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Sie werden wiederkommen
An Wochenenden flimmerten die Straßenlaternen auf dem Gewerbegelände nur dürftig. Achtsam rangierte Hubert Schäfer seinen Wagen auf den Seitenstreifen und musterte das Auto vor sich. In seinen Augen waren die neuen Fahrzeuge hässlich, unzuverlässig, schlecht verarbeitet; ihr ganzer Technikkram bloß Schnickschnack. Billiges Plastik.
Hubert brauchte sich gar nicht in seiner Limousine umzusehen, denn er wusste von dem Fingerabdruck und den Fusseln. Er schaltete die Innenraumbeleuchtung an und wischte mit einem Tuch über das hölzerne Interieur und den Ledersitz. Ihm war es egal, dass sich die Kollegen das Maul zerrissen. Sollten sie ihn ruhig als „betagtes Kulturgut“ verspotten, angelehnt an das H-Nummernschild seines original erhaltenen Klassikers. Heute hatte er seine Ruhe vor ihnen. Und in einem Jahr, wenn er in den Ruhestand ginge, für immer.
Für die Nachtschichten meldete sich Hubert gerne. Besonders an Wochenenden waren sie lukrativ. Gutes Geld, das er in Pflege und Wartung seines Schatzes investierte.
Er öffnete seine Aktentasche und prüfte den Inhalt. Ausweis- und Zugangskarten, ein alter aufziehbarer Wecker, eine Schuhputzbürste sowie zwei Ersatzbatterien für das Hörgerät. Seine Frau hatte außerdem Butterbrote mit seiner Lieblingswurst geschmiert und das Buch hineingelegt, welches sie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.
Hubert öffnete den noch eingepackten Band aus, überflog den Klappentext und verzog den Mund. Der Aufreißer versprach eine spannende Geschichte über eine Entdeckungsreise auf einen Planeten. Hubert wollte von Aliens und solchem Bäpp eigentlich nichts hören. In dieser ruhigen Nacht würde er aber endlich einen Blick hineinwerfen. Seinem Schatz zuliebe.
Die metallene Stabtaschenlampe hatte Hubert vor vielen Jahren in einem Spezialgeschäft gekauft. Er hielt nichts von den üblichen, billigen Plastikfunzeln, die sowieso zu schnell kaputt gingen.
Hubert setzte seine Mütze auf, stieg aus und leuchtete über den Schotterweg. Er war empört, dass sie jetzt mitten in der Pampa, am Rande des weitläufigen Gewerbegebietes und so weit entfernt vom Gebäudekomplex, zu parken hatten. Seit den Arbeiten für den Anbau eines Entwicklungszentrums war der Parkplatz verschwunden, die Tiefgarage an Wochenenden zudem geschlossen. Am meisten ärgerte ihn, dass sein Auto neben dem umzäunten Gelände stehen musste, auf dem das war, was er am meisten verachtete. Er durfte nicht vergessen, seinen Wagen am nächsten Tag gründlich zu waschen.
Als er den beleuchteten Gehsteig betrat, staubte er seine Hosenbeine ab und reinigte die Schuhe. Dann schaute er nach oben und dachte nach, wann es zuletzt eine solche sternenreiche Nacht gegeben hatte. Er hätte schwören können, einen Schweif gesehen zu haben, leuchtende Materieteilchen. Er schaute auf die Armbanduhr. Fünf Minuten blieben ihm noch, seinen Kollegen abzulösen. Hastig legte er die letzten Meter zum Gebäude zurück.
Nachdem Hubert einen Vermerk in die Drei-Uhr-Zeile gemacht und die einzelnen Positionen abgehakt hatte, hängte er die Jacke zurück auf den Haken und legte die Mütze ab. Dann stellte er den Wecker wieder auf die nächste volle Stunde. Genüsslich aß Hubert das letzte Butterbrot und nippte am frisch gebrühten Kaffee, während er zwischen den Bildschirmen und seinem Buch hin und her blickte. Auf den Überwachungsmonitoren waren menschenleere Flure und verschlossene Türen zu sehen. Orte und Zugänge, die er heute schon mehrmals kontrolliert hatte. Im Buch begann es langweilig mit einem ausschweifenden Kapitel über die Abkoppelungsvorbereitungen einer Raumsonde von ihrem Mutterschiff.
