
Ich lächele bemüht verständnisvoll, verspreche, meinem Sohn das kund zu tun, obwohl ich überhaupt nichts woisch von Okrautschpräs und auch nix davon woischen will. Soll das Unkraut bei uns nur tüchtig wuchern und einen immer dichteren Schall- und Sichtschutz gegen Elfriedes Mitteilungsbedürfnis bilden.
Dennoch, ich will ja schließlich nett sein, gehe ich, wie die vierten drei Vokale auf der Welt eigetroffen sind, mit einem Präsentchen bei Elfriede vorbei. Ich bekomme Kaffee, und obwohl ich das nie wollte, sitze ich nun mit ihr zusammen, umringt von mehreren Großbildschirmen, zwischen die und um die herum sich eine Summe bunter Familienbilder dicht aneinander quetschen.
Elfriedes freudige Feststellung, dass wir beide im gleichen Alter sind und doch mehr miteinander machen sollten, wird glücklicherweise von endlos gedehnten, grenzwertig schrillen Zurechtweisungen unterbrochen. Auf diese geringe Distanz ist das nochmal eine ganz andere Tortur.
Bei jedem draußen anfahrenden Dieselmotor springt Elfriede freudig aufgeregt auf, weil das nämlich der große Tag war, an dem die blauen Altpapiertonnnen ausgeliefert wurden und sie euphorisch auf das Eintreffen derselben gewartet hat.
In einem günstigen Moment stehle ich mich eilig davon. Leider werde ich nur wenige Tage später ganz ungünstig von Elfriede überrollt. "i han do an Gschenkle für doine Kändr, i komm no heit middag gschwänd amol nieber.
"Ja" höre ich mich doch tatsächlich sagen, ich will ja nur nett sein. "Verdammte Sch…." aber, flucht es wild in meinem Kopf!
Am Mittag klingelt sie, wie schon angedroht. Das Geschenk erweist sich als gigantische Mittagsmahlzeit für die blaue Tonne. Ein Haufen Werbung, perfekt auf die Familie ausgeklügelt. Für meine beiden Kinder ist immerhin ein kleines, buntes Tetrapack mit fragwürdigem Inhalt dabei, um das sie sich sofort heftig prügeln.
"Kann i kurz nai?"
Ein gellendes "nein bloß nicht," denke ich verzweifelt, "ja klar," sage ich dagegen freundlich, ich will ja nett sein. Jegliche Werbefritzen, die mich in der Vormittagshektik zum Telefon hin klingeln, bekommen eine ähnliche Laune von mir ab, wie ich sie von der Entbindung her schon kenne.
Je himmlischer sie mich mit ihren hellen, toll geschulten Sopranengelsstimmchen vollsäuseln, desto mehr verfalle ich in bissige, brummige Tonlagen. Für Elfriede aber, ich will ja nett sein, fülle ich nun einen ganzen Bogen Papier aus.
Rücke eine Menge Informationen raus, bis hin zur Adresse, die ich im Leben niemals für irgendeinen Humbug herrausrücken wollte und setze am Ende doch tatsächlich noch meine Unterschrift darunter. Wie ich die glücklich händereibende Elfriede endlich zur Tür hinaus bugsiert habe, sehe ich mich mit hängenden Augenlidern und Schultern in der Türe stehen, eine Geschichte anhörend, über sämtliche auf ihrer Waage angezeigten Zeigerausschläge der letzten sieben Jahre. Das hat sie nun aber auch so geschickt eingefädelt die schlaue Elfriede.
Lächelnd hat sie mich gefragt, ob mir denn nichts an ihr auffalla däd. Was für eine verzwickte Frage. "Nö," gestehe ich ganz ehrlich und da geht es auch schon los. Abgenommen hat sie. Vor dem ersten Kind hatte sie noch das Gewicht, am Anfang der Schwangerschaft dann das, dann stets zunehmend und nach so und so viel Monaten dann das, nach der Entbindung verschiedene Sportarten, zu verschiedenen Zeiten und gleich mehrere Stunden die Woche endlich fast wieder das und das....
Es ist ermüdend, aber ich will ja nett sein, es ist ja schließlich die Nachbarin auf die ich direkt blicke wenn ich aus der Türe komme, krame ich hilflos nach schlechten Begründungen zur Rechtfertigung dieser Notsituation. Nach einer Viertelstunde ist das erste Kind geschafft. Wie sie gerade mit dem vierten Kind anfangen will, kommt glücklicherweise mein Sohn anspaziert, von oben bis unten mit Kot beschmiert und rettet mich aus dieser zeitgewichtigen Gewichtsgeschichte. Das war das richtige Argument.
Es lebe die anale Phase. Und plötzlich will ich gar nicht mehr nett sein.
Eines Tages erwischt Elfriede mich endlich auf dem richtigen falschen Fuß.
"Duhhu kommol. Geschtern isch fei doin Hond do hanna uf dr Schtroß gschanda und moine Kändr ham fai Angschd, die han richdig gschriea on dein Jonga schpielt mit Schdäckle on des isch fei gfärlich wenn des ins Aug got und mit Sogga ischer au scho rumglaufa."
So und jetzt hab ich ihr doch mal sagen müssen, dass ich meine Kinder immerhin so ernähre, dass sie sich noch gut bewegen können, dass mir ein Stock als Spielzeug weit lieber ist, als ihr Düdeldidü Spielkram und dass sie mit sich allein soviel Beschäftigung haben müsste, dass ihr im Grunde keine Zeit mehr bleiben dürfte, nach anderen Leuten zu schauen. In meiner Phantasie aber, habe ich ihr einen schönen, langen, spitzen Stock durch eines ihrer neugierigen Augen gebohrt.
Seither bin ich vor ihr sicher.
Manchmal könnte alles so einfach sein, wenn man nur nicht zu nett ist.