Heute würde nichts Außergewöhnliches passieren. Schon bald wurden seine Augen immer müder.
„Seien Sie vorsichtig, Lieutenant Kelkenny!“ Es war die besorgte Stimme des Flottenkommandeurs Terry D. Rahl, die über den Multichannel klang. „Die Sensoren deuten immer noch nichts an, aber wir wissen weder, wie schnell sich die Wesen bewegen, noch, wie gefährlich sie sind …“
„… oder, ob es überhaupt welche gibt“, vervollständigte Kelkenny, die dabei auf die bisherigen, fehlgeschlagenen Kontaktaufnahmen anspielte. „Machen Sie sich keine Sorgen, Commander. Mein Team ist dafür bestens ausgebildet.“ Gequält lächelnd schaute sie auf die Langfeuerwaffe, die über die Schulterpolsterung ihres Raumanzuges hing. „Und hervorragend ausgerüstet.“ In den Gesichtern der drei Männer − ein Soldat, ein Wissenschaftler und ein Techniker − meinte sie, Härte, Wissensdurst und Leidenschaft zu sehen.
„Betäubungsmunition! Hören Sie! Scharfe Munition nur in absoluten Notfällen!“, krächzte die Stimme in die Earphones der Vier. „Denken Sie an Ihre Mission. Wir sind unerkannt gekommen und wollen genauso wieder verschwinden. Ende.“ Dann schaltete der Commander auf Singlechannel um. „Und jetzt beweg dich vorsichtig durch diesen merkwürdigen Dschungel. Mach‘ dich auf das Schlimmste gefasst, mein Kind.“
Lieutenant Kahlen Kelkenny, erste Offizierin der Explorer III, schaute auf den lehmigen Boden herab, der mit seiner Struktur und Beschaffenheit an ihre Heimat erinnerte. Sie beugte sich nach unten und ertastete eine dunkle und feste Masse, die ihr bis zu den Knöcheln reichte. Mit einem Messer kratzte Kelkenny ein Stück davon ab und steckte es in ein Döschen. Sie verzog die Stirn und reichte die Probe dem Professor weiter, der gerade die üppige Vegetation bestaunte.
Mit einem beklemmenden Gefühl im Magen drehte sich Kelkenny noch einmal um. Inmitten schlanker Riesenbäume mit grünen stacheligen Blättern, konnte sie die Explorer III nur noch erahnen. Bis auf eine Notbeleuchtung waren sämtliche Lichter ausgeschaltet, das leise Surren des Stand-by-Betriebes kaum zu hören.
Die Bedingungen auf diesem fremden Planeten hatten sich schlagartig geändert und waren alles andere als ideal. Am meisten beunruhigte sie die übergroße Flora. Die Maschinen der Raumsonde mussten unbedingt warm bleiben.
Kelkenny und die Männer prüften erneut ihre Schutzanzüge gegenseitig sowie die Einsatzbereitschaft der Ausrüstung. Dann gab Lieutenant Kelkenny den Marschbefehl und ging voran.
Mit dem Arm wischte sie sich über das feuchte Visier; die Antibeschlagbeschichtung hatte versagt. Kelkenny wirkte eher angestrengt und konzentriert als entschlossen.
Hubert schreckte auf. Seine Gedanken verweilten noch einen Augenblick in der Geschichte, die langsam an Fahrt aufnahm. Endlich stellte er den Wecker aus. Die Monitore verrieten keine Auffälligkeiten. Er zog die Jacke an und setzte die Mütze auf. Eine Hand schnappte sich den Schlüsselbund, die andere die Taschenlampe.
Seit Jahren die gleichen Abläufe, die gleichen Bewegungen.
„Commander! Commander Rahl!“ Kelkennys Augen weiteten sich. „Wir stehen hier vor einer riesigen Flotte gigantischer Kriegsmaschinen. Raumschiffähnliche Fluggeräte, panzerartige Apparate.“ Ihre Stimme klang noch unkontrollierter. „Ich … ich habe so etwas noch nie gesehen. Die Sicht ist zudem schlecht und die Lampen zu schwach.“
„Schalten Sie den Mediatransmitter auf volle Leistung und Nachtsichtbetrieb! Ich schicke zur Sicherung zwei SoldierRobs.“
Aus ihrer Brusttasche entnahm Kelkenny eine Glaskugel und legte sie auf die offene Hand. Wie eine geölte Murmel drehte sie sich langsam um die eigene Achse, bis sie schließlich über Kelkennys Kopf schwebte. Dann überwand das flügellose Objekt das zaunartige Metallstabgebilde und steuerte auf die weißen und silbernen Maschinen zu. Lautlos blieb es in der Luft über ihnen stehen. Dünne, farbige Lichtstrahlen tasteten die Flotte ab.
Kurz darauf meldete sich Rahl. „Ja, ich sehe es auf dem Bildschirm. Eine ganze Armada. In Reih und Glied. Hunderte, scheinbar nagelneuer Kriegsschiffe. Unbemannt, auf ihren Einsatz wartend. Jedes Einzelne um ein Vielfaches größer als unser Landungsschiff.“ Die Stimme des Commanders überschlug sich. „Große Lichtkanonen. Eine 360-Grad-Kommandobrücke mit großen Displays. Ich … ich möchte, dass Sie ganz nah herangehen und eine Probe mitbringen, zumindest von der Außenhülle.“
„Aber, Va…, Commander.“ Kelkenny und ihre Männer traten ein paar Schritte zurück und suchten Schutz hinter einem dicken Stamm. „Wenn schon die Bäume und Schiffe so riesig sind ... Wir sollten lieber umkehren!“
„Negativ. Laut Monitor keine Lebenszeichen. Besorgen Sie eine Probe! Ist mir egal, wie!“ Rahl machte eine kurze Pause. „Halt! Warten Sie! Gehen Sie zunächst zu dem größeren Schiff. Links, außerhalb des Zauns; es scheint das Führungsschiff zu sein. Sieht mit seinen Ecken und Kanten noch furchteinflößender aus. Nähern Sie sich keinesfalls diesem Kreuz auf dem Bug. Wahrscheinlich ein Sensor oder eine Zielvorrichtung ...“
„Verstanden, Commander.“
„Und absolute Ruhe. Wir wollen die Armee nicht wecken. Die TransportCapsule und der MechaRob sind unterwegs. Ende.“
Letztmalig stellte Hubert den Wecker aus. Keine einzige Minute hatte er gedöst, zu sehr war er im Roman vertieft.
Sein Rundgang führte ihn in den neuen Forschungs- und Entwicklungstrakt. Wehmütig schaute er im Vorbeigehen auf die Bilder, die an den Wänden hingen. Die guten alten Zeiten. Die Zeit seines Autos. Kein technischer Kram, viel Handarbeit, Qualität.
Als Kind wollte Hubert Ingenieur, Designer oder Techniker werden. Nach einem gescheiterten Studium landete er schlussendlich wie sein Vater und Großvater in der Fertigmontage im Stammwerk. Dann irgendwann der totale Niedergang: Teile-Zukäufe aus Fernost, Vormontagen in Billiglohnländern, neumodisches Pipapo. Der desillusionierte Purist Hubert Schäfer wechselte in die Verwaltung.
Am Ende des Gangs blieb er verdutzt stehen. Diese Fotoreihe, bestehend aus Dutzenden Bildern, kam ihm sonderlich vor. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er auf die Makroaufnahmen, die kleinste Details der aktuellen Serie zeigten.
Nichts Besonderes, nur noch mehr Plastik. Angewidert verzog er den Mund.
Dann sah er ein Fotoposter, das die gesamte Breite und Höhe der dreistöckigen Mauer einnahm. Mit einer Hand fuhr er über das Abbild des bedrohlich wirkenden, neuesten Modells. Er kam sich plötzlich so hilflos und klein vor.
„Commander! Wir haben eine Probe des Führungsschiffs gewinnen können. Ein mit Farbschicht überzogenes Material. Keine besonderen Vorkommnisse.“
„Sehr gut. Rückzug!“
Kelkenny drückte zwei Knöpfe an ihrem Armband. „Ich schicke jetzt die TransportCapsule und den MechaRob zurück.“ Surrend glitten die beiden Roboter über den feuchten, grasähnlichen Farn. Kelkenny hob den Daumen und lächelte die drei Männer an. Sie hatten die Order des Commanders über den offenen Multichannel mitgehört und verstauten erleichtert ihre Gerätschaften. Die beiden SoldierRobs sicherten weiterhin die Umgebung.
Dann klang es nach Ärger, als sie über den Singlechannel ein nervöses und aufgeregtes Getuschel aus dem Schiff vernahm.
„Schnell! Beeilen Sie sich. Die Sensoren schlagen an. Neben dem großen Schlachtschiff! Es kommt näher …“
Hubert leuchtete auf den Schotterweg und überwand mit großen Schritten einige Pfützen. Als er an dem Gelände vorbeikam, auf dem die neuen Modelle auf ihre Auslieferung warteten, durchdrang ihn ein gemischtes Gefühl aus Bekümmernis und Machtlosigkeit. Er dachte wieder an die großformatigen Detailabbildungen. Unreife Technik, unzuverlässige und instabile Bauteile. Gebaut für die totalitäre Eroberung, die Auslöschung des Guten.
Er senkte den Blick und wollte nur so schnell wie möglich nach Hause.
Sein Auto war anders; unverwüstlich. Immer Verlass auf die Maschine, kein einziger Kratzer an der dickhäutigen Karosserie. Kantig, schwer und kraftvoll. Wie ein altes Schlachtschiff, dachte er. Wie er selber, sagte seine Frau immer.
Schmunzelnd griff er nach seinem Autoschlüssel und drückte den Knopf. Der Funksender war der einzige neumodische Luxus, den er sich gegönnt hatte. Ihm war es zu mühselig, für Magda von innen die Beifahrertür zu öffnen. Sein Körper machte das Beugen über die breite Doppelbank nicht mehr mit.
Noch bevor das letzte Piepen der elektrischen Türöffnung verstummte, vernahm er ein Rascheln im Gestrüpp. Hoffentlich kein Marder. Dich krieg ich! Hubert umrundete das Auto, bückte sich herunter und schaltete die Taschenlampe an. Mit einer Hand hielt er sie vorne fest und stützte das hintere Ende über seine breite Schulter. Er war vorbereitet, die schwere Lampe notfalls auch als Waffe einzusetzen. Achtsam schob er die Äste zur Seite. Die kleinen, weit verstreuten Tippelspuren auf dem lehmigen Boden mochten so gar nicht zu einem Marder passen. Stirnrunzelnd schaute er durch die Büsche und lauschte. Der starke Taschenlampenstrahl warf große Schatten, traf jedoch ins Leere. Nichts zu sehen, nichts zu hören.
Hubert schaltete die Lampe wieder aus und erhob sich. Dann hörte er am Ende des Unterholzes ein leises, mechanisch anmutendes Geräusch. Es wurde leiser, bis es schließlich verstummte. Ein kleiner Lichtkegel strahlte gen Himmel. Hubert konnte nicht erkennen, was sich im Lichtstrahl aufwärtsbewegte.
Dann machte es „Plopp“ und mit einem Male war es wieder dunkel. Hubert stand verdutzt da. „Verschwindet! Wagt euch nicht an mein Auto!“, rief er auf Geratewohl ins Dickicht.
Die Explorer III hatte auf Lichtgeschwindigkeit umgeschaltet und befand sich auf dem Weg zum Mutterschiff. Die Stimmung der Mannschaften war gelöst. Ein Funken Hoffnung keimte in ihnen auf.
In einer leichten Uniform gekleidet kam Lieutenant Kelkenny in die Kommandozentrale. Trotz einer heißen Dusche und einer gut überstandenen Untersuchung zitterte sie am ganzen Körper.
„Ein Heißgetränk?“ Commander Rahl musterte sie väterlich.
„Geben Sie mir besser was Starkes, Sir.“
Der Commander nahm ein Flakon und schüttete einige Tropfen einer goldenen Flüssigkeit in ein Glas.
„Puh“, stöhnte Kelkenny, als sie das Getränk hinuntergekippt hatte. Sie schüttelte sich kurz und griff dann nach einer Wasserflasche. Während sie hastig mehrere Schlucke nahm, schmunzelte Rahl.
„Commander!“, rief eine Stimme von hinten. „Die Dateien des Transmitters sind dekomprimiert und geschnitten.“ Der junge Mann am Mediapult legte seinen Finger startbereit auf einen Schalter.
„Gut, Sergeant. Auf mein Kommando die Frames auf die 5 und den Ton auf unsere sechs Earphones.“ Rahl schaute sich in der Halle um. „Unteroffiziere und Mannschaften! In die Unterkünfte!“
Gebannt schauten Kelkenny und die vier anderen Offiziere den Commander an, der gedankenversunken in einem Ledersessel ruhte. Er hielt etwas Gerolltes in der Hand, das an eine altmodische Seekarte erinnerte.
Als sich die Türen geschlossen hatten, strich sich Rahl ein letztes Mal über das Kinn und beugte sich vor. „Die Analyse der organischen Proben dieses … pelzigen Ungeheuers … ist frühestens morgen abgeschlossen.“ Dann lächelte er Kelkenny an. „Seien Sie froh, dass Sie durch Ihren Raumanzug nichts riechen konnten. Die dunkle Masse ... Sie können sich vorstellen, was das ist?“
Lieutenant Kelkenny rümpfte die Nase und trank wieder von dem Wasser, während die anderen mit vorgeschoben ernster Miene die Wände anstarrten.
„Auf die Zusammensetzung der extrem stabilen und undurchdringlichen Außenhülle sind wir sehr gespannt. Womöglich ein ideales Ersatzmaterial.“ Der Commander kratzte sich am Kopf. „Wir werden wohl wiederkommen ...“, murmelte er gedankenvoll. Dann fuhr er fort. „Ebenso warten wir noch auf die Auswertungen der Armeemaschinen und darauf, was die Bezeichnung auf dem Schlachtschiff bedeutet, die wir als S – HS 1950 H übersetzt haben. Unsere Rechtsverdreher sind noch mit dem Gouverneur der Intergalaktischen Regierung in Klärung, wie sie Zugriff auf deren Datenphalanx bekommen. Mich persönlich wundert nur, wie ein solches Schlachtschiff, das mit seinen Ecken und Kanten so … ja, antiquiert wirkt… na ja …“
Rahl öffnete das Flakon und schaute erwartungsvoll in die Gesichter der Anwesenden. Bis auf den Leitenden Schiffsarzt nickten ihm alle zu. Der Commander schüttete vier Gläser ein und kniff dann die Augen zusammen. „Viel mehr Sorgen sollten wir uns aber darum machen.“ Er sah sich zum Mediapult um und zeigte mit der Hand auf das dünne Display, das er wie Papier auf den Tisch ausgerollt hatte.
Der Sergeant spulte das Frame vor. Die Aufnahme zeigte einen immer größer werdenden Schatten, der sich bedrohlich stampfend dem alten Schlachtschiff näherte. Wie von Geisterhand wurde es aktiviert und das Innenlicht eingeschaltet, als zwei ohrenbetäubende Signale ertönten und mehrere orangefarbene Lampen aufblinkten. Dann wurden die großen Lichtkanonen immer heller.
Die Kamera hatte näher herangezoomt. Die Gestalt mit tiefen Falten im Gesicht und einer Mütze auf dem Kopf − augenscheinlich der Anführer der Armee − trug trotz erbärmlicher Kälte nur leichte Uniform. Er war größer als der fremdartige Dschungelurwald, in dem die Explorer III heruntergekommen war.
„Auch wenn es anders aussieht. Lassen Sie sich nicht beirren“, sagte der Commander bedeutungsvoll und nahm einen großen Schluck der wohltuenden goldenen Flüssigkeit. „Dies ist nicht mehr als ein Roboter.“
Die Offiziere schauten verdutzt in die Runde und begannen, zu tuscheln.
„Die MechaRobs, die mit ihrem Laser übrigens sehr hilfreich bei der Probenentnahme des pelzigen Ungeheuers waren, haben es mit den Funksensoren festgestellt: Hinter den Ohren dieses Wesens sitzen elektronische Kontrolleinheiten.“
Hubert versuchte noch, im Gebüsch etwas zu erkennen und stand dann seufzend auf.
Er erschrak. Unter dem hinteren Reifen lag ein dickfelliges Tier. Vorsichtig schob er das tote Geschöpf mit dem Fuß zur Seite, wobei es auf den Rücken gedreht wurde. Hubert sah genauer hin. Mit chirurgischer Präzision hatte jemand den grauen Feldhasen von oben bis unten aufgeschnitten. Wie mit einem Skalpell. Wo vorher noch die Eingeweide der armen Kreatur saßen, klaffte nun ein großes, blutverkrustetes Loch. Warmer Dampf stieg aus dem stinkenden Kadaver.
Angewidert drehte sich Hubert um und stieg in seinen Oldtimer, nachdem er sich noch seine Schuhe abgeputzt hatte.
Zwei der Offiziere wandten kurz ihren Blick vom Bildschirm ab, als die furchteinflößende Gestalt mit Leichtigkeit die riesigen Bäume zur Seite schob. Dann legte der Hüne das mächtige Gerät über seine Schulter und schickte einen breiten, nicht enden wollenden Lichtstrahl durch den Dschungel. Genau in Richtung der hinter den hohen Bäumen gut geschützten Explorer III.
Wissend schaute der Commander in die erstaunten Gesichter der Anwesenden. Womöglich war dieses Licht ergiebiger als sämtliche Energie auf ihrem Heimatplaneten zusammen; diese Waffe stärker als alles bisher Dagewesene.
Bei den abschließenden, grölenden Rufen des Giganten − vermutlich Schlachtrufe für eine Armee im Hintergrund − drehte der Sergeant am Pult den Ton leiser. Schnell nahmen alle die Earphones aus ihren Ohren. Zu frisch war noch die schlimme Erinnerung an die durchdringenden Gebrülle. Hatte dessen Lautstärke doch die Startgeräusche der Explorer III übertönt.
Die ersten Strahlen der Morgensonne verdrängten den grauen Nebelschleier auf den Feldern, als Hubert sein Zuhause betrat. Dieser Monat sollte später als der letzte friedliche Monat in die Geschichte eingehen.
Gleich würde er sich wie gewöhnlich im Bett an seinem Schatz schmiegen. Vorher wollte er noch das letzte Kapitel des Science Fiction-Abenteuers lesen, in dem die Aliens eine Wiederkehr planten. Saudummes Zeug, dachte er.
Den kleinen Kratzer am Lack des Kotflügels bemerkte Hubert erst am Nachmittag, als er seinen Oldtimer vom lästigen Staub und Schmutz befreien wollte